Der Mann vom Arbeitgeberservice
06.46 Uhr. Der Wecker klingelt. Das ist viel zu früh, weil ich noch nicht ausgeschlafen habe. Doch weil ich um 08.30 Uhr beim Jobcenter sein muss, habe ich keine Wahl und muss aufstehen. Eine Stunde brauche ich, um wach zu werden, zu duschen und mich in einen einigermaßen menschlichen Zustand zu bringen. Um 07.46 Uhr verlasse ich die Wohnung und mache mich auf den Weg zur Garage. Um 08.00 Uhr starte ich den Motor des Benz. Um 08.01 Uhr würde an einem normalen Tag erst der Wecker klingeln. Leider ist dieser Tag nicht normal. Ich bin es auch nicht.
Pünktlich erscheine ich beim Jobcenter. Doch ich darf nicht einfach so zu meiner Betreuerin, weil sich jeder, der das Jobcenter betritt, anmelden muss. Ich darf mich beim Security Mitarbeiter anmelden. Er will meine Einladung sehen. Ich überreiche sie ihm und er liest sie durch. Dann will er meinen Personalausweis sehen. Er vergleicht akribisch Name und Adresse, dann gibt er mir alles zurück und ich darf gehen. Wenn ich das nächste Mal einen Termin habe, werde ich bestimmt durchsucht. Doch weil das alles sicher Sinn macht und so ein Arbeitsplatz für einen Security Mitarbeiter geschaffen wurde, freue ich mich für den Security Mitarbeiter. Seinen Job will ich aber nicht. Kaum bin ich bei meiner Betreuerin, stelle ich fest, dass wir heute nicht allein sind. Ein Mann vom Arbeitgeberservice ist auch dabei. Er soll beim Vermitteln helfen. Doch bevor es soweit ist, fragt mich meine Betreuerin, ob ich meine Bewerbungsbemühungen aufgeschrieben habe. Ich verneine, weil davon nichts in der Einladung stand. Sie sagt, dass sie den Zettel mit den Bewerbungsbemühungen doch immer aufbewahrt. Ich sage ich, dass sie mir, als ich ihr letztes Mal einen Ausdruck gegeben habe, sagte, dass sie den nicht aufbewahren kann und mir zurückgegeben hat. Daran kann sie sich nicht erinnern. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, weil sie meine einzige Betreuerin ist und ich mir gelegentlich merke, was sie so sagt. Wobei ich heute feststelle, dass es keinen Sinn macht, weil sie es sich nicht merkt. Bevor wir eine Grundsatzdiskussion führen, ergreift der Mann vom Arbeitgeberservice das Wort. Er sagt, dass mein Lebenslauf verhindert, dass ich einen Job bekomme und fragt, ob ich Kontakte zu Arbeitgebern habe und sagt, dass ich nur einen Job bekommen kann, wenn ich persönliche Kontakte habe. Ich stimme ihm zu und verneine seine Frage nach den Kontakten. Er will dafür sorgen, dass ich Kontakte bekomme und ist voller Ideen. Ich finde, er ist auf einem guten Weg und macht das ganz toll. Wenn es dabei nicht um mich ginge, würde ich ihn sogar loben. So stimme ich ihm lediglich halbherzig zu, bleibe aber möglichst distanziert und unterwürfig. Es ist erschreckend, wie klein und nutzlos ich mir immer vorkomme, wenn ich hier bin. Die beiden sind sich übrigens einig, dass der dritte Arbeitsmarkt für mich nicht mehr infrage kommt, weil es bisher auch nichts gebracht hat. Ich erwarte, dass mir nun der vierte Arbeitsmarkt offenbart wird, doch stattdessen sagt der Mann vom Arbeitgeberservice, dass ich in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden soll. Von der dritten in die erste Liga. Das nenne ich einen Aufstieg. Und ich habe nicht das Geringste dazu beigetragen. Wahnsinn. Nun sagt der Mann vom Arbeitgeberservice, dass er gute Kontakte zu Fahrzeugaufbereitern hat und versuchen wird, mich da unterzubringen. Dann bin ich immer noch im Automobilbereich und kann endlich beruflich einsteigen. Wieso sage ich nicht, dass ich keine Fahrzeuge aufbereiten will, sondern auch fürs Jobcenter arbeiten will? Hätte ich doch nur etwas mehr Selbstbewusstsein. Aus meiner Sicht macht er wirklich seinen Job gut und ich würde auch so vorgehen, wenn ich er wäre. Aber warum macht er es ausgerechnet bei mir so? Kann er da nicht klarer differenzieren und mich in Ruhe lassen? Das bringt am Ende nämlich gar nichts, wenn wir versuchen mir einen Job anzudrehen, den ich nicht will. Da verschwenden wir nur unsere Zeit. Und die Zeit potentieller Arbeitgeber. Davon bin ich überzeugt. Doch wie überzeuge ich ihn davon? Ich will seinen Job. Drei Jobangebote bekomme ich zum Abschluss mit. Einmal als Fahrzeugpfleger. Einmal als Technische Hilfskraft und dann noch eins als Service Agent bzw. Fahrzeugpfleger. Wenn ich mich beworben habe, will er bei der Firma, bei der ich mich als Service Agent bzw. Fahrzeugpfleger beworben habe, anrufen, um zu fragen, wie meine Bewerbung ankam und wo die Schwachpunkte der Bewerbung liegen. Danach besprechen wir das weitere Vorgehen. Außerdem plant er, dass ich in einem Autohaus mal ein Gespräch führe, um festzustellen, wo meine Defizite sind. Ich hasse die Arbeitszeiten in Autohäusern, die aktuellen Modelle finde ich fast ausnahmslos hässlich und ich interessiere mich kein bisschen für Fahrzeugtechnik. Außerdem finde ich Menschen doof und habe ein Problem mit Vorgesetzten, weil ich die meist für besonders blöd halte. Aber soll ich ihm das jetzt sagen? Ich denke nicht. Ich warte erst das Gespräch ab, dann ist das Thema sowieso durch. An Ideen mangelt es dem Mann vom Arbeitgeberservice echt nicht. Ich will seinen Job.
Zwei Frauen im Büro
Es ist 14.30 Uhr, als eine attraktive Frau mein Büro betritt, um sich bei einer Bewerbung helfen zu lassen. Die Frau riecht gut, hat eine prima Figur und ist auch noch sympathisch. Es ist noch nicht lange her, da hätte mich das ganz nervös gemacht. Doch die Zeiten scheinen vorbei. Während ich an den Bewerbungsunterlagen arbeite, kommen wir ins Gespräch. Sie sucht einen Job in Düsseldorf, weil sie hier weg will, wieder zurück in die Nähe ihrer Familie. Während wir plaudern, betrachte ich ihre Finger. Schlanke, gepflegte Finger mit rot lackierten Fingernägeln. Gefällt mir sehr gut, wobei ich schwarz lackierte Fingernägel bevorzuge. Sie hebt sich schon etwas von den Frauen ab, denen ich sonst Bewerbungen schreibe. Nachdem alles fertig ist, verabschiedet sie sich und ich werfe einen Blick auf ihren Hintern. Sehr sexy. Und doch werde ich mich in spätestens dreißig Minuten an fast nichts mehr erinnern. Und sollte ich ihr später irgendwo begegnen, werde ich sie höchstwahrscheinlich nicht erkennen. Ich weiß nicht, woran es liegt, vermute aber, dass es daran liegt, dass ich mir einfach keine Personen merken kann. Und auch daran, dass mir die meisten Menschen egal sind. Egal, ob sie schöne Hände und einen sexy Arsch haben oder nicht.
Um 15.00 Uhr betritt erneut eine attraktive Frau das Büro. Zunächst ist sie mir allerdings etwas unsympathisch, was sich aber in den nächsten anderthalb Stunden, die sie hier verbringt, ändert. Auch sie möchte an einem anderen Ort leben und arbeiten. Sie ist allerdings nicht auf einen Ort festgelegt. Wichtig ist ihr nur, dass sie möglichst bald hier wegkommt. Ich verstehe das, würde so etwas aber nie tun, ich hasse nämlich Veränderungen und kann schon alleine deshalb nicht weg von hier. Außerdem will ich nicht arbeiten, die Frau schon. Sie hat ebenfalls rot lackierte Fingernägel und eine gute Figur. Aber an ihren Fingernägeln ist der Nagellack schon ziemlich ab, was ich nicht schön finde. Da sollte sie besser drauf achten, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt. Obwohl sie nicht nach Tabak riecht, glaube ich, dass sie Raucherin ist. Ich frage sie aber nicht danach, weil mir das zu privat ist und ich das unangemessen finde. Außerdem interessiert es mich auch nicht wirklich. Sie ist erst kürzlich arbeitslos geworden und kommt schlecht damit zurecht. Weil ich ihr sage, dass ich schon seit Jahren arbeitslos bin, fragt sie mich, wie ich den Tag so verbringe. Ich sage, dass ich lese, Filme gucke und spazieren gehe. Kaum habe ich es ausgesprochen, fällt mir auf, dass das nicht wirklich viel ist und finde mein Dasein spontan erbärmlich. Fast schäme ich mich vor ihr, besinne ich mich dann aber eines Besseren und verzichte darauf, mich zu schämen. Würde eh nichts bringen. Sie hat ihren Laptop mitgebracht und zeigt mir ihre Bewerbung. Da ich nicht ganz zufrieden bin, sage ich ihr, was sie ändern soll. Nachdem sie das gemacht hat, diktiere ich ihr noch ein paar zusätzliche Sätze. Dabei gehe ich im Büro herum, schaue ab und zu, wie weit sie ist und weise auf vereinzelte Rechtschreibfehler hin. Das ist fast so, als hätte ich eine Sekretärin. Oder als wäre sie meine Schülerin. Vielleicht wäre das ein Job für mich. Leute Diktate schreiben lassen. Fast wie ein Lehrer. Für einen Moment macht mir das Spaß und ich fühle mich nicht wie ein nutzloser Arbeitsloser. Es ist fast so, als hätte mein Dasein einen Sinn, der anderen Menschen hilft. Aber wer weiß, ob mich das auf Dauer zufrieden stellen würde. Außerdem sind sicher nicht alle so unproblematisch, wie meine blonde Schülerin hier. So bringen wir es zu Ende, sind anschließend beide zufrieden und beenden die Zusammenarbeit. Als sie mich kurz bevor sie geht fragt, ob ich Feuer habe, habe ich die Bestätigung, dass ich richtig lag. Sie raucht. Ich verneine die Frage nach dem Feuer und frage mich, wieso ich wusste, dass sie raucht. Ist das vielleicht eine Gabe? Kann ich es spüren, wenn jemand raucht? Und wenn es eine Gabe ist, was bringt sie mir? Nachdem sie gegangen ist, frage ich mich, wieso nichts aus mir geworden ist, wieso ich keine wirklichen Ziele habe. Warum bin ich nie von hier weggegangen? Vermutlich, weil ich an jedem Ort derselbe wäre und es überall gleich sein würde, da Orte Menschen nicht verändern. Nur Menschen können sich ändern. Und weil ich Veränderungen hasse, denke ich nicht weiter darüber nach, beende meinen Arbeitstag und hoffe, dass mich bald wieder interessante Frauen im Büro besuchen, um sich von mir helfen zu lassen. Habe ich vielleicht eine Art Helfersyndrom?
Frau vom Jobcenter
Kaum bin ich im Büro, bekomme ich einen Anruf vom Jobcenter. Eine Frau sagt, dass sie einen Kunden im Büro hat, der eine Bewerbung braucht und schon mehrmals hier vor verschlossenen Türen stand. Ich erkläre ihr, dass hier nur donnerstags geöffnet ist. Sie sagt, dass der Kunde dann gleich kommt, um seine Bewerbung schreiben zu lassen. Ich sage ihr, dass ich dafür heute keine Zeit habe und der Kunde gerne nächste Woche kommen kann. Sie sagt, dass er nur eine Bewerbung per Mail verschicken muss. Ich frage sie, ob er die Bewerbung schon fertig hat und sie wirklich nur verschicken muss. Hat er nicht. Und so erkläre ich ihr erneut, dass ich heute keine Termine mehr frei habe und er nächste Woche gerne kommen kann. Das ist ihr zu spät, dann bekommt er den Job nicht mehr. Wenn ich so einen Unsinn höre, frage ich mich immer wieder, ob die beim Jobcenter das wirklich glauben oder die Leute damit verarschen wollen. Während sie mir den Unsinn vorträgt, klingt sie wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt. Bockig sagt sie dann noch, dass der Mann dann halt eine 30%-ige Kürzung bekommt und legt auf. Ich frage mich, was so ein Verhalten soll. Soll sie dem Mann doch helfen. Doch dafür ist sie sich entweder zu fein, oder aber, was noch wahrscheinlicher ist, überqualifiziert. Für mich hingegen blockiert sie nur einen Arbeitsplatz für jemand anderen, und damit meine ich jetzt mich, der ihren Job sicher besser ausüben könnten. Doch weil wir in einer verrückten Welt leben, macht es keinen Sinn mich darüber aufzuregen und so mache ich meine Arbeit, schreibe Bewerbungen fast am Fließband und frage mich, wo das alles enden soll.