Unter dem Ventilator
Derzeit bin ich voll in meinem Trott als Arbeitsloser und lebe konsequent vor mich hin. Meine Tage bieten eine gewisse Routine und laufen ziemlich ähnlich ab. Zwischen 07.00 und 09.00 Uhr stehe ich auf, frühstücke und liege danach meist bis zum Mittag unter dem Ventilator. Dreimal in der Woche gehe ich allerdings vormittags ca. 40 Minuten joggen, weil man auch als Arbeitsloser über eine gewisse Fitness verfügen sollte. Manchmal gehe ich auch ins Fitnessstudio, aber derzeit ist es mir meist zu warm für solche Eskapaden. Mittags esse ich etwas, lese dazu die BILD-Zeitung und liege danach wieder unter dem Ventilator. Meist schlafe ich kurze Zeit später ein und halte meinen Mittagsschlaf. Nachmittags esse ich erneut etwas und liege anschließend unter dem Ventilator. Abends esse ich etwas und manchmal schaffe ich es sogar Petra, die meine Freundin ist, zu besuchen. Ansonsten liege ich unter dem Ventilator. Selbst nachts liege ich unter dem Ventilator. Die Zimmertemperatur ist permanent über 25°C.
Fitnessstudio
Seit mindestens drei Jahren gehe ich nun mehr oder weniger regelmäßig ins Fitnessstudio. Dass sich nach all der Zeit bei mir keine Muskeln gebildet haben, kann ich irgendwie verstehen und auch akzeptieren. Das liegt vermutlich daran, dass ich nur mit Kindergewichten trainiere und jegliche Anstrengung vermeide. Was mich aber immer wieder deprimiert ist, wenn Frauen neben mir mit höheren Gewichten trainieren. Das finde ich irgendwie peinlich. Früher habe ich gesagt, dass ich zum ersten Mal trainiere, aber irgendwann glaubt einem das keiner mehr. Mittlerweile täusche ich irgendwelche Verletzungen vor. Doch irgendwie nimmt mir das wohl auch niemand ab. Vielleicht sollte ich endlich akzeptieren, dass alle stärker sind als ich. Dafür bin ich der einzige, der beim Training weder schwitzt noch stinkt und nach dem Training genauso frisch und ausgeruht aussieht, wie vor dem Training. Ich glaube, darauf sollte ich ab heute stolz sein.
Leckere Medikamente
Ich hatte nie wirklich Verständnis für Menschen, die mitten im Sommer und bei schönstem Wetter mit einer Erkältung durch die Gegend laufen. Jetzt habe ich mir eine Erkältung genehmigt, um mir selbst ein Urteil zu bilden, wie es ist, mitten im Sommer und bei schönstem Wetter erkältet zu sein. Mein Verständnis für diesen Blödsinn hält sich jedoch auch weiterhin in Grenzen. So eine Erkältung macht weder Sinn noch Spaß, hält einen vom Sport ab und man ist gezwungen regelmäßig irgendwelche Medikamente einzunehmen. Total bescheuert. Da die Erkältung es sich bei mir gemütlich gemacht hat und scheinbar nicht verschwinden will, suche ich meinen Hausarzt auf, der mir spontan Penicillin aufschreibt. Ob das bei einer Erkältung tatsächlich Sinn ergibt, erscheint mir zwar fragwürdig, aber da er der Arzt ist und ich nur ein Arbeitsloser, wird schon alles seine Richtigkeit haben.
Wenige Tage später habe ich nur noch eine Flüsterstimme und nehme folgende, leckere und durchaus gesunde, aber nicht wirklich günstigen Medikamente ein: 3x täglich Penhexal Mega, 4x täglich 40 Tropfen Bronchipret, mindestens 6 Emser Pastillen täglich und je nach Bedarf eine Nase voll Nasenspray. Bei mir herrscht übrigens oft Bedarf. Mir ist so eine Erkältung zu anstrengend und zu teuer. Ich habe daher auch in Zukunft für Menschen mit einer Erkältung mitten im Sommer kein Verständnis. Noch weniger Verständnis habe ich allerdings, wenn diese Menschen trotz Erkältung nicht zu Hause bleiben und andere Menschen mit ihren Viren belästigen. Aber bevor ich mich jetzt noch darüber aufrege, muss ich meine Medizin nehmen, damit der ganze Unsinn bald aufhört.
Scheiß(ende) Taube
Als ich kurz vor dem Schlafengehen noch mal aus dem Fenster blicke, entdecke ich sie. Sie sitzt neben ihrer eigenen Scheiße auf meiner Fensterbank und schläft. Ich wecke sie, um ihr zu sagen, dass sie nicht bleiben kann, weil sie eine Taube ist und Tauben immer alles vollscheißen. Sie hört nicht zu. Ich drohe ihr Schläge an und deute mehrfach einen Aufwärtshaken an. Sie bleibt ziemlich gelangweilt und desinteressiert sitzen. Sie scheint mich nicht ernst zu nehmen. Als nächstes puste ich sie an. Und siehe da, es scheint ihr nicht so zu gefallen. Sie zuckt und bewegt sich leicht nach vorn. Nun puste ich immer fester und es scheint so als würde sie abfliegen wollen. Doch irgendwann geht mir die Luft aus. Sie sitzt noch immer da und glotzt mich blöd an. Nun gut, denke ich, wenn sie nicht angepustet werden will, dann versuche ich es mit dem Ventilator. Ich richte ihn genau auf sie, stelle ihn auf die höchste Stufe und schalte ihn ein. Irgendwie hat das aber nicht die erhoffte Wirkung. Vielmehr scheint ihr diese Art der Abkühlung zu gefallen. Ich schalte den Ventilator aus. Sie glotzt mich blöd an. Nun versuche ich es mit einer Taschenlampe und leuchte ihr direkt in ihr kleines Auge, aber auch dies scheint sie nicht zu beeindrucken. An ihrem Fuß entdecke ich einen Zahlencode. Sollte es sich bei ihr etwa um einen Glückstaube handeln, die am Fuß meine Glückszahlen für mich dabei hat? Ich frage sie, doch sie antwortet nicht. Ich denke, dass, wenn es sich um eine Glückstaube handelt und ich sie eine Nacht schlafen lasse, ich zur Belohnung möglicherweise schon bald reich sein werde. So erkläre ich ihr, dass sie bleiben darf, allerdings erteile ich ihr Scheißverbot und teile ihr mit, dass sie sich sofort bei Sonnenaufgang auf den Weg machen muss.
Um kurz vor 05.00 Uhr schaue ich nach, was die Taube so macht. Sie sitzt neben einem noch größeren Haufen Scheiße und tut so als ob sie schläft. Genau in dem Moment als ich ihr eine schallende Ohrfeige verpassen will, fliegt sie davon. Die hat mich voll verarscht, die (Scheiß)Taube.
Mein Verfall
Da meine Erkältung sich noch immer sehr wohl bei mir fühlt, habe ich nach einem erneuten Arztbesuch gerade mein drittes Päckchen Penicillin geholt, was bedeutet, dass die Erkältung bis jetzt schon knapp 29€ gekostet hat und bereits rekordverdächtige 12 Tage andauert. darüber hinaus hat mir mein Arzt vorhin mitgeteilt, dass ich die Bänder eines 80jährigen im Sprunggelenk habe und damit leben müsse. Das entnimmt er den Aufnahmen, die bei meiner Untersuchung vor ein paar Tagen angefertigt wurden, und die er nun vorliegen hat. Irgendwie ist das schon deprimierend und ich fürchte, dass ich nie wieder Fußball spielen kann. Mein Verfall macht mir derzeit durchaus Sorgen.
Das Ende meiner ersten Beziehung
Als ich Petra gegen Abend besuche, macht sie einen veränderten Eindruck und sagt, dass wir reden müssen. Irgendwie ahne ich, um was es gehen wird, denn unsere Beziehung dümpelt in letzter Zeit, oder vermutlich schon längere Zeit, eher vor sich hin, als das sie prickelt. Das liegt größtenteils an meiner Weigerung mich weiter zu entwickeln, aber sicher auch daran, dass sie meine erste Freundin ist und ich mich schon öfter gefragt habe, ob eine einzige Beziehung für ein ganzes Leben reicht. Schließlich gibt es viele Frauen, die ich ausprobieren wollte. Und während ich mich in letzter Zeit immer häufiger fragte, ob das alles so richtig ist, war die Beziehung längst zu einer reinen Selbstverständlichkeit, einer Gewohnheit, mit stets identischen Abläufen geworden. Das ist eigentlich gut, weil ich Routine mag und brauche, andererseits aber auch blöd, weil Routine oft in lähmende Langeweile übergeht, wenn man nicht aufpasst. Ich nehme die Beziehung schon lange als selbstverständlich hin, doch darüber habe ich nie bewusst nachgedacht, denn meine Welt dreht sich immer nur um mich. Wenn ich Petra wäre, dann hätte mir das schon lange nicht mehr gefallen. Und der Beginn dieses Besuchs lässt darauf schließen, dass auch sie sich Gedanken über die Beziehung gemacht hat. Und wenn eine Frau so etwas wie „Wir müssen reden.“ sagt, kann man sich denken, was kommen wird. Doch obwohl ich es nach der Einleitung erwartet habe, trifft mich ihre Mitteilung, dass sie sich von mir trennt, doch hart und überraschend. Zwei Stunden sitzen wir anschließend da, reden und reden und mir wird bewusst, dass es ihr schon lange unmöglich sein muss, mit mir zusammen zu sein. Denn wenn man es genauer betrachtet ist es mehr als offensichtlich, dass ich nicht unbedingt ein einfacher Partner bin. Mit mir kann man nicht essen gehen, ich habe nie bei ihr übernachtet, außer, wenn es mal geschneit hat und ich nicht nach Hause fahren konnte. Dann schlief ich allerdings im Wohnzimmer und nicht mit ihr im Schlafzimmer. Die Liste ist vermutlich unendlich lang und daher kann ich sie irgendwie verstehen. Trotzdem bin ich vollkommen durcheinander. In meinem Kopf ist Matsche, in den Augen Tränen und irgendwann fahre ich zum ersten Mal als ihr Ex-Freund nach Hause. Vorher verabreden wir uns aber noch, um am nächsten Tag zusammen einkaufen zu gehen, denn schließlich war es so geplant und lenkt mich sicher ab.
Später besuche ich Manni. Wir sitzen zusammen im Garten und ich jammere ihm vermutlich permanent die Ohren zu, bin aber zu verwirrt, um das zu bemerken. Nach sechs Jahren bin ich wieder Single und ich glaube nicht, dass ich je wieder eine Frau bekommen werde.
Mein erster Tag als Single
Scheinbar komme ich gerade nicht damit klar, dass ich wieder Single bin, denn es scheint mir nicht zu gelingen in irgendeiner Weise lustig und unterhaltsam zu sein. Mein merkwürdiger Humor scheint verloren. Ich fühle mich beschissen und leer. Nicht, dass ich völlig überrascht worden wäre von den Geschehnissen, aber ich komme nur gerade nicht damit klar nach sechs Jahren wieder Single zu sein. Ich weiß, „Die Zeit heilt alle Wunden“, aber das hilft mir jetzt nicht weiter. Lieber wären mir ein paar gute Drogen, die mich in einen Dämmerzustand versetzen. Aber wo bekomme ich die jetzt her?
Weil ich nicht weiter weiß, gehe ich zum Hausarzt und klage ihm mein Leid. Er gibt mir Johanniskrauttabletten mit. Ist das alles? Scheinbar ja.
Später fahre ich, wie verabredet, mit Petra zum Shoppen nach Dortmund. Es ist schon eigenartig, dass ich sie jetzt nicht mehr anfassen und küssen darf. Abgesehen davon ist es eigentlich, wie es zuletzt immer war, wenn wir einkaufen waren. Nur habe ich das vorher nie so wahrgenommen, dass wir zwar Freunde, aber eigentlich kein verliebtes Paar mehr waren. Eine erschreckende Erkenntnis. Und so stellt sich mir die Frage, ob Beziehungen immer so sind und irgendwann nur noch aus Routine bestehen. Ich beschließe, dass Beziehungen nie länger als fünf Jahre dauern dürfen, weil sie mit zunehmender Dauer einfach nur noch Gewohnheitsbeziehungen sind und nicht mehr prickeln. Das kann keiner wollen.
Ein letzter Brief der Staatsanwaltschaft an den Volksverhetzer
AMTSGERICHT LÜNEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL |
Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 27.062006. S, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts |
In der Strafsache |
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gegen
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Herr F. geboren in Lünen,
Staatsangehörigkeit deutsch, ledig |
wegen
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Volksverhetzung
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in der Sitzung vom 19. Juni 2006
an der teilgenommen haben: Richterin am Amtsgericht S.,
als Richterin,
Amtsanwältin B.,
als Beamte der Staatsanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin K.
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Der Angeklagte wird wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 7,50€ verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Angewandte Vorschriften: § 130 II StGB.
Gründe
(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
Der Angeklagte hat sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung vom 19.06.2006 wegen Volksverhetzung gemäß §$ 130 II StGB, begangen im Jahr 2001 bis zum 27.09. 2005 strafbar gemacht.
Im Einzelnen wird insoweit auf den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 22.032006 Bezug genommen.
Im Hinblick darauf, dass strafrechtliche Vorbelastungen nicht gegeben sind, sowie auf die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten, war eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 7,50€ angemessen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.
Auch diesen Brief nehme ich zur Kenntnis und lege ihn zu den anderen Briefen, die mir meine Volksverhetzertätigkeit einbrachte. Meine braune Lederjacke hängt mittlerweile auch nicht mehr in der hintersten Ecke des Schrankes und ich habe mich damit abgefunden ein Volksverhetzer zu sein. Ich werde besagte Jacke in Zukunft wieder regelmäßig tragen. Die sind doch eh alle völlig verrückt. Und ich ein Verbrecher. Doch das muss ich akzeptieren, da es ja Volkes Urteil war, welches mich als solchen verurteilte. Ich wüsste dennoch zu gern, im Namen welches Volkes das Urteil wirklich gefällt wurde.
Diese ganze Volksverarsche kostet mich schlappe 428,82€ und ist für mich ein weiterer Beweis dafür, dass die Rechtsprechung in diesem Lande äußerst merkwürdig ist. Aber Volksverhetzer sehen sowieso alles anders und kapieren meistens nichts. Und so werde ich, der dumme Volksverhetzer, vermutlich nie begreifen, was in den letzten Monaten, ausgelöst durch ein Gedicht, alles passiert ist. Vermutlich bin ich tatsächlich zu blöd für diese Welt.