März 2012

Ich geh Moschee
Als ich meine Wohnung verlasse, treffe ich meine türkische Nachbarin und sage: „Hallo“. Sie antwortet: „Ich geh Moschee“. Damit hat sie mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich bin verwirrt und frage sie, ob sie jeden Sonntag geht. Sie erzählt, dass sie in die Moschee geht und den Koran liest. Es ist wohl ein besonderer Tag. Ihr Sohn ist gestorben, ihr anderer Sohn auch. Ich bin völlig überfordert. Sie spricht nicht so gut deutsch und ich kenne mich mit den geistlichen Gebräuchen nicht aus. Sie sagt, dass einmal im Jahr ein besonderer Tag ist und sie im Koran liest. Meiner Meinung ist damit auch alles gesagt und ich suche nach einer passenden Verabschiedung. „Viel Spaß“ halte ich für wenig angemessen. „Viel Glück“ erscheint ebenso unangebracht. Wobei sollte ich ihr Glück wünschen? Beim Weg zur Moschee? Beim Lesen des Koran? Ich denke weiter darüber nach. „Alles Gute“ erscheint mir auch unpassend. „Mein Beileid“ halte ich ebenso für unpassend. Schließlich sind die Söhne schon länger tot. Während ich verzweifelt nach einem passenden Schlusswort suche, guckt sie mich an. Das ist irgendwie peinlich. Weil von mir nix mehr kommt, geht sie einfach die Treppe runter und ich stehe ratlos vor meiner Wohnungstür. Mit mir kann man sich echt nicht vernünftig unterhalten.


Entspannter Arbeitsloser
Ich bin nicht zum ersten Mal arbeitslos und mit Sicherheit auch nicht zum letzten Mal. Doch ich kann mich nicht daran erinnern, je zuvor so entspannt in die Arbeitslosigkeit geglitten zu sein. Ich schlafe entspannter und ohne unnötige Unterbrechungen, hasse den Tag nicht schon bevor er begonnen hat und verfluche ihn nicht rund um die Uhr. Ich habe keinen unnötigen Stress, keine 40 Stunden Woche und nicht ständig irgendwelche Informationen aus der Arbeitswelt zu verdauen. Ich muss nicht an Dingen verzweifeln, die mich nicht interessieren und nicht den ganzen Tag Dinge tun, die mich nur ankotzen. Ich kann einfach nur atmen und entscheide selbst, wann ich was mache und wie lange ich es mache. Es gibt keine Regeln, die mir den Tag versauen. Lediglich die Tatsache, dass mir ab nächsten Monat etwa 300€ fehlen werden, bereitet mir Sorgen. Und so muss ich eine Möglichkeit finden, wie ich monatlich 300€ mehr auf mein Konto bekomme, ohne dafür 40 Stunden der Hampelmann von irgendwem zu sein. Eine scheinbar unlösbare Aufgabe. Doch egal, was es am Ende für eine Lösung für das finanzielle Problem gibt. Eine 40 Stunden Woche ist definitiv keine akzeptable Lösung. Denn davon werde ich nur depressiv und muss kotzen. Und depressiv durch die Gegend zu kotzen ist nichts, was in meinen Augen erstrebenswert ist.


Ehrenamt
Weil die Bürgerarbeiterin der Chefin sagt, dass sie nicht mehr weiter arbeitet, wenn diese mich nicht als ehrenamtlichen Mitarbeiter einstellt, ruft mich die Chefin an, um zu fragen, ob ich es mir vorstellen kann, ehrenamtlich für zwanzig Stunden in der Woche das zu tun, was ich in den letzten Monaten täglich getan habe. Arbeitslosen Bewerbungen schreiben und die Bürgerarbeiterin unterstützen. Da ich dringend Geld brauche und die Tätigkeit einigermaßen beherrsche, sage ich sofort zu. Alles andere wäre albern und mehr als dämlich. Ab sofort bin ich ein Ehrenmann. Es fühlt sich fast an, wie erwachsen werden. Aber nur fast. Von nun an werde ich jeden Donnerstag fünf Stunden beschäftigt sein und bekomme auch noch Geld dafür. Somit fehlen mir monatlich nur noch 125 Euro. So schnell können sich die Dinge ändern.


Laptop
Vor einiger Zeit dachte ich zum ersten Mal darüber nach, ob es Sinn machen würde, mir einen Laptop zuzulegen. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, glaube aber, dass ich irgendwie beeinflusst wurde, bis ich selber der Meinung war, dass so ein Laptop eine gute Sache ist. Weil ich aber kein Geld für einen Laptop habe und nicht gerne auf Kredit einkaufe, entschied ich mich gegen den Kauf eines Laptops. Vielleicht habe ich auch nur vergessen, mich weiter damit zu beschäftigen.
Heute besucht mich Agnes und teilt mir mit, dass sie ein Geschenk für mich hat. Da ich Geschenke liebe, will ich natürlich sofort wissen, um was für ein Geschenk es sich handelt. Zu meiner Überraschung überreicht sie mir einen Laptop. Ich bin dermaßen überrascht, dass es mir sogar die Sprache verschlägt. Plötzlich und unerwartet bin ich Besitzer eines Laptops. Mir ist es natürlich etwas unangenehm, ein so teures Geschenk einfach so zwischendurch zu bekommen, doch kann ich es auf keinen Fall ablehnen. Weil ich nicht weiß, wie ich mich bedanken soll, schlafe ich mit Agnes. Direkt im Anschluss daran, also wenige Augenblicke später, probiere ich meinen Laptop aus. Schon nicht schlecht, so ein Teil. Agnes gefällt mir auch immer besser, obwohl das eigentlich nicht noch besser geht. Wieso habe ich eigentlich immer so ein Glück mit Frauen? Und was kann ich mir als nächstes wünschen? Eine Ferienwohnung? Ein Privatjet? Mal sehen. Ich muss mich ja noch nicht heute entscheiden. Weil ich mich so freue, darf Agnes nachher einfach nochmal mit mir schlafen. Geht auch ganz fix. Alles andere wäre albern und würde der Sache nicht gerecht werden.


Der Verfall und mein linkes Auge 5
Fast zwei Monate sind vergangen, seit mein Auge nicht mehr so ist, wie es einmal war. Heute muss ich viermal zur Augenarztpraxis, um meinen Augendruck an verschiedenen Tageszeiten messen und das Gesichtsfeld überprüfen zu lassen. Zum ersten Mal seit Jahren ist der Test des Gesichtsfelds positiv. Keinerlei Beeinträchtigungen werden festgestellt. Ich bin überrascht. Nach der vierten Messung des Augendrucks bin nicht nur ich, sondern auch die Ärztin überrascht. Der Druck ist nicht zu beanstanden. Haben meine homöopathischen Mittel etwa geholfen? Die Hornhauttrübung ist auch nicht mehr zu erkennen, dennoch ist die Sehkraft auf dem lädierten Auge anders als auf dem rechten Auge. Ende Mai wird diese Veränderung erneut überprüft. Eine Sehkraftveränderung finde ich jedenfalls nicht toll. Noch weniger gefällt mir allerdings die Aussage der Ärztin, dass ich vermutlich keine Kontaktlinsen mehr tragen darf. Schlagartig bekomme ich schlechte Laune, denn ich hasse es, mit Brille durchs Leben zu irren. So eine Brille zerstört meine ohnehin mäßige Optik total. Mit Brille sehe ich wie ein Vollpfosten aus und fühle mich dementsprechend. Wie soll ich mit Brille Spaß am Leben haben? Wie soll ich mit Brille jemals Erfolg haben? Wie soll ich mich mit Brille akzeptieren können? Das geht nicht. Eine Brille passt genauso wenig zu mir, wie eine Kuh auf den Eifelturm gehört. Beides ist machbar, aber völlig unpassend. Scheiße, jetzt bekomme ich eine Brillendepression.


HSP
Ich neige dazu, gelegentlich irgendwelche Tests zu machen, um herauszufinden, wer ich bin und wie lange ich es wohl noch sein werde. Heute mache ich deshalb einen HSP-Test, habe 224 von 300 Punkten und bin deshalb ab sofort ein hochempfindlicher Mensch. Was ich mit dem Wissen anfangen kann, bleibt mir dennoch unklar, da ich keine Lust habe, mich wirklich in das Thema einzulesen. Ich gehe davon aus, dass es mich beruflich und sexuell nicht weiterbringen wird und sowieso mindestens 75% aller Menschen, die den Test machen, hochempfindliche Menschen sind. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass ich ein menschliches Produkt bin. Alles andere hätte mich auch gewundert.


Gewächshaus
Wieder einmal sitze ich mit Manni an der Ecke, schlürfe eine Fanta und bewundere all die kuriosen Menschen, die an uns vorüber gehen. Während ich verträumt den kuriosen Menschen mit den Augen folge, sagt Manni, dass er ein Geschenk für mich hat. Ich liebe Geschenke und bin sofort neugierig wie ein kleiner Dackel. Nachdem wir ausgetrunken haben, gehen wir zu Mannis Auto, weil mein Geschenk dort auf mich wartet. Zwei Mini-Gewächshäuser. Einmal Gurke, einmal Paprika. Es soll möglich sein, sich damit eine Art Gemüsegarten anzulegen. Weil Manni findet, dass mein Balkon perfekt für eine solche Aufgabe ist, hat er mit die beiden Mini-Gewächshäuser mitgebracht. Ich bin erfreut, jedoch wenig hoffnungsvoll, was den Erfolg meiner Züchtung angeht. Außer Kakteen habe ich noch jede Pflanze in den Tod getrieben. Warum also sollte es diesmal anders sein? Dennoch werde ich mein Bestes geben und alles versuchen, dieses Mal nicht zu versagen. Die Chancen, dass die Pflanzen bei mir prächtig gedeihen, liegen bei etwa 7%. In ein paar Tagen wird das Experiment Gewächshaus starten.


Bewerbungen und Umstrukturierungen
Kaum bin ich einen Monat richtig arbeitslos, sitze ich im Jobcenter bei meiner Betreuerin, um über meine berufliche Zukunft zu sprechen. Das finde ich albern, ist meine berufliche Zukunft doch schon seit Jahren im Arsch. Meine Betreuerin ist dennoch engagiert. Und das, obwohl sie eine böse Erkältung hat und eigentlich zu Hause bleiben wollte. Wäre sie das mal. Nun steckt sie mich womöglich noch mit Ihrer ganzen Scheiße an und dann bin ich auch krank. Das ist doch völlig unsinnig und unproduktiv. Während ich gemütlich auf meinem Stuhl sitze, sucht sie nach passenden Jobs. Sieben Mal wird sie fündig, druckt mir die Angebote aus und sagt, dass ich sie längst hätte selber finden können. Es scheint so, als würde sie mich darauf aufmerksam machen wollen, dass ich nicht ernsthaft nach Jobangeboten gesucht habe. Da hat sie vollkommen recht. Ich habe nämlich keine Zeit für so etwas. Ich gehe jede Woche einmal ehrenamtlich arbeiten und die anderen Tage muss ich dazu nutzen, mich zu entspannen. Einfach mal die Seele baumeln lassen. Sollte sie auch mal versuchen, dann wäre sie jetzt womöglich nicht in einem so miserablen Zustand. Außerdem bin ich arbeitstechnisch ein hoffnungsloser Fall. Arbeiten ist einfach nichts für mich. War es nie, wird es nie sein. Davon bekomme ich nur Depressionen. Ich weiß wirklich nicht, was an Arbeit so toll sein soll und bin für die Arbeitswelt nur maximal bedingt geeignet. Meine bisherige Karriere spricht doch eindeutig dafür, dass bei mir Hopfen und Malz seit Jahren verloren sind. Trotzdem werde ich immer wieder aufs Neue belästigt und mit irgendwelchen Jobangeboten überschüttet. Herrlich, sinnloser Unsinn für Zwischendurch. Kurz vor Ende unserer Unterhaltung sagt meine Betreuerin mir, dass ich nur dann Bewerbungskosten erhalte, wenn ich jede Bewerbung individuell schreibe. Das wird genau überprüft. Ich deute an, wie sehr mir das missfällt., was wiederum ihr missfällt. Ich schätze, dass wir auch in diesem Punkt völlig unterschiedliche Auffassungen haben und auf keinen Nenner kommen. Ich glaube, ich möchte an einem Bewerbungstraining teilnehmen, um zu lernen, wie man individuelle Bewerbungen verfasst. Sollten tatsächlich irgendwann die Bewerbungskosten abgelehnt werden, werde ich unverzüglich auf so einem Bewerbungstraining bestehen. Zum Abschied wird mir noch mitgeteilt, dass mein nächster Termin hier am 23. Mai ist. Meine Betreuerin weist mich noch darauf hin, dass es möglich ist, dass sie dann in einem anderen Büro sitzt, oder sogar jemand anderes für mich zuständig ist, weil große Umstrukturierungen anstehen. Umstrukturierungen sind seit Jahren der Renner bei dieser Behörde. Ich vermute, dass es nach dieser Umstrukturierung gar keine Arbeitslosen mehr geben wird. Darauf freue ich mich jetzt schon. Nun aber ist es an der Zeit, sich zu verabschieden. „Ich kann Ihnen nicht die Hand geben, weil ich erkältet bin.“ – „Ist auch besser so.“ Mit diesen durchaus freundlichen Worten verabschiede ich mich von meiner Betreuerin und mache mich auf den Weg nach Hause, um die Bewerbungen zu schreiben. Individuell und mit ganz viel Liebe. Denn alles andere ist nicht vertretbar.


Erste Erkältung des Jahres / Erste Nasenspülung des Lebens
Als mich die ersten Symptome einer Erkältung ereilen, bin ich etwas frustriert. Dieses Jahr wollte ich keine Erkältung, weil ich dafür zu schwach, zu wehleidig und zu alt bin. Doch scheinbar interessiert es nicht, was ich will. Das hat meine Betreuerin wirklich toll hinbekommen. Ich bin sicher, dass ich ihr diese Erkältung zu verdanken habe. Wie kann man nur erkältet ins Büro gehen und andere Menschen in eine solche Lage bringen? Das ist unverantwortlich und gehört bestraft.
Um es der Erkältung möglichst schwer zu machen, nehme ich fast stündlich Meditonsin und trinke Erkältungstee. Anfangs scheint meine Erkältung davon beeindruckt, doch im Laufe des Tages stellt sie sich darauf ein und breitet sich aus. Gegen Abend schließt sich meine Nase langsam und das Atmen macht weniger Spaß. Ratlos sitze ich auf meinem Sofa. Auf die Idee mit Teebaumöl zu gurgeln komme ich nicht. Während ich mich meinem Schicksal ergebe, schlägt Agnes mir vor, dass ich meine Nasenspülkanne, die ich vor einigen Tagen geschenkt bekam, für eine Nasenspülung benutzen soll. Wieso bin ich da nicht selber draufgekommen? Die grüne Nasenspülkanne habe ich mir doch extra dafür schenken lassen, um all den unnützen Müll aus meiner Nase zu spülen. Wegen meiner Angst, möglicherweise zu ertrinken, verzichtete ich aber bisher aber auf das Nasenspülexperiment. Doch heute muss ich es probieren. Wenn nicht jetzt, wann dann? Also mache ich mich auf den Weg ins Bad, fülle den Messbecher mit Salz, befördere das Salz in die Nasenspülkanne und fülle sie mit lauwarmem Wasser. Ich lese die Bedienungsanleitung und stopfe den Ausgießer der Nasenspülkanne, der irgendwie pervers aussieht, in mein rechtes Nasenloch. Ich folge den Anweisungen, dass Wasser läuft mir in den Hals, ich breche ab. Das war widerlich. Doch aufgeben geht nicht. Beim zweiten Versuch gieße ich mir so viel Salzwasser durch die Nase in den Hals, das ich fürchte zu ertrinken. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Einen Versuch gebe ich mir noch. Ich konzentriere mich und schaffe es tatsächlich, dass die Salzlösung ins rechte Nasenloch hinein und aus dem linken heraus läuft. Dennoch habe ich Angst zu ertrinken oder zu ersticken, weshalb ich nur die Hälfte der Flüssigkeit durch meine Nase laufen lasse bevor ich die Seiten wechsle. Es folgt Schritt 3. Das Trocknen. Dazu soll ich den Kopf locker hängen lassen, was für einen verkrampfen Typen wie mich schon nicht einfach ist, und den Naseninnenraum freiblasen, indem ich durch beide Nasenöffnungen kräftig ausatme. Die Wirkung des Freiblasens kann ich dadurch erhöhen, abwechselnd eine der beiden Nasenöffnungen zuhalte. Klingt logisch. Wichtiger Warnhinweis zum Schluss: Bitte vermeiden Sie es aber, durch gleichzeitiges Verschließen beider Nasenöffnungen Überdruck in der Nasenhöhle zu erzeugen. Ein Hinweis für die ganz Bekloppten. Dennoch vermute ich, dass der eine oder andere es nicht lassen kann, es auszuprobieren. Am Ende des Experiments bin ich zwar etwas verwirrt, kann aber viel besser atmen. Morgen früh werde ich es gleich nochmal probieren. Nasenspülungen sind cool.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert