Mai 2011

Gast auf einer weiteren Gruppenveranstaltung
Pünktlich erscheine ich zu meinem Termin beim Jobcenter und erkenne schnell, dass es eine Gruppenveranstaltung ist, zu der ich eingeladen bin. Sehr gut, dann muss ich wenigstens nicht reden. Die Bewerbungsbetreuung, eine kleine Frau mit mächtiger Haarpracht, sagt, dass 21 Arbeitslose eingeladen wurden, aber nur 19 Sitzplätze zur Verfügung stehen. Die beiden Arbeitslosen, die zuletzt kommen, müssen also irgendwo stehen. Ich bin davon überzeugt, dass nicht alle Arbeitslosen ihren Termin wahrnehmen werden und behalte Recht. Am Ende sitzen 17 Arbeitslose in dem kleinen Raum, um sich anzuhören, wie es in Zukunft mit ihnen weitergeht. Mit so vielen Arbeitslosen hatte ich nicht gerechnet. Ich fühle mich übrigens nicht wohl, wenn ich mit so vielen Arbeitslosen in einen Topf geworfen, bzw. in einen Raum gesetzt werde. Zeigt es mir doch, dass ich genauso ein Versager und Nichtsnutz bin, wie die anderen Anwesenden. Ich möchte da nicht durch solche Veranstaltungen daran erinnert werden.
Die Idee hinter dieser Veranstaltung ist, Arbeitslose aus kaufmännischen Berufen und aus dem IT-Bereich gezielter und vor allem erfolgreicher zu vermitteln. Dazu wird jeder der Anwesenden nun der Bewerbungsbetreuung mit der mächtigen Haarpracht anvertraut. Dazu bekommen wir noch eine Frau vom Arbeitgeberservice an unsere Seite gestellt. Zu den beiden Damen werden wir fortan sehr regelmäßig Kontakt haben. Diese neue Idee soll schon bald unglaubliche Vermittlungserfolge bringen. Vielleicht ist das so, vielleicht aber auch nicht. Jeder Arbeitslose, der das Glück hat in diesem Projekt mitmachen zu dürfen, wird in den nächsten Tagen ein vierzig minütiges Gespräch mit der Bewerbungsbetreuung führen, um herauszufinden, warum es bisher nicht geklappt hat mit einem Job. Ich bin schon sehr gespannt, warum es bei mir nicht geklappt hat bisher. Außerdem bekommt jeder Arbeitslose einen grünen Ordner geschenkt. Dort sollen wir unsere Bewerbungen abheften und protokollieren, was wir so anstellen, um einen Job zu bekommen. Dazu gehört es auch, bei den Firmen, die einem eine Absage geschrieben haben, anzurufen, um zu fragen, warum man diese Absage bekommen hat. Dass ich das für Schwachsinn halte, behalte ich besser für mich. Insgesamt ist die Gruppe der Arbeitslosen sehr schweigsam. Lediglich ein Arbeitsloser tanzt aus der Reihe und hat immer etwas zu sagen. Zunächst weist er darauf hin, dass er einen Job bekommen hat und nur noch auf den Arbeitsvertrag wartet und deshalb eigentlich nicht hier sein müsste. Dann fragt er, ob nicht jeder Mitarbeiter der ARGE oder vom Jobcenter eine Voice-Box hat, wo jeder Arbeitslose Nachrichten hinterlassen kann. Mensch, Honk, das will keiner hören und kostet nur wertvolle Zeit. Insgesamt dauert die Veranstaltung fast fünfundzwanzig Minuten. Ich darf am 13.05. wiederkommen, um mit der Bewerbungsbetreuung über meine Zukunft, die jetzt vermutlich großartig wird, zu sprechen. Ich tue jetzt einfach mal so, als würde ich mich darüber freuen. Nein, doch lieber nicht. Denn wer zu früh sich freut, es am Ende meist bereut.

Das Auge
Es passiert ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Nichts deutet darauf hin, nichts kündigt es an. Es passiert einfach. Während ich telefoniere, spüre ich plötzlich, dass ich etwas in meinem Auge habe. Auch spüre ich, dass es irgendwie schmerzhafter, bedrohlicher ist. Ich unterbreche das Gespräch, gehe ins Bad und versuche zu erkennen, was da mit meinem Auge los ist, aber erkenne nichts. Dafür schmerzt es noch mehr. Ich versuche, mein Auge auszuspülen. Halte mit der einen Hand das Auge so weit wie möglich auf, schaufle mit der Hand anderen Wassermassen ins Auge. Sehr unangenehm und sehr erfolglos. Der Schmerz bleibt und ich werde durchaus nervös. Schäden am Auge machen mir Angst. Es ist Mittwochnachmittag, die Augenärzte haben längst Feierabend. Die Notrufzentrale, die ich in meiner Panik anrufe, teilt mir mit, dass der nächste Augenarzt, der heute Notdienst hat, einige Kilometer entfernt ist, und nur von 17.00 Uhr bis 19.00 Uhr Dienst hat. Es ist 15.15 Uhr, ich kann nicht warten, denn mein Auge fällt gleich raus. Kurzentschlossen mache ich mich auf den Weg ins nahegelegene Krankenhaus. Es ist nicht wirklich prickelnd mit nur einem Auge sehen zu können. Im Krankenhaus teilt man mir mit, dass man nichts für mich tun kann. Ich soll nach Dortmund in die Augennotfallklinik. Nur wie soll ich da hinkommen? Mit nur einem Auge Auto zu fahren, halte ich für absurd. Ich erreiche Manni, der sich bereit erklärt, mich in die Klinik zu fahren. Plötzlich und unerwartet, noch bevor Manni mich abholt, geht es meinem Auge wieder gut. Ich bin irritiert. Was soll das denn jetzt? Spontanheilung? Ein Wunder? Oder bin ich gar verrückt? Manni holt mich ab und ich muss lange an meinem Auge rumhandwerken, bevor es endlich wieder in einem Zustand ist, der einen Besuch in der Klinik rechtfertigt. Sehr mysteriös.

Der Arzt, der mich untersucht, kann nichts feststellen. Ich bin irgendwie enttäuscht, weil das ja bedeuten würde, dass ich wegen nichts hier bin. Er sagt, dass es morgen besser sein wird und wenn es nicht besser wird, dann hat er etwas übersehen. Was soll denn das? So etwas sagt man nicht. Etwas übersehen. Er sagt, ich solle mir Augensalbe holen und dann wird das schon. Als Simulant verlasse ich die Klinik. Dem Auge geht es besser. Aber nur etwa 10 bis 15 Minuten, dann sind die Schmerzen wieder da und ich kann das Auge kaum aufhalten. Sehr mysteriös. Ich hole Augentropfen, schmiere sie ins Auge und hoffe auf Besserung. Etwa drei Minuten später geht es mir besser. Der Zustand hält etwa vier Minuten an. Dann ist alles wie gehabt. Mir fällt ein, dass der Benz noch hier im Hof steht. Über Nacht kann er hier nicht stehen bleiben. Das wäre unverantwortlich. Also werde ich als Einäugiger Autofahren müssen. Wird bestimmt uncool, dennoch klappt es und wenige Minuten später steht der Benz ordnungsgemäß in der Garage. Ich schleppe mich nach Hause und lege mich hin. Die Schmerzen werden stärker. Nach Rücksprache mit Ursula nehme ich nochmal Augensalbe. Die Salbe wirkt für wenige Sekunden, die Schmerzen werden danach aber noch schlimmer. Bilde ich mir das jetzt nur ein, oder ist das wirklich so? Ursula empfiehlt einen weiteren Klinikbesuch. Ich bin einverstanden.

Diesmal transportiert mein Vater mich. In der Klinik klage ich erneut über mein Leid. Der Arzt fragt, ob es nicht besser geworden ist. Schlechter, sonst wäre ich kaum hier. Er untersucht erneut mein Auge. Erneut stellt er nichts fest. Ich sage ihm, dass ich Tropfen gegen die Schmerzen will. Er zögert, scheint mir nicht zu glauben. Ich erkläre ihm, dass ich kaum hier wäre, wenn ich nichts hätte. Er untersucht mich erneut und ist dann bereit anzuerkennen, dass ich eine Entzündung habe, die vielleicht sogar diese Schmerzen verursacht. Dass ich ein schmerzempfindliches Weichei bin, scheint er zu ahnen, und er hat Recht damit. Weil er merkt, dass ich nicht nachgebe, schreibt er mir Augentropfen auf. Endlich. Mittlerweile geht es meinem Auge besser. Seltsam.
Als wir zurück an meinem Wohnort sind, suchen wir nach der Apotheke, die Notdienst hat, und stellen fest, dass diese in einem elf Kilometer entfernten Ort ist. Ich will da nicht hin, doch mein Vater besteht darauf, mich dorthin zu fahren. Meinem Auge geht es zwischenzeitlich fast prächtig. Es ist 21.52 Uhr als ich endlich wieder zurück in meiner Wohnung bin. Mein Auge scheint geheilt. Trotzdem führe ich meinem Auge die Augentropfen und die Augensalbe zu. Dann gehe ich ins Bett.

Am nächsten Morgen fühlt sich mein Auge gesund an. Ich stehe auf, um es mir im Spiegel anzuschauen. Es ist optisch etwas aus der Form geraten. Durch die Entzündung sind allerdings die Augenfalten weniger geworden. Dennoch denke ich, dass es so nicht wirklich besser aussieht. Ich führe dem Auge erneut Augentropfen und später die Augensalbe zu und bin gespannt, wie es sich weiterentwickelt. Als ich noch jung und knackig war, hatte ich solche Beschwerden nicht. Scheiß Verfall.

Sommerrhythmus
Obwohl noch kein Sommer ist, hinterlässt das Wetter einen anderen Eindruck. Und so stelle ich meinen Tagesablauf auf Sommer um. Die Lust, vor dem Fernseher zu sitzen und Filme zu gucken, hat nachgelassen. Der Fernseher wird erst gegen 21.00 Uhr eingeschaltet. Wenn überhaupt. Fernsehen ist sowieso kaum möglich, da die Gäste vom Café Bistro einen vorzüglichen Lärm verursachen, ich aber nicht bereit bin, die Fenster zu schließen. Spätestens um 23.00 Uhr liege ich im Bett, um noch etwas zu lesen. Auch das macht nicht wirklich Spaß, da der Lärm vom Café Bistro meine Konzentration auf das Buch arg stört. Die orientalische Musik wäre möglicherweise noch zu ertragen, die Geräuschkulisse, die sich um die Musik aufgebaut hat, allerdings nicht. Gegen Mitternacht wird es Zeit zum Schlafen. Natürlich bei geöffneten Fenstern und nie ohne Ohrenstöpsel, weil die Leute vom Café Bistro natürlich nicht vor Mitternacht, sondern meist viel später schlafen müssen bzw. das Café Bistro verlassen. Ohne Ohrenstöpsel würde ich garantiert keinen Schlaf finden. Anrufe bei der Polizei halte ich derzeit auch für besonders zwecklos, weil mich das zwei Jahre nicht weiter gebracht hat. Also Ohrenstöpsel rein und hoffen, dass es im Café Bistro nicht zu laut wird.
Gegen 06.00 Uhr wache ich kurz auf, nehme die Ohrenstöpsel raus und schlafe noch bis etwa sieben. Dann stehe ich auf und setze mich an den PC. An drei Tagen in der Woche breche ich gegen acht, halb neun, auf, um den Benz aus der Garage zu holen. Gegen neun Uhr bin ich dann im Fitnessstudio, turne dort bis zu einer Stunde herum und bin fast fertig mit dem Tag. Nachmittags gehe ich ab und zu in den Park, setze mich auf eine Bank und lese. Außer essen und trinken mache ich sonst so gut wie nichts. Wie gut mir das gefällt, weiß ich nicht, aber da ich nicht wirklich zufrieden bin, scheint es mir nur bedingt zu gefallen. Auch dieser Sommer wird irgendwann enden. Besser wird es dann vermutlich allerdings nicht. Nur anders. Manchmal möchte ich mein Leben nicht einmal geschenkt haben.

Arbeitslos(e) beim Jobcenter
Drei Wochen habe ich mich nicht mehr rasiert. Zumindest nicht im Gesicht. Und ich kann nicht behaupten, dass es wirklich gut aussieht. Da heute mein Termin beim Jobcenter ansteht, überlege ich, ob es nicht besser wäre, wenn ich mich rasiere, bin mir allerdings nicht sicher. Warum soll man als Arbeitsloser nicht auch ein wenig wie ein Arbeitsloser aussehen? Der Bart bleibt dran. Um meine Arbeitslosigkeit zu untermauern, will ich obendrein ein angemessenes T-Shirt anziehen. Schnell werde ich in meinem Schrank fündig. Die Wahl fällt auf ein rotes T-Shirt, welches nicht nur ziemlich verwaschen ist, sondern passend dazu völlig ausgeleiert ist und schlecht sitzt. Ein wenig zu kurz ist es außerdem. Der Blick in den Spiegel bestätigt, dass ich auf einem guten Weg bin. Wohin der Weg mich am Ende auch immer führen wird. Und der Blick in den Spiegel offenbart noch etwas. Ungewaschen passen meine Haare sehr gut zu Bart und T-Shirt. Ich glaube, dass ich jetzt wie ein richtiger Arbeitsloser aussehe und bin schon sehr gespannt, wie mein Auftritt bei der Frau vom Jobcenter ankommt. Ob sie mir dazu raten wird, mich zu rasieren?
Im Jobcenter muss ich zunächst vor dem Büro meiner neuen Arbeitsvermittlerin warten. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Arbeitsvermittler oder Arbeitsvermittlerinnen ich mittlerweile hatte. Auf dem Flur höre ich das Gespräch zweier Mitarbeiterinnen des Jobcenters. Eine der beiden ist ziemlich wütend. „Das ist doch einfach nicht zu ertragen. Die hat mich die ganze Zeit beleidigt. Auch privat. Die hat mich persönlich angegriffen und meine Familie beschimpft. Und meine Mutter. Diese Scheiß Türkin! Spricht kein Wort Deutsch, lässt alles übersetzen, und beschimpft mich. Und vielleicht bekomme ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde, weil ich kein Geld genehmigt habe. Und jetzt sitzen die oben beim Chef und bekommen vermutlich alles genehmigt. Dabei hat die gar keinen Anspruch auf die Umzugskosten.“ Man kann nicht behaupten, dass es nicht unterhaltsam und irgendwie interessant hier ist.
Fast zwanzig Minuten dauert es, bis ich endlich an der Reihe bin. Ich unterschreibe eine neue Eingliederungsvereinbarung und dann sucht meine neue Betreuerin, ich mag den Begriff Arbeitsvermittlerin nicht, nach Jobs für mich. Obwohl mich keiner der Vorschläge begeistert, sage ich, dass fast jeder Vorschlag interessant klingt und lasse mir fast jedes Angebot ausdrucken. Am Ende der Vermittlungsorgie habe ich acht Jobangebote. Danach macht mir meine Betreuerin sogar noch Kopien meiner Zeugnisse. Und weil man so viele Kopien nicht gut transportieren kann, bekomme ich noch eine Mappe für die ganzen Kopien. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, so gerührt bin ich. In einem Monat darf ich wiederkommen, dann machen wir das alles nochmal. Jeden Monat machen wir das jetzt. So lange, bis ich einen Job habe, oder bis das Projekt beendet wird. Ich bin sehr gespannt, was eher passieren wird.
Zurück zu Hause, ziehe ich mein T-Shirt aus und werfe es in den Müll. So ein schreckliches T-Shirt ist eine echte Zumutung. Nachdem das T-Shirt entsorgt ist, mache ich mich an die Arbeit, schreibe Bewerbungen und könnte fast ein Vorzeige Arbeitsloser sein.

Nachts, wenn die Nase juckt
Um 05.23 Uhr werde ich durch ein Jucken in der Nase wach. Als ich mir an die Nase fasse, stelle ich fest, dass mir etwas aus der Nase läuft. Ich denke mir, dass es cool wäre, wenn es Blut ist. Als ich direkt danach feststelle, dass es tatsächlich Blut ist, finde ich es doch nicht mehr cool. Bedeutet es doch, dass ich aufstehen muss, um irgendwas dagegen zu unternehmen. Ich stopfe mir ein Stück Taschentuch in die Nase. Meine Nase bleibt davon zunächst unbeeindruckt und blutet fröhlich weiter. Nun bin ich genervt. Ich habe doch keine Zeit für so etwas. Außerdem habe ich seit vier Tagen kein Nasenspray mehr genommen, da könnte meine Nase durchaus auf so einen Unsinn verzichten. Ich will weiterschlafen und kurze Zeit später ist es endlich vorbei. Die Nase wird müde und stellt das Bluten ein. Ich liege verwirrt im Bett. Nach ein paar Minuten stehe ich auf, gehe zu meinem Medizinschrank, öffne ihn, und nehme die Nasensalbe heraus. Irgendwo habe ich gelesen, dass Nasensalbe gut für meine Nase ist. Ich gehe zurück ins Bett, schmiere mir die Salbe in die Nase und frage mich, warum das eine Nasenloch mich am Atmen hindert. Normalerweise würde ich jetzt zum Nasenspray greifen, doch ich reiße mich zusammen und schlafe ein.

In (Poker)Gesichtern lesen
Mittlerweile ist es sehr selten geworden, dass ich pokere. Das liegt unter anderem daran, dass immer und überall um Geld gepokert wird und davon habe ich bekanntlich nicht so viel. Doch heute bin ich trotz persönlicher Finanzkrise Teil einer kleinen Pokerrunde. Wir sind zu acht. Einsatz 5€. So weit, so gut. Ich gehöre zu den passivsten Pokerspielern der Welt, schmeiße fast jedes Blatt weg und riskiere nichts. Folglich gewinne ich auch nichts. Heute möchte ich anders vorgehen und so setze ich zunächst den Mindestbetrag. Doch meine Mitspieler, von denen ich vier vorher noch nie gesehen habe, erhöhen ihre Einsätze prompt. Wenige Minuten später hat der erste Spieler all seine Chips verloren. Meine Freude, dass dieser Spieler nun ausgeschieden ist, währt nur kurz. Denn man darf sich zweimal neue Chips kaufen. Kostet jeweils nur 5 Euro. Ich hasse das. Dabei muss ich mindestens Dritter werden, um hier verlustfrei rauszukommen. Da ich weder an den Gesichtern der Spieler erkennen kann, ob sie bluffen oder nicht, noch irgendeine Vorstellung habe, wem die aufgedeckten Karten etwas bringen, bin ich stets ratlos. Meine Mitspieler hingegen wissen sehr schnell, was bei mir Sache ist. Ich spiele nur, wenn ich ein wirklich gutes Blatt habe. Bluffen kann ich auch nicht und so steigen die meisten aus, wenn ich mal ein paar Chips setze. Außer der Typ neben mir. Der geht immer mit. Und als wir beide viele Chips auf dem Tisch haben, hat er natürlich das Glück, dass die letzte Karte ihn rettet und ich verliere. Jeder normale Mensch wäre vorher ausgestiegen, er nicht. Und jetzt wird er für so eine dumme Aktion belohnt. Meine Chips neigen sich dem Ende entgegen. Ab sofort schmeiße ich jedes Blatt weg und setze nur noch, wenn ich setzen muss. Ich sitze es einfach aus und warte, wie sich die anderen gegenseitig die Chips klauen und sich wieder einkaufen. Zwischendurch esse ich Bananen. Wenn ich doch nur Gesichter lesen könnte, dann wäre ich sicher ganz weit vorne. Doch im Gegensatz zu den anderen kann ich nicht einmal in meinem Gesicht irgendetwas lesen. Das ist nicht hilfreich. Nach einer vorgegebenen Zeit können sich alle, die noch nicht dreimal Chips gekauft haben, wieder neu einkaufen. Um eine minimale Chance zu haben, kaufe ich für 5 Euro Chips nach. Das machen alle. Manche dürfen sogar für zehn Euro nachkaufen. Und so habe ich noch immer die wenigsten Chips am Tisch. Glücklicherweise habe ich übersehen, dass ein Spieler keine Chips mehr nachkaufen kann und deshalb ausgeschieden ist. Ich finde das sehr gut. Vier Spieler müssen jetzt noch vor mir ausscheiden, dann habe ich den dritten Platz sicher. Angesichts meiner wenigen Chips und meiner Unfähigkeit, Gesichter zu lesen, eine schier unlösbare Aufgabe. Ich schmeiße meine Karten weiter sofort weg und beobachte die anderen Spieler. Ich kann an den Gesichtern einfach nichts erkennen, was mich weiterbringt. Pokern ist in erster Linie ein Glücksspiel. Zumindest für mich. Nach einer Weile scheiden weitere Spieler aus. Das kommt davon, wenn man zu viel riskiert. Jetzt sind wir nur noch zu viert. Einen muss ich noch loswerden. Am besten den Typ neben mir. Dazu brauche ich nur ein gutes Blatt. Durch sein riskantes Spiel hat er mittlerweile fast so wenig Chips wie ich. Jetzt ein gutes Blatt, dann wird es eng für ihn. Und dann bekomme ich mein Blatt. Eine schöne kleine Straße. Und natürlich geht er mit. Ich gewinne, er ist fast raus. Die nächsten Spiele halte ich mich zurück, er riskiert weiter viel und verliert. Geschafft, ich werde den Abend ohne Verlust beenden. Wenige Minuten später bin ich aus dem Spiel. Passive Spieler gewinnen halt eher selten. Doch solange ich nicht verliere, will ich mich nicht beschweren. Ich habe vier Stunden kostenlos gepokert. Wenn ich jetzt noch Gesichter lesen könnte, dann wäre ich ein Gigant.

DAS Jobangebot
Am 20. Mai 2011 ruft Sam bei mir an, um mir ein neues Jobangebot zu unterbreiten. Er sucht einen Mitarbeiter, der für seinen Betrieb VBG 4 Prüfungen durchführt. Weil ich arbeitslos bin, hat er an mich gedacht. Ich bin weder erfreut, noch zeige ich ihm, dass mich sein Angebot begeistert, sondern bin völlig emotionslos, was ihn auf die Palme bringt. Darum hält er mir einen Vortrag über meine Einstellung und ich komme mir vor, als wäre ich sein Hündchen. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich ihm sagen, dass er so nicht mit mir reden kann, doch leider bin ich kein Mann, sondern ein arbeitsloser Haufen Scheiße. Und so lasse ich ihn seinen Vortrag halten. Er sagt, dass er mich schließlich zu einem Lehrgang, der 1500€ kostet, schicken muss, und da ist eine vernünftige Einstellung wichtig, weil das ja eine Menge Geld ist, das er da in mich investieren würde. Für ihn sind 1500€ in etwa so viel, wie 15€ für mich. Also was soll das Gejammer? Wie ein Hündchen höre ich brav weiter zu. Ab und zu sage ich „ja“ oder „hm“, um mein Interesse zu bekunden. Außerdem soll ich meine Einstellung überdenken, weil ich bei seinem Kunden nicht mit einer Scheißegal-Einstellung auflaufen darf. Warum eigentlich nicht? Wenn mir der Kunde scheißegal ist, warum soll ich dann so tun, als würde er es nicht sein? Ich murmel weiter „ja, ja“, und lasse ihn seinen Vortrag beenden. Immer wieder kommt er auf die Kosten für den Lehrgang. Ich sage ihm, dass es im Leben nichts umsonst gibt. Er muss lachen.
Es folgt Teil 2 der Unterhaltung. Er fragt mich, ob die ARGE es nicht fördert, wenn er mich einstellt. Spätestens jetzt könnte ich ihm durch den Telefonhörer ins Gesicht kotzen. Ich kann so etwas einfach nicht leiden. Ich habe sowieso eine Abneigung gegen Firmenbesitzer und mag ihre Art nicht, hasse es, wie sie rumjammern und versuchen, überall nur ihren Vorteil zu suchen. Ich frage mich, ob es daran liegt, dass solche Menschen in meinen Augen wirklich verachtenswert sind, oder daran, dass ich einfach nur neidisch bin, weil ich im Leben nichts auf die Reihe kriege. Ich hoffe, dass es nicht der Neid ist und sage ihm, dass die ARGE es bestimmt fördern wird, wenn er mich einstellt. Wie bescheuert ich das finde, sage ich ihm natürlich nicht. Geld kommt halt immer zu Geld. Er gibt mir ein paar Tage Bedenkzeit. Als ob ich wirklich eine Wahl hätte. Irgendwann muss ich arbeiten. Der Job interessiert mich zwar genauso wenig wie die meisten Jobs, aber was soll ich machen? Mein Leben wird zwar mit so einem Job nicht besser, aber der normale Durchschnittsbürger ist halt zum Arbeiten da. Und vielleicht verdiene ich ja etwas mehr als die ARGE mir derzeit bezahlt. Nächste Woche weiß ich vermutlich mehr. Vielleicht aber auch nicht.

Drei fast schon alte Männer
Einen Tag nach dem Jobangebot sitze ich mit Leorz und Manni im Extrablatt in Lünen. Wir tragen heute alle einen Henriquatre Bart, was ich durchaus witzig finde. Während wir die Sonne auf unsere Köpfe scheinen lassen, reden wir kurz über Sams Jobangebot. Loerz findet es gar nicht schlecht, Manni ist da schon eher skeptisch, weil er Sam als Arbeitgeber wenig prickelnd findet. Ich finde arbeiten grundsätzlich nicht prickelnd. Acht Stunden am Tag sowieso nicht. Wir reden noch eine Weile über das Angebot und Sam, als Loerz sagt, dass er ja nicht so viel mit Sam zu tun hat, und Sam ja mein Freund ist. Ich protestiere. Freund ist nicht die richtige Bezeichnung. Mit Freunden sitze ich hier am Tisch. Sam ist irgendwas anderes. Ich habe nur noch keinen Begriff dafür gefunden. Während ich so darüber nachdenke, was Sam eigentlich ist, fällt mir auf, dass niemand von meinen Freunden ihn wirklich leiden kann. Wirklich niemand? Das ist nicht so ganz richtig. Thommi und Gabi mögen ihn. Von den beiden habe ich seit Jahren nichts gehört. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Aber ansonsten möchte niemand wirklich etwas mit ihm zu tun haben. Das ist sehr interessant. Warum ist das wohl so? Bevor ich mich weiter damit beschäftige, muss ich mir erst sein konkretes Angebot für den Job anhören, dann bilde ich mir vielleicht ein abschließendes Urteil. Oder auch nicht. Wir drei, die wir das vierzigste Lebensjahr längst überschritten haben, sitzen noch eine Weile so da und lassen uns von der Sonne bescheinen. Und es erscheint mir vollkommen unglaubwürdig, dass wir wirklich schon so alt sind. Einerseits im besten Alter, andererseits an der Schwelle zum Greisentum.

Häufig ist das Leben einfach nur grausam
Wenn ich mich mit Freunden und Bekannten unterhalte, dann ist es so, dass die meisten nicht wirklich glücklich sind. Es gibt nur wenige, die es möglicherweise sind, oder zumindest so wirken. Aber der Großteil ist unzufrieden mit dem Leben. Mein Meister in der Ausbildung sagte mir damals, dass das Leben mit zunehmendem Alter auf manchen Ebenen leichter wird. Dass man mit gewissen Situationen besser zurechtkommt und diese einem keine Angst mehr machen. Eine Zeitlang schien es zu stimmen. Es wurden Dinge leichter. Vielleicht nahm ich sie auch einfach nur nicht mehr so schwer. Mittlerweile ist von diesem kleinen Fortschritt nichts mehr übrig. Das Leben erscheint oft unerträglich. Viele meiner Bekannten und Freunde sind mit ihrem Job unzufrieden. Immer mehr Stress bei mäßiger bis schlechter Bezahlung. Ständige Fragen nach dem Sinn des Lebens, ständig neue Hindernisse. Oft komme ich mir vor wie in einem Becken von Unzufriedenen und Zweifelnden. Depressionen sind keine Seltenheit. Sie treten in verschiedenen Ausführungen auf. Jegliche Unbeschwertheit, sollte sie jemals vorhanden gewesen sein, ist verflogen. Das Leben scheint nur noch aus Pflichten zu bestehen. Äußere Einflüsse stören die Harmonie ebenso wie die eigenen Gedanken. Ständiges Hinterfragen, ob man auch alles richtig macht. Nun könnte man dazu neigen, zu sagen, dass es eine vorübergehende Lebenskrise ist. Und es stimmt ja auch. Nur dass diese Krise vermutlich erst mit dem Ableben vorübergeht. Und egal in welcher Situation man sich befindet, arbeitslos, nicht arbeitslos, Single, verheiratet, kinderlos oder mit Kindern, Glück scheint nur in kleinen Schüben verfügbar zu sein. So versucht halt jeder so gut mit dem Leben zurechtzukommen, wie es für ihn möglich ist. Manche belügen sich selbst, Leben exzessiv, sind immer auf Achse, doch wenn sie mal innehalten, sieht man ihnen an, dass ihre ganze nach außen getragene Fröhlichkeit nichts weiter als eine Fassade ist. Für die Außenwelt und vor allem für sich selbst. Einige trinken, um es zu ertragen. Andere werfen sich Pillen ein. Wieder andere lassen weißes Pulver durch ihre Nasen wandern oder erfreuen sich an irgendwelchen Modedrogen. Andere suchen sich den Kick beim Sex. Alles, um sich abzulenken von den Grausamkeiten des eigenen Daseins, den Qualen des Lebens. Es scheint so, als wären viele Menschen nicht (mehr) in der Lage, wirklichen Spaß am Leben zu haben. Und so vergehen die Jahre, bis am Ende fremde Leute ein Loch für einen buddeln und man darin versenkt wird. So bleibt nichts weiter von einem übrig als Erinnerungen. Und das soll nicht grausam sein? Oder haben viele Menschen nur verlernt, die positiven Dinge zu sehen, und sind auf die negativen Dinge fokussiert? Ich jedenfalls bin es definitiv. Ich suche immer nur das Schlechte und fokussiere mich fast schon besessen darauf. Das ist krank und auch irgendwie bedenklich.

Gefangen
Ich sitze hier in meinem Gefängnis. Eingesperrt habe ich mich selbst. Vom Schlüssel fehlt jede Spur. Um mich herum tobt das Leben. In mir herrscht nur Leere. Die Zeiger der Uhr ticken unaufhörlich. Lebenszeit verrinnt. Wo habe ich die verdammten Schlüssel nur? Jahreszeiten kommen und gehen, die Tür zu meinem Gefängnis bleibt verschlossen. Niemand holt mich hier raus, denn niemand hat mich hier eingesperrt. Was bleibt, ist eine letzte Frage. Würde ich die Tür wirklich öffnen, wenn ich die Schlüssel wiederfände?

Patricia
Anstatt das schöne Wetter zu genießen und in der Natur unterwegs zu sein, sitze ich an meinem Rechner und begebe mich in einen Chat, um zu sehen, wer da so abhängt. Es hängen viele Menschen im Chat rum und ich begebe mich in einen Raum für Leute ab 40, die flirten wollen. Dort entdecke ich eine junge Frau, die angeblich auf ältere Männer steht. Es ist fast so, als kämen ihre Antworten aus einem Katalog, der gemacht wurde, um ältere Männer glücklich zu machen. Es entsteht eine Kommunikation, die es in dieser Form wohl ständig gibt. Eine Endlosschleife fast identischer Kommunikationen, die am Ende nicht wirklich zu etwas führt. Natürlich reden wir über sexuelle Vorlieben und dass wir beide mit dem anderen ins Bett wollen. Logisch, denn schließlich haben wir uns noch nie gesehen, wissen nicht einmal, ob wir sind, wer wir vorgeben zu sein. Solche Gespräche sind kurzzeitig amüsant, dann plötzlich nicht mehr. So auch heute. Daher schlage ich vor, dass wir telefonieren und gebe der Frau meine Telefonnummer. Als das Telefon wenige Augenblicke später tatsächlich klingelt, bin ich durchaus überrascht. Die Frau am anderen Ende der Leitung klingt für mich nicht wie eine 23 jährige, sondern um einiges älter, was aber täuschen kann. Ihre Stimme, die Art, wie sie redet und was sie redet, ist wenig überzeugend. Sie sagt, sie heißt Patricia, lacht nach einer Weile über meine albernen Witze und beantwortet fast alle meine Fragen nach ihren sexuellen Gewohnheiten. Das ist durchaus interessant, führt letztlich aber auch zu nichts. Es ist wie chatten am Telefon, weshalb ich vorschlage, sie am nächsten Wochenende zu besuchen, weil wir es ja beide wollen. Erwartungsgemäß erklärt sie sich einverstanden und sagt, dass sie mich nur leicht bekleidet empfangen wird. Alles andere hätte mich auch gewundert. Da ich denke, dass wir nun lange genug telefoniert haben und durch sind mit dem Gespräch, frage ich, wie wir in Kontakt bleiben, da sie mich mit unterdrückter Nummer angerufen hat und ich so natürlich keine Möglichkeiten habe, sie zu kontaktieren. Sie sagt, dass sie sich bei mir meldet und wir verabschieden uns. Ich gehe nicht davon aus, je wieder von ihr zu hören. Nicht nur deshalb wäre für meinen Körper ein Spaziergang definitiv die bessere Entscheidung gewesen. Aber seit wann treffe ich schon richtige Entscheidungen?

Die Spinne
Tag 1. Ich wache gegen 06.30 Uhr auf. An der Decke sitzt eine kleine Spinne. Spinnen fange ich normalerweise mit einem Glas und entlasse sie dann auf den Balkon. Doch dafür ist es noch zu früh, also schlafe ich wieder ein. Um 07.15 Uhr habe ich genug geschlafen. Die Spinne sitzt immer noch da. Sie sieht größer aus. Ich gehe in die Küche, um ein Glas zu holen. Als ich zurück ins Schlafzimmer komme, ist die Spinne verschwunden.

Tag 2. Um 06.20 Uhr wache ich auf. Viel zu früh. An der Decke sitzt eine Spinne. Definitiv eine andere als gestern. Diese ist größer. Ich sage ihr, dass sie verschwinden soll, weil ich keine Spinnen in meiner Wohnung haben will und schlafe wieder ein. Um 07.04 Uhr wache ich auf. Mehr Schlaf brauche ich nicht. Die Spinne sitzt noch immer an der Decke. Ich sage ihr, dass sie gleich auf den Balkon gebracht wird. Ich stehe auf, gehe in die Küche und hole ein Glas. Als ich zurückkomme, ist die Spinne verschwunden.

Tag 3. Es ist 05.40 Uhr, als ich aufwache. Wieder sitzt eine Spinne an der Decke. Sie ist größer als die Spinne gestern. Ich frage sie, ob sie die anderen Spinnen gefressen hat. Sie antwortet nicht. Weil mich diese Spinne irritiert und ich nicht wieder einschlafen kann, gehe ich in die Küche, um ein Glas zu holen. Als ich zurück ins Schlafzimmer komme, ist die Spinne verschwunden. Ich suche noch kurz nach ihr, dann gebe ich auf und gehe zur gewohnten Tagesordnung über.

Tag 4. Um 05.45 Uhr wache ich auf. Instinktiv blicke ich zur Decke und erschrecke. Dort sitzt eine etwa 15 cm große Spinne und starrt mich an. Zumindest habe ich das Gefühl, dass sie mich anstarrt. Stundenlang schaue ich zu ihr rauf. Ich muss träumen. So große Spinnen gibt es hier nicht. Sie bewegt sich nicht. Vorsichtig verlasse ich mein Bett, beobachte dabei die Spinne, und schleiche mich aus dem Zimmer. Was soll ich jetzt machen? Die sitzt wirklich da. Die kann ich nicht einmal mit einem Glas fangen. Woher kommt das Viech? Durch die andere Tür gehe ich zurück ins Schlafzimmer und werfe einen Blick zur Decke. Deutlich erkenne ich, dass die Spinne mich beobachtet. Sie hat sich zu mir gedreht und schaut mich mit ihren blauen Augen an. Seit wann haben Spinnen blaue Augen? Ich bekomme Gänsehaut. Die Spinne muss weg. Aber wie? Mit einer Zeitung erschlagen? Wohl kaum. Insektenspray? Habe ich nicht. Abfackeln? Erscheint mir durchaus sinnvoll. Sie starrt mich noch immer an. Ich gehe langsam zurück ins Wohnzimmer, nehme das Feuerzeug vom Tisch, gehe ins Bad, um mir eine Dose Axe zu holen. Damit werde ich sie abfackeln. Ich schleiche, schleiche tatsächlich auf Zehenspitzen zurück ins Schlafzimmer. Keine Spur von der Spinne. Das kann nicht sein. Ich habe Gänsehaut. Wie verrückt suche ich, mit meiner Feuerwaffe bewaffnet, nach der Spinne. Sie bleibt verschwunden. Ist es jetzt so weit? Werde ich jetzt verrückt? Es ist 06.04 Uhr.

Tag 5. Ich kann nur schlecht einschlafen und bin schon um 05.45 Uhr wieder wach. Neben meinem Bett liegt das Feuerzeug, eine Dose Axe und Insektenspray, welches ich extra besorgt habe. Ich bin auf alles vorbereitet, blicke zur Decke und bekomme einen Riesenschreck. Die Spinne, die an der Decke sitzt, ist mindestens einen Meter groß und starrt mich an. Das kann nicht real sein. Ich muss träumen. Ich will mir die Augen reiben, doch kann ich meine Arme nicht bewegen. Außer meinem Kopf kann ich gar nichts bewegen. Ich bin gefangen. Die Spinne muss mich, während ich schlief, eingewickelt haben. Nur meinen Kopf kann ich etwas bewegen. Was hat das Biest mit mir vor? Ich bin so geschockt, dass ich nicht einmal schreie. Vermutlich würde das eh nichts bringen. Was ist das nur für ein widerlicher Traum? Die Spinne starrt mich an. Langsam lässt sie sich zu mir runter. Das muss mein Ende sein. Sie kommt näher und näher. Jetzt ist sie direkt vor meinem Gesicht. Nun wird sie mich mit ihrem Gift töten. Ich spüre, wie das Gift meinen Körper lähmt. Ein letztes Mal sehe ich sie an und kann es kaum glauben. Die Spinne bin ich.

Ein ganz normaler Tag im Mai
30. Mai 2011. 14.24 Uhr. Ich sitze auf einer Bank im Park und lese. Ich. Erfolg kommt von innen. Definitiv nicht das richtige Buch für einen Parkbesuch. Möglicherweise auch nicht das richtige Buch für mich. Im See schwimmen Enten, einige Meter weiter angeln ein paar Jugendliche, ab und zu kommen Menschen mit ihren Hunden vorbei. Sie beachten mich nicht. Warum auch? Ich bin ein Teil der Natur. Zumindest bilde ich es mir ein. Ich gehöre zu dieser Bank, wie die Enten in den Teich. Allerdings nur bei schönem Wetter. Bei schlechtem Wetter gucke ich Filme oder starre die Wand an. Das Buch ist mir irgendwie zu anstrengend, mir ist eher nach seichter, leichter Unterhaltung, doch damit kann ich mir nicht dienen, also lese ich einfach weiter. Ab und zu schicken Menschen ihre Hunde direkt vor mir ins Wasser. Die Hunde haben scheinbar Spaß und wirken ausgelassen. Wann war ich das letzte Mal so ausgelassen? Ob ich auch mal in das dreckige und durchaus stinkende Wasser gehen sollte? Heute noch nicht. Vielleicht ein anderes Mal.
Um 16.22 Uhr verlasse ich meine Bank, weil ich Hunger habe und weiß, dass bei meinen Eltern noch leckeres Mittagessen auf mich wartet. Ich esse zweimal täglich zu Mittag. Mein Körper braucht das, um nicht völlig zu zerfallen.
Um 17.14 Uhr bin ich zurück in meiner Wohnung, sitze bis 20.44 Uhr einfach so da und mache nichts außer atmen und starren. Eine sehr beschränkte und durchaus nutzlose Tätigkeit. Nachdem ich aufgehört habe zu starren, heize ich den Backofen vor und zaubere mir anschließend zwei Brötchen. Diese verspeise ich wenig später auf dem Balkon. Die Brötchen schmecken vorzüglich. Nachdem ich sie verspeist habe, bringe ich den Teller in die Küche, putze mir die Zähne und kehre auf den Balkon zurück. Ich lese Wandelgermanen. Langsam wird es dunkel.
Um 21.54 Uhr mag ich nicht mehr lesen. Es ist zu dunkel und ich starre in den Himmel. Schön sieht er aus. Die Leute vom Café Bistro erwachen. Ich mag das nicht und verlasse nach einigen Minuten den Balkon, um Musik zu hören. Ich nehme eine CD von Pavarotti, schalte den Verstärker ein und noch bevor ich die CD einlege, spielt die Musik. Ich bin verwirrt und irritiert, schaue auf die CD in meiner Hand, lausche der Musik und bin frustriert, denn ich höre Musik vom Café Bistro. Das habe ich so nicht gewollt. Es ist 22.22 Uhr. Minutenlang sitze ich mit der CD in der Hand auf dem Boden und bin nicht in der Lage zu agieren. Tot bin ich aber nicht.
22.40 Uhr. Ich habe es geschafft, vom Boden aufzustehen, den PC angeschaltet und höre Juliane Werding. Der Schatten malt den Teufel an die Wand. Ich schalte den Monitor aus, lege mich im Wohnzimmer aufs Sofa. Es ist fast vollständig dunkel. Durch die Balkontür sehe ich nach draußen. Die Dunkelheit breitet sich mehr und mehr aus. Minuten später greife ich Richtung Fernbedienung, weil ich die Musik leiser machen will, greife aber daneben und werfe ein mit Wasser gefülltes Glas um. Das Wasser erreicht mühelos alle Fernbedienungen auf dem Tisch. Kein Grund mich aufzuregen. Nachdem alles abgetrocknet ist, liege ich wieder auf dem Sofa, träume vor mich hin und frage mich, was ich eigentlich früher für Träume hatte. Ich habe keine Ahnung von meinen Träumen. Hatte ich je welche, und wenn ja, wo sind sie hin? Vielleicht war mein Traum auch stets, mein Leben lang zu jeder Zeit träumen zu können. Dann hätte ich alles erreicht und könnte zufrieden sein. Aber will ich überhaupt zufrieden sein? Passt Zufriedenheit zu mir? Mit der Frage mag ich mich jetzt nicht beschäftigen. Ich muss jetzt weiter träumen und höre dabei Juliane Werding. Schwarz.

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