Alter Körper, junger Geist
Nach längerer Pause, die ich meistens nur mit mir und meinem Fernseher verbrachte, mache ich mal wieder einen Spaziergang. Das Wetter ist perfekt und ich sehe ganz manierlich aus, als ich mich auf den Weg mache. Leider währt meine Freude nur etwa fünfzehn Minuten. Denn dann passiert etwas, was mir immer wieder passiert. Mein rechtes Sprunggelenk signalisiert, dass es keine Lust auf einen Spaziergang hat. Ich hingegen möchte weiter wandern. Doch da mein Sprunggelenk die besseren Argumente, nämlich Schmerzen, hat, beschließe ich, den Rückweg anzutreten. Um weiteren Ärger mit dem Sprunggelenk zu vermeiden, gehe ich sehr langsam. Eine Schmerzreduzierung hat das leider nicht zur Folge, weshalb ich nun etwas komisch gehe, um die Schmerzen besser zu ertragen. Vermutlich nehme ich eine unpassende Fehlhaltung beim Gehen an, weshalb nach einer Weile auch mein linkes Knie etwas zu meckern hat. Ich gehe noch etwas langsamer und vermutlich auch etwas unrunder weiter. Zwei Jugendliche, vor einem dieser vielen Wettlokale dieses Ortes, scheinen meinen Auftritt komisch zu finden und gucken mich wenig wohlwollend an. Noch bin ich weit genug weg und könnte einfach einen anderen Weg gehen, um nicht direkt an ihnen vorbei zu müssen. Ich entscheide mich anders. Die beiden drehen sich um. Als ich sie fast erreicht habe, drehen sie sich wieder zu mir und der eine geht auf mich zu. Ich ignoriere das Balzverhalten und reagiere nicht. Als er auf meiner Höhe ist, bleibt er abrupt stehen. Ich ignoriere seine Aktion und gehe an ihm vorbei. Ich bin zu cool für einen solchen Kinderkram und habe auch keine Zeit für so etwas. Dennoch sollte ich, wenn ich wieder durch diesen Ort wandere, vielleicht besser diese Nebenstraßen meiden. Nur wegen der Sicherheit und so.
Meine Wohnung erreiche ich wenig später. Mein Sprunggelenk ist heiß und mein Knie weiter unzufrieden. Älter werden ist echt blöd. Vor allem, wenn der Körper solche Signale sendet. Vielleicht sollte ich mir doch langsam ein Fahrrad zulegen. Dabei mag ich Fahrradfahren nicht. Es ist Frisurenunfreundlich und passt Kleidungstechnisch auch nicht zu mir. Verdammt, ich sitze in der Fahrradfalle.
Jobcenter
Der übliche Termin beim Jobcenter steht an. Ich betrete das Zimmer meiner Betreuerin und sie fragt, ob es etwas Neues gibt. Ich verneine und gebe ihr einen Zettel mit meinen Bewerbungsbemühungen. Sie fragt, ob ich mittlerweile eine Antwort von Amazon bekommen habe. Habe ich. Eine Absage. Das überrascht sie sehr, weil die ja normalerweise jeden einstellen. Mich aber nicht. Sofort folgt die Frage, ob ich mich nicht noch einmal dort bewerben möchte. Über eine Zeitarbeitsfirma, aber zu den gleichen Konditionen, als wäre ich direkt bei Amazon angestellt. Die nervt. Doch weil ich keinen Ärger und noch weniger diskutieren möchte, tue ich so, als hätte ich Interesse für zwei Monate bei Amazon zu arbeiten. Macht sich auch gut in meinem Lebenslauf, sagt meine Betreuerin. Blödsinn. Sage ich ihr aber nicht. In den nächsten Tagen bekomme ich Post und werde zu einem Einstellungstest eingeladen. Ich hasse Wiederholungen und will nicht bei Amazon arbeiten. Ich brauche unbedingt eine schriftliche Bestätigung eines Arztes, dass ich Arthrose habe und solche Jobs nicht machen kann. Weil es gerade so gut läuft, bekomme ich noch zwei Jobangebote. Und das Angebot, einen Gabelstaplerschein zu machen. Ich lehne dankend ab. Ich will keinen solchen Schein. Kein Problem, war ja nur ein Angebot. Da es dieses Jahr keine Angebote für den dritten Arbeitsmarkt mehr gibt, hofft meine Betreuerin aufs nächste Jahr. Vielleicht ist dann etwas für mich dabei. Ich hingegen hoffe auch weiter, dass es bald einen vierten Arbeitsmarkt geben wird. Das wäre sicher etwas für mich. Alternativ denkt sie aber darüber nach, ob es nicht Sinn macht, eine Auffrischung im kaufmännischen Bereich zu machen. Das weiß ich nicht. Möglicherweise ja, vielleicht aber auch nicht. Es gibt einfach zu viele schwachsinnige Maßnahmen, doch vielleicht habe ich Glück, denn schließlich bin ich eine Art Glückskind. Oder verwechsle ich mich da mit jemandem?
Zahnreinigung und Dontisolon
Der jährliche Termin zur Zahnreinigung steht an. Und wie geht es mir, wenn ich zum Zahnarzt muss? Beschissen natürlich. Ich kann nicht essen, aber würgen. Sehr hilfreich. Und obwohl ich weiß, dass bei dem Termin aller Voraussicht nach nichts Schlimmes mit mir passieren wird, kann ich meinen Zustand nicht beeinflussen. Mir ist schlecht, weil weder mein Körper noch ich zum Zahnarzt wollen. Und da spielt es absolut keine Rolle, dass ich nichts zu befürchten habe.
Die Zahnreinigung tut zwar weh, aber das ist halb so wild. Interessanterweise geht es mir und meinem Bauch sofort besser, nachdem die Behandlung begonnen hat. Schade, dass die Behandlung nicht direkt nach dem Aufwachen beginnen kann, dann hätten mein Körper und mein Geist nicht die Zeit mich vor der Behandlung wahnsinnig zu machen. Bilde ich mir zumindest ein. Zum Abschluss wirft der Zahnarzt einen Blick auf meine Zähne. Alles ganz gut. Abgesehen vom Weisheitszahn. Der muss wirklich langsam raus, bevor er mir Probleme bereitet. Ja, ich weiß, dieses Gespräch führen wir mittlerweile jedes Mal, wenn ich in diesem blöden Behandlungsstuhl sitze. Ich würde das ja machen, aber weil es mir vorher immer so schlecht geht, geht das nicht. Ich hoffe, dass mein Weisheitszahn so lange Ruhe gibt, bis ich den Mut finde, ihn entfernen zu lassen. Das dürfte, wenn ich mich nicht irre, etwa 12 bis 15 Jahre nach meinem Ableben sein. Und ob es dann noch Sinn macht, wage ich zu bezweifeln. Weil das Zahnfleisch an einem meiner Zähne seit Monaten entzündet ist, bekomme ich eine Lösung darauf und darf am Freitag wiederkommen, um diese Prozedur wiederholen zu lassen. Ob mir dann auch wieder schlecht ist?
Bei meinem nächsten Termin ist der Zahnarzt nicht zugegen und lässt die Helferin, die auch schon die Zahnreinigung durchgeführt hat, mein Zahnfleisch behandeln. Sie ist der Meinung, dass das Zahnfleisch minimal besser aussieht. Ich teile ihre Meinung nicht und frage, was da auf mein Zahnfleisch aufgetragen wird. Dontisolon. Ich bin enttäuscht. Das Zeug habe ich zu Hause und das Zahnfleisch länger damit behandelt. Ohne Erfolg. Also ist das jetzt meiner Meinung nach unnötige Zeitverschwendung. Ich möchte Procain oder Lidocain, kein Dontisolon. Das ist alles voll deprimierend. Traurig verlasse ich die Praxis. Am Montag soll ich wiederkommen, damit alle sehen können, dass Dontisolon nichts bringt. Ich bin enttäuscht.
Beim folgenden Termin kümmert sich mein Zahnarzt um das Zahnfleisch. Er meint, dass es etwas weniger gerötet ist und macht erneut Dontisolon drauf. Gibt es wirklich keine anderen Mittel als Cortison? Ist Cortison ein Wundermittel und Alternativlos? Er sagt, dass ich mir Chlorhexamed kaufen soll und damit zwei bis drei Tage spülen. Ich mag dieses Chlorhexamed nicht, weil es bei längerer Anwendung die Zähne verfärbt. Und das wäre kurz nach einer Zahnreinigung wirklich sehr deprimierend. Freitag soll ich zur Kontrolle wiederkommen. Soll ich mir wirklich Chlorhexamed besorgen? Habe ich überhaupt eine Wahl? Kann es sein, dass ich genervt bin?
Ohne Befund zur Gruppeninformationsveranstaltung
Nachdem das Jobcenter, bzw. meine Beraterin, scheinbar möchte, dass ich meine berufliche Karriere als Lagerarbeiter fortsetze, ich dies aber gar nicht möchte, beschließe ich, dass ich mir den Bericht von meinem Orthopäden schicken lasse, weil dieser ja bei mir eine Arthrose in den Sprunggelenken festgestellt hat und ich denke, dass man mich mit diesem Leiden nicht gerne anstellen wird.
Als ich den Bericht ein paar Tage später in den Händen halte, bin ich mehr als nur ein wenig überrascht, steht doch nichts von Arthrose darin. Ich bin irritiert, denn als meine beiden Sprunggelenke geröntgt wurden, sagte der Orthopäde mir anschließend, dass er gar nicht verstehen kann, dass ich nur im rechten Sprunggelenk Schmerzen habe, weil ich im linken Sprunggelenk mehr Arthrose habe. Und was muss ich jetzt in seinem Bericht lesen? Röntgenbefund: beide OSG gehalten: o.B. Wo ist der Fehler? Entweder hat er mich zu seiner Zeit angelogen, meine Röntgenbilder verwechselt oder er war verwirrt. Oder er hat einen fehlerhaften Bericht geschickt. Mit diesem Bericht jedenfalls kann ich nichts anfangen. Vielleicht war meine Arthrose ja auch nur von vorübergehender Dauer und deshalb steht nichts davon im Bericht. Vielleicht leide ich unter zeitlich begrenzter Arthrose. Wie auch immer. Mit den Schmerzen im Sprunggelenk kann ich jedenfalls keinen Lagerjob annehmen. Ich kann ja nicht einmal mehr ohne Schmerzen Ausdauersport machen. Aber vielleicht ändert sich das jetzt, denn jetzt weiß ich, dass ich gar nichts habe. Vermutlich sind meine Beschwerden nur eingebildet. Dann kann ich doch bei Amazon arbeiten. Da trifft es sich gut, dass ich schon morgen zu einer Gruppenveranstaltung, bei der es um meine mögliche Zukunft bei Amazon geht, muss. Ich bin nur noch wenige Meter von meiner neuen Karriere entfernt. Wahnsinn. Und das alles völlig ohne Befund.
Als ich zur Gruppeninformationsveranstaltung erscheine, sind schon sechs Personen in dem Raum, in dem die Veranstaltung stattfinden soll. Darunter drei Arbeitslose, die nicht weiter erwähnt werden müssen. Der Mann vom Jobcenter, der eine gewagte rote Hose trägt und genau aufschreibt, wer zu dem Termin erschienen ist. Und zwei Männer in schwarzen Anzügen, die ich der Zeitarbeitsfirma zuordne. Neben den schwarzen Anzügen tragen sie schwarze Lederschuhe, weißes Hemd und Krawatte. Sie sehen aus wie Versicherungsvertreter oder Automobilverkäufer. Möglicherweise sind sie mir deshalb sofort irgendwie unsympathisch. Nach und nach trudeln weitere Arbeitslose ein. Neben mir sitzt ein Arbeitsloser, der einen Zauberwürfel aus seiner Tasche hervorzaubert und sofort kräftig an dem Würfel dreht. Alle starren ihn an. Ob er das macht, weil er so demonstrieren will, dass ihn das alles hier nicht interessiert, oder tut er das, weil er sich so beruhigt? Ich weiß es nicht, aber seinen Zauberwürfel hat er toll im Griff.
Nachdem die Zeit gekommen ist und vierzehn Arbeitslose anwesend sind, beginnt der Spaß. Einer der beiden Herren der Zeitarbeitsfirma stellt sich als Leading On-Site Manager vor. Ich habe keine Ahnung, was das ist, finde aber, dass es schön bescheuert klingt. Das Motto der Gruppeninformationsveranstaltung klingt ähnlich bescheuert. Sichern Sie mit uns das Weihnachtsfest. Das stelle ich mir ziemlich geil vor, wenn lauter Arbeitslose zusammen mit ihrem Leading On-Site Manager das Weihnachtsfest retten und später vom Bundespräsidenten dafür gelobt werden. Und all die leuchtenden Kinderaugen, die nur unseretwegen leuchten. Jetzt muss ich fast weinen. Zum Glück reißen mich zwei Arbeitslose aus meinen Träumen. Die beiden sitzen ganz vorne links und sind mir schon aufgefallen, als sie zusammentrafen. Die blonde Frau mit der praktischen Kurzhaarfrisur, die ich durchaus als burschikos bezeichnen würde und der Durschnittsarbeitslose, dem ich auch keine große berufliche Zukunft zutraue, fingen schon vor der Veranstaltung an, sich und allen anderen lautstark auf die Nerven zu gehen. Scheinbar kennen die sich von irgendwo her. Der Leading On-Site Manager erklärt nun, dass es bei Amazon ein On-Site Büro gibt. Das ist ein Büro, in dem irgendein Mitarbeiter der Zeitarbeitsfirma ständig zu erreichen ist. Ich sollte fragen, wie ich so ein Mitarbeiter werden kann, der sein eigenes On-Site Büro hat. Die Tür geht auf. Zwei weitere unpünktliche Arbeitslose gesellen sich zu unserer illustren Gruppe. Da die beiden Quatschköpfe vorne weiter plappern, fragt der Leading On-Site Manager sie, ob sie das alles schon kennen oder etwas beitragen möchten. Sie kennen das alles schon, weil sie nun zum dritten Mal an so einer Veranstaltung teilnehmen und in den letzten beiden Jahren schon das Weihnachtsgeschäft bei Amazon als Lagerarbeiter aktiv mitgestaltet haben. Ich notiere, dass ich den beiden nachher persönlich danken muss, weil sie die letzten beiden Weihnachtsfeste mit gerettet haben.
Gearbeitet wird im Dreischichtsystem und der Bruttolohn beträgt 10,10€. Ich muss gestehen, dass mich diese Summe nachdenklich macht. Das ist viel mehr als ich zu träumen gewagt hatte. Ich wäre in kürzester Zeit ein gemachter Mann. Ich könnte in der Zeit vom 04. November bis zum 23. Dezember ein kleines Vermögen erarbeiten und mich danach zur Ruhe setzen. Diese Gruppeninformationsveranstaltung ist der Hit. Für Leute, die kein Fahrzeug haben, wird später sogar ein Fahrdienst eingerichtet. Und ein Shuttledienst. Wo da jetzt der Unterschied ist, begreife ich natürlich nicht. Ich gerate immer mehr ins Schwärmen, da ist die Show auch schon vorbei und wir werden gefragt, wer denn einen dieser begehrten Jobs haben will. Ich würde jetzt gerne gehen, obwohl das Angebot schon fast unverschämt gut ist. Doch weil ich Angst vor Sanktionen habe, bleibe ich sitzen und stelle mich schon darauf ein, den Einstellungstest über mich ergehen zu lassen, als die beiden Quatschköpfe mich retten. Die Blondine, die auch ein Junge sein könnte, fragt, welche Sanktionen sie zu erwarten hat, wenn sie jetzt geht. Nun schaltet sich die Rothose ein und sagt, dass wir nichts zu fürchten haben, wenn wir gehen. Allerdings findet er das Jobangebot gut, weshalb wir ja nun auch alle hier sind. Ein Mann, der erst vor zwei Tagen bei Amazon den Test gemacht hat, sagt, dass er aus körperlichen Gründen nicht in der Lage ist, den Job zu machen. So geht es mir auch. Mein Körper könnte so einen Job gar nicht machen. Die beiden Quatschköpfe verlassen das Zimmer. Ohne mir darüber Gedanken zu machen, dass ich möglicherweise Millionen Menschen das Weihnachtsfest verderbe, stehe ich auf und verlasse wortlos die Veranstaltung. Was soll ich noch länger bleiben, wenn mir nichts passiert und ich den Job letztlich auch nicht will? Obwohl mir die beiden Quatschköpfe unsympathisch sind, frage ich sie auf dem Weg durchs Treppenhaus nach ihren Erlebnissen bei Amazon. Sie fanden es doof und haben die Schnauze voll davon, jedes Jahr das Weihnachtsfest zu retten, um anschließend bis zum nächsten Weihnachtsfest warten zu müssen. Kann ich verstehen. Bevor ich mich noch mit den beiden anfreunde, beende ich das Gespräch.
Draußen an einer Ampel, sehe ich, dass ein weiterer Arbeitsloser die Veranstaltung verlassen hat. Ich frage ihn, wieso er das getan hat. Wir kommen ins plaudern und latschen eine Weile nebeneinander durch Lünen. Das ist vermutlich diese Kommunikation, die man auch Small Talk nennt und von der ich schon oft gehört habe. Ich wusste gar nicht, dass das so einfach geht. Dennoch ist es jetzt auch nicht so prickelnd oder unterhaltsam, dass ich es öfter brauche. Ich habe ein Ziel, mein Gesprächspartner ein ganz anderes. Irgendwann bleibt er stehen und deutet an, dass er in die ganz andere Richtung muss. Er will mir scheinbar die Hand geben. Ich mag so etwas nicht, weshalb ich kurz abwinke und ihm alles Gute für die Zukunft wünsche. Als ich weitergehe, frage ich mich, warum er mich so lange begleitet hat, wenn er doch in eine völlig andere Richtung gehen musste. War er einfach nur freundlich oder dachte er, dass wir, weil wir ein ähnliches Schicksal teilen, nun Freunde werden oder wenigstens zusammen irgendwo etwas trinken gehen? Ich kann mir sein Verhalten nicht erklären und einige mich mit mir darauf, dass er sich einfach nur vertan hat. Dieser Vormittag war wirklich sehr aufregend für mich. Dennoch bin ich an weiteren Gruppeninformationsveranstaltungen nicht wirklich interessiert. So etwas bringt nur meinen Tagesablauf durcheinander und bringt am Ende gar nichts.
Sympathisch
Als ich durch den beschaulichen Ort, in dem ich seit meiner Kindheit wohne, wandere, kommt mir ein Typ entgegen. Er trägt einen Parka und trägt die Mütze des Parkas auf seinem Kopf. Er sieht etwas heruntergekommen aus und redet vor sich hin. Erst denke ich an ein Selbstgespräch, doch als er näher kommt und mich direkt ansieht, entsteht der Verdacht, dass er zu mir redet. Leider verstehe ich ihn nicht. Dafür erkenne ich, dass ihm einige Zähne fehlen und er ziemlich heruntergekommen aussieht. Ich finde, dass es prima in diesen Ort passt. Er kommt näher, wirkt etwas aggressiv und endlich verstehe ich einen Teil seiner Rede. „…sonst gibt es was auf die Fresse, Du behinderter Wichser…“ Während er das, offensichtlich zu mir, sagt, sehe ich ihn einfach nur an und wundere mich, dass er mich nicht anrempelt. Er streckt mir zwar sein entzückendes Gesicht entgegen, geht dann aber vorbei, während er mich weiter beschimpft. Leider verstehe ich ihn weiterhin nicht und seine Worte verhallen im Nichts. Dieser Ort wird wirklich immer sympathischer. Sympathische Menschen, die versuchen Kontakt aufzunehmen, waren schon seit jeher ein Quell der Freude. Nach dem Erlebnis weiß ich wieder, dass es richtig war, diesen Ort niemals zu verlassen. Ich habe alles richtig gemacht und freue mich schon auf unsere nächste Begegnung. Und wer weiß, vielleicht schlägt er mir beim nächsten Mal ein paar Zähne aus. Einfach so. Im Vorbeigehen. Danach kaufe ich mir einen Parka und wir laufen gemeinsam durch den Ort, um weitere neue Freunde zu gewinnen. Herrliche Aussichten.
Störfälle
Normalerweise wollte Agnes mich vor zehn Tagen besuchen. Doch genau einen Tag vor dem geplanten Treffen wurde sie von einer Grippe heimgesucht und wir mussten unser Treffen verschieben. Nächste Woche, so war unser Plan, wollte sie mich stattdessen für ein paar Tage besuchen. Bis dahin sollte die Grippe abgeklungen sein. Doch leider sollte die Grippe nicht der einzige Störfall bleiben, denn heute habe ich das Gefühl, Schnupfen zu bekommen. Meinen zweiten Schnupfen innerhalb von nur fünf Monaten. Mein vor kurzer Zeit noch hochgelobtes Immunsystem scheint den Stress der letzten Wochen doch nicht einfach so weggesteckt zu haben. Verdammt.
Ich nehme Meditonsin, Unizink, mache Nasenspülungen und inhaliere, in der Hoffnung, dass der Schnupfen nicht zu einer Erkältung wird. Während ich mein Immunsystem zu stärken versuche, meldet sich ein weiterer Störfall bei Agnes. Mirco, der unverschämte Mann, der immer noch scharf auf Agnes ist, meldet sich in seiner überaus eigenartigen Art und Weise wieder.
SCHADE finde ich ja daß du scheinbar abgenomen hast. Und der einzige Weg wie ich Dir zu mehr Gewicht verhelfen könnte, ist nicht akzeptabel 😇 Wieso er darauf kommt, dass Agnes abgenommen hat, ist vermutlich ihr Profilbild bei Whatsapp. Andererseits ist er auch gelegentlich, rein zufällig natürlich, in der Gegend und sieht dann möglicherweise, ebenfalls ganz zufällig, Agnes. Er schnüffelt ihr also weiter nach und gibt dann unverschämte Kommentare. Kein Mensch, der auch nur etwas Anstand hat, würde so etwas von sich geben. Zum Glück hat Mirco weder Anstand noch viel im Kopf. Weil er, wie es üblich ist, keine Antwort bekommt, legt er mehrmals nach. Seine gelungenste Nachricht lautet: Du sollst jetzt nicht denken ich will was vvom dir. Zudem bin ich vergeben und ganz zufrieden mit dem was ich habe. Nicht lange her, da klang das noch anders, als er von seiner Traumfrau schrieb. Und natürlich will er nichts von Agnes, er will sie nur dick machen. Was kann er nur damit gemeint haben? Will der potente Bock sie etwa füttern?
Am nächsten Morgen scheint es festzustehen, ich bin erkältet und habe nicht nur einen Schnupfen. Ich muss weitere Mittel einnehmen, so viel steht fest. Ich tausche das Meditonsin gegen Engystol ein und nehme zusätzlich Soledum Kapseln. Mir ist bewusst, dass die Erkältung deshalb nicht weniger lange dauern wird, aber ich hoffe so, die lästigen Symptome etwas abschwächen zu können. Hat bei der letzten Erkältung ja auch geklappt. Schade, dass es keine Mittel gegen Menschen wie Mirko gibt.