Cochem

03.05.19 – 07.05.19

Tag 1
Seit ich alleine mit mir Städtereisen mache, mittlerweile zum vierten Mal, hatte ich immer gutes Wetter und bin immer an einem Sonntag angereist. Daran hätte sich auch dieses Jahr nichts geändert, wenn ich zu dem ursprünglich geplanten Reisetermin gefahren wäre, denn dann wäre ich gestern zurückgekommen und mir wäre es erspart geblieben bei den Aussichten, nass und vom Winde verweht zu werden, aufzubrechen. Stattdessen werde ich mich vermutlich überreden müssen, nicht nur im Zimmer abzuhängen, wenn das Wetter tatsächlich so gruselig wird. Was mich dabei am meisten stört ist natürlich die Tatsache, dass ich selber Schuld bin, weil ich unbedingt im Altes Fährhaus untergebracht werden wollte. Und das ging vorher nicht. Kleidungstechnisch habe ich alles, was sommerlich ausschaut zu Hause gelassen und stattdessen mittelwarme Sachen eingepackt, denn es wäre mir sehr unangenehm in meinem Urlaub frieren zu müssen. Zumindest stellt sich bei der Wetterprognose die Frage nicht, welches Automobil den Fahrdienst übernimmt, da der Benz nur bei schönem Wetter raus darf. So darf mich folgerichtig das Coupé nach Cochem fahren.

Abgesehen von einem Stau und einer Pipipause komme ich gut durch und bin nach drei Stunden Fahrzeit gegen 15.20 Uhr am Ziel. Mein Zimmer in der Pension Altes Fährhaus ist klein und das Bad integriert. Von der Toilette kann ich direkt aufs Bett schauen oder bei einer längeren Sitzung auch TV schauen. Ungewohnt aber irgendwie auch praktisch.

Cochem ist ein wirklich schöner Ort und ich muss natürlich bald etwas essen und da ich gerne möglichst alleine esse, lande ich im Chapeau Claque Bistro. Dort sitzen ein paar Leute und knobeln. Ein Mann sitzt neben seinem Hund und starrt vor sich hin. Ich bestelle Cola und Baguette und setze mich ans Fenster. Ein anderer Mann füttert einen Spielautomaten. Ich hätte nicht gedacht, so etwas nochmal zu erleben. Es ist fast als wäre ich in die Zeit meiner Jugend zurückgereist. Das Baguette ist groß und gut und ich bin der fremde Gast in einer fremden Welt. Der Tourismus findet scheinbar woanders statt, obwohl das Chapeau Claque auch eine Pension ist. Mir gefällt das irgendwie.

Weil das Wetter angenehmer als erwartet ist, wandere ich später noch durch Cochem. Ein Stadtlauf sorgt dafür, dass viele Menschen an der Laufstrecke stehen und jedes Mal klatschen, wenn Läufer und Läuferinnen vorbeikommen. Auf mich wirkt es leicht befremdlich, allen Leuten, die an einem vorbeilaufen, zu applaudieren. Wenn ich ehrlich bin, geht es mir sogar etwas auf die Nerven, daher nutze ich die erste Gelegenheit mich von der Laufstrecke zu entfernen. Immer weiter weg von den Menschen gehe ich immer höher und höher, weil ich schon immer hoch hinaus wollte. Zu meiner Überraschung lande ich auf der Reichsburg. Dabei wollte ich da heute eigentlich noch nicht rauf. Meine größte Freude dabei ist, dass kaum Menschen unterwegs sind, weil ich außerhalb der Öffnungszeiten da bin. Daher kann ich nicht nur ganz entspannt ganz viele Fotos machen, sondern obendrein auch ein Selfie. Ich zwischen den beiden Rittern. Wundervolles Bild. Fast melancholisch schön. Möglicherweise aber auch ganz anders. Wenn ich in dieser Gegend wohnen würde, würde ich vermutlich fünf Jahre länger leben und scheine für einen Moment unter meiner Mütze, die ich wegen dem Wind tragen muss, tatsächlich jünger auszusehen. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Gegen 21.00 Uhr bin ich zurück auf meinem Zimmer, weil es mir draußen einfach zu frisch ist. Etwas über 11 Kilometer bin ich heute gewandert und kann mir ohne schlechtes Gewissen den Rest von Let´s Dance angucken. Besser kann ein Tag kaum enden.

Tag 2
Da mein Zimmer direkt neben dem Frühstücksraum liegt, kann ich hören, dass pünktlich um 08.30 Uhr die ersten Gäste dort eintreffen. Somit können die natürlich auch alles hören, was ich im Zimmer anstelle. Jeder Toilettengang wird so zu einem Gemeinschaftserlebnis, zumindest in meiner Vorstellung. Und weil ich die Menschen hören kann und deren Anwesenheit, ja Existenz, bewusst wahrnehme, bereue ich es schon jetzt, dieses Mal Frühstück mitgebucht zu haben. Da laufe ich lieber eine Stunde orientierungslos auf der Suche nach einer Frühstücksmöglichkeit durch irgendeinen Ort. Ich weiß zwar nicht, wie lange es hier Frühstück gibt, bleibe zunächst aber einfach in meinem Zimmer sitzen, in der Hoffnung, dass die Menschen bald verschwinden. Wenn ich im Urlaub Kontakt zu Menschen wollte, würde ich in einem Mehrbettzimmer übernachten. Echt blöd, dass ich voll Hunger habe. Noch blöder, dass ich voll blöd bin. Warum reden die überhaupt beim Frühstück miteinander? Warum können Menschen nicht einfach im Urlaub die Klappe halten? Was für eine bekloppte Spezies. Ich bin fast 50 und verstecke mich in meinem Zimmer. Wie ein gestörter, kleiner Junge. Weil das auch keine Lösung ist, gehe ich um 09.15 Uhr zum Frühstück und bekomme einen Platz in dem kleineren Raum. Dort sitzt nur ein Pärchen. Die sind eben erst gekommen. Wäre ich sofort um 08.30 Uhr hier gewesen, hätte ich ganz alleine sein können. Mein Timing ist mies, das Frühstück mehr als ausreichend. Ich gönne mir zwei Brötchen, Tee und Orangensaft. Ein weiteres Pärchen kommt zum Frühstücken in den Raum. Morgen muss ich als erster hier sein, dann bin ich schön alleine. Zum Glück wird kaum gesprochen, was sich aber schlagartig ändert als ich zurück in meinem Zimmer bin. Die beiden Pärchen unterhalten sich bestens und lachen viel. Scheinbar bin ich ein echter Stimmungskiller. Vermutlich wollen die genau so wenig mit mir zusammen frühstücken, wie ich mit denen. Vielleicht haben wir ja Glück und sehen uns nie wieder. Erstaunlich, wie ich alleine durch meine Anwesenheit Menschen den Spaß verderben kann. Ich muss eine sehr unangenehme Ausstrahlung haben.

Während sich im Frühstücksraum ausgiebig amüsiert wird, frage ich mich, was ich bei dem Regen tun kann. Hätte ich ein Zimmer mit Blick auf die Mosel, würde ich vermutlich den ganzen Tag nur aus dem Fenster gucken. Weil das nicht geht, muss ich mir was einfallen lassen. Also verlasse ich das Zimmer und stelle fest, dass es nicht mehr regnet. Etwa drei Minuten halte ich es draußen aus, dann bin ich zurück im Zimmer, um mir ein weiteres langärmelige Shirt anzuziehen. Ich bin so ein Weichei. Wieder auf der Straße frage ich mich, wie ich den Tag gestalten kann. Die geplante Fahrt mit der Sesselbahn inkl. Erinnerungsfoto kann ich vergessen, denn ich würde vor Kälte sterben. Die Stadtrundfahrt mit dem Mosel-Wein-Express sollte ich auch nicht machen, weil ich da auch nur frieren würde. Und eine Schiffsrundfahrt erscheint bei etwa 8 Grad auch keine gute Idee. Zwischenzeitlich habe ich den Cochemer Kunst- und Handwerkermarkt erreicht und überlege etwas zu kaufen, nur um etwas getan zu haben und mich vom Frieren abzulenken. Letztlich kaufe ich aber nichts, sondern schaue, was für Restaurants es gibt, um später dort irgendwo die Mittagsmahlzeit zu mir zu nehmen. Da ich mich nicht entscheiden kann, wandere ich in den Ortsteil Sehl. Dort ist es auch schön und es gibt einen Penny-Markt, den ich betrete, um mich aufzuwärmen. Spontan kaufe ich Taschentücher, Schokolade und Halsbonbons und verstaue diese anschließend in und unter der Jacke, weil ich keine Plastiktüten mehr kaufe. Mit dem Kram unter der Jacke sehe ich ganz besonders merkwürdig aus, so dass ich zurück auf mein Zimmer muss, um den Kram loszuwerden. Auf dem Rückweg bläst mir der Wind ins Gesicht und ich finde, dass ich ein komischer Mensch bin.

Nachdem ich entschieden habe, wo ich essen will, geht es los und renne direkt zweimal am Asia Lotus House vorbei. Das Essen schmeckt ordnungsgemäß und so gestärkt bin ich bereit für neue Abenteuer. Der Mosel-Wein-Express steht bereit, doch sitzen mir einfach schon zu viele Leute drin, weshalb ich nicht einsteigen mag. Also wandere ich los, komme aber nicht weit, weil es anfängt zu regnen. 8 Grad, Wind und Regen, eigentlich kann ich den Urlaub abbrechen, denn bei dem Wetter fällt mir nix mehr ein. Ich stelle mich irgendwo unter, gehe in den Regenpausen ziellos hin und her und frage mich, was das soll. Kurz überlege ich in ein Café zu gehen, etwas Warmes zu trinken und mir, obwohl noch satt, ein leckeres Stück Kuchen zu gönnen, doch daraus wird nichts, weil die Cafés mir zu voll sind. Die wenigen freien Sitzplätze befinden sich draußen, was für mich völlig inakzeptabel ist. Es sitzen durchaus viele Menschen draußen, manche von ihnen essen sogar Eis, während ich dabei bin zu Eis zu werden. Ich bin echt ein verweichlichtes und empfindliches Wesen und wünschte, ich hätte eine lange Unterhose, eine Wollmütze, einen warmen Mantel, Winterstiefel und eine Wärmflasche dabei. Da ich nichts von alldem habe, beschließe ich den Tag zu beenden und den Urlaub abzuhaken. Man muss wissen, wenn man gescheitert ist. Kaum zurück auf dem Zimmer, drehe ich die Heizung auf. Der Sommer wird geil, so viel ist jetzt schon sicher.

Weil ich nochmal essen muss, breche ich gegen 17.15 Uhr auf. Vorher tausche ich das langärmelige Shirt gegen einen leichten Rollkragenpullover. In der Sonne geht es, wenn der Wind los bläst nicht so. Im Ristorante Castello komme ich mir irgendwie komisch vor mit meinem Salat Mista und ohne Begleitung. Daher bin ich nicht entspannt und esse viel zu schnell. Dafür esse ich, bis auf die Gurkenscheiben, den Salat auf. Kommt sonst auch eher nicht vor. Das Ristorante Castello ist optisch schön und der Salat gut. Obwohl ich nur einen Salat gegessen habe, finde ich, dass man hier hingehen sollte, wenn man schon in Cochem ist. Anschließend mache ich einen kurzen Verdauungsspaziergang, der an meinem Coupé vorbeiführt. Bei der Gelgenehit hole ich aus dem Kofferraum eine etwas dickere Jacke und ziehe sie direkt über all meine Sachen. Der Wind bleibt unangenehm, daher gehe ich gegen 18.50 Uhr zurück in mein Zimmer, drehe die Heizung auf und gucke die Sportschau.

Weil das Wetter morgen noch schlechter werden soll, mache ich nach der Sportschau einen letzten Versuch, um ein wenig von der Umgebung zu sehen. Mit zwei Shirts, zwei Pullovern und zwei Jacken bekleidet geht es los. Wenn ich zwei Jeans übereinander ziehen könnte und zwei Schuhe und mehrere Mützen, ginge es eventuell, so aber macht es keinen Spaß und ich bin nach einer halben Stunde zurück. Das ist nicht gut, gar nicht gut, aber immerhin bin ich heute fast 15 Kilometer gewandert.

Da ich es unangebracht finde den Abend mit Fernsehen zu verbringen, lese ich ein Buch von Sartre. Ob man wohl Frauen damit beeindrucken kann, wenn man ihnen erzählt, dass man Sartre liest?

Tag 3
Es ist noch keine 08.00 Uhr, in der Küche neben meinem Zimmer wird noch das Frühstück zubereitet, als sich schon die ersten Gäste unten einfinden. Leider kann ich die Stimmen nicht zuordnen, aber eigentlich ist das auch egal. Ich frage mich dennoch, wieso man schon so früh auftauchen muss, wenn das Frühstück erst um 08.30 Uhr serviert wird. Da ich morgens gewisse Rituale pflege, bin ich erst um 08.45 Uhr bereit am Frühstück teilzunehmen. Im Frühstücksraum wird sich angeregt unterhalten. Gerade wach und schon plappern, unglaublich. Ich verlasse mein Zimmer, blicke in den Frühstücksraum und entdecke, dass mindestens ein Pärchen schon dort sitzt, wo auch ich sitzen werde. Darauf habe ich keine Lust, weshalb ich zurück auf mein Zimmer gehe. Vielleicht sind die in einer halben Stunde weg, dann kann ich ungestört frühstücken. Tatsächlich sind sie nach einer halben Stunde weg und ich bin alleine in dem kleinen Raum. Herrlich. Leider währt diese Herrlichkeit keine zwei Minuten, da taucht das andere Pärchen auf. Warum können nicht alle zu festen Zeiten frühstücken, so dass man sich aus dem Weg gehen kann? Das Pärchen flüstert fast, so dass der Mann immer wieder nachfragen muss, was sie zu ihm gesagt hat. Sicher meinetwegen. Ich verderbe denen mit meiner Anwesenheit das ganze Frühstück. Als die beiden fertig sind, verabschieden sie sich und wünschen mir einen schönen Tag. Jetzt sind die auch noch nett und ich komme mir ziemlich blöd vor. Ich kann echt nicht gut mit Menschen. Was ich hingegen gut kann, ist ratlos sein, denn ich bin völlig ratlos, was die Tagesgestaltung angeht. Ich bin wirklich erschreckend eingeschränkt und dem Wetter hilflos ausgeliefert. Manchmal wünschte ich, ich wäre etwas normaler. Wobei normal vermutlich nichts weiter als eine Sache der Definition ist und nichts zur Sache tut. Was mich auch irritiert ist die Tatsache, dass ich zweieinhalb Brötchen, 250ml Orangensaft und einen Tee zu mir genommen habe. Ich kann mich nicht erinnern jemals zuvor so viel zum Frühstück eingenommen zu haben. Ich wusste nicht einmal, dass so etwas möglich ist.

Als ich mein Zimmer verlasse, um in die Stadt zu gehen, treffe ich auf das Pärchen vom Frühstück. Sie reisen ab und ich versuche mich in Small Talk. Echt nett die beiden, möglicherweise bin ich tatsächlich ein Arschloch. Weil der Parkplatz vor dem Haus somit frei wird gehe ich zu meinem Coupé, um es umzuparken. Leichter Regen drückt auf meine Stimmung. Nachdem das Coupé umgeparkt ist, nehme ich meinen gepunkteten Schirm und gehe los. Der Regen verabschiedet sich und ich und mein Schirm marschieren auf die Stadt zu. Mit dabei habe ich ein Buch, welches ich in die Bücherzelle legen will. Mit viel Glück gibt es dort auch was für mich. Nachdem ich festgestellt habe, dass es für mich kein Buch gibt, lege ich mein Buch ab und marschiere weiter. Zunächst ist mir nicht wirklich klar, was ich vorhabe, doch dann scheine ich einen Plan zu haben. Fast zielstrebig gehe ich zu einer Tankstelle, um Geld zu holen. Der einzige Ort an dem das für mich gebührenfrei geht. Verrückt. Jetzt nur nicht nachlassen und noch was erleben. Wenig später sitze ich im Mosel-Wein-Express und muss den letzten Wagen nur mit fünf Leuten teilen, die aber ganz vorne sitzen, mich nicht beachten und auch nicht weiter stören. Bis auf ein kleines Stück fahren wir überall her, wo ich schon lang gewandert bin. Mit meinen zwei Shirts, zwei Pullovern und zwei Jacken friere ich ausnahmsweise auch nicht und bin zufrieden. Vielleicht muss ich doch noch nicht eingeschläfert werden. Nach der Rundfahrt wird es Zeit fürs Mittagessen. Erneut entscheide ich mich fürs Asia Lotus House. Es ist wie immer. Wenn das Mittagessen einmal passt, wechsle ich nicht mehr. Erst als mein Darm etwa eine Stunde nach dem Essen randaliert und ich mich erinnere, dass es gestern auch schon so war, beschließe ich, morgen woanders zu essen. Schade, aber ein randalierender Darm ist einfach keine Lösung.
Nach dem Essen gehen mein Schirm und ich zurück zur Pension. Kurz bevor wir ankommen, beginnt es leicht zu regnen. Zeit über den Rest des Tages nachzudenken. Nachdem es nichts mehr zu denken gibt, verlasse ich ohne Schirm mein Zimmer und mache mich zielstrebig auf den Weg. Während ich auf mein Ziel zusteuere, beginnt es erneut zu regnen. Weil mich das nicht begeistert, stelle ich mich unter die alte Brücke und frage mich, ob mein Plan verschoben werden muss. Muss er nicht, denn bald verschwindet der Regen, die Sonne zeigt sich und so kann ich die Brücke überqueren und pünktlich an Bord gehen, um die traditionelle Schiffsrundfahrt zu machen. Das Oberdeck ist tabu, weil das ja draußen ist. Also befinde ich mich mit allen anderen Passagieren auf dem Mitteldeck, was mir nicht gefällt, weil man das Wasser nicht so sieht, wie ich mir das vorstelle. Was soll ich auf einem Schiff, wenn ich das Wasser nicht sehe? Konsequenterweise gehe ich runter und stelle fest, dass sonst niemand die Idee hatte. Entweder bin ich komisch oder alle anderen. Okay, oben sieht man sicher insgesamt mehr, aber hier unten bin ich näher am Wasser und kann die Wellen beobachten. Dass ich es obendrein geil finde alleine hier zu sein, während über mir Kinder toben, ist selbstverständlich. Die Zeit vergeht furchtbar schnell und auf dem Rückweg bin ich so entspannt, dass ich kurz einnicke. So muss Urlaub sein.

Jetzt fehlt nur noch die Fahrt mit der Sesselbahn. Als ich diese erreiche zieht es sich zu und ich fürchte, dass es mir ohne Sonne zu kalt wird und ich womöglich nass werde. Stattdessen nutze ich einen Wanderweg gegenüber der Sesselbahn. Für mich sieht das zwar nicht nach einem normalen Wanderweg aus, aber ich liebe Anstiege und bin bald ziemlich weit oben. Ich bin echt bekloppt, muss aber immer höher, weil ich es mir sehr schwer vorstelle, den Weg wieder hinabzusteigen. Wenn es jetzt regnet bin ich verloren, so viel ist sicher. Immer höher geht es hinauf und irgendwann wird mir das zu steil, ich bin nassgeschwitzt und will nicht mehr. Darum beginnt mein Abstieg. Wenn mir hier etwas zustößt, findet man mich vermutlich erst Tage nachdem ich gestorben bin. Keine wirklich schöne Vorstellung, doch irgendwann stehe ich wieder unten, betrachte die Sesselbahn und vermute, dass ich mich für die falsche Sache entschieden habe.

Später muss ich wieder essen, finde aber in keinem Restaurant einen Platz, der meinen Ansprüchen genügt. Hin und her, her und hin, wandere ich, doch die guten Plätze bleiben besetzt. Dann zwingt mich der Regen minutenlang in einem Hauseingang zu stehen. Zeit nachzudenken und mit der albernen Suche aufzuhören. Heute wird es keinen Salat mehr für mich geben. Letzte Rettung Subway. Subway ist in Wirklichkeit nichts für mich, weil es mich schlichtweg überfordert. Welches Brot, welche Sauce, welche Salate? Alles muss ich in kürzester Zeit entscheiden, während hinter mir der nächste Kunde wartet. Noch bevor ich an der Reihe bin, schwitze ich schon vor Überforderung, lese die Angebote und entdecke zu meinem Glück, dass es Wraps gibt. Nichts zusammenstellen, nicht verwirrt stammeln und mich nicht blamieren. Einfach bestellen, warten, zahlen, essen. Der Wrap ist gut, aber ich hätte schon gerne ein Sandwich gehabt. Sollte ich je wieder zu Subway gehen, mache ich mir vorher einen Zettel mit allem, was ich haben will und gebe den ab. Auf den Zettel schreibe ich obendrein, dass ich nicht sprechen kann, damit keine Fragen gestellt werden. So bekomme ich ein Sandwich, ohne mich zu blamieren und alle aufzuhalten. Ja, so mache ich das.

Bereits gegen 19.00 Uhr bin ich zurück auf meinem Zimmer, weil es mir zu frisch ist. Das darf man auch keinem erzählen, die halten einen sonst doch für total merkwürdig. Immerhin bin ich heute elf Kilometer gewandert. Den Rest des Abends lese ich Sartre und träume davon auf diese Art Frauen zu beeindrucken.

Tag 4
Zum ersten Mal habe ich den Frühstücksraum für mich alleine. Eine sehr angenehme Sache. Zwei Pärchen frühstücken in dem anderen Raum, was mich aber noch nie gestört hat. Draußen sind nur drei Grad und ich frage mich abermals, warum ich keinen wirklich warmen Pullover und auch nicht meine einzige warme Jacke dabei habe. Dann fällt es mir wieder ein. Es ist Mai. Im Mai, so dachte ich, ist die Kälte längst vorbei. Ich sollte echt mit dem denken aufhören.

Bereits um 10.30 Uhr betrete ich das nächste Schiff mit dem Namen Wappen von Cochem, um mich nach Beilstein transportieren zu lassen. Erneut habe ich viel Platz um mich herum, was mir gut gefällt. Beilstein gefällt mir auch. Ein sehr schöner Ort. Passend dazu scheint die Sonne, was durchaus angenehm ist. Ich wandere scheinbar ziellos umher als ich einen Anruf bekomme. An der Nummer erkenne ich, dass es wegen der Arbeit ist. Morgen um 13.00 Uhr ist Vorbesprechung der neuen Maßnahme und ich werde gefragt, ob ich teilnehmen kann. Normal bin ich ja für jeden Spaß zu haben, aber dieses Mal muss ich passen, denn ich bin verreist. Mit ganz viel Stress und Glück könnte ich es zwar bis 13.00 Uhr schaffen, aber für Stress bin ich einfach zu alt. Daher findet die Veranstaltung ohne mich statt. Nach dem Gespräch, welches leider nicht zum Erfolg führte, besuche die Ruine der Burg Metternich und begebe mich auf den Turm, um die wunderbare Aussicht zu genießen. Ich bleibe so lange da oben, bis andere Leute raufkommen. Kaum sind sie da, muss ich weg. Alles andere würde mir einfach keinen Spaß machen. Beim Abstieg, ich bin schon vor der Burg, verliere ich kurz die Kontrolle, rutsche die Treppen hinab und falle fast hin. Nur mit Mühe kann ich mich an einem Geländer festhalten. Damit habe ich die Aufmerksamkeit einiger Menschen in der Nähe. Sie schauen mich überrascht und beinahe entsetzt an. Manche tuscheln. Ich sage nur „Ups“ und setze nach dem peinlichen Auftritt den Abstieg fort. Leider habe ich während meiner Wanderung, und fasziniert von der Gegend, vergessen etwas zu essen und zu trinken und weil es sich zuzieht, möchte ich auch keine weiteren neunzig Minuten bleiben. So fahre ich mit dem Schiff “Stadt Bonn“ um 14.30 Uhr zurück, esse, wenn ich mich richtig erinnere, mein erstes Eis des Jahres und empfinde die Fahrt dennoch als unangenehm, da es ständig nach Diesel stinkt, wovon ich rasch Kopfschmerzen bekomme. Wenn man ein Schiff Stadt Bonn nennt, kann da vermutlich auch nichts Gutes bei rauskommen. Leider ist es auch so voll, dass ich mich nicht einfach umsetzen kann. Der Gestank kann auf keinen Fall gesund sein. Weil aber diese ganzen Schiffstouren eh nicht umweltdienlich sind, darf ich mich auch nicht beschweren, da ich mit meinem Verhalten die Umweltverschmutzung quasi fördere. Somit kann ich den Mist auch einatmen und später zurecht qualvoll sterben.

Nachdem ich mich im Mayers Bistro im Cochemer Jung mit einem Toast Hawaii gestärkt habe, will ich direkt zur Reichsburg, um an einer Burgführung teilzunehmen. Wenige Minuten später fahre ich mit der Sesselbahn nach oben und es sieht ganz danach aus als würde ich auf die Burgführung verzichten. Die Aussicht von oben ist toll, lediglich die Gruppe Vorpubertierender, die direkt vor mir angekommen ist, nervt ein wenig und steht mir im Weg rum. Wenig später erwische ich mich dabei, wie ich im Sesselbahn Terrassen Café sitze und ein stilles Wasser trinke. Draußen in 155m Höhe. Ich bin wahrlich ein komischer Kauz.

Subway. Immer wieder verwirrend für mich, dennoch bin ich erneut zu Gast. Vor mir drei Männer, die wissen, wie es läuft. Fasziniert betrachte ich, wie souverän die sich ihre Sandwiches nach Vorgabe anfertigen lassen. Obwohl ich sehr konzentriert aufpasse, traue ich mir das noch nicht zu und bestelle erneut einen Wrap. Wäre ich besser vorbereitet, hätte ich den Zettel mit meinen Wünschen dabei. Vielleicht schaffe ich es ein anderes Mal mit dem Sandwich. Heute noch nicht. Ein abschließender Verdauungsspaziergang beendet meinen Aufenthalt auch schon fast. Insgesamt habe ich heute etwa 9,5 km zurückgelegt.

Es ist beinahe 20.00 Uhr, mein letzter Abend in Cochem hat längst begonnen, ich liege auf dem Bett und höre, wie sich andere Gäste im Aufenthaltsaraum angeregt unterhalten. Wann habe ich mich eigentlich zuletzt in einer Gruppe angeregt unterhalten und dabei köstlich amüsiert? Ich weiß es tatsächlich nicht. Für einen Moment kommt Wehmut auf, dann reiße ich mich wieder zusammen und lasse den Abend langsam ausklingen.

Tag 5
Kaum werde ich wach, bin ich komplett verwirrt. Handwerker machen etwas direkt unter meinem Zimmer und mich irritiert, dass mir alles unnötig laut vorkommt. Die Ursache ist schnell gefunden. Es ist alles so laut, weil das Fenster gekippt ist und ich frage mich, wie das sein kann, denn ich Frostbeule habe das sicher nicht gemacht. Die Rollläden sind runter und meine Tür ist abgeschlossen. Wer also hat das Fenster gekippt? Da mir das alles zu hoch ist und unlogisch erscheint, beschließe ich, nicht weiter darüber nachzudenken.

Im hinteren Frühstücksraum gibt es drei neue Gesichter zu entdecken. Zwei Frauen und ein junger Mann mit Dreitagebart, rot-blau kariertem Hemd und Victory Turnschuhen. Sofort frage ich mich, ob die zusammengehören oder einfach nur Pech haben, gemeinsam an einem Tisch sitzen zu müssen. Er schweigt, die beiden Frauen reden miteinander. Im Nebenraum wird ein durchaus guter Spruch gebracht. Die drei Neuen lachen, die Frauen einen Tick zu viel. Es ist dieses Lachen, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Wirklich beachtet werden sie nicht von den Leuten aus dem anderen Raum. Dennoch scheint diese kleine Aktion das Eis gebrochen zu haben, denn es kommt zu einem Gespräch am Nebentisch, welches der junge Mann eröffnet. Er, so erfahren wir, lebt im Sauerland und arbeitet an drei Tagen in der Woche in Frankfurt. Wegen der Liebe zog er ins Sauerland, wo er auf einem großen Grundstück lebt. Wir erfahren weiter, dass er morgens ganz viel Kaffee braucht, aber nicht, wo seine Frau gerade ist. Ich schätze, er ist erfolgreich in seinem Leben und hat eine tolle Zukunft. Die beiden Frauen kommen aus Recklinghausen und der Mann wundert sich, dass man bei ihnen keinen Dialekt hört. Ich indes wundere mich, wie leicht Small Talk zu funktionieren scheint, frage mich aber, ob das wirklich sein muss.

Wenig später befinde ich mich schon auf der Autobahn. Es ist nicht besonders voll und ich folge auf der linken Spur mit etwa 120 km/h einer Autokolonne. Hinter mir ein schwarzer Punto aus MYK. Ich weiß nicht, wo das ist, also nenne ich den Fahrer den Mann aus Mykonos, weil er schon seit Minuten hinter mir herfährt. Natürlich tut er das nicht unauffällig, denn sonst hätte der Mann aus Mykonos keinen Namen bekommen. Er fährt dicht auf, drängelt quasi, und ich scheine ihm im Weg zu sein. Die Tatsache, dass ich nicht schneller kann und es ihm auch nicht hilft, wenn ich ihn vorbeilasse, scheint seinen Horizont zu übersteigen. Dennoch führt sein Wahnsinn irgendwann zum Erfolg und ich fahre endlich auf die rechte Spur, um ihn vorbeizulassen. Zur Belohnung schert der Vollbarträger, was ich beim überhole gut erkennen konnte, direkt vor mir wieder ein und hat es plötzlich nicht mehr eilig. Möglicherweise hat er einen an der Waffel oder leidet an Enzephalitis. Weil mir das nun zu langsam ist, starte ich einen Überholvorgang, der aber dadurch erschwert wird, dass der Mann aus Mykonos ebenfalls beschleunigt. Kaum bin ich an ihm vorbei, wechselt er die Spur und ist wieder knapp hinter mir. Möglicherweise ist sein Schaden größer als nötig und er darf gar nicht mehr Auto fahren, weiß es aber noch nicht. Jedenfalls fährt er extra dicht auf und drängelt. Da ich keine 12 mehr bin und mir das zu doof ist, fahre ich auf die rechte Spur und lasse ihn erneut vorbei. Aus lauter Dankbarkeit fährt er direkt nach dem Überholvorgang zurück auf die rechte Spur und verlangsamt das Tempo. Jetzt ist es offensichtlich, dass sein Gesundheitszustand besorgniserregend ist. Weil ich mich weder von seinem Wahnsinn anstecken lassen will, noch Spaß an derartigem Stress habe, reduziere ich mein Tempo weiter und als die Lücke zu dem Mann aus Mykonos größer wird, können andere Autos zwischen uns fahren. Wenig später muss ich auf eine andere Autobahn und der Mann aus Mykonos ist Geschichte. Etwa hundert Kilometer vor dem Ziel geht eine Warnlampe an und weist mich freundlich darauf hin, dass mit der Abgasanlage des Coupés etwas nicht in Ordnung ist. Da wird der TÜV-Prüfer sicher morgen begeistert sein, wenn ich das Coupé vorführe.

Ich erreiche Brambauer und alles, was bis eben noch schön und erholsam war, ist nur noch eine Erinnerung, denn Brambauer ist, wie soll ich es formulieren, eher nicht schön. Um auch die letzten guten Eindrücke von Cochem schnell loszuwerden, gehe ich zu Penny, um etwas einzukaufen. Ja, jetzt ist der Spaß tatsächlich vorbei.

Später sitze ich in meiner kleinen Wohnung und freue mich schon auf Magdeburg und den Urlaub danach. Wo auch immer er mich hinführen wird.

Cochem in Bildern

Zum Abschluss gibt es Bilder, weil es Tradition ist und damit man sieht, dass ich tatsächlich in Cochem war und mir das nicht nur ausgedacht habe.

 

Von außen betrachtet sicherlich die schönste Unterkunft, die ich als Alleinreisender je hatte.

 

Von innen betrachtet definitiv die außergewöhnlichste Unterkunft bisher.

 

Beim Ausblick hatte ich erneut nicht so viel Glück.

 

Der Bahnhof. Optisch absolut gelungen.

 

Meine erste Mahlzeit in Cochem nahm ich im Chapaeu Claque zu mir.

 

Die Reichsburg. Einfach schön.

 

Bei frischem Wind ist eine Mütze Pflicht, weil meine Haare Wind nicht mögen.

 

Dezenter Hinweis, dass keine Zeitungen mehr gewünscht sind.

 

Da unten parkt mein Coupé.

 

Abendliche Stimmung. Bei schönem Wetter hätte ich mir das stundenlang angesehen.

 

Bei Penny gibt es für verwöhnte Leckermäuler immer was zu holen.

 

Vom Jobcenter komme ich auch im Urlaub nicht los.

 

Der Mosel-Wein-Express. Optisch gelungen.

 

Da bin ich mehrfach durchgegangen.

 

Üppiges Frühstück, welches auch für zwei Personen gereicht hätte. Vor Freude habe ich mich gleich mitfotografiert.

 

Transportschiff für die kleine Rundfahrt zwischendurch.

 

Ich habe durchaus eine Schwäche für Wellen. Könnte ich mir stundenlang anschauen.

 

Ein Selfie als Beweis, dass ich es bin,.

 

Damit wurde ich nach Beilstein transportiert.

 

Auf dem Weg nach Beilstein.

 

Hier wohnt Ernst. Ernst war aber nicht zu Hause.

 

Hübsch anzuschauen.

 

Burgruine Metternich und Karmeliterkloster Beilstein.

 

Toller Blick auf die Mosel.

 

So sehe ich aus, wenn ich zwei Shirts, zwei Pullover und zwei Jacken anhabe.

 

So sieht es aus, wenn man von der Burgruine nach unten guckt.

 

Stinkendes Transportschiff.

 

So ist das, wenn ich in einer Sesselbahn transportiert werde.

 

Der letzte Abend in Cochem war sehr romantisch. Rein von der Optik her.

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