Ramazzotti Ursula & 10.000 Kerle
Ein riskanter Abend liegt vor mir als ich mich am Freitag auf den Weg zu Ursula mache, denn heute werde ich ihre Kinder und andere Menschen aus ihrem Leben kennenlernen. Da ich Kinder für gefährlich halte, ist mir etwas mulmig als ich aufbreche. Schließlich übertragen Kinder nicht nur Krankheiten, sie sind auch schonungslos ehrlich und können furchtbar gemein sein. Doch scheinbar haben Ursulas Kinder heute ihren sozialen Tag. Die Tochter ist sehr freundlich, neugierig und kommunikativ und der Sohn beachtet mich nicht weiter. Das war fast zu einfach.
Am Abend machen Ursula und ich uns auf zu einer Geburtstagsparty. Dort wimmelt es vor fremden Menschen. Schnell wird klar, dass ich einige der Anwesenden nicht unbedingt kennenlernen will. Und zum Glück muss ich das auch nicht. Ursula scheint vergnügt, trinkt Ramazzotti und leidet unter einem furchtbaren Drang zu tanzen. Und so dauert es nicht lange bis sie zum ersten Mal die Tanzfläche stürmt. Mal tanzt sie alleine, mal mit irgendwelchen Bekannten. Ich bleibe an meinem Platz und beobachte alles, was um mich herum passiert. Und es ist in der Tat so, dass ich mit der auffälligsten Frau des Abends zusammen bin. Ich überlege, ob es mich überrascht, entscheide dann aber, dass es keine Rolle spielt. Ursula ist okay. Ich bin zufrieden.
Irgendwann spricht mich Gunther an und fragt, ob er direkt sein kann. „Sicher. Immer raus damit.“ – „10.000 Kerle beneiden Dich um Deine Olle.“ – „Hier sind keine 10.000 Kerle.“ Das war wohl nicht die Antwort, die er von mir erwartet hatte. Nun habe ich ihn aus dem Konzept gebracht. Er sagt mir, dass er nicht nur die Kerle hier meint, sondern auch die von woanders, wo Ursula schon mal aufgefallen ist. Vermutlich ist er auch einer von diesen 10.000 ominösen Kerlen. Ich kann ihm da nicht weiterhelfen. Weil ihm das Gespräch mit mir scheinbar nichts bringt, geht er mit Ursula tanzen.
Wenig später komme ich mit Nils ins Gespräch. „Du trinkst kaum was. Du rauchst nicht. Hast Du gar keine Laster?“ – „Doch. Frauen.“ Irgendwie hat ihn meine Antwort wohl irritiert. Doch er hakt nach. „Echt?“ – „Ja. Frauen sind mein Laster.“ – Und die findest Du im Internet?“ – „Es ist mir egal, wo ich die finde. Hauptsache Frauen.“ Er wirkt zwar ein wenig ungläubig, aber er scheint mir glauben zu wollen. Wenig später weist er mich darauf hin, dass wir die gleichen Lachfalten haben und dass man an diesen Lachfalten glückliche Menschen erkennt. Bin ich ein glücklicher Mensch oder habe ich nur die Lachfalten eines glücklichen Menschen?
Als Ursula wenig später genug Ramazzotti getrunken hat verlassen wir die Party und gehen unverzüglich zusammen ins Bett, um Sex zu haben. Ich habe kurzzeitig das Gefühl als wäre ich in der Tat ein glücklicher Mensch. Hatte Nils mit seiner kindlichen Theorie am Ende also doch Recht?
Zweiundzwanzigste Praktikumswoche
Eine weitere Woche in der ich den Chef nicht verstehe. Meine Ehrlichkeit den Kunden gegenüber wird kritisiert und erklärt vermutlich auch, warum ich auch in dieser Woche kein einziges Fahrzeug verkaufe. Mein Chef muss sich mit unzufriedenen Kunden herumärgern. Auf Ehrlichkeit den Kunden gegenüber verzichtet er größtenteils. Und so werde ich am Samstag von einem unzufriedenen Kunden als Lügner bezeichnet. Er fühlt sich verarscht, ich kann ihm nicht die Wahrheit sagen und muss verschweigen, dass er sein bestelltes Fahrzeug auch in den nächsten drei Wochen nicht bekommen wird. Für mich ist diese ganze Lügerei nichts. Verkäufer sind doch fast alle Arschlöcher. Diese Art Arschloch will ich nicht sein. Als Verkäufer habe ich keine Zukunft.
Arbeitszeit in dieser Woche: 43 Stunden und 05 Minuten.
Geburtstagsfeuer
Bis vor wenigen Sekunden hatte ich noch die Hoffnung, dass Ursula scherzte, als sie sagte, dass wir ihren Geburtstag im Garten feiern und dabei grillen werden. Jetzt ist diese Hoffnung tot, denn ich stehe im Garten, blicke auf den Grill und die Feuerstelle, sehe die Stühle, welche um die Feuerstelle herum aufgestellt sind und weiß, dass Ursula keinen Scherz gemacht hat. Ihre Geburtstagsparty findet tatsächlich im Garten statt. Und das mitten im November. Ich bin entsetzt.
Glücklicherweise besteht die Möglichkeit, sich in die Wohnung zurück zu ziehen und so verschwinde ich nach etwa drei Minuten in eben diese. Pünktlich um 19.00 Uhr treffen die ersten Gäste ein. Lediglich Ursulas Bruder gesellt sich zu mir. Die anderen stürmen direkt ins Freie. So stehen Ursulas kleiner Bruder und ich allein in der Wohnung und knabbern Chips. So lässt es sich aushalten. Weitere Gäste trudeln ein. Drei davon, Ursulas großer Bruder, der Mann ihrer Schwester und ein Mann, der vergessen hat sich zu kämmen, stellen sich ungefragt an unseren Tisch. Zunächst finde ich das nicht schlimm, doch als die drei ein Gespräch beginnen, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie nach draußen verschwinden. Sie sprechen über Autos, Motoren, Zylinderköpfe und anderen langweiligen Kram. Da ich mich nicht für Autos interessiere und die Art, wie das Gespräch geführt wird mich langweilt, gucke ich demonstrativ woanders hin. Nicht, dass die mich am Ende noch in ihrer schrecklichen Gesprächsrunde aufnehmen wollen.
Es sind mindestens sechs Kinder auf der Party. Kinder sind merkwürdige Lebewesen. Gut, dass diese Lebewesen früher ins Bett müssen und deshalb nicht lange auf der Party bleiben.
Ursula versucht mehrmals mich dazu zu bewegen nach draußen ans Feuer zu kommen. Ich sage ihr, dass ich für 12 Minuten nach draußen komme, wenn sie sich auf der Stelle ihre Strumpfhose auszieht. Und was macht Ursula? Sie zieht ihre Schuhe und Jeans aus, um sich von ihrer Strumpfhose zu trennen. Nun darf ich für 12 Minuten raus ans Feuer. Zum Glück ist es direkt am Feuer nicht so kalt wie befürchtet. Nach exakt 12 Minuten gehe ich zurück in die Wohnung. Nicht, dass ich mich am Ende noch erkälte.
Es ist schon verrückt was man mit Ursula alles erlebt. Ich bin schon sehr gespannt, was sie sich als nächstes ausdenkt.
Dreiundzwanzigste Praktikumswoche
Zu Beginn der Woche bin ich der einzige Verkäufer. Doch auch das hilft mir nicht weiter. Ich telefoniere zwar viel, beantworte Kundenanfragen per Mail, doch ein Verkauf ist in weiter Ferne. Schlechte Zeiten für Autoverkäufer oder nur schlechte Zeiten für mich? Die Antwort ist unwichtig, das Ergebnis bleibt dasselbe. Ich denke, ich sollte eine Umschulung machen. Da fällt mir gerade ein, dass dies hier ja Teil meiner Umschulung ist. Mist. Da habe ich wohl was falsch gemacht.
Warum kann ich nicht sein wie Robocop? Er sitzt den ganzen Tag in seinem Büro und hat seine Ruhe. Hin und wieder kommt er zu mir runter, meckert rum, frisst meine Bonbons und geht dann wieder. Oder er kontrolliert die Fahrgestellnummern der angelieferten Fahrzeuge und gibt mir dann plötzlich alle Akten, weil er aufs Klo muss. Ich darf dann zusätzlich diese Tätigkeit auch übernehmen. Das Zubehör der Fahrzeuge kontrolliert er übrigens von außen. Er weiß sofort, wenn er neben einem Auto steht, ob es eine Klimaanlage, ein Navigationsgerät oder sonstiges Zubehör eingebaut hat, ohne nachzuschauen. Fast hätte ich ihn für seine herausragenden Fähigkeiten bewundert, da kommt heraus, dass an einem Fahrzeug die Antenne fehlt. Eine Antenne für Antennen scheint Robocop nicht zu haben.
Zerreißprobe
Es ist 07.24 Uhr als ich das Rathausgebäude betrete. Doch dort, wo früher der Wartebereich war, herrscht gähnende Leere. Keine Arbeitslosen, keine Stühle. Ziemlich ratlos stehe ich mitten im Nichts. Als ich wieder zu mir komme, entdecke ich einen Bekannten. Ich frage ihn, wo die ARGE ist und erfahre, dass die ARGE nun dort ist, wo früher das Arbeitsamt war. Also dort, wo sie früher, als HARTZ IV erfunden wurde, auch schon war. Ich bin begeistert.
Als ich um 07.36 Uhr bei der ARGE ankomme erfahre ich, dass das ‘normale‘ Arbeitsamt jetzt woanders ist. Ich glaube, die sind alle vollkommen verrückt. Macht aber nichts, denn ich bin am richtigen Ort. Nach einigen Minuten des Wartens darf ich eintreten. „Ich ziehe um und möchte wissen, wie das hier abläuft.“ – „Wieso wollen sie denn umziehen?“ – VWeil meine Eltern ohne mich leben wollen. Was muss ich tun, um Geld für den Umzug zu bekommen?“ Ich zeige der Frau meinen Mietvertrag. „Der ist ja schon unterschrieben.“ – „Richtig.“ – „Da Sie einen Vertrag unterschrieben haben, ohne uns vorher zu informieren, kriegen sie weder Renovierungskosten noch die Erstausstattung.“ – „Dann zerreiß ich den Vertrag.“ – „Das geht nicht. Der ist ja schon unterschrieben.“ – „Natürlich geht das. Und dann fangen wir nochmal ganz von vorne an und sie erklären mir, wie ich mich verhalten muss, um das Geld zu bekommen.“ Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Und so erklärt sie sich tatsächlich bereit, den weiteren Verlauf abzuklären. Sie verlässt das Büro und nach einer Weile scheint es so zu gehen, wie ich es mir vorstelle. Allerdings besteht Sie darauf, dass meine Eltern eine schriftliche Erklärung abgeben, warum ich plötzlich ausziehen muss. Geht sie zwar nichts an, aber soll sie kriegen. Sie händigt mit noch ein paar Formulare aus und scheint kooperativ. Wie kooperativ sie wirklich ist, wird sich nächste Woche Freitag zeigen, wenn ich alle meine Forderungen in schriftlicher Form einreiche. Für heute soll es genug sein. Wir sehen uns.
Der Rest der dreiundzwanzigsten Praktikumswoche
Am Mittwoch geht es unterhaltsam weiter. Telefonate, Kunden, Mailanfragen. Ich muss ein Fahrzeug in der Ausstellung unterbringen, das Fahrzeug auszeichnen und im Internet präsentieren. Eine Fahrzeugübergabe machen und ein paar Finanzierungsangebote für Kunden darf ich auch erstellen. Zwischendurch schickt mir der Chef Mails, die ich lesen und sortieren muss. Robocop hingegen muss einfach nur anwesend sein. Als er in mein Büro kommt, um mir mitzuteilen, dass er jetzt Lautsprecher an seinen PC anschließen will, um Filme zu gucken, bin ich kurz davor ihm den Schädel zu spalten. Aus geheuchelter Höflichkeit fragt er, ob ich nichts für ihn zu tun habe. Ich frage ihn, ob er Fahrzeuge mit unserem neuen Programm ins Internet stellen kann. Kann er natürlich nicht. Warum frage ich auch? Und schon macht er sich auf die Suche Lautsprechern für seinen PC. Da er nicht sofort fündig wird, schaut er, ob er nicht irgendetwas Brauchbares an meinem PC abbauen kann. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass er nichts von meinem PC abbauen wird. Er zieht wieder ab und ich frage mich, ob ich mir nicht einen Besenstiel durch den Arsch ins Gehirn schieben sollte, um endlich so zu sein wie Robocop.
Am Donnerstag wird es wieder lustig mit Robocop. Er ruft seine Mails nicht ab. Begründung. „So lange ich keine Visitenkarten habe, kann mich auch kein Kunde anschreiben. Also interessieren mich die Mails nicht.“ Der Typ ist echt knallhart. Vielleicht ist er aber auch nur eine Knalltüte. Ich werde nun wichtige Informationen per Mail an alle Verkäufer schicken. Schade, dass diese Informationen Robocop nicht erreichen werden.
Letzte Woche sollte der 18 jährige Auszubildende, Manuel C., einen Brief verschicken. Er konnte Absender und Empfänger nicht richtig zuordnen und so kam der Brief mittlerweile zurück. Ihn interessiert es nicht wirklich, denn er weiß, dass er gut ist. Und wann verschickt er schon mal einen Brief? Schwamm drüber.
Die 21 jährige Auszubildende, Doreen S., fand die ganze Aktion witzig. Dabei wusste sie vor ein paar Wochen nicht einmal, wohin die Briefmarke gehört und wollte diese direkt mit dem Firmenstempel abstempeln. Jetzt soll sie einen Brief für den Chef schreiben, doch leider weiß sie nicht mehr so ganz genau, was sie in den Brief schreiben soll und klagt mir ihr Leid. Ich formuliere ihr zwei Sätze und sage, dass sie darauf aufbauen kann. Doch anstatt darauf aufzubauen, legt sie dem Chef nur die beiden Sätze vor. Dummerweise wimmelt es in den beiden Sätzen auch noch vor Fehlern. Rechtschreibung und Grammatik sind scheinbar nicht ihre Welt. Der Chef ist jedenfalls außer sich.
Als ich später in ihr Büro komme sitzt sie da wie ein Häufchen Elend und ist kurz davor zu heulen. Sie kann das alles gar nicht verstehen, denn in der Schule hatte sie immer eine Eins in Deutsch. Ich hatte immer eine Vier. Und für Leistungen, wie sie sie hier regelmäßig abliefert, hätte es damals maximal eine Fünf gegeben. Ich frage mich ernsthaft, wie sie eine Eins bekommen konnte. Ich fand meine Vier damals immer absolut gerechtfertigt und würde auch heute mit einer Vier für meine Leistungen zufrieden sein. Doch vermutlich würde ich heute auch eine Eins bekommen. Wahrscheinlich sogar eine Eins Plus.
Reicht es heute wirklich schon, wenn man im Unterricht anwesend ist, um eine Eins zu bekommen? Oder sind schlechte Noten schlecht fürs Selbstbewusstsein der Schüler und sie bekommen deshalb nur gute Noten? Ich finde das jedenfalls sehr bedenklich. Da glaubt die Auszubildende nun, dass sie einfach nur einen schlechten Tag hat und eigentlich weiß, wie man richtig schreibt. Als ich ihren neuen Entwurf sehe, weise ich sie darauf hin, dass sie ihn so besser nicht dem Chef vorlegt, da die Grammatik doch etwas daneben und die Anzahl der Rechtschreibfehler etwas hoch ist. Ich korrigiere den Mist und sage ihr, dass sie demnächst besser zuerst zu mir kommt, damit ich ihre Briefe korrigiere, bevor sie den Chef noch mehr verärgert. Erneut weist sie mich darauf hin, dass sie heute einen schlechten Tag hat, da sie ja früher eine Eins in Deutsch hatte und weiß, wie man alles richtig schreibt. Dass ich den Eindruck habe, dass für sie jeder Tag ein schlechter ist und sie nicht wirklich etwas weiß, sage ich ihr nicht. Ich will die Traumwelt, die man ihr mit solchen Noten geschaffen hat, nicht zerstören. Nicht heute.
Arbeitszeit in dieser Woche: 38 Stunden und 02 Minuten.
Vierundzwanzigste Praktikumswoche
Mein Chef hält alle seine Mitarbeiter für inkompetent. Er hält jedem seine Fehler vor und er macht jeden Mitarbeiter vor den anderen schlecht. Sehr motivierend. Die Stimmung ist durchgehend schlecht, was natürlich die Fehlerquote erhöht. Den Mitarbeitern ist es mittlerweile egal, da gute Arbeit als selbstverständlich angesehen wird und jeder kleine Fehler einem immer wieder aufs Neue vorgehalten wird. Wenn wenigstes der Chef fehlerlos arbeiten würde, dann könnte er sich solche Aussagen erlauben, aber da der Fisch bekanntlich am Kopf zuerst stinkt, meint er möglicherweise mit seinen ganzen Beleidigungen und Abwertungen immer nur sich selbst.
Unzufriedene Kunden passen da natürlich perfekt ins Bild. Dieses Schiff ist zum kentern verurteilt, wenn das Ruder nicht bald rum gerissen wird. Es ist alles nur noch eine Frage der Zeit. Ich werde das Ende vermutlich nicht mehr miterleben, da meine Zeit hier in wenigen Tagen abgelaufen ist.
Folgende Notiz verschickt die Auszubildende Dooren S. am Donnerstag: „Ich habe mit einem Experten gesprochen. Locosoft hatte eine falsche Verknüpfung.“ Was will sie mir damit nur sagen?
Kurz vor Ende der Woche verkaufe ich aus Versehen einen Hyundai i10. Vermutlich der letzte Fahrzeugverkauf meines Lebens.
Arbeitszeit in dieser Woche: 43 Stunden und 00 Minuten.
Drei Besuche
Um 07.36 Uhr treffe ich bei der ARGE ein. Es sind schon einige Arbeitslose hier. Dennoch dauert es nicht lange bis ich vorsprechen darf. Ich habe alle Unterlagen dabei und möchte die Genehmigung, dass ich umziehen darf. Doch so einfach geht das nicht. Meine Eltern haben in Ihrem Schreiben vergessen anzugeben, dass in der neuen Wohnung, die sie beziehen wollen, nicht genug Platz für mich sein wird. Und so muss ich schreiben, dass sie keinen Platz mehr für mich haben werden. Mit dem Schreiben wandert die ARGE Mitarbeiterin zu ihrem Chef. Doch er ist noch nicht zufrieden. Ich muss noch schreiben, wie lange die Wohnung, in die ich ziehen werde, schon leer steht. Auch das schreibe ich, ohne zu murren. Die Mitarbeiterin geht erneut zum Chef. Als sie zurückkommt sagt sie mir, dass ich in einer Stunde wiederkommen soll. Dann hat der Chef entschieden, ob ich umziehen darf. Wegen der Renovierungskosten und möglicher Zuschüsse für die Erstausstattung wird erst später verhandelt. Auf jeden Fall wird sich ein Außendienstmitarbeiter die Wohnung, sollte ich umziehen dürfen, vorher ansehen. Ich komme mir irgendwie verarscht vor. Zu dumm, dass ich die letzten Wochen genutzt habe, um die Wohnung von meinem Vater renovieren zu lassen.
Pünktlich um 09.32 Uhr starte ich meinen nächsten Versuch. Ich sitze im Wartebereich. Vor mir eine junge Frau. Sie hat die Ohrstöpsel ihres Handys im Ohr und telefoniert. Ich verstehe kein Wort. Liegt vermutlich daran, dass die Unterhaltung nicht auf deutsch geführt wird. Neben ihr sitzt eine weitere junge Frau. Auch sie telefoniert. Auch sie kann ich nicht verstehen.
Rechts neben mir ist eine Dreiergruppe abgestellt worden. Leider verstehe ich auch bei den Dreien nicht, wovon sie reden. Ich sollte eine Fremdsprache lernen. In der hinteren Reihe sitzt ein junger Mann und grinst permanent. Entweder kann er alles verstehen und findet es witzig oder er hat einfach nur eine Gesichtslähmung. Ich will hier weg. Als ich an der Reihe bin, erfahre ich, dass ich den Mietvertrag unterschreiben darf. Das war jetzt fast schon zu einfach. Den unterschriebenen Mietvertrag und die Heizkostenabrechnung möchte ich bitte später abgeben.
10.57 Uhr. Mein dritter Besuch. Ich möchte die Unterlagen einfach nur unten am Schalter abgeben, doch ich darf nicht und werde zum dritten Mal in den Wartebereich geschickt. Dort warten weitere arbeitslose Bittsteller und unterhalten sich. „Hömma! Ich lebe seit 33 Jahren von Sozialhilfe. Ich weiß, wie das hier geht.“ Das freut mich für die Frau, die scheinbar gerade Sohn und Tochter darüber aufklärt, wie man sein Leben zu regeln hat. Hier bin ich richtig, hier will ich bleiben. Doch leider muss ich gehen, da ich meine Unterlagen gerade jetzt, wo es am schönsten ist, abgeben muss.
Das war ein herrlicher Vormittag. Ich komme wieder. Keine Frage.
Die fünfundzwanzigste und vorletzte Praktikumswoche
Kein weiterer Verkäufer neben dem Chef da. Nur ich, der Praktikant, und drei Auszubildende. Was bedeutet, dass ich für fast alles verantwortlich bin. Und so habe ich immer gut zu tun.
Zwei besondere Kunden sind heute auch wieder da. Der eine ist der Mann mit den Krücken, der vor ein paar Monaten schon hier war und sich unter jedes Auto legen musste, um es genau zu inspizieren. Auch heute spricht er kaum. Vermutlich weil ihn auf deutsch anspreche und er eine andere Sprache bevorzugt. So lasse ich ihn durchs Haus wandern. Ich glaube, er ist einsam und besucht gerne Autohäuser, obwohl er vermutlich sehr enttäuscht ist, dass man nicht in seiner Sprache mit ihm kommuniziert. Armer Kerl. Der andere Kunde ist nun zum dritten Mal hier. Und wieder soll ich ihm Daten zum Seat Leon ausdrucken. Genau die gleichen, die ich ihm schon zweimal ausgedruckt habe. Als ich ihn darauf anspreche, sagt er, dass ich ihm beim letzten Mal Daten zu anderen Fahrzeugen ausgedruckt habe. Ich vermute, dass er an Alzheimer leidet oder nicht ganz fit im Oberstübchen ist. Vielleicht ist er auch einfach nur einsam. Als er geht, kündigt er an, dass er bald wieder kommt. Da muss er sich aber beeilen, denn nach dem 09. Dezember wird er mich hier nicht mehr antreffen. Ob er und der Krückenmann Freunde werden könnten?
Mein Chef nervt wieder. Ich soll alle Kunden, die Anfragen per Mail gestellt haben, nochmal anrufen oder anschreiben, da es nicht sein kann, dass bisher keiner davon etwas gekauft hat. Wenn es nicht sein kann, dann hätten die Kunden wohl gekauft. Jetzt liegt es wieder an mir, dass keiner kauft. Mein Chef sollte echt mal zum Arzt. Vorhin wollte jemand ein Fahrzeug kaufen, bestand allerdings auf Barzahlung und wollte das Geld nicht erst überweisen, wenn das Fahrzeug eintrifft. Darauf hatte mein Chef keine Lust und deshalb wurde dem Interessenten kein Auto verkauft. Und jetzt soll ich irgendwelche Kunden nerven. Bescheuert. Ein Teil der Kunden kauft nichts, weil wir für ihre alten Autos nicht genug bieten. Vielleicht sollte ich immer die Differenz zwischen dem, was wir dem Kunden bieten und dem, was der Kunde haben möchte, aus eigener Tasche bezahlen. Vielleicht kann ich so die Verkaufszahlen in schwindelerregende Höhen treiben. Und wenn ich dann vollkommen überschuldet bin, rufe ich Peter Zwegat an und komme sogar ins Fernsehen. Das habe ich mir schon immer gewünscht.
Arbeitszeit in dieser Woche: 38 Stunden und 00 Minuten.