April 2005

Karriereende in Sicht
In dieser Woche entscheidet sich, wann ich mich wieder arbeitslos melde. Ich habe sage und schreibe vier Termine. Sollten die Termine wirklich stattfinden und einigermaßen erfolgreich verlaufen, wovon ich nicht ausgehe, kann ich meine Arbeitslosigkeit möglicherweise um einen Monat verschieben. Das würde aber nicht wirklich zu mir und dem ganzen Verlauf meiner Karriere passen.


Montag, 04. April
Heute sitzt Frau Koks mit uns im Seminarraum. Sie war bereits einige Jahre nebenberuflich dabei und ist ab jetzt hauptberufliche Mitarbeiterin. Sie hat dafür sogar ihren Job bei der Stadt aufgegeben. Das finde ich zwar etwas suspekt, aber das geht mir ja bei allem, was im Büro stattfindet, so. Kleidungstechnisch machen mich die Frauen heute wahnsinnig. Sie tragen Strumpfhosen, oder zumindest Strümpfe, die vortäuschen Strumpfhosen zu sein, in den Farben Schwarz und Natur. Ich glaube, es gibt nichts Widerwärtigeres als naturfarbene Damenstrumpfhosen. Außer vielleicht Damenstrumpfhosen in halboffenen Schuhen, wie Frau Koks sie trägt. Dieser Anblick ruft eine gewisse Übelkeit bei mir hervor. Als ich dann noch eine dieser Laufmaschen bei Frau Schluck entdecken muss, bin ich restlos bedient und möchte mich in ärztliche Behandlung begeben. Kaum ist der Schock überwunden, beginnt der nächste Spaß. Wir üben Verkaufsgespräche. Natürlich wieder unser Lieblingsverkaufsgespräch: HAUS DREI. Manchmal könnte man fast meinen es gebe gar keine anderen Produkte mehr. Ist aber nicht so, der HAUS DREI bringt halt viel Provision und Herr Ekelfink liebt dieses Produkt wie kein zweites. Meine Aufgabe ist es der Kameramann zu sein. Das kann ich mittlerweile recht gut. Nach Abschluss der lächerlichen Dreharbeiten bereite ich noch ein paar Sachen für den morgigen Termin mit Herrn Ekelfink vor. Anschließend verschwinde ich wie immer grußlos aus dem Büro.


Dienstag, 05. April
Ich erfahre, dass unsere ehemalige Sekretärin, Frau Christ, tatsächlich aus Kostengründen entlassen wurde. Es ist wahrlich nicht alles so himmlisch, wie es immer vorgetragen wird. Die Entlassung hat aber auch was Gutes. Die Büromiete wird gesenkt und somit steigt mein Schuldenberg etwas langsamer an. Mein erster Wochentermin fällt wenig überraschend aus, denn als ich bei den Mandanten anklingele bleibt die Tür verschlossen. Wahrscheinlich hat man mich einfach vergessen. Meine Terminwoche beginnt also ganz nach meinem Geschmack und lässt auf eine erfolgreiche Woche schließen. Also eine Woche, wie jede Woche.


Mittwoch, 06. April
Der zweite Wochentermin findet zu meiner Überraschung tatsächlich statt. Die Leute sind sehr nett und hören sich interessiert unsere Dienstleistungsvorstellung an. Doch als wir erwähnen, die sie dafür bezahlen sollen, merkt man, dass sie zögern und nicht wirklich überzeugt sind. Herr Rotenbaum gibt sich alle Mühe, aber eine Entscheidung können und wollen die zwei heute nicht treffen. Kann ich absolut nachvollziehen. Morgen soll ich noch mal anrufen, dann teilen sie mir ihre endgültige Entscheidung mit. Ich kenne diese bereits.


Donnerstag, 07. April
Der dritte Wochentermin verläuft in der für mich typischen Art. Herr Rotenbaum und ich stehen vor der Türe, doch Einlass wird uns nicht gewährt. Was entweder daran liegen mag, dass niemand in der Wohnung ist, um uns herein zu lassen, oder aber niemand möchte, dass wir eintreten. Spielt auch keine Rolle, denn das Ergebnis ist dasselbe. Bevor ich mich bis morgen von Herrn Rotenbaum verabschiede, hat er noch eine entzückende Kleinigkeit mitzuteilen. Herr Ekelfink hat nämlich entschieden, dass ich nun schon lange genug dabei bin und den morgigen Termin alleine wahrnehmen soll. Halte ich zwar für eine ausgesprochen dämliche Idee, wirklich aufregen mag ich mich über diesen blödsinnigen Vorschlag aber nicht. Wer weiß, vielleicht bleibt auch morgen die Tür verschlossen und die Woche endet ebenso fulminant, wie sie begonnen hat. Um 09.00 Uhr rufe ich bei den Leuten von gestern an. Sie haben kein Interesse und ich bin kein bisschen überrascht. Karriere beendet. Montag bin ich beim Arbeitsamt. Zurück zu den Wurzeln.


Freitag, 08. April
Schon morgens freue ich mich auf den Nachmittagstermin bei der polnischen Familie, deren Deutschkenntnisse am Telefon so dürftig schienen, dass ich mir ernsthaft überlege einen Dolmetscher mitzunehmen. Pünktlich erscheine ich zum Termin und erstaunlicherweise wird mir aufgetan. Die Begrüßung ist recht freundlich, lediglich der Hund mag mich nicht, bellt und knurrt mich an und wird alsbald aus dem Zimmer befördert. Ein schlechtes Omen? Schnell wird mir klar, dass es hier für mich nichts zu verdienen gibt, denn die Leute sind zwar sehr nett, aber auch sehr verschuldet. Glücklicherweise ist das Sprachproblem weniger groß als befürchtet, so dass eine vernünftige Konversation möglich ist. Doch je länger ich mich mit dem Mann unterhalte, desto mehr tut er mir Leid. Ich schlage ihm vor seine Versicherungen zu überprüfen, um dort eventuell ein paar Euro für ihn einzusparen. Nach einem kurzen Blick über die Policen wird mir klar, dass dies nicht möglich sein wird, was ich aber für mich behalte. Kurz darauf verabschiede ich mich und sage, dass ich mich in den nächsten Tagen melden werde, wenn ich Einsparmöglichkeiten entdecke, bezweifle aber, dass die Leute je wieder von mir hören werden. Ein beschissener Job ist das. Morgen teile ich meine Entscheidung wieder ins Arbeitslosenleben zurückzukehren meinen Kollegen mit. Wie werden sie es wohl aufnehmen? Wird es Tränen geben?


Samstag, 09. April
Um 07.30 Uhr befördert mich mein Wecker aus dem Schlaf. Draußen schneit es. Kann ein Tag schöner beginnen? Mit Sicherheit! Ich hüpfe aus dem Bett und beginne meinen vielleicht letzten Tag als Mitarbeiter des Finanzdienstleistungsunternehmens. Mein Spiegelbild ist heute wieder besonders hässlich. Als Spiegel hat man es auch nicht leicht.

Herr El Habib führt die interne Rangliste des Monats April derzeit an und könnte ein erfolgreicher Mitarbeiter werden. Es könnte aber auch anders kommen. Im Büro werden die Pressemitteilungen der letzten Tage vorgestellt. Es folgen ein paar Sprüche à la „Gewerkschaften sind Scheiße für uns als Unternehmer“ und anderer unfassbarer Blödsinn. Danach wird eine Reihe von Produkten aufgeschrieben. Ganz oben die Produkte, die am meisten Provision bringen. Fragen, was denn die Vorteile von diesen Produkten gegenüber anderen Produkten sind, werden nicht wirklich beantwortet. Die Provision erklärt die Vorteile. Die bei den Kunden stets vorgeheuchelte Objektivität ist eh nur Schall und Rauch. Erst kommt die Provision, dann der Nutzen für den Kunden, sofern das Produkt einen Nutzen für den Kunden hat. Wenn nicht, auch nicht schlimm.
„Ich höre auf mit meiner hauptberuflichen Tätigkeit.“ – „Ja, das würde ich auch Vorschlagen.“ Dieser kurze Dialog mit Herrn Ekelfink beendet meine Mitarbeit. Es folgt ein kurzes Gespräch mit Herrn Rotenbaum, dann verabschiede ich mich von ihm, sonst verabschiede ich mich von niemandem, und verlasse das Büro. Draußen ist plötzlich eine unerklärliche Leere in mir. Eine vorübergehende Ratlosigkeit, wie ich meine neu gewonnen Freiheit nutzen kann. Wieder endet ein erfolgloses Kapitel meines Lebens. Möglicherweise war dies die letzte berufliche Tätigkeit, die ich mir selber ausgesucht habe, vielleicht sogar die letzte überhaupt. Etwas Neues ist nicht in Sicht. Klingt eigentlich gar nicht so schlecht. Die Leere verschwindet ebenso schnell, wie sie gekommen ist. Na also.


Montag, 11. April
Ich stehe früh auf, um beim Arbeitsamt, welches schon seit geraumer Zeit Agentur für Arbeit heißt, vor den meisten anderen Arbeitslosen da zu sein, was mir auch gelingt. Recht zügig werde ich aufgerufen und melde mich arbeitslos. Doch ganz so reibungslos verläuft es dann doch nicht. Erstens muss ich mich auch noch im Rathaus melden, um ganz sicher Geld zu bekommen. Und zweitens soll ich noch mit einem weiteren Kollegen im Nebenbüro sprechen und so lange im Wartebereich Platz nehmen bis ich aufgerufen werde. Der Wartebereich füllt sich mit weiteren Arbeitslosen. 10 Minuten vergehen. 20 Minuten. 30 Minuten. Der Wartebereich ist jetzt fast voll. Es scheint so als würden nicht nur die Arbeitslosen hier nicht arbeiten, dann werde ich tatsächlich aufgerufen. Der Beamte, der mich in sein Zimmer bittet, erweist sich als netter Mensch. Wir unterhalten uns über das Finanzdienstleistungsunternehmen, über das auch er nichts Gutes zu berichten weiß, danach erzählt er mir, dass das Arbeitsamt sich zu 80% selbst verwaltet und nur wenig zur Arbeitsvermittlung beiträgt. Ein wenig Kritik noch an Firmen, die auch nur unzureichend mit dem Arbeitsamt zusammenarbeiten und zuletzt noch ein Blick auf die Jobangebote. Nichts dabei für mich. Das war’s. Alle drei Monate einmal melden. Vielen Dank. Auf Wiedersehen.
Zu Hause angekommen stelle ich fest, dass Herr Rotenbaum versucht hat, mich telefonisch zu erreichen. Was mag er von mir wollen? Später versucht Herr Rotenbaum es erneut. Will er mich zurückgewinnen? Nein! Es geht nur um einen Vertragsbeginn. Die Auskunft kann er haben. Das war es. Leben sie wohl, Hühnerhabicht.


Dienstag, 12. April
Um kurz vor 08.00 Uhr erscheine ich im Rathaus und betrete das Büro eines für das Arbeitslosengeld II zuständigen Mitarbeiters. Dieser teilt mir mit, dass ich den kompletten Antrag noch einmal ausfüllen muss, da mein letzter Antrag schon vor über sechs Monaten gestellt wurde. Obwohl es irgendwo Meldungen gab, dass es eine Vereinfachung bei diesem Antrag gegeben haben soll, merke ich davon nichts. Mir scheint es im Gegenteil sogar noch etwas komplizierter zu sein. Neben dem Antrag und den vielen Zusatzblättern muss ich noch folgende Nachweise zu meinem nächsten Termin mitbringen:

– Pässe aller Haushaltsangehörigen
– Sozialversicherungsausweis
– Krankenversichertenkarte
– Kundennummer der Bundesagentur für Arbeit
– Mietvertrag
– Mietbescheinigung
– Bankkarte
– Lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate
– Provisionsabrechnungen der letzten sechs Monate
– Bescheide über Arbeitslosengeld der letzten zwei Jahre
– Steuerbescheid 2004
– Sparbücher
– Haftpflichtversicherung
– Kfz – Schein und -Brief
– Kfz – Haftpflichtversicherung und Steuerbescheid

Die Vereinfachung ist deutlich zu erkennen. Nur leider nicht für mich. Obendrein brauche ich noch irgendwelche Bestätigungen vom Arbeitsamt. So führt mich mein nächster Weg dorthin. Ein aufgebrachter Mann verursacht einen Stau. Er ist äußerst erbost und unzufrieden und schimpft lauthals. Die Schlange hinter ihm wird immer länger und länger. Zuletzt will er den Geschäftsführer sprechen und wird endlich in die 1. Etage geschickt. Kurze Zeit später bin ich an der Reihe. Ich erhalte eine Unterschrift und dazu die Mitteilung, dass ich wegen eines weiteren Termins angeschrieben werde. Ich will doch keinen Termin, ich brauche doch nur eine Bescheinigung! Resigniert verlasse ich das Arbeitsamt und fahre Heim. Kaum zuhause angekommen beginne ich sofort mit dem Ausfüllen und Zusammenstellen der erforderlichen Unterlagen, was eine Menge Zeit in Anspruch nimmt und natürlich keinen Spaß macht. Früher war sicher alles einfacher.


Dienstag, 19. April
Bereits um 06.30 Uhr beendet der Wecker meinen Schlaf. Grässlich. Kurz wach werden, frisch machen und ab zum Rathaus. Alles vorlegen, einiges nachtragen und nach etwa einer halben Stunde bin ich fertig. Jetzt bin ich wieder ein echter Arbeitsloser.

15.00 Uhr. Das Telefon klingelt. Herr Ekelfink. Beginnt jetzt alles von vorn? Wohl kaum. Aber um 15.00 Uhr haben Herr Ekelfink und ich einen Termin und er will mir mitteilen, dass er zu spät kommen wird. Unglücklicherweise hatte ich den Termin schon verdrängt und bin auch nicht vorbereitet. So schmeiße ich mich in meinen Anzug und mache mich auf den Weg. Dummerweise unrasiert. Das wird Herrn Ekelfink überhaupt nicht gefallen. Doch ehrlich gesagt ist mir völlig egal, was Herrn Ekelfink gefällt oder nicht. Mit fünfzehnminütiger Verspätung erscheine ich bei meinen einzigen Mandanten. Kaum habe ich Platz genommen, ruft Herr Ekelfink erneut an und teilt mir mit, dass er sich noch mehr verspäten wird. Peinlich! Ich beschließe, den Mandanten schon mal ihre Bilanz zu erklären, so schwer kann das ja nicht sein. Und wieder klingelt das Telefon. Herr Ekelfink, wer sonst? Er ist jetzt fast da und möchte noch mal Straße und Hausnummer genannt bekommen. Er scheint äußerst gut vorbereitet heute. Kurze Zeit später ist er endlich da. Fünfundvierzig Minuten zu spät. Unverschämt und inakzeptabel. Er hat natürlich keine Unterlagen dabei, lediglich seinen billigen Kugelschreiber. Er startet nach kurzem Small Talk endlich mit den Dingen, die uns zu den Mandanten geführt haben. Und wieder droht Umsatz. Genug um meine Schulden zu begleichen. Ich finde das sehr entzückend. Allerdings wird das Produkt erst ab August starten. Doch auch das macht mir nichts mehr aus. Seit ich meine Hauptberuflichkeit aufgegeben habe ist der Job viel angenehmer. Endgültig entscheiden wollen die Mandanten sich jedoch erst bis Freitag. Auch da habe ich nicht das geringste Problem mit. Herr Ekelfink scheint heute irgendwie unkonzentriert. Ob das jetzt mein letzter Termin für das Finanzdienstleistungsunternehmen war, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Da Herr Ekelfink und ich auch weiterhin nicht wirklich kommunizieren, lasse ich mich einfach überraschen.


Freitag, 22. April
Anruf bei Herrn Ekelfink. Ob er denn schon bei den Mandanten angerufen hat. Natürlich nicht. Angeblich weiß er die Telefonnummer nicht. Blöde Ausrede. Erstens hatte ich ihm die Nummer geschickt, zweitens steht sie in den Mandantenunterlagen. Will der mich verarschen oder ist er völlig bescheuert? Wahrscheinlich trifft beides zu. Ich gebe ihm die Telefonnummer durch, er will sich wieder bei mir melden. Ob ich ihm das glauben kann? Abwarten. Später meldet er sich tatsächlich. Die Mandanten wollen den Vertrag. So, so. Hat er das wirklich richtig verstanden oder hat er irgendwelche Aussagen zu seinen Gunsten interpretiert?

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