Erstes Vorstellungsgespräch 2011
Mein erstes Vorstellungsgespräch des Jahres findet bei einem Verein, der sich um behinderte Kinder kümmert, statt. Es geht darum, dass ich als Schulbegleitung für einen behinderten Jungen arbeiten soll. Die Frau, mit der ich das Gespräch führe, ist nicht besonders schlank. Dafür mag ich ihr Gesicht. Während sie mir von dem Job erzählt, kann ich gar nicht aufhören ihr Gesicht zu betrachten. Ich mag ihr Haar, ihre Augen und ihre Lippen. Wir sollten uns mal privat treffen, damit ich sie mir ganz entspannt und ohne schlechtes Gewissen angucken kann. Ihre Hände gefallen mir auch. Die würden sich sicher gut auf meinem Körper anfühlen. Ab und zu nicke ich und grinse sie an. Ihre Brüste sind echt groß. Mindestens Körbchengröße E. Oder auch F. Ich mag es lieber kleiner, weshalb ich mir wieder ihr Gesicht anschaue. Die Stimme, die leicht rau klingt, gefällt mir ebenfalls. Wenn sie meine Chefin wird, dann versuche ich bestimmt mit ihr zu flirten und sie zu küssen. Denn zum Küssen ist sie da.
Während ich sie betrachte und mich frage, wie es wohl ist, sie zu küssen, nehme ich folgende Informationen zum Job wahr. Ich soll einen 13jährigen, geistig behinderten Jungen, der unter Epilepsie leidet, täglich von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr in der Schule betreuen. Das beinhaltet auch die Betreuung beim Sport und beim Schwimmen. Ich hasse Schwimmen. Jeden zweiten Samstag steht eine Wochenendbetreuung von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr an. Ich hätte eine 35-Stunden-Woche bei einem Bruttogehalt von 1166€. Das ist absolut nicht viel. Irgendwie haben die Fakten und Informationen meine Freude an ihrem Gesicht getrübt und jetzt erwartet sie auch noch, dass ich irgendwas sage. Dabei bin ich verwirrt und weiß gar nicht, was ich sagen soll, deshalb sage ich, dass sich das alles interessant anhört, ich aber Bedenkzeit brauche und mich morgen bei ihr melde. Sie sagt, dass sie ein gutes Gefühl hat. „Das sagen Sie bestimmt zu jedem Bewerber.“ – „Nein. Da mache ich nicht.“ – „Na gut.“ Sie geht mit mir in einen Raum, um mir eine Kollegin vorzustellen. Leider ist diese Kollegin gerade nicht da. „Schade, ich wollte Ihnen eine sympathische Kollegin vorstellen.“ – „Das war mir bis jetzt schon sympathisch genug hier.“ Mit diesem Satz verabschiede ich mich von ihr und darf nun darüber nachdenken, ob ich den Job möchte oder nicht, ob ich überhaupt Zeit dafür habe und ob ich so viel Verantwortung tatsächlich übernehmen kann. Manchmal, nein meistens, ist das Leben mir echt zu kompliziert.
Meine Bekannten, denen ich von dem Job erzähle, sind der Meinung, dass der Job etwas für mich ist. Ich komme nach reiflicher Überlegung zu einem anderen Ergebnis. Mir einen geistig behinderten Jungen, der obendrein unter Epilepsie leidet, anzuvertrauen, ist in meinen Augen etwa so gewagt, als würde man einem völlig Betrunkenen seinen Autoschlüssel geben und sich von ihm nach Hause fahren lassen. Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Und wenn es nicht gutgeht, dann Gute Nacht. So etwas möchte ich keinem Unschuldigen zumuten. Deshalb entscheide ich mich dafür, mich dagegen zu entscheiden. So habe ich möglicherweise mal wieder eine Chance nicht genutzt, aber vermutlich einem behinderten Jungen zu einem besseren Betreuer verholfen.
Seriöses Casting
Pünktlich erscheine ich zum Castingtermin im Hotel Esplanade in Dortmund. Manni habe ich als Begleitung mitgenommen, weil ich so ein Casting alleine wohl kaum ertragen könnte. Nach wenigen Minuten Wartezeit werden wir von einer Frau in einen Raum geführt. Dort stehen acht bis zehn Tische. Diese Tische sind mit Trennwänden voneinander getrennt. Alle Tische sind besetzt. Wir setzen uns mit der Frau an den letzten freien Tisch. Die Frau fragt nach meinem Ausweis. Als ich ihr diesen auf den Tisch lege, ist sie wohl etwas verwirrt. „Was ist denn das?“ Kurzes Schweigen. „Ach, das ist der neue deutsche Personalausweis.“ Was sollte es auch sonst sein? Meine Kundenkarte vom Weltbild-Verlag? Das geht ja schon gut los. Nun stellt sie ein paar langweilige Fragen. Unter anderem, ob ich tanzen oder singen kann oder sonst irgendein Talent habe. Ich verneine und wirke wohl etwas desinteressiert, weshalb sie fragt, warum ich überhaupt hier bin. Ich sage ihr, dass ich keine Ahnung habe und einfach nur neugierig bin. „Aber sie haben sich doch auf der Webseite angemeldet. Da müssen Sie doch einen Grund gehabt haben.“ – „Ja. Aber das ist lange her und ich kann mich nicht mehr erinnern.“ Ich glaube nicht, dass ihr die Antwort gefällt, dennoch machen wir weiter. „Was können Sie denn?“ Ich verstehe nicht ganz, was sie von mir will und gucke sie fragend an. „Was haben sie denn für einen Beruf gelernt?“ Das ist doch mal eine präzise Frage, die ich ihr prompt beantworte. Sie notiert meine Antwort auf einem Zettel und möchte nun erneut wissen, ob ich singen, tanzen oder sonst etwas kann. Kann ich immer noch nicht. Und so steht am Ende nur eine Eigenschaft auf meinem Castingzettel. Fitness. Das läuft ja echt geil hier. Und dann werde ich plötzlich Model. Sie händigt mir einen Vertrag aus, der mich dazu berechtigt auf einer Webseite drei Fotos von mir einzustellen. Ich suche nach irgendwelchen Kosten, die der Vertrag verursacht, finde aber keine. Ich kenne mich ja mit „Modelverträgen“ nicht aus, bin aber der Meinung, dass dieser sehr nichtssagend ist. Dennoch unterschreibe ich, weil ich gespannt bin, wie es weitergeht. Und es geht hervorragend weiter, denn sie fragt mich, ob ich wirklich interessiert bin und ob ich was erreichen will. Natürlich will ich das. Schon zaubert sie einen Katalog hervor und sagt, dass es ein harter Job ist und zeigt mir nun diesen Katalog mit schönen Menschen. Diese schönen Menschen kann man auch im Internet bewundern. Wenn ich wirklich will, dann werden jetzt 15 – 18 professionelle Fotos von mir geschossen und schon gehöre ich zu den schönen Models. Bevor sie zum finalen Schlag ausholt, sagt sie mir noch, dass ich ja viel jünger aussehe und bittet Manni dies zu bestätigen. Manni ist sichtbar genervt von den Ausführungen der Dame, dennoch bestätigt er ihr irgendwie, dass ich jünger aussehe. Hauptsache sie belästigt ihn nicht weiter. Nachdem sie nun ihre Bestätigung hat, holt sie einen weiteren Vertrag hervor und legt ihn vor mir auf den Tisch. Das einzige, was mir bei dem Vertrag auffällt sind Zahlen, die von einem Eurozeichen begleitet werden. Jetzt wird es endgültig albern. Die Frau sagt mir, dass ich für 498€ fotografiert und in den Katalog aufgenommen werde. Ich weise sie darauf hin, dass ich arbeitslos bin. Doch sie gibt nicht auf und bietet mir Ratenzahlung an. Drei Raten für die Chance auf eine große Karriere. Ich muss passen. Manni sagt, dass er mir davon abrät, den Vertrag zu unterschreiben. Nun fällt ihm die Frau ins Wort. „Er hat doch schon gesagt, dass er das nicht macht.“ – „Ja. Aber ich wollte seine Antwort nur noch mal hören.“ An dieser Stelle kommen wir nicht weiter und die irgendwie enttäuschte und genervte Frau sagt, dass es das nun war und wir gehen können. Wir stehen auf und ich schaue noch einmal durch den Raum. Während unseres Gesprächs ist keiner von den anderen Tischen aufgestanden. Es scheint fast so als wären die anderen Menschen kooperativer. Wir verlassen den Raum und freuen uns, an einem so seriösen Casting teilgenommen zu haben.
Rosenmontag
Für mich völlig überraschend hole ich Sam am Rosenmontag um 17.33 Uhr ab, um mit ihm nach Dortmund zu fahren und dort etwas zu trinken. Wir gehen zunächst ins Las Salinas. Dort sind wir so ziemlich die einzigen Gäste. Wirklich begeistern kann uns das nicht, weshalb wir nach nicht einmal einer halben Stunde weiterziehen. Unser Weg führt uns ins Bierhaus Stade, wo viele Menschen mehr oder fröhlich im Weg stehen oder gar tanzen. Einige von ihnen sind verkleidet, was ich, trotz Karneval, unnötig finde. Ich glaube nicht, dass es mir hier gefallen wird. Glücklicherweise schlägt Sam nach wenigen Minuten vor, dass wir ins Brauhaus Krone am Markt gehen. Das klingt gut und kann nur besser sein, als es hier ist.
Im Brauhaus Krone ist es verdammt voll. Einige Menschen sind verkleidet, andere nicht. Wir quetschen uns durch den Gang bis nach hinten durch. Dort ist es besonders laut, was daran liegen muss, dass da die Tanzfläche ist. Ich weiß nicht, ob ich das so gut finde. Sam ist im Gegensatz zu mir schon nach wenigen Augenblicken begeistert. Überall sieht er schöne Frauen und die Stimmung scheint ganz nach seinem Geschmack. Schön, dass er sich so leicht begeistern kann. Schade, dass ich es nicht kann. An der Tanzfläche treffen wir Christiane. Sie ist mit einer Handvoll Freundinnen da. Christiane habe ich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen und ich muss zugeben, dass ich mich freue, sie hier anzutreffen. Zur Begrüßung umarmen wir uns. Es gibt, wenn ich mich nicht irre, nur zwei, maximal drei, Frauen, die ich zur Begrüßung umarme, obwohl ich mit ihnen keinen Sex habe, und bei denen ich eine Umarmung zur Begrüßung trotzdem absolut okay finde. Christiane ist eine davon. Früher fand ich Umarmungen grundsätzlich daneben. Während Sam sich mit Christiane unterhält, spricht mich eine blonde Frau an. Ich verstehe nicht wirklich, was sie von mir will. Das liegt zum einen daran, dass es hier zu laut ist und zum andren daran, dass sie nicht wirklich nüchtern ist. Dafür sieht sie gut aus. Also versuche ich herauszufinden, was ihr Problem ist. Wenn ich sie richtig verstehe, fragt sie nach irgendwelchen Männern, die vorher wohl noch hier standen. Ich sage ihr, dass die abgehauen sind. Glaubt sie mir nicht. Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht für sie tun. Sie bleibt trotzdem bei uns stehen und noch bevor ich mir weitere Gedanken über ihren Verbleib machen kann, erfahre ich, dass sie irgendwie zu dem Frauenclub gehört, dem auch Christiane angehört. Ich nehme es zur Kenntnis. Sams Begeisterung will gar nicht mehr abklingen. Noch immer findet er alles toll und schlägt mir vor, dass wir nächstes Jahr auf jeden Fall wieder herkommen müssen. Aber verkleidet, weil er sich so unverkleidet nicht wirklich wohl fühlt. Sollte ich nächstes Jahr tatsächlich wieder herkommen, dann ganz sicher nicht verkleidet. Ich verkleide mich nie. Ich bin viel zu cool, um mich zu verkleiden. So ein Blödsinn. Um uns herum wird wild geknutscht. Zungen werden in geöffnete Mäuler geschoben, Hände greifen an Äsche und ich denke darüber nach, welche Krankheiten durch dieses ganze Geknutsche übertragen werden. Das mache ich unter anderem deshalb, weil ich in Wirklichkeit neidisch bin, dass ich hier niemanden zum Knutschen und Anfassen habe. Direkt vor mir küsst eine Blondine einen Typen. Ich versuche nicht hinzugucken, schaffe es aber nicht. Plötzlich werde ich von schräg hinten angesprochen. Es ist die blonde Frau, die vorhin nach irgendwelchen Männern suchte. Es fällt mir abermals schwer zu verstehen, was sie von mir will. Ich konzentriere mich, beuge mich zu ihr rüber und lasse sie direkt in mein Ohr sprechen. Sie erzählt etwas von küssen, deutet auf die beiden, die das direkt vor meiner Nase tun, und ich weiß nicht, was genau sie mir mitteilen will. Die beiden Küssenden lösen sich voneinander, die Frau lässt den Mann stehen, und die blonde Frau sagt zu mir, dass Frauen das so machen. Küssen und dann weitergehen. Und dann sagt sie, dass ich mir auch eine Frau aussuchen soll, die mir gefällt und die dann küssen soll. Zumindest verstehe ich das so. Ich gucke sie an. Sie hat schöne Augen. Will sie etwa, dass ich sie küsse oder will sie mich nur aufklären? Ich küsse sie natürlich nicht, sondern schaue sie einfach nur an und sie murmelt wieder irgendwas, was ich nicht verstehe. Das bringt doch alles nichts. Nun fragt sie mich nach meinem Parfum. Kenzo. Sie findet es toll. Da habe ich mich ja doch richtig entschieden, als ich mich für L’eau par Kenzo statt für Egoiste entschieden habe und fasse ihre Begeisterung für mein Parfum einfach als Kompliment auf. Sie murmelt wieder etwas, was ich nicht verstehen kann. Dann setzt sie sich hin und erzählt mir, dass Männer immer wollen, dass Frauen gut aussehen und hohe Schuhe tragen. Und jetzt muss sie sitzen, weil es anstrengend ist so hohe Schuhe zu tragen. Tja, was soll ich jetzt dazu sagen? Erwartet sie ein Kompliment von mir oder wollte sie das einfach nur loswerden? Ich weiß es nicht. Bevor sie mir weitere Geschichten erzählen kann, wird sie von einem Typen angesprochen. Wenige Augenblicke später sind die beiden verschwunden. Liegt das jetzt nur an Karneval oder muss das so sein? Ich schaue mir weiter die Leute an. Irgendwie sind die alle so vergnügt und gelöst. Es scheint so als wäre ich der einzige hier, der böse guckt. Dabei bin ich gar nicht böse, ich kann nur nichts mit fröhlichen Menschen anfangen. Sam erzählt mir, dass er sich nächstes Jahr als Arzt verkleiden wird. Als Prof. Dr. Dr. Warum nicht. Wenn es ihm Freude bereitet, dann soll er das tun. Direkt vor mir stellen sich drei Frauen hin. Zwei tragen Cowboyhüte, eine hat sich als Indianerin verkleidet. Die Indianerin steht direkt vor mir und riecht gut. Ich rücke näher an sie heran, um ein wenig an ihr zu schnuppern. Da sie mit dem Rücken zu mir steht, bemerkt sie von meiner merkwürdigen Aktion zum Glück nichts. Während ich ihren Duft aufsauge, beobachte ich ihre beiden Begleiterinnen. Die sind irgendwie ganz entzückend und ich nehme noch einen kräftigen Zug von der Indianerin, dann habe ich genug geschnuppert, gehe einen Schritt zurück und schaue den anderen Karnevalisten zu. Währenddessen stellt Christiane dem Sam die Katrin vor. Dann dreht Katrin sich zu mir um und sagt: Das ist also der Sam. Und wer bist Du?“ Ganz schön mutig von ihr, mich einfach so anzusprechen. Ich stelle mich vor und wir tauschen ein paar Sätze aus. Nun erzählt Caahristiane Katrin, dass Sam ihr heute ein Kompliment gemacht hat und wie außergewöhnlich das ist, weil Sam sonst nie Komplimente macht. Irgendwie versteht Katrin das aber alles falsch und so dreht sie sich zu mir um und fragt: „Du stehst auf Komplimente?“ Weil ich keine Lust habe, ihr zu erklären, dass sie da etwas falsch verstanden hat, sage ich einfach nur ja. Kaum habe ich es ausgesprochen weiß ich, dass Katrin mir gleich ein Kompliment machen wird. „Du hast schöne blaue Augen.“ Weil ich denke, dass die Antwort „Ich weiß“ etwas arrogant klingen könnte, sage ich einfach danke. Damit ist der Abend gerettet und wir haben beide was von unserer Konversation. Wir plaudern noch ein wenig, was bei der Lautstärke alles andere als einfach ist. Irgendwann muss Katrin zur Toilette und während sie sich auf den Weg macht, stelle ich mir vor, dass ich nicht mehr da bin, wenn sie zurückkommt und frage mich, was sie dann wohl denkt. Vermutlich würde sie es komisch finden. Ich finde den Gedanken irgendwie lustig und bin mir plötzlich sicher, dass es genauso kommen wird. Als Sam mich fragt, ob wir noch etwas trinken oder gehen, sage ich ihm, dass wir jetzt gehen müssen. Wir verabschieden uns von Christiane. Zum Abschied gibt es eine Umarmung, und ich muss gestehen, dass ich enttäuscht gewesen wäre, wenn wir uns zum Abschied nicht umarmt hätten. Von Katrin können wir uns leider nicht mehr verabschieden. Genauso hatte ich mir das vorgestellt. Besser kann ein Abend kaum enden. Es ist exakt 21.04 Uhr als wir das Brauhaus Krone verlassen.
„Hallo. Guten Tag.“
Um exakt 16.12 Uhr fällt mir ein Stück Pizza auf den Teppich und landet mit der belegten Seite nach unten. Noch während des Fluges des Pizzastücks klingelt es an meiner Tür. Das ist echt komisch. Da passiert den ganzen Tag über gar nichts und dann passieren gleich zwei Dinge gleichzeitig. Ich hebe die Pizza auf und betätige anschließend den Türöffner. In der zweiten Etage höre ich einen Mann „Hallo. Guten Tag“ rufen. Klingt ein bisschen irre. In der dritte Etage das gleiche Spiel. „Hallo. Guten Tag.“ Was mag das wohl für ein Freak sein, der da die Treppen hinauf steigt? Ich schaue durch den Spion. Ein hagerer Mann kommt die Treppe hoch. Bevor er die letzten Stufen nimmt, ruft er erneut. „Hallo. Guten Tag.“ Das ist so krank, dass ich die Tür öffne, um zu sehen, was für ein Mensch so etwas tut. Kaum habe ich die Tür geöffnet, steht er vor mir. Er sieht aus wie eine Mischung aus verzweifeltem Wanderprediger und Klaus Kinski. Der war schon einmal hier, ich weiß nur nicht mehr, was er damals von mir wollte. Seine Kleidung ist etwas zu groß für seinen Körper. Vielleicht ist sein Körper auch nur zu klein für die Kleidung. Möglicherweise haben ihm die Sachen früher Mal gepasst. Ich weiß es nicht. Er reicht mir die Hand. Ich hasse das. Da kann man sich alle möglichen Krankheiten einfangen, wenn man ständig irgendwem die Hand schüttelt, aber ich will freundlich sein und strecke ihm meine Hand entgegen. Er greift sie, fragt ob ich der Mieter bin und ob ich schon lange hier wohne. Zwei Jahre. Ich versuche meine Hand zurück zu bekommen, doch er hält sie fest. Das hat was Verzweifeltes. Als würde meine Hand die letzte Chance für ihn sein. „Warum wohnen die nettesten Menschen eigentlich immer oben?“, fragt er mich. Woher soll ich das wissen, ich bin kein netter Mensch. Ich ignoriere seine alberne Frage und schaue ihn schweigend an. Endlich schaffe ich es, meine Hand zurückzubekommen. Was will der Typ denn nur von mir? Er fragt mich, ob ich den Lesezirkel kenne, und ich sage ihm, dass ich kein Interesse habe. Er zählt irgendwelche Zeitschriften auf. Brauche ich alle nicht. „Kann ich Sie denn nochmal besuchen, wenn wir was Neues haben?“ – „Sicher. Wird Ihnen aber nichts bringen.“ Er dreht sich um und geht. Sein Kopf ist gesenkt, als er sagt: „Sie kaufen keine Abos. Zumindest nicht an der Haustür.“ – „Das ist richtig.“ Wie ein begossener Pudel mit immer noch gesenktem Kopf steigt er die Treppen hinab und sagt arg verzweifelt: „Mist. Das wird auch immer schwerer.“ Ich habe Mitleid mit ihm. Nur bringt ihn mein Mitleid in diesem Fall so gar nicht weiter. Völlig demotiviert geht er weiter, dann verliere ich ihn aus den Augen. Ich bin gespannt, ob er im nächsten Jahr wieder zu mir kommt, schließe die Tür und wasche meine Hände. Lang und gründlich. Dann widme ich mich wieder meiner Thunfischpizza. Es ist 16.17 Uhr.
Tanzen und Ausgehen
Es ist 20.24 Uhr. Außer American Werewolf läuft nur uninteressanter Blödsinn im TV. Ich schaue ein wenig DSDS. Ein Typ singt Grenade von Bruno Mars. Das ist furchtbar schlecht. Als der Schlagerheini auf die Bühne kommt, schalte ich den Fernseher ab. Von dem Scheiß bekommt man sicher Depressionen. Da ich die schon habe, brauche ich das nicht. Nun höre ich Musik. Deutsche Schlager. Michelle, Andrea Berg, Jürgen Drews und die anderen. Ich liege auf meinem Sofa. Ab und zu stehe ich auf und tanze durchs Wohnzimmer. Vermutlich sind das erste Anzeichen dafür, dass es bald zu Ende geht mit mir, also lege ich mich wieder hin. Tanzen ist albern. Lange halte ich es aber nicht aus und tanze erneut durchs Wohnzimmer. Vermutlich sollte ich einen Arzt konsultieren.
Mittlerweile ist es 22.07 Uhr. Zeit zu duschen. Um 22.17 Uhr bin ich geduscht und stelle die Dusche ab. Coasta Cordalis singt Anita und ich muss tanzen. Nackt unter der Dusche aus der kein Wasser mehr kommt. Ich hätte nicht gedacht, dass es schon heute mit mir zu Ende geht. Aber eine andere Erklärung für mein merkwürdiges Verhalten habe ich nicht. Kaum bin ich aus der Dusche raus getanzt, erreicht der Abend einen weiteren Höhepunkt. Roy Black und Anita Hegerland singen „Schön ist es auf der Welt zu sein“. Mich hält jetzt nix mehr. Anstatt meine Haare zu fönen, tanze ich mit dem Fön. So kann das mit der Frisur nichts werden. Ich tanze im Kreis und halte dabei meinen Fön in der Luft. Sehr gefährlich. Nach Roy Black und Anita Hegerland singt Andrea Berg. Zeit ein wenig runterzukommen. Ich creme mich, wie nach jedem Duschen, ordentlich ein. Dann benutze ich Sanct Bernhard Anti-Achsel-Schweiß-Creme. Andere Sachen vertrage ich nicht, wenn ich frisch unter den Achseln rasiert bin. Danach sprühe ich meinen Körper ausgiebig mit Axe Twist ein, ziehe meine Unterhose an und es geht schon wieder los. Ich muss tanzen. Diesmal gleich durch die ganze Wohnung. Gut, dass meine Wohnung so klein ist. So dauert es nicht lange bis ich zurück im Bad bin und Socken, Jeans und T-Shirt anziehe. Das T-Shirt besprühe ich intensiv mit Axe Twist. Dann muss ich wieder tanzen. Scheiß Schlager. Ich ziehe mein Hemd an und besprühe es mit Axe Twist und Givenchy Pour Homme. Zum Schluss bade ich mein Gesicht in Givenchy Pour Homme. Es ist 22.39 Uhr, als ich die Wohnung verlasse. Meine Nase signalisiert mir, dass ich zu viel von den Duftstoffen aufgetragen habe.
Um 22.47 Uhr hole ich Sam ab und wir fahren ins FZW zur Ü30 Party. Als wir dort ankommen, ist es schon recht voll. Das hätte ich nicht erwartet. Wir treffen Frank, mit dem wir verabredet waren. Frank scheint mich zu kennen. Wir müssen uns schon mal vorgestellt worden ein. Da hätte ich ihm meinen Namen wohl gar nicht sagen müssen. Ich kann mich nicht an Frank erinnern. Komisch. Die Musik ist anfangs weniger gut, die Frauen dafür umso besser. Ich weiß gar nicht, wo ich hingucken soll und es kommen immer mehr Frauen. Davon krieg ich einfach nie genug. Weil ich mich nicht entscheiden kann, wandern meine Augen von einer zur anderen. Hin und wieder sehe ich auch hässliche, unförmige Frauen, aber das stört mich nicht. Auch solche Frauen muss es geben. Es gibt für alles einen Markt. Während ich überlege, wo der Markt für hässliche Frauen ist, sehe ich meine Frau des Abends. Sie ist etwa 1,68m groß, hat lange, schwarze Haare, eine tolle Figur und ein schönes, außergewöhnliches Gesicht. Diesen Typ Frau mochte ich schon immer. Und dieser Typ Frau hat sich noch nie für mich interessiert. Ich starre sie an. Sie sieht mich nicht. Sie geht tanzen und ich kann gar nicht mehr woanders hinsehen. Meine Augen folgen ihr zur Tanzfläche. Sie hält ihre Hände beim Tanzen vor ihren Körper, sie hat tolle Hände. Ich liebe schöne Frauenhände. Wenn ich nicht wäre, wer ich bin, dann würde ich sie heute noch küssen. Doch da ich niemand anderes bin, wende ich mich von ihr ab. Bringt ja nix.
Neben uns stehen zwei Frauen. Es ist unverkennbar, dass sie uns mustern. Beide sind blond, haben eine gute Figur, und beiden bringt das erst mal nichts, weil wir uns an einen anderen Platz stellen. Wenige Minuten später stehen sie erneut neben uns. Man kann davon ausgehen, dass sie an einem von uns interessiert sind. Vermutlich an Sam. Während ich der Größeren der beiden auf den Arsch starre, kommt eine kleine, blonde Frau zu Sam. Ich erkenne sie, kann mich aber nicht an ihren Namen erinnern. Da ich davon ausgehe, dass ich ihren Namen nicht brauche, ist es egal, wie sie heißt. Ich frage mich nur, ob ich sie auch erkannt hätte, wenn sie nicht zu Sam gekommen wäre. Ich bin mir nicht sicher, ich vergesse sehr schnell. Sams Verehrerinnen gehen tanzen. Danach kommen sie bestimmt wieder und werden sich erneut zu uns stellen. Ganz egal, wo wir dann stehen werden. Frank gefällt es hier nicht. Ab und zu wandert er durchs FZW, kommt dann wieder und fragt, warum es ihm hier nicht gefällt. Woher soll ich das wissen? Ich kenne ihn ja nicht. Er fragt, ob er zu alt oder zu nüchtern ist. Da weder wir noch er eine Antwort auf seine Frage geben können, beschließt er zu gehen. Kaum ist er weg, kann ich mich schon nicht mehr an ihn erinnern.
Die beiden Blondinen kommen von der Tanzfläche zurück und stellen sich direkt vor uns. Aus Erfahrung weiß ich, dass es gar nichts bringt, wenn man sich zu Leuten stellt, die man kennenlernen möchte. Diese Erfahrung werden die beiden heute auch machen. Sie schauen das eine oder andere Mal zu uns herüber. Wenig später schaut die Größere auf ihre Uhr und deutet an, dass sie gehen will. Sie gehen und haben hoffentlich ihre Lektion gelernt. Wenn man einen Mann kennenlernen will, reicht es nicht, wenn man sich einfach nur daneben stellt. Da muss schon mehr kommen. Vielleicht können sie das Erlernte bei einem ihrer nächsten Ausflüge anwenden. Ich wünsche es ihnen jedenfalls.
Meine Frau des Abends geht zur Bar. Dafür muss sie an mir vorbei. Ich starre sie an, kann meinen Blick nicht abwenden. Sie bemerkt es und ignoriert mich mit einer gnadenlosen Gleichgültigkeit. Sie bestellt etwas zu trinken und bleibt in der Nähe der Bar stehen. Ein letztes Mal will ich sie mir anschauen und drehe mich zu ihr um. Natürlich bemerkt sie es und guckt durch mich durch. Als wäre ich gar nicht da. Manche Dinge ändern sich wirklich nie. Ich drehe mich weg von ihr.
Gegen 01.00 Uhr hat mein Körper keine Lust mehr. Ich werde müde und unfassbar träge, kann mich kaum noch auf den Beinen halten und kriege nichts mehr wirklich mit. All die interessanten Frauen sind mir jetzt zu viel. Vollkommene Reizüberflutung. Mein Körper schaltet in den Standby-Modus. Sam holt mir ein Cola Bier und wir bewegen uns Richtung Ausgang. Die blonde Frau ohne Namen taucht nochmal auf und Sam unterhält sich mit ihr. Hin und wieder unterhalte ich mich auch mit ihr. Worum es in dem Gespräch geht, weiß ich nicht. Ich muss ins Bett.
Um 01.24 Uhr verlassen wir das FZW. Ich will nur noch schlafen. Zu Hause angekommen esse ich eine Banane, putze mir die Zähne und falle in eine Art Koma. Leider hält der Zustand nicht lange genug an. Um 08.00 Uhr will mein Körper nicht mehr schlafen und ich muss aufstehen. Ich fühle mich krank und erschöpft. Ich bin zu alt für so späte Ausflüge und werde sicher Wochen brauchen, bis ich mich davon erholt habe und wieder ausgehen kann.
Babys und alte Menschen
Bei Babys ist es oft schwierig, zwischen Mädchen und Jungen zu unterscheiden, weil Babys ziemlich gleich aussehen. Außerdem machen Babys in die Hose und tragen Windeln. Bei alten Leuten verhält es sich oft ähnlich. Auch da ist es mitunter schwierig, zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden, weil die sich mit zunehmendem Alter immer ähnlicher werden. Und sie machen oftmals auch in die Hose und benötigen Windeln. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Babys aus einem Loch zur Welt kommen und alte Menschen in einem Loch von der Erde entsorgt werden. Scheiß Kreislauf.
Thesen
Zwei Thesen zum Thema Sex habe ich schon häufig gehört. Die eine lautet „Dumm bumst gut.“ Diese These, oder wie auch immer man es nennen mag, konnte ich nach einem Test mit einer dummen Frau widerlegen. Dummheit törnt eher ab. Möglicherweise spielt der Grad der Dummheit dabei auch eine Rolle. Das weiß ich nicht. Die andere These besagt, dass dicke Frauen im Bett besonders gut sind, weil sie wissen, dass sie nicht so toll aussehen, sich selbst unattraktiv finden, deshalb im Bett alles geben, um den Mann glücklich zu machen. Außerdem achten sie beim Sex nicht darauf, wie ihre Haare liegen und ob sie eine gute Figur abgeben. Klingt zwar irgendwie plausibel für mich, aber nicht wirklich überzeugend. Also blieb mir auch nichts weiter übrig, als es auszuprobieren. Dazu nahm ich das Sexangebot einer dicken Frau an und sie war tatsächlich gut. Ich wiederholte den Sex und sie war immer wieder gut. Es schien zu stimmen, dass dicke Frauen gut im Bett sind. Weil ich guten Sex liebe, probierte ich eine weitere dicke Frau aus. Diese hatte von der These, dass dicke Frauen gut im Bett sind, scheinbar noch nix gehört und so war der Sex alles andere als begeisternd. Da sie nicht einmal mit ihrer Optik begeistern konnte, habe ich es bei einem Versuch belassen und damit auch die These widerlegt, dass dicke Frauen grundsätzlich gut im Bett sind. Mal sehen, welche Thesen ich in Zukunft noch widerlegen kann.
DrSchweins Todestag
In regelmäßigen Abständen lasse ich meine Lebenserwartung berechnen. Und seit Jahren ist das Ergebnis identisch. Ich werde 76 Jahre alt, dann gehen für mich die Lichter aus. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich befinde mich also bereits in der zweiten Halbzeit und muss jetzt nur noch auf den Abpfiff warten. Seit heute kenne ich sogar meinen Todestag. Es ist Montag, der 11. März 2047. Wer wohl zu meiner Beerdigung kommen wird?
Chronologie einer Erkältung
Vier Tage gurgeln mit Teebaumöl. Vier Tage Salbeibonbons. Es scheint zu wirken. Die Erkältung kann sich nicht durchsetzen. Aber nur bis zum fünften Tag. Am fünften Tag liege ich plötzlich frierend im Bett, meine Stimme ist angegriffen und der Hals schön rot. Ich habe keine Zeit für so etwas.
Am sechsten Tag gehe ich zum Arzt. Der hat Urlaub. Vertretungsärzte mag ich nicht. Zurück nach Hause. Mir ist kalt.
Am siebten Tag wache ich nassgeschwitzt auf und frage das Internet, ob ich zum Arzt gehen soll. Das Internet sagt nein.
Tag Acht. Nach einer furchtbaren Nacht gehe ich zu einem Arzt. Dieser sagt, dass Teebaumöl viel zu stark konzentriert ist und rät mir davon ab, weiter damit zu gurgeln. Irgendwie macht mich das traurig, wenn mir so meine Illusionen geraubt werden. Er sagt außerdem, dass gelber Schleim eine virale Infektion bedeutet. Bei grünem Schleim soll ich wiederkommen. Grüner Schleim wird mit Antibiotika behandelt. Er fragt, ob ich Fieber habe. Ich schwitze zwar ab und zu völlig unmotiviert vor mich hin, sage ihm aber, dass ich nie Fieber habe. Ich habe nicht einmal ein Fieberthermometer. Diagnose: Schwere Halsentzündung, geschwollene Lymphknoten. Das ist eine echte Erkältung. Er stellt mir ein Rezept aus. Ambroxol Hustentropfen und Tonsiprtet Tabletten. In der Apotheke stelle ich fest, dass das Rezept nicht wirklich ein Rezept ist, sondern lediglich eine Kaufempfehlung. Die Medizin muss ich nämlich selber bezahlen. In Gedanken stelle ich mir ein weiteres Rezept aus. Sinupret- und Zinktabletten stehen darauf. Die Apothekerin empfiehlt mir Bepanthen Wund- und Heilsalbe für meine sich mehr und mehr durch den Schnupfen zersetzende Nase. Kaufe ich alles. Wenn schon einkaufen, dann richtig. Knapp 30 Euro später liegen all die herrlichen Sachen auf meinem Tisch. Wie lange kann ich mir als Hartz IV Empfänger Erkältungen noch leisten? Und woran erkenne ich eigentlich, dass der Schleim nicht mehr gelb, sondern schon grün ist?
Etwa im Minutentakt putze ich mir die Nase. Spätestens alle dreißig Minuten nehme ich Nasenspray. Wirkung fast null. Wenn Nasenspray nicht mehr hilft, muss es sehr schlecht um mich stehen. Ich nehme noch einen Sprühstoß. Jetzt spielt es sowieso keine Rolle mehr.
Abendbrot. Geruchssinn und Geschmacksnerven ausgefallen. Vermutlich könnte ich jetzt sogar ein Stück Käse essen, ohne mich zu übergeben. Kann das Experiment aber nicht durchführen, da ich nie Käse im Kühlschrank habe. Nachbarn möchte ich auch nicht nach Käse fragen. Später nehme ich mir ein Stück von meinem selbstgebackenen Kuchen. Es ist der siebte Kuchen, den ich gebacken habe. Er ist geschmacksneutral. Ich bin deprimiert und nehme noch einen weiteren Sprühstoß von meinem Nasenspray. Wirkung auch weiterhin nicht erkennbar. Meine Stimme wird immer kratziger. Selbstgespräche machen keinen Spaß mehr. Ich schweige mich an. Alle drei Stunden lasse ich zwei Tonsipret Tabletten in meinem Mund zergehen. Alle acht Stunden nehme ich Sinupret und Ambroxol. Zwischendurch lutsche ich Salbei-Bonbon und trinke Unmengen an Salbeitee mit Honig. Und bei Bedarf nehme ich Ibuprofen. Es besteht verdammt oft Bedarf. Wann kann ich wohl wieder schmecken, riechen und Selbstgespräche führen?
Kaum für möglich gehalten, doch schon bald Gewissheit. Die Nacht ist noch ätzender als die vorherige. Meine Nase sitzt zu. Ich hasse es, wenn ich nicht durch die Nase atmen kann. Nasenspray rein. Linke Seite ist besser. Die rechte Seite bleibt geschlossen. Ein weiterer Sprühstoß Nasenspray. Nichts. Akzeptier ich nicht. Und wieder sprühe ich einen kräftigen Stoß ins rechte Nasenloch. Rechtes Nasenloch ignoriert es. Ich gebe auf. Einmal pro Stunde bremst der Husten meinen Schlaf. Sind Hustentropfen in Wirklichkeit Lockmittel? Hätte ich besser darauf verzichtet?
Nach unfassbar miserablem Schlaf, brauche ich Frischluft. Fenster auf, Fenster wieder zu. Zurück ins Bett. Dreißig Minuten Schlaf. Dann wache ich nassgeschwitzt auf. Ist der Schleim noch gelb, oder schon hellgrün? Eine Farbtabelle würde möglicherweise helfen. Warum geben Ärzte einem keine Farbtabellen?
Nachdem gestern fast pausenlos Sekret aus meiner Nase lief, darf ich heute fast ununterbrochen husten. Ich weiß gar nicht, was ich blöder finde. Der Hustenschleim ist dunkler als der Nasenschleim. Aber ist er grün oder noch gelb? Der Husten wird schlimmer. Definitiv der schlimmste Husten aller Zeiten. Etwa zwei Stunden huste ich fast ununterbrochen. Mein Hals und mein Brustkorb tun furchtbar weh. Wie lange muss man eigentlich husten, bis einem der Brustkorb platzt? Das Nasenspray ist ab sofort nicht mehr wirkungslos. Ich kaufe nochmal ein. Thymiantee, Erkältungsbalsam und japanisches Heilpflanzenöl. Vermutlich bringt nichts von allem auch nur irgendwas.
Hin und wieder verliere ich das Bewusstsein. Der Husten wird seltener, aber der Hustenschleim ist definitiv nicht mehr gelb. Ist das jetzt das Bakteriengrün? Vermutlich. Der Tag geht zu Ende. In der Nacht werde ich etwa jede Stunde wach. Die Nase ist zwar irgendwie zu, aber es kommt nix mehr raus. Der Husten ist zum Reizhusten geworden. So fangen Erkältungen normalerweise an. Oder?
Um 06.37 Uhr beginne ich Tag 10 der Erkältung. Die Nase ist nicht wirklich frei, doch es kommt zunächst nichts raus. Schleimloses Husten bringt mich auch nicht weiter. Wie soll ich so herausfinden, welche Farbe der Schleim hat, wenn kein Schleim vorhanden ist? Als ich eine halbe Stunde später endlich die Nase putzen kann, ist es mir nicht möglich, die Farbe des Schleims zu bestimmen. Das viele Blut macht eine Farbbestimmung unmöglich. Sollte ich zu viel Nasenspray genommen haben? Brauche ich jetzt Antibiotika? Dann ist es endlich soweit und der erste Hustenauswurf des Tages zeigt sich und sieht alles andere als gelb aus. Da gehe ich besser zum Arzt, wo ich ganze 117 Minuten sitze und warte bis ich endlich an der Reihe bin. So habe ich eine Menge Zeit mich zu langweilen und andere Patienten zu verseuchen, ehe der Arzt mir eine Bronchitis bestätigt und mir ein Antiobiotikum aufschreibt. Dreckserkältung. Wie mittlerweile jeden Tag, muss ich mich nach dem Mittag und am frühen Abend hinlegen. Als ich am Abend aufwache, ist Ursula auch schon da. Sie ist sehr mutig. Ich hätte sie nicht besucht, wenn sie in meinem Zustand wäre. Der übliche Begrüßungssex fällt aus, denn ich bin dazu einfach nicht in der Lage. Ursula findet, dass mein Körper verdammt warm ist, und ist sich sicher, dass ich Fieber habe. Ich will sofort ein fiebersenkendes Medikament besorgen, doch sie meint, dass Fieber gut ist. Dabei habe ich normalerweise nie Fieber. Einige Zeit später ist mir wieder kalt. Das kann kein Fieber sein.
Die Nacht zum 11. Tag der Erkältung ist wie die letzten Nächte. Kaum liege ich im Bett, schon friere ich. Wie auch in den letzten Nächten nehme ich mein Heizkissen. Anders als in den letzten Nächten, schalte ich es aber nicht ein. Funktioniert trotzdem. Denn als ich um 07.01 Uhr aufwache, bin ich dermaßen nass geschwitzt, dass ich glaube, in einer Wasserlache zu liegen. Irgendwas stimmt definitiv nicht mit mir. Duschen, anziehen, Medikamente nehmen. Einkaufen. Ich kaufe mir für 5,99€ Nasenspray, weil ich tatsächlich eine ganze Flasche Nasenspray in den letzten Tagen verbraucht habe. Das kann nicht gesund sein. Meine Nase ist mittlerweile ein vertrockneter Klumpen, der ständig brennt. Meine Lippen sind auch in keinem besonders guten Zustand. Vielleicht ist das der endgültige Verfall.
Nach dem Mittagessen bin ich zu schwach, um wach zu bleiben und ziehe mich ins Bett zurück. Als ich nach einer Weile aufwachte, bringt Ursula mir einen Thymiantee. Ich trinke ihn aus und liege anschließend mehr tot als lebendig im Bett. Etappenweise Bewusstlosigkeit. Ich bin absolut nicht in der Lage, mich um Ursula zu kümmern. Ich würde ja gerne, aber es geht einfach nicht. Noch immer kann ich weder riechen noch schmecken. Ich muss echt alt geworden sein, wenn mich eine Erkältung dermaßen aus der Bahn wirft.
Tag 12. Nassgeschwitzt aufwachen, nichts riechen, nichts schmecken und eine Nase, die bei jedem Putzen derart weh tut, dass ich mir vornehme, sie einfach nicht mehr zu putzen. Keine Ahnung, wie das weitergehen soll. Immerhin ist der Nasenschleim jetzt auch grün. Das passt und rundet das verschleimte Gesamtbild ab. Ambroxol und Tonsipret sind jetzt aufgebraucht. Ob durch die Einnahme meine Beschwerden gemildert wurden, ist nur schwer zu sagen. Eine Antwort gibt es wohl nur, wenn ich bei der nächsten Erkältung auf alle möglichen Medikamente verzichte. Das kann ich aber sicher nicht. Mehr als einen fünfzehn minütigen Spaziergang schaffe ich heute nicht. Danach muss ich wieder ins Bett. Im Bett schlafe ich ein. Wie blöd ist das denn?
Tag 13. Mäßig durchgeschwitzt, wache ich auf. Ich mache doch wohl nicht etwa Fortschritte? Der Husten ist, wie schon in der Nacht, mehr ein Reizhusten. Angenehmer macht ihn das nicht. Der Nasenschleim ist nur noch leicht gelblich, größtenteils sogar klar und insgesamt von angenehmer Konsistenz. Nach einer Stunde wird der Reizhusten wieder zu Schleimhusten. Der Hustenschleim ist weiter grün. Etwas heller zwar, aber eindeutig grün. Fortschritte sehen anders aus. Antibiotikum und Sinupret reichen noch bis morgen. Ibuprofen und Nasenspray sicher noch ein paar Tage. Ich fürchte, dass ich morgen nochmal zum Arzt muss. Ich habe keine Zeit für so etwas.
Mittlerweile funktionieren meine Geschmacksnerven und der Geruchssinn wieder. Zumindest ein wenig. Die Funktionsfähigkeit dürfte zwischen 30% und 50% liegen. Da kommt fast Freude auf. Aber nur fast. Ansonsten finde ich meinen Zustand weiter bedauernswert. Außerdem fühle ich mich nicht wohl, wenn ich keine bzw. nicht ausreichende Medizin einzunehmen habe. Und so gehe ich erneut in die Apotheke und bin wenig später über 17€ los und kann ab sofort Gelomyrtol und Umckaloabo einnehmen. Inklusive dem Tee und der vielen Salbeibonbons habe ich nun die 50€ Marke überschritten. Meine Erkältung ist von meinen Ausgaben gar nicht, maximal minimal, beeindruckt und fühlt sich auch weiterhin sehr wohl bei mir. Abgesehen vom Nasenspray, dem Tee und den Salbeibonbons hätte ich mir vermutlich alle Ausgaben sparen können. Aber ich bin ein Mann, ich leide, und bin deshalb nur bedingt zurechnungsfähig. Den Rest des Tages ändert sich an meinem Zustand nicht wirklich etwas.
Tag 14 beginnt um 06.27 Uhr. Der Schleim ist etwas heller, aber unvermindert. Geruchssinn und Geschmacksnerven leicht verbessert. Funktionsfähigkeit dürfte zwischen 35% und 55% liegen. Ich bin erneut mäßig durchgeschwitzt. Dass meine Geruchsnerven nicht wirklich funktionieren, finde ich, während ich im Wartezimmer meines Arztes sitze, erstmals gut. Zwei Plätze neben mir stinkt ein älterer Herr vor sich hin. Wobei es, soweit ich es beurteilen kann, mehr seine Kleidung als er selber ist, was da so stinkt. Der Herr neben ihm bleibt nur kurz neben ihm sitzen, steht dann auf und wechselt seinen Platz. Wenn mein Geruchssinn richtig funktionieren würde, wäre ich jetzt wohl tot. Mein Arzt schreibt mir ein anderes Antibiotikum auf. Im Gegensatz zu dem Antibiotikum, welches ich vom Vertretungsarzt bekam, muss ich bei diesem in der Apotheke 5€ zuzahlen. Da sag nochmal einer, dass Erkältungen kein Luxus sind. Warum die Krankenkassenbeiträge ständig steigen, kann ich allerdings nicht verstehen. Ich glaube, dass die Krankenkassen uns genauso verarschen wie die Politiker. Vielleicht sind die sogar verwandt.Der Geruchssinn liegt am Nachmittag bei 55% – 65%. Geschmacksnerven immer noch weitestgehend gestört. Maximale Leistung 45%. Am Abend nehme ich meine letzte Sinupret. Ich werde mir keinen Ersatz kaufen. Die letzte Tablette meines Antibiotikums (Ciprofloxacin) nehme ich am Abend ebenfalls. Ab morgen heißt das Antibiotikum Doxycyclin. Ich hoffe, dass das neue Antibiotikum im Gegensatz zum alten Antibiotikum hilft. Mit dieser Hoffnung beende ich hustend, und mit einem recht großen Vorrat an gelb-grünlichem Schleim, den Tag.
Tag 15. Erstmals seit Tagen wache ich nur minimal durchgeschwitzt auf. Passend dazu ist der Schleim, den ich aushuste, auch etwas heller und zur Abwechslung wieder mit Blut gemischt. Weil ich gelesen habe, dass so etwas vorkommen kann, die Blutbeimischung obendrein sehr gering ist, bekomme ich keinen Panikanfall, sondern nehme es einfach als natürlichen Entwicklungsvorgang hin. Ich gehe zum Osteopathen. Dieser empfiehlt mir, drei Tage lang zweimal täglich zwei Messerspitzen Nelkenpulver einzunehmen. Klingt zwar gruselig, doch ich mache es. Das Zeug schmeckt furchtbar. Aber zumindest muss ich mich davon nicht übergeben. Seinen zweiten Vorschlag zur Bekämpfung meiner Erkältung probiere ich gleich mit aus. Ich koche eine Ingwer, zwei Zitronen und drei Orangen in heißem Wasser, um die Brühe später zu trinken. Meine Vermutung, dass ich die Brühe unmöglich trinken kann, bestätigt sich direkt nach dem probieren. Obwohl ich noch immer nicht richtig schmecken kann, empfinde ich den Geschmack von dem Zeug so widerlich, dass ich die Brühe direkt im Klo entsorge. Ich muss echt verzweifelt sein, wenn ich schon solche Dinge ausprobiere. Vermutlich sind diese Sachen genauso sinnlos wie all die leckeren Medikamente, die ich in den letzten Tagen eingeworfen habe. Vor dem Schlafengehen reibe ich mir, wie jeden Abend, Brust und Rücken mit Franziskaner Erkältungsbalsam ein. Das Zeug ist in etwa so wirksam wie ein Stück Holz. Ich benutze es dennoch weiter, weil ich es ja bezahlt habe.
Einigermaßen durchgeschwitzt starte ich in den 16. Tag der Erkältung. Das Gelb des Nasenschleims ist eindeutig heller und ich habe das Gefühl, dass die Erkältung schwächelt. Ich erinnere mich, dass ich gestern zum ersten Mal seit Tagen kein Ibuprofen genommen habe. Fast enttäuscht von der Entwicklung nehme ich eine Gelomyrtol und weitere dreißig Tropfen Umckaloabo. Schmecken und riechen kann ich noch immer nicht so, wie ich es gewohnt bin. Der Hustenschleim ist ebenfalls heller. Wirkt das neue Antibiotikum? Liegt es am Nelkenpulver? Ich werde es wohl nie erfahren. Und so nehme ich eine weitere Messerspitze Nelkenpulver, genieße den furchtbaren Geschmack und bilde mir ein, dass mit dem Nelkenpulver der Durchbruch im Kampf gegen die Erkältung eingeleitet wurde. Irgendwie ganz schön verrückt. Und verdammt ekelhaft obendrein. Kurze Zeit später ist wieder alles normal. Die Nase muss im Minutentakt geputzt werden, und nach einer Weile ist sie wieder herrlich wund. Der Husten hat zwar nicht mehr die Qualität der letzten Tage, aber auch er ist nun wieder stark genug, um zu nerven. Die Erkältung ist definitiv noch nicht fertig. Trotz herrlichem Sonnenschein und etwa 18 Grad ist mir nicht wirklich warm. Gegen 13.02 Uhr bin ich dermaßen platt, dass ich mich hinlegen muss. In den nächsten drei Stunden schaffe ich es nicht mehr aufzustehen. Ich muss gestehen, dass ich jetzt wieder von der Erkältung beeindruckt bin. Nichtsdestotrotz hasse ich sie. Später muss ich eine Ibuprofen nehmen. Es ist definitiv noch nicht vorbei.
Am 17. Tag bin ich dermaßen müde, dass ich fast eine Stunde brauche, um aufzustehen. Immer wieder schlafe ich ein und muss mich echt zwingen, nicht liegen zu bleiben. Eine derartige Erkältung hatte ich noch. Der Nasenschleim scheint auch wieder dunkler zu sein. Sieht so aus, als könnte ich auch dieses Wochenende vergessen. Der Hustenschleim ist eindeutig heller und ich verbringe erneut einen Nachmittag völlig erledigt im Bett. Das ist bestimmt keine Erkältung. Da muss irgendwas anderes in mir stecken. Erkältungen verursachen nicht solche Beschwerden. Ich leide vermutlich unter dem Pfeifferschen Drüsenfieber. Wenn ich wieder zu Kräften komme, werde ich im Internet nach Indizien suchen. Stunden später habe ich im Internet recherchiert und bin sicher, dass ich kein Pfeiffersches Drüsenfieber habe. Aber was ist es dann?
Am 18. Tag wache ich zur üblichen Zeit auf, fühle mich aber so schlapp, dass ich nur kurz die Balkontür öffne, und dann sofort wieder ins Bett gehe, um weiterzuschlafen. Bin ich vielleicht zum Schlafroboter geworden? Stunden später stehe ich wieder auf. Der Nasenschleim ist weiterhin gelb. Möglicherweise Neongelb. Es wird von Tag zu Tag deutlicher, dass all die Medikamente nutzlos waren. Selbst die Behandlung mit Nelkenpulver war vollkommen überflüssig. Das ist doch Scheiße. Nach einer Stunde bin ich so erschöpft, dass ich mich wieder hinlegen muss. Möglicherweise bereitet sich mein Körper ja auch schon auf den bevorstehenden Tod vor. Meine Begeisterung für den Unsinn hält sich in Grenzen. Den Nachmittag verbringe ich im Bett. Erkältungssymptome habe ich kaum. Schmecken und riechen kann ich noch immer nicht richtig. Dafür bin ich unglaublich schlapp. Ich will nur schlafen, mein Körper ist kaum in der Lage, sich zu bewegen. Ich vermute eine Herzmuskelentzündung und gehe davon aus, dass ich schon bald sterben werde.
Blutdruck 111/63. Puls 69. Ich nehme die letzten Tropfen Umckaloabo. Das Zeug hätte ich mir sparen können. Ich schleppe mich vom Bett rüber aufs Sofa. Meine Beine schaffen es kaum mich zu tragen. Vermutlich habe ich eine Nierenentzündung.
Der 19. Tag beginnt ähnlich, wie der letzte endete. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten und möchte einfach nur in irgendeiner Ecke liegen. Wäre kein Wochenende, würde ich mich zum Arzt schleppen. So muss ich bis morgen früh hier liegen bleiben. Mir ist warm. Ich glaube, ich schwitze. Den Tag verbringe ich größtenteils im Bett. Auf den Beinen kann ich mich eh kaum halten. Und so verschlafe ich einen weiteren schönen Tag. Ich bin zu schlapp, um zu lesen und ich schaffe es erneut nicht, Musik anzumachen. Vielleicht bin ich das erste Opfer der japanischen Kernschmelze, die angeblich noch gar nicht begonnen hat.
Am 20. Tag bin ich erneut beim Arzt und schildere meinen erbärmlichen Gesamtzustand. Mir wird Blut abgenommen und ich darf übermorgen wiederkommen, um die Ergebnisse zu erfahren. Alle Medikamente sind aufgebraucht. Jetzt kann ich nur noch warten. Trotz scheinbarer Verbesserung meines Zustandes muss ich mich am Nachmittag hinlegen und schlafen. Ich will das nicht.
Der 21. Tag verläuft ziemlich ereignislos. Ich putze mir die Nase, liege viel im Bett und besuche am Nachmittag meine Eltern. Eine Tante von mir besucht ebenfalls meine Eltern. Als sie mich sieht, ist sie entsetzt und sagt mir, dass ich furchtbar aussehe. Total krank und eingefallen. Viel zu dünn. Noch nie habe ich sie so entsetzt gesehen. Jetzt bin ich also auch optisch nicht mehr zu gebrauchen. Wozu soll ich jetzt noch weiter leben? Völlig deprimiert gehe ich nach Hause und lege mich ins Bett.
Am 22. Tag ist der Normalzustand noch immer nicht erreicht. Oder ist das jetzt der neue Normalzustand? Chronischer Husten und eine gelegentliche Rotznase. Kann ich mich nicht für begeistern. Der Arzt präsentiert mir gute Blutwerte und erklärt mich für gesund. Mein Körper glaubt ihm nicht wirklich. Ich sowieso nicht. Am Nachmittag werde ich spontan schlapp und muss mich hinlegen. Wenn ich nicht verstrahlt bin, dann weiß ich auch nicht. Meine Blutwerte wurden vermutlich verwechselt.
Am 23. Tag muss ich mir sehr häufig die Nase putzen. Mein Name lautet ab sofort Rotznase. Insgesamt fühle ich mich schlapper als am Vortag und möchte mich am liebsten wieder hinlegen. Was auch immer ich habe, es muss mittlerweile chronisch sein. Ich werde mir jetzt die Nase putzen und dann versuchen ganz normal weiter zu atmen. Meine Beine sind wie Pudding. Vielleicht wäre es jetzt sinnvoll zu sterben. Je länger ich auf bin, desto schlimmer wird der Schnupfen. Bekomme ich eine neue Erkältung oder bin ich gegen mich selbst allergisch geworden? Obwohl ich müde bin, verweigere ich mir und meinem Körper den Nachmittagsschlaf. Dafür schlafe ich dann gegen 22.00 Uhr vor dem Fernseher ein. Gegen 23.30 Uhr schleppe ich mich ins Bett und schlafe weitere achteinhalb Stunden. Das ist doch krank.
Der morgendliche Schleim ist auch am 24. Tag noch vorhanden. Zwar mittlerweile recht klar, aber dennoch lästig. Dazu ist der Husten sehr unangenehm. Der ist mittlerweile sicher chronisch. Chronische Bronchitis oder doch Verstrahlungshusten. In Fukushima entweicht sicher mehr radioaktives Zeug als die zugeben. Und mein Körper scheint damit einfach nicht klarzukommen. Ich gebe meinem Körper noch dieses Wochenende. Dann kann ich keine Rücksicht mehr nehmen und werde ihn zum Training schicken. Ein alter Körper muss regelmäßig trainiert werden, sonst geht er nämlich kaputt.
Mit nervendem Husten beginnt Tag 25. Die Sonne scheint, es ist der wärmste Tag des Jahres. Der Verbrauch an Taschentüchern ist jetzt wieder fast im Normalbereich und ich wandere mit Ursula durch Dortmund. Nach drei Stunden bin ich so platt, dass meine Beine mich nicht mehr tragen wollen. Dennoch glaube ich, dass ich den Härtetest bestanden habe. Ich werde vermutlich nicht an dieser Erkältung oder Verstrahlung sterben. Zumindest nicht heute.
Tag 26. Der letzte Tag an dem ich noch Rücksicht nehme und meinen Körper schone. Ab morgen ist Schluss damit. Mein Husten scheint zwar nicht ganz einverstanden, aber mein Husten ist sowieso ein Arschloch. Um 23.17 Uhr gehe ich ins Bett.
Tag 27. Der Tag danach. Die Nase startet einen letzten, völlig sinnlosen Versuch, mich davon abzubringen, ab heute gesund zu sein. Sie lässt mich direkt nach dem Aufstehen kaum atmen und fängt beim Putzen direkt an zu bluten. Da ich es gewohnt bin Nasenbluten zu haben, bewirkt der Versuch rein gar nichts. Der Husten hält sich einigermaßen zurück. Nachdem ich den Benz aus der Garage geholt habe, schlüpfe in mein Trainingsoutfit und mache mich auf den Weg ins Fitnessstudio. Entweder falle ich dort tot um, oder meine Erkältung stirbt. Alles andere ist nicht zu akzeptieren. Um 09.24 Uhr beginne ich mit dem Training. Da ich schon mit den Kindergewichten trainiere, ist eine Reduzierung nicht möglich. Ich mache alle Übungen wie vor der Erkältung. Nur etwas langsamer. Zweimal muss ich mir die Nase putzen. Das ist gerade noch akzeptabel. Zum Schluss geht es auf den Crosstrainer. Nach sechs Minuten signalisieren meine Beine, dass ich aufhören muss. Geht aber nicht. Denn für sechs Minuten klettere ich nicht auf den Crosstrainer. Fünfzehn Minuten sind Pflicht. Ich ignoriere meinen Schwächeanfall und mache weiter. Es funktioniert. Nachdem ich fertig bin, werfe ich einen Blick in einen der vielen Spiegel. Ich sehe schrecklich aus. Kalkweiß. Augenringe und meine Oberarme sehen aus wie weiße Streichhölzer. Meine Oberarme sind dünner als meine Unterarme. Der Anblick ist kaum zu ertragen. Ich wende meinen Blick ab, bevor ich mein Spiegelbild anspucke und beschließe, dass meine Verseuchung nicht für den Anblick verantwortlich ist, sondern mein allgemein erbärmlicher Gesamtzustand. Doch das ist eine andere Geschichte. Die Geschichte meiner Erkältung endet jetzt und hier.