Ausbildung

Ausbildung zum Energieelektroniker
Ich bin 19 Jahre alt, habe keine Freundin und lebe mit meinen Eltern in deren Wohnung. Ich bin ein unmotivierter Typ, der gerne Filme schaut und sehr faul ist. Leider mag es die Gesellschaft nicht, dass ich einfach nur nichts mache, weshalb die Zeit der Entspannung jetzt vorbei ist. Das Leben wird ab sofort noch ernster, denn ich beginne eine Ausbildung zum Energieelektroniker bei der Firma Westfalia in Lünen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ein Energieelektroniker so macht und ob ich machen will, was ein Energieelektroniker macht. Ich mache das nur, weil es so üblich ist, dass man eine Ausbildung macht. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann würde ich das nicht tun. Eine Ausbildung passt nicht zu mir, dass war mir schon früh klar. Und ich will kein Auszubildender sein. Ich mag das Wort nicht einmal.

Erste Schultage
Noch bevor ich den Betrieb kennenlerne, beginnt die Schule zur Ausbildung. Sofort wird mir klar, dass es nur Unterrichtsfächer gibt, die mir nicht liegen. Alles ebenso unverständlich und langweilig wie damals der Physikunterricht. Und das muss ich mir nun dreieinhalb Jahre antun. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Völlig uninteressanter Unterricht. Scheiße. Die ganzen Mitschüler sind mir suspekt. Meine drei Kollegen, die ebenfalls bei der Westfalia ihre Ausbildung machen, sind allesamt besser als ich und scheinen sich vorher über den Beruf informiert zu haben. Sie machen genau das, was sie machen wollen. Ich mache einfach nur mit und hoffe, es irgendwie zu überstehen.

Meine drei Kollegen sind, bis auf die Tatsache, dass sie Energieelektroniker werden wollen, auf den ersten Blick recht unterschiedlich. Einer hat ein Sprachproblem, denn er stottert, vor allem, wenn er nervös ist. Aber er wirkt sehr motiviert und interessiert. Er wird sicher später in seinem Beruf aufgehen. Kollege Nummer 2 hört auf den Namen Sam und scheint auch zu wissen, was er hier will und was er in seinem Leben erreichen will. Er wirkt sehr selbstbewusst und scheint sich zu mögen. Wirkt wie ein Sohn aus gutem Hause. An seiner Stelle würde ich keine Ausbildung machen, sondern einfach nur Sohn sein. Der dritte im Bunde ist ein Pole. Ich glaube, dass ich mit ihm gut auskommen werde. Warum weiß ich aber nicht.

Erste Arbeitstage
Schon mein erster Arbeitstag ist ein einziger Schock. Wir bekommen Arbeitskleidung. Blaue Arbeiter Uniformen und dazu passend stylische, braune Sicherheitsschuhe. Spätestens bei der Anprobe weiß ich, dass ich alles bei meiner Berufswahl falsch gemacht habe. Arbeitskleidung widert mich an. Und es wird nicht besser. Man zeigt uns den Betrieb. Furchtbare Hallen mit lauter Arbeitern. Wie soll ich mich in so einer Umgebung wohlfühlen? Das kann doch alles nicht wahr sein. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?
Nach wenigen Arbeitstagen weiß ich, dass mir der Beruf nicht gefällt. Ich bin kein Handwerker und ich hasse es, mich dreckig zu machen und in kalten Hallen meine wertvolle Zeit zu verbringen. Und die Arbeitszeiten lassen meine Laune täglich weiter sinken. Mitten in der Nacht aufstehen, um ab sechs Uhr hier abzuhängen, ist alls andere als akzeptabel. Ich habe mir einen persönlichen Alptraum geschaffen. Und alles nur, weil ich nicht wusste, was ich tat. Verdammt.

Schlechte Noten, miese Zukunft
Mittlerweile bin ich 20 Jahre alt, habe noch immer keine Freundin und lebe weiter mit meinen Eltern in einer WG. Ich bin weiterhin sehr faul und gucke lieber Filme als arbeiten zu gehen. Dennoch mache ich weiterhin die Ausbildung zum Energieelektroniker und finde es noch immer doof. Energieelektroniker ist ganz sicher kein Beruf für mich. In der Schule schreibe ich im besten Fall eine Vier. Mittlerweile tendiere ich aber dazu, eine Fünf oder gar Sechs zu bekommen, denn ich verstehe nichts von dem unverständlichen Kram. Ohm, Watt, Volt. Solche Informationen habe ich nie gewollt. Völlig nutzlos zu versuchen, mir das beizubringen. Und so dauert es nicht lange, bis die Schule meine schlechten Noten dem Betrieb meldet. Wie immer verspreche ich, mich zu bessern, aber von Besserung keine Spur. Schlechte Noten sind meine Welt. Es wird sicher nicht lange gut gehen, bis jeder davon überzeugt ist, dass meine Versprechen nichts bedeuten und ich mich kein bisschen verbessere. Im Unterricht sitze ich einfach nur da und habe das Gefühl, dass alle eine andere Sprache sprechen. Ich bin völlig fehl am Platz. Einige meiner Mitschüler sind ganz begeistert, beteiligen sich am Unterricht und schreiben immer gute Noten. Ich kann das nicht verstehen. Der stotternde Typ wird mittlerweile Holzkopf oder Bart Simpson genannt. Eine Idee von Sam. Holzkopf ist ein guter Schüler. Der macht bestimmt mal eine tolle berufliche Karriere. Der Pole ist auch sehr fleißig. Um ihn muss man sich auch keine Sorgen machen. Sam ist nicht ganz so gut, aber dafür hat er den meisten Spaß. Er muss sich um seine Zukunft sowieso keine Sorgen machen. Ich hingegen bin ein Sorgenkind, um das man sich Sorgen machen sollte. Zumindest ich sollte mir Sorgen machen.

Bäcker oder Metzger
Neues Jahr, altes Leid. Ich bin noch immer 20 Jahre alt und ein unglaublich fauler Sack. Eine Freundin ist weit und breit nicht in Sicht und meine schulischen Leistungen haben sich, wie es zu erwarten war, nicht verbessert. So ist es wenig verwunderlich, dass mein Klassenlehrer sich erneut beim Betrieb beschwert und mitteilt, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass ich die Ausbildung schaffe. Abermals werde ich daraufhin von unserem Meister zu einem Gespräch gebeten. Alles wie vor vier Monaten. Doch irgendwie auch ernster. Mein Meister schlägt mir vor, es als Bäcker oder Metzger zu versuchen, weil ich scheinbar zu schlecht für diesen Beruf bin. Da ich als Metzger oder Bäcker ebenso ungeeignet bin, lehne ich einen Berufswechsel ab, verspreche erneut, mich zu bessern und muss die nächsten Wochen im Zimmer neben dem Meister lernen. So bin ich unter ständiger Beobachtung, was aber nichts nützt, denn ich mache zwar den Eindruck, als würde ich lernen, aber in Wirklichkeit blättere ich nur in den Fachbüchern rum, da ich kein Wort von dem verstehe, was dort geschrieben steht. Es interessiert mich auch nicht. Stattdessen genieße ich es, nicht in einer der dreckigen Hallen arbeiten zu müssen, sondern im warmen Büro zu sitzen, Musik zu hören und ab und zu ein paar technische Zeichnungen zu erstellen. Technische Zeichnungen sind übrigens das einzige, was ich hinkriege, ohne alles falsch zu machen. Und so erwecke ich in den nächsten Wochen den Eindruck, dass ich es schaffen will und werde und darf deshalb meine Ausbildung fortsetzen. Ob das wirklich ein Glücksfall für mich ist, darf bezweifelt werden. Aber immerhin habe ich mir so ein wenig Luft verschafft.

Fast geschafft
Mittlerweile bin ich 22 Jahre, habe noch immer keine Freundin, es aber geschafft, nicht aus dem Ausbildungsbetrieb geworfen worden zu sein. Das habe ich meinem Meister zu verdanken, der mich mit großer Geduld bis hierher gebracht hat. Ich hätte mich nie so weit kommen lassen. Was ebenso schrecklich wie die Ausbildung selbst ist, sind unsere Frisuren. Vier Auszubildende zum Energieelektroniker mit schrecklichen Frisuren. Drei von uns haben eindeutig zu viele Haare am Hinterkopf und der Pole hat durch sein ständiges Kämmen kaum noch Haare auf dem Kopf. Aber die wenigen Haare, die er noch mit sich rumträgt, liebt er so sehr, dass er Witze darüber gemein findet und sobald ein Witz oder ein Kommentar zu seinen Haaren gemacht wird, seine Bürste rausholt und loskämmt. Lange wird er dieses Vergnügen sicher nicht mehr haben. Dann wird ein Glatze sein Haupt zieren und es ist vorbei mit dem Kämmen. Armer Kerl.

Das Ender der Ausbildung
Während ich es noch immer nicht glauben kann, dass die Ausbildung fast vorbei ist, steht auch schon die Abschlussprüfung an. Noch immer habe ich keine Ahnung von der ganzen Elektronik und weiß genau, dass ich in diesem Beruf niemals arbeiten werde. Bei der praktischen Prüfung habe ich ein kleines Problem, denn ich weiß nicht, was ich mit dem Bauteil vor mir machen soll. Ich weiß nicht, wo welcher Strom warum fließen soll und stehe einfach nur so da, halte das Messgerät mal hier, mal dort an, ohne den geringsten Plan von der Materie zu haben. Glücklicherweise steht in meinem Sichtbereich der Pole. Da ich weiß, dass er ein Guter ist, beobachte ich ihn und kann sogar lesen, was er auf dem Prüfungsbogen einträgt. Ich merke mir die Zahlen, tue so, als würde ich selber messen und trage dann die Werte auf meinem Prüfungsbogen ein. Ich bin ein echter Betrüger, doch das ist mir egal. Wichtig ist es, die Prüfung zu schaffen und nie wieder so einen Mist machen zu müssen. Direkt nach der Prüfung ziehe ich meine gut erhaltenen Arbeitsschuhe aus und hänge sie auf dem Parkplatz an die Anhängerkupplung eines VW Passat. Für mich ist die Zeit der Arbeitsschuhe heute vorbei.
Kurze Zeit später erfahre ich, dass ich die Prüfung bestanden habe. In der Theorie war es zwar knapp, aber das spielt keine Rolle für mich. Meine Aufgabe ist erfüllt und nun ist es Zeit, mich auf das nächste große Ereignis vorzubereiten. Den Zivildienst.

Die Ausbildung in Bildern

Westfalia AusbildungDie vier Azubis und ihr Meister.

 

Ausbildung WestfaliaKaum war der Meister fort, schon wurde getanzt.

 

Ausbildung WestfaliaEinfach mal hingesetzt, war ja niemand da.

 

Ausbildung WestfaliaManch einer hatte sogar Spaß während der Arbeit.

 

Ausbildung WestfaliaAlles nur Tarnung. Gearbeitet wurde nur, wenn ein Vorgesetzter in der Nähe war.

 

Ausbildung WestfaliaWir vier und unser Vorbild.;-) Unser Vorbild steht rechts.

 

Ausbildung WestfaliaArbeit hatte manchmal eine merkwürdige Wirkung auf den Gesichtsausdruck.

 

Ausbildung WestfaliaWer nicht laufen konnte oder wollte, der wurde halt getragen. Meistens ich …

 

Ausbildung WestfaliaPause war immer gut. Und reichlich zu essen gab es auch.

 

2 Kommentare

  1. Ich habe ein paar Mal leise gelacht. Mit diesem Einblick, mit diesen Beitrag hast Du mich dazu gebracht, zum ersten Mal über mich und meinen Ausbildungsstart lachen zu können. Bisher hat mich das alles nur deprimiert und ich muss es tief verdrängt haben. Vielleicht ist es sogar so, dass ich mit dem Wissen, auch anderen ist es ähnlich ergangen, diesen meinen verkorksten Höhepunkt erst so richtig anschauen mag. Ich erinnere eine Szene, die ich rückblickend auch lustig finde: Ich kam nach einem langen Tag im Ausbildungsbetrieb nach Hause. Und obwohl ein Bekannter anwesend war, hob ich meinen Rock, um die gehasste Feinstrumpfhose – die ich tragen musste! – direkt auszuziehen, weil ich sie auf der Haut nicht mehr ertrug. Ich muss dabei sehr viel Bein – vermutlich sogar mehr – gezeigt haben, denn der Bekannte erzählte davon noch zwanzig Jahre später.

    • Das ist eine Erinnerung fürs Leben und hat den Bekannten nachhaltig begeistert. Ob es ohne Ausbildung je dazu gekommen wäre?

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