Juni 2007

Zelten
Das letzte Mal gezeltet habe ich vor über dreißig Jahren. Keine Ahnung, ob es mir damals gefallen hat. Jedenfalls hatte ich seitdem niemals mehr das Bedürfnis gehabt, in meinem Leben je wieder Zelten zu gehen. Warum auch? Das ist unbequem, es krabbeln Insekten an einem rum, es gibt keine Badewanne, keine Matratze und höchstwahrscheinlich keine sanitären Anlagen. Was also soll daran schön sein? Glücklicherweise habe ich mich damit auch nie beschäftigen müssen. Bis heute. Da fragt mich Birte plötzlich, wann wir zelten gehen. Leider ist mir sofort klar, dass sie es ernst meint und dass ‚Nein‘ keine mögliche Antwort auf ihre Frage ist. Ich versuche es mit ein paar Einwänden, aber das ist sinnlos. Scheinbar hat sie spontan entschlossen, dass Zelten auch für mich etwas Feines ist. Ort und Zeit hat sie auch gleich parat. Im August, irgendwo in Holland. Und da wir gerade dabei sind, wird noch darauf hingewiesen, dass mein Outfit nicht lässig bzw. locker genug ist und ich demnächst mal eine ¾-Hose anziehen soll. Welcher Mann trägt denn unvollständige Hosen? Ich finde nicht, dass ich solch ein Kleidungsstück benötige. Ich bin schließlich ein Spießer und kein durchgeknallter Teeny. Ich will eine solche Hose nicht. Da kann ich mir demnächst auch gleich ein Röckchen anziehen.


Bringt Vogelscheiße Glück?
Ich sitze mit Birte und Sohn im Road Stop, um eine Kleinigkeit essen. Kaum habe ich gegessen, scheißt mir ein Vogel direkt auf den Kopf. Ich finde das alles andere als köstlich, rege mich aber nicht wirklich darüber auf, da Vogelscheiße ja Glück bringen soll. Als wenige Augenblicke später der nächste Vogel direkt auf meinen Tisch scheißt habe ich allerdings keine Lust mehr, denn zu viel Scheiße und zu viel Glück vertrage selbst ich nicht, weshalb ich beschließe, dass es an der Zeit ist den Ort der scheißenden Vögel zu verlassen.

Am nächsten Morgen habe ich einen Strafzettel über 15€ an meinem Auto und habe das Gefühl, dass die Geschichte von der glücksbringenden Vogelscheiße nichts weiter als ein Märchen ist.


Eine Woche im Schnelldurchlauf
Am Montagnachmittag komme ich von meinem Wochenende bei Birte zurück in mein Zimmer und bleibe den Rest des Tages mehr oder weniger inaktiv dort liegen.
Am Dienstag bin ich morgens beim Training und am Nachmittag sitze ich mit Manni in Brambauer im Café bevor ich den Tag ausklingen lasse.
Am Mittwoch bin ich vormittags beim Training, den Nachmittag verbringe ich mit Loerz in Dortmund und am Abend besuche ich spontan Birte, was aber nicht zu Sex führt.
Am Donnerstagnachmittag bin ich mit Heiko in Lünen. Dort genießen wir das Wetter und wandern ziellos umher. Am Abend spiele ich mit Loerz, Selma und Annika Billard und besuche anschließend Birte.
Am Freitag bin ich besonders aktiv. Ich schaue drei Filme und schon ist der Tag um.
Am Samstag bin ich beim Training. Später kommt der Loerz vorbei und bringt mir ein paar Filme. Ich putze Staub und später besuche ich Birte.
Am Sonntag mache ich nichts, weil die Woche ziemlich aufregend war und ich ziemlich oft Birte besucht habe.


Sonntag mal anders
Eine Woche nachdem ich am Sonntag nichts gemacht habe, ist schon wieder Sonntag und ich fahre mit Birte und ihrem Sohn zum Westfalenpark. Scheinbar hatten sehr viele Menschen die Idee, dass man den Sonntag hier verbringen sollte und so müssen wir ziemlich lange laufen, um vom Parkplatz in den Park zu gelangen. Als wären wir eine kleine Familie inmitten vieler anderer Familien. Ich komme mir deplatziert vor, denn ich bin zu unreif für diese Art von Leben. Vielleicht rede ich mir das auch nur ein und bin so wie alle anderen hier. Glaube ich aber nicht. Im Park gönnen wir uns zunächst eine Reise mit der Seilbahn. Ein recht kurzes Vergnügen. Als nächstes schauen wir uns den Trödelmarkt, oder was auch immer es ist, an. Dort gibt es anstelle von gewöhnlichem Trödel Rosentrödel. Es ist wohl der Tag der Rose. Lauter Blumen und andere Dinge werden zum Verkauf angeboten. Eine solche Trödelei macht hungrig und so entscheiden wir uns für eine Zwischenmahlzeit. Es gibt fettige Pommes und für mich und dazu eine leicht verkohlte Bratwurst. Ich mag verkohlte Bratwürstchen nicht. Während unserer weiteren Wanderung darf ich das Kinderspielzeug, einen großen Geländewagen, tragen. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Zur Belohnung bekomme ich ein Eis. Zeit über die Sache nachzudenken habe ich nicht. Es wird spät und wir reisen ab.

Doch der Sonntag ist noch nicht vorbei. Am Abend befinde ich mich völlig überraschend mit Birte, ihrer Freundin und drei Kindern auf einem Kinderspielplatz und bin abermals erstaunt, was einem so alles passieren kann. Kaum habe ich die Situation einigermaßen verkraftet, ändert sie sich auch schon wieder. Birte und ihre Freundin wollen kurz verschwinden und mich und die Kinder allein zurücklassen. Ich bestelle bei den beiden noch ein belegtes Brot und schon bin ich mit zwei kleinen Kindern alleine auf einem Spielplatz. Kind Nummer drei hat sich zwischenzeitlich aus dem Staub gemacht hat. Irgendwie unheimlich. Weil ich nicht weiß, was man mit kleinen Kindern auf einem Spielplatz tun soll, forderte ich die beiden auf den Ball zu holen, um Fußball zu spielen. Ich darf oder muss mitspielen. Zum Glück sind die beiden recht friedlich und ich muss nicht maßregelnd eingreifen. Nach einiger Zeit kommen die Mütter zurück und wir begeben uns daraufhin unverzüglich auf den Weg zum Garten der Freundin. Dort wird mir endlich mein belegtes Brot überreicht und ich kann mich ein wenig stärken für den Rest des Abends. Dann ist der Abend vorbei, wir verlassen Freundin und Garten und ich habe irgendwie das Gefühl, dass das alles so nicht wirklich zu mir passt. Familienleben ist etwas für Familien und nichts für Menschen wie mich.


Dick im Geschäft
Mittlerweile kann man es fast als Tradition bezeichnen, dass ich irgendwelche Bewerbungen schreibe. Wie ernst ich es allerdings meine, mit den ganzen Bewerbungen, weiß ich nicht. Ist aber auch unwesentlich. Die meisten Stellen auf die ich mich bewerbe interessieren mich in der Tat nicht so wirklich. Trotzdem muss ich am Ball bleiben, weil man das so macht und ich irgendwann möglicherweise auch mal arbeiten muss. Meistens flattern kurze Zeit später die Absagen in den Briefkasten. Hin und wieder springt auch ein Vorstellungsgespräch dabei heraus. So wie in dieser Woche. Frisch geduscht und überaus pünktlich erscheine ich zu dem vorgegebenen Termin bei Praktiker. Als würde ein Baumarkt zu mir passen, ich verbringe nicht einmal gerne Zeit in Baumärkten, obwohl ich öfter mal einen Baumarkt aufsuche. Es begrüßt mich die Marktleiterin, die mein äußeres Erscheinungsbild bei der Begrüßung genau inspiziert. Sie ist eine so mächtige Erscheinung, dass ich etwas länger brauche, um mir ein vollständiges Bild von ihr zu machen. Sie hat Unterarme, die mächtiger sind als meine Oberschenkel. Dazu ist sie verdammt groß und trotz ihrer netten Art wirkt sie irgendwie bedrohlich auf mich. Sie ist freundlich und wir plaudern ein wenig über meine berufliche Vergangenheit, die ja wirklich eine Katastrophe Ist. Während des Gesprächs kommt eine weitere Frau aus dem Nebenraum dazu. Sie ist ebenfalls verdammt mächtig, allerdings nicht ganz so groß. Kaum ist diese mächtige Frau verschwunden, kommt eine dritte Frau, um ein paar Akten zu bringen. Auch sie ist deutlich übergewichtig. Vermutlich sind die nur hereingekommen, um mal einen untergewichtigen Mann zu sehen. Hoffentlich ist es keine Voraussetzung, dass ich mich zu einem übergewichtigen Koloss entwickeln muss. Ein Hungerhaken wie ich hat vermutlich keine Chance hier jemals einen Bürojob zu ergattern. Aber schon jetzt weiß ich, dass ich nicht eingestellt werde und es auch nicht möchte. Würde ich dennoch einstellen lassen, könnte ich mir natürlich keinen Blödsinn erlauben, denn wenn man zum Rapport zur Marktleitung bestellt wird und diese wütend auf einen ist, macht sie einen bestimmt platt. Vor einer so mächtigen Erscheinung habe ich ein wenig Angst, was ich aber nicht verrate. Während meine Gedanken immer weiter abschweifen wird mir mitgeteilt, dass das Vorstellungsgespräch vorbei ist. Ob ich für den Job in Frage komme oder nicht, wird nicht geklärt. Ich lasse mich einfach überraschen und warte was passiert. Zur Sicherheit besorge ich mir in der Zwischenzeit das Buch „Wie werde ich korpulent in nur 27 Tagen“. Dann kann mir nichts passieren, falls ich doch angenommen werde.


Maßnahme statt Zelten
Meine neue Sachbearbeiterin beim Arbeitsamt möchte mich unbedingt kennenlernen, weshalb ich ihrer Einladung nachkomme und sie besuche. Ich bin erstaunt, wie oft ich neue Sachbearbeiterinnen bekomme. Diese ist sehr eifrig, will meinen kompletten, beruflichen Lebenslauf und stellt viele Fragen. Zwischendurch schlägt sie mir eine Umschulung zum LKW Fahrer vor, welche ich dankend ablehne. Am Ende des Gesprächs einigen wir uns darauf, dass ich im nächsten Monat zwei Wochen an einem Selbstfindungskurs teilnehme. Natürlich ist das nicht wirklich ein Selbstfindungskurs, sondern ein Kurs bei dem festgestellt werden soll, wozu ich überhaupt zu gebrauchen bin. Vermutlich wird in den zwei Wochen festgestellt, dass ich zu gar nichts zu gebrauchen bin. Was mich am meisten ärgert ist, dass ich zwei Wochen lang täglich nach Essen fahren muss. Das ist mir viel zu weit entfernt, da bin ich täglich mindestens zwei Stunden mit Autofahren beschäftigt und wenn es ganz übel läuft wird am Ende festgestellt, dass ich als Autofahrer eingesetzt werden kann. Dann bekomme ich ein Taxi und fahre Leute von A nach B. Ein deprimierender Gedanke. Etwas Gutes hat die Sache allerdings durchaus. Zu der Zeit, in welcher der Selbstfindungstripp stattfindet, wollte Birte mit mir Zelten. Aus der Nummer bin ich so ganz bequem raus. Das gefällt mir.


Ich habe gar keine Beziehung
Wenige Tage nachdem ich erfahren habe, dass ich nicht mit Birte zelten kann, sehe ich Birte zum letzten Mal, was aber nichts mit irgendwelchen Zelten zu tun hat. Und so endet ein ganz normaler Wochentag mit einer scheinbar normalen Verabschiedung mit der auch unsere Beziehung endet, was mir natürlich bei der Verabschiedung nicht klar ist, denn dummerweise sagt sie mir nichts davon, dass wir uns nicht mehr wiedersehen. Daher glaube ich in meiner totalen Naivität, dass wir noch immer zusammen sind, obwohl ich auf meine Kontaktversuche erst Tage später eine Antwort bekomme. Und obschon ich merke, dass die Beziehung wohl vorbei ist, kann ich es nicht verstehen und schreibe weitere SMS, weil sie nicht ans Telefon geht, wenn ich sie anrufe. Ich benehme mich genauso, wie ich mich nie benehmen wollte. Ich bin genau diese Art jämmerlicher Waschlappen, der ich hoffte nicht zu sein.

Ein paar Tage später ruft Birte mich an, um mir zu sagen, dass sie derzeit beruflich und privat dermaßen viel um die Ohren hat, dass einfach keine Zeit für eine Beziehung bleibt und meine Nachrichten einfach nur nerven. Wenn ich nicht so verwirrt wäre, dann würde ich sie für den Blödsinn, den sie erzählt maßregeln oder wenigstens für verrückt erklären. Stattdessen versuche ich vollkommen durcheinander diese Beziehung, die nie zu retten war, zu retten und quatsche sie mit irgendwelchen jämmerlichen Geschichten voll. Am Ende stellt sie mir tatsächlich noch ein letztes Treffen in Aussicht, aber dies sicher nur, damit ich endlich Ruhe gebe. Ich bin allerdings in einem Zustand in dem ich unbedingt daran glauben will, dass sie es ernst mit dem Treffen meint, obwohl ich, wenn ich mich in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden würde, nicht daran glauben und mich auch nicht so aufführen täte. Wie ein kleiner Schwachkopf hoffe ich stattdessen, sie noch einmal wiederzusehen, umzustimmen und eine Beziehung, die nie eine Chance hatte, fortzuführen. So etwas ist mir bisher noch nie passiert. Vermutlich habe ich nun endgültig den Verstand verloren.


Unterwegs mit Pärchen
Meinen ersten Abend als offizieller Single verbringe ich mit Loerz, Sören, deren Freundinnen und einem weiteren Pärchen im Road Stop. Fast wie in alten Single Zeiten. Ich mag es, wenn die Leute, mit denen ich unterwegs bin, glücklich sind. Irgendwie passt die Situation, als einziger Single unter lauter Pärchen zu sein, auch viel besser zu mir. Andersherum war es immer so irreal. Und jetzt wo mein Höhenflug vorbei ist kann ich endlich mein altes Leben wieder leben und die Veränderungen, die ich und andere an mir feststellten, werden sicher auch innerhalb kurzer Zeit wieder verschwunden sein. Vermutlich werde ich mich bald wieder täglich verfluchen und rumjammern.


Einladung zur Weiterbildung
Fast hätte ich es mutwillig verdrängt, dass ich eine zweiwöchige Teilnahme an irgendeiner Maßnahme vor mir habe. Doch ein Brief des Arbeitsamtes erinnert mich daran, dass es am 09. Juli losgeht. Voraussichtlich bis zum 20. Juli, täglich von 7.30 Uhr bis 17.00 Uhr werde ich beschäftigt sein. Es nennt sich Weiterbildung und kostet 498€. Genauer Titel: PROFIL Seminar. Ziele unter anderem: Leistungsdiagnostik, Integrationsplanung, Orientierung und Entscheidungshilfe. Inhalte unter anderem: Eignungsdiagnostik mit relevanten psychometrischen Testverfahren, Verhaltensdiagnostik und ausführliche, individuelle Anamnesegespräche. Voraussetzungen: keine besonderen Voraussetzungen.

Am Ende der Weiterbildung gibt es einen Abschlussbericht und ein geiles Zeugnis. Ich bin mir schon jetzt sicher, dass der ganze Kram sein Geld nicht wert sein wird. Mal schauen, wer sich die fette Kohle reinzieht und was für Leute ich da ertragen muss. Und mit dem Abschlussbericht werde ich anschließend direkt in eine goldene, berufliche Zukunft starten. Unglaublich mit was für einer Scheiße die Leute heute ihr Geld verdienen. Es scheint immer mehr so, dass die Menschheit von Tag zu Tag bekloppter wird. Doch am Ende wird sicher festgestellt, dass ich der einzige Bekloppte bin und meine Einstellung nicht angemessen ist. Trotzdem erscheint mir sie eine Maßnahme irgendwie unsinnig für mich, weil ich grundsätzlich innerlich rebelliere, wenn man mir mit so etwas kommt. Ich bin der geborene Arbeitslose, da sollte man kein Geld für mich verschwenden.