Ausbilderprüfung

Wie kam es dazu, dass ich beschlossen habe, freiwillig die Ausbilderprüfung, den Ausbildungsschein, zu machen? Ich habe das, wenn ich mich richtig erinnere, kurz nach dem Tod meines Vaters entschieden, oder war es sogar noch, während er langsam vor sich hin starb? Ich weiß es nicht. Ein Grund ist sicherlich auch mein Onkel, der vor vielen Jahren die Ausbildung zum Kraftverkehrsmeister machte und sehr viel von dieser Ausbilderprüfung, die Teil des Ganzen war, sprach. Das alles und auch die Tatsache, dass ich denke, dass ich so bessere Chancen auf einen Beruf habe, führten letztlich dazu, dass ich das mache. Ich habe auch beim Jobcenter nach einer Förderung gefragt, aber man wollte mir das nicht finanzieren und auch nicht gestatten, dass ich das in Vollzeit mache, weil ich in der Zeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen würde. Also zahle ich es selbst und pfeife aufs Jobcenter.

Tag 1
05.47 Uhr aufstehen. Um 07.10 Uhr losfahren und feststellen, dass die B1 zu voll ist, um pünktlich anzukommen. So bin ich an meinem ersten Schultag gleich zu spät. Wie kann der Weg zur Ausbilderprüfung schöner beginnen?

16 weitere Männer und 5 Frauen haben, wie ich, ebenfalls den Wunsch, die Ausbilderprüfung zu machen. Ich bin der zweitälteste und nach den ersten Eindrücken auch der zweitblödeste hier. Beste Voraussetzungen also für dreizehn wundervolle gemeinsame Tage. Der Klassenraum ist gut gekühlt, weil die anderen Teilnehmer das wohl mögen und die Fenster durchgehend geöffnet sind. Die Pausen sind mir mit ihren fünfzehn Minuten zu kurz, der Unterricht ist ermüdend. Ich sitze neben einem Mann, der fast in meinem Alter ist. Ich habe nicht das Bedürfnis mit ihm zu reden. Es sieht derzeit so aus als würde ich während der Zeit, die wir hier verbringen, mit niemandem reden wollen. Schnell bilden sich die ersten Pärchen, welche sogar gemeinsam zur Toilette gehen, was mich arg verwirrt, weil es Männerpärchen sind. In meiner Klischee Welt gehen nur Frauen gemeinsam zur Toilette. Doch was weiß ich schon von der Welt der Menschen unter 30?

In der zweiten Pause spricht mich einer der Teilnehmer an, weil er bei der Vorstellungsrunde mitbekommen hat, dass ich Menschen bei Bewerbungen helfe. Er hat zwei Cousins und fragt, ob ich denen helfen kann. Natürlich kann ich das. Was ich ihm verschweige ist die Tatsache, dass meine Bewerbungen ziemlich mäßig sind. Vielleicht merkt er das ja nicht. Außerdem siezt er mich, was mich nicht nur irritiert, sondern auch deprimiert. Ich bin alt. Ich will das nicht. In den folgenden neunzig Unterrichtsminuten schlafe ich mehrfach ein und weiß dann kurzzeitig nicht, wo ich bin. Fängt alles wirklich vielversprechend an. Der Dozent erzählt von der Prüfung und schnell wird klar, dass ich hier nichts zu suchen habe. Die Prüfung wird sich natürlich mit einem Ausbildungsberuf beschäftigen. Mein Plan war es dem Prüfer, der so tut, als wäre er ein Auszubildender, zu erklären, wie man eine fantastische Bewerbung erstellt. Wenn ich den Dozenten richtig verstehe, kann ich das vergessen. Dumm nur, dass mir das am Telefon vor meiner Anmeldung anders mitgeteilt wurde. Also bin ich hier wohl falsch. Dafür zahle ich gerne fast 700€ aus eigener Tasche. Alleine daran erkennt man, dass ich vollkommen einen an der Waffel habe. Weil ich mir nun selber peinlich bin, beschließe ich, dass ich mit niemandem aus der Runde reden werde. Außerdem sind die meisten hier intelligenter, gebildeter und beruflich erfolgreicher. Da komme ich mir nur noch minderwertiger vor, wenn ich mit denen rede. Das möchte ich nicht.

Tag 2
Obwohl ich gestern schon um 21.25 Uhr im Bett war und eine Stunde später das Licht ausgemacht habe, bin ich alles andere als ausgeschlafen, als der Wecker um 05.47 Uhr Lärm macht. Es ist dunkel und entschieden zu früh, weshalb ich unverzüglich den Tag verfluche. Mich verfluche ich gleich mit, weil ich mich für die Ausbilderprüfung entschieden habe und dafür Geld ausgebe. Das ist eine Unverschämtheit.

Da es mir gestern zu voll auf der B1 war, fahre ich durch die Stadt und spare ganze 20 Minuten. Der Dozent des Tages ist 75 Jahre und macht einen vernünftigen Eindruck. Mal sehen, was er so im Angebot hat. Links vor mir sitzt der Typ, der irgendwie Probleme mit seiner Hose hat. Immer, wenn er sich bückt, bietet diese Hose freien Blick auf seine Arschritze. Ich weiß echt nicht, ob das wirklich nötig ist. Außerdem bietet sich der Anblick jedes Mal, wenn er auf seinem Stuhl nach vorne rückt. Das ist nicht schön. Während der Dozent plaudert, fällt ihm auf, dass der Arschritzenmann einschläft und spricht ihn darauf an. Gestern ist er auch eingeschlafen. Da sind wir uns sehr ähnlich, er hat nur das Problem, dass er so blöd sitzt, dass es auffällt. Irgendwie erinnert er mich an Stiffler aus American Pie. Damit ist er der erste, dem ich einen Namen gebe. Stiffler. Der Dozent sagt, dass er im Prüfungsausschuss der Jüngste ist. Der Älteste dort ist 96. Erstaunlich. So ein Job scheint gut für die Gesundheit zu sein. Möglicherweise ist das was für mich. Aber wahrscheinlich muss man von irgendwas eine Ahnung haben, wenn man das machen will. Dann ist es doch nichts für mich. Der Dozent erzählt nun, wie er vor ein paar Jahren fast gestorben wäre. Wegen eines Kaliummangels. Seitdem hat er einen Defibrillator, der aber noch nie angesprungen ist, weil er für sein Alter topfit ist. Sollte er mal umkippen, sollen wir ihn liegenlassen, der Defibrillator kümmert sich um alles. Sehr gut, ich mag es, wenn alles geregelt ist.

Später sollen wir eine Gruppenarbeit machen. Ich schaue mich um. Mit wem würde ich zusammen arbeiten wollen? Mein Sitznachbar scheint okay zu sein. Die blonde Frau am Ende unserer Tischreihe auch. Der Typ, der mich gestern gesiezt hat auch. Einen brauche ich noch. Stiffler? Oder lieber den Mann, der lange bei der Bundeswehr war? Ich nenne ihn ab heute Soldat. Ja, den nehme ich in meine Gruppe. Doch da hat der Dozent etwas gegen. Er sagt, wir ziehen Karten, um die Gruppen festzulegen. Herrschaftszeiten, ist der völlig verrückt? Ich will nicht mit den anderen arbeiten. Wie ich sehen kann, zieht der Soldat Herz. Die blonde Frau Kreuz, mein Sitznachbar Karo. Ich bekomme den Kreuz Buben. Also habe ich die blonde Frau bekommen. Aber wen gibt es dazu? Die Kreuzgruppe hat das Thema Mutterschutzgesetz. Raum 203 ist unser Arbeitsort. Ich bin der erste dort und warte, wer da kommen wird. Es kommen ein Typ aus der zweiten Reihe und die 22 jährige, die neben ihm sitzt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es folgt die blonde Frau, gefolgt von der 29 jährigen aus der ersten Reihe. Drei von fünf Frauen für mich. Irgendwie cool. Da sitzen wir nun. Alle distanziert, abwartend. Der Typ hat immer wieder Ideen zum Thema, an denen er uns teilhaben lässt. Ich bin froh, dass er redet, denn ich weiß nichts zu sagen. Es muss eine Ewigkeit her sein, dass ich mit fremden Menschen zusammenarbeiten musste. Das hier ist nicht zu vergleichen mit den Situationen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Ich fühle mich nicht im Stande, mit den Leuten hier wirklich zu reden. Es ist erschreckend, was aus mir geworden ist. Nun schweigen alle und wir lesen im Arbeitsschutzgesetz nach. Ich weiß allerdings nicht wirklich, was ich lesen soll. Mir fehlt hier die Struktur. Möglicherweise auch der Verstand. Außerdem komme ich mir voll blöd vor, weil die anderen so viel jünger sind als ich. Ich schaue mir mein Team an. Alle sind vertieft in die Gesetze. Die jüngste hat rote Haare und wirkt älter als 22. Ich weiß nur nicht, woran es liegt. Vermutlich irgendwas Genetisches. Der Typ wird um die dreißig sein. Er hat immer wieder hilfreiche Ideen, hält die Gruppe in Aktion und muss oft zur Toilette. Vielleicht hat er eine schwache Blase. Die blonde Frau hat schöne Zähne und schöne blaue Augen. Optisch ist sie wirklich schön anzusehen. Außerdem ist sie schwanger, wie sie sagt. Dann sollte das doch genau ihr Thema sein. Neben ihr sitzt die 29 jährige, die mir gestern schon auffiel. Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll. Irgendwie ist sie interessant. Ich weiß nur nicht, auf welche Art ich sie interessant finde. Immer noch keine Struktur in der Gruppe. Also frage ich, was mich eine Menge Überwindung kostet, wer denn eine ordentliche Schrift hat und unsere Präsentationsblätter beschriftet. Die Junge, der Hilfreiche, die Schwangere und ich lehnen ab. Ich fürchte schon, dass die Eifrige, so nenne ich die 29 jährige, weil sie sich gestern so eifrig am Unterricht beteiligt hat, auch nicht will, doch sie erklärt sich einverstanden, das zu übernehmen. Dann reden wir kurz durcheinander, bevor alle wieder die Gesetzestexte betrachten. Immer noch keine Struktur und noch immer komme ich mir blöd vor, weil ich keine Ahnung habe, was ich tun soll. Fast zeitgleich fangen die vier nun an etwas in ihre Blöcke zu schreiben. Erscheint mir unsinnig, weshalb ich frage, ob es nicht besser wäre, wenn nur einer schreibt und die Eifrige, wenn es fertig ist, dies dann ordentlich überträgt. Sofort sind alle einverstanden. Es muss nur jemand gefunden werden, der die Schreibarbeit übernimmt. Wieder wird es die Eifrige. Sie macht ihrem neuen Namen alle Ehre und ich finde sie ab sofort positiv interessant.

Früher war ich ein witziges Kerlchen, welches es verstand, andere zum Lachen zu bringen. Heute will es mir zunächst nicht gelingen mit unsinnigen Sprüchen die Situation etwas aufzulockern, was mich etwas entsetzt. Habe ich nun auch meinen Humor verloren? Ich versuche es erneut und als alle aus der Gruppe lachen, glaube ich, dass noch ein Rest Hoffnung für mich besteht, weshalb ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit etwas einwerfe, von dem ich glaube, die anderen könnten es witzig finden. Da meine Einwürfe scheinbar ankommen, wird in unserer Gruppe gelegentlich gelacht und ich gehe nicht davon aus, dass nur aus Höflichkeit gelacht wird. Das wäre fatal und auch irgendwie erniedrigend. So bilde ich mir ein, dass ich zwar blöd, aber witzig bin, was gut für meinen Gemütszustand ist. Es muss Jahre her sein, als ich zuletzt drei Frauen auf einmal zum Lachen brachte. Vielleicht ist dieses letzte und vermutlich einzige Talent noch nicht völlig verkümmert. Fast fühle ich mich wie der Hahn im Korb, doch dann wird die Zeit knapp und es wird Zeit mit der Aufgabe, zu der ich nicht wirklich etwas beitrage, fertig zu werden. Die Eifrige beginnt, die Präsentationsblätter zu beschriften, während wir anderen noch den Rest zusammentragen müssen. Ich bitte die Junge für uns zu schreiben, damit die Eifrige es nachher so übernehmen kann. Sie ist einverstanden. Ich habe zwar von nichts wirklich Ahnung, kann aber ganz gut delegieren und flache Witze machen. Immerhin. Ich schaue mir die Eifrige, die mit dem Rücken zu mir die Blätter beschreibt, an. Breite Hüften, breiter Hintern. Schönes Haar. Meine Gruppe ist vermutlich ein absoluter Glücksfall für mich. Da wir alles zweimal vortragen sollen, brauchen wir nun noch Leute, die das übernehmen. Der Hilfreiche ist sofort bereit. Die Schwangere will auf keinen Fall, deshalb bin ich verwundert, wie sie die Gruppe zusammenstellt. Männer und Frauen getrennt. Für mich optimal, somit ist meine Arbeit getan. Die Frauen meiner Gruppe sind sehr nützlich. Weil die Jüngste das mit der Gruppeneinteilung nicht versteht, sage ich ihr, dass sie sich das aussuchen darf. Sie kommt zu uns, weil der Hilfreiche hilfreich ist und wir so nichts weiter tun müssen.

In der anschließenden Pause kommt es, wie es kommen muss. Die Gruppen machen, so wie sie zusammengearbeitet haben, Pause. Uns fehlt nur die Schwangere, während wir der Eifrigen beim Rauchen zusehen und eine entspannte Unterhaltung führen, bei der ich allerdings nicht viel zu sagen habe, weil ich gestört bin. Die Eifrige hat schöne Hände und Fingernägel. Sowas mag ich. Da sie noch eine zweite Zigarette raucht, überziehen wir die Pause. Als sie bemerkt, dass wir ihretwegen länger draußen bleiben, sagt sie, dass sie das voll nett findet, weil sie sonst nicht so gut behandelt wird, weil sie raucht. Ich sage, dass ich das gar nicht verstehen kann und es mich überhaupt nicht stört, was sie erfreut. Was bin ich nur für ein verlogener Arsch? Aber ich fühle mich einfach zu wohl in der Gesellschaft von sympathischen Frauen, da bleibt die eine oder andere Lüge halt nicht aus, damit ich auch in Zukunft diese Gesellschaft angeboten bekomme.

Die abschließende Präsentation verläuft ganz entspannt. Der Hilfreiche ist ein guter Mann und die Jüngste, die die ganze Zeit neben mir steht, riecht gut, was mir gut gefällt. Als die Präsentation vorbei ist, dürfen wir nach Hause. Dabei ist es noch nicht einmal 14.00 Uhr. Im Gegensatz zu gestern war das ein Fortschritt. Ich weiß aber noch immer nicht, welches Thema ich bei der Prüfung vortragen soll. Glücklicherweise geht es den meisten anderen auch so. Wirklich weiter bringt mich das auch nicht.

Tag 3
Als der Wecker klingelt, bin ich völlig gerädert. Ich muss wohl noch eher schlafen gehen, wenn ich das halbwegs überleben will. Ich bin echt alt geworden.

Der Dozent von vorgestern ist heute wieder an der Reihe. Es geht darum, wie wir die praktische Prüfung durchzuführen haben. Und je mehr er erzählt, desto ratloser bin ich, welches Thema ich nehmen kann. Bewerbungen sind raus, SGB II auch. Kaufmännische Themen ebenso, weil ich davon so wenig Ahnung habe, wie von meiner Ausbildung zum Elektriker. Alles ist so lange her und schon damals war das nichts, was ich auch nur halbwegs verstanden habe. Da ist es lustig, dass der Dozent uns immer Fachleute nennt. Wenn Arbeitsloser ein Beruf wäre, dann wäre ich vielleicht ein Fachmann, weil ich darin jahrzehntelang Erfahrung habe. Es ist unschwer zu erkennen, dass man als Dauerarbeitsloser in allen Lebensbereichen verblöden kann, wenn man nicht aufpasst. Das bringt mich nicht nur nicht weiter, es macht das Ganze hier zu einem echten Problem für mich. Doch davon weiß der Dozent nichts. Und so denken er und die anderen Teilnehmer, dass hier nur Fachleute sitzen. Und bis auf eine Ausnahme stimmt das wohl auch. Dieser Kurs entscheidet sich sehr von all den Kursen, die ich bisher gemacht habe. Niemand fehlt, es klingeln keine Telefone während des Unterrichts und die Leute sehen auch nicht aus, wie Arbeitslose, was daran liegen kann, dass sie auch nicht arbeitslos sind. So bin ich gezwungen mich jeden Tag zu duschen, nehme täglich Parfum und ziehe jeden Tag etwas anderes an. Das unterscheidet sich sehr von meinen Tagen in meiner Arbeitslosenwelt, denn da war mir dieser ganze Kram längst zu viel und auch unnötig. Hier aber mag ich nicht auffallen, weshalb ich mich zusammenreiße, um möglichst unauffällig diesen Weg zu bestreiten. Mit den Leuten aus meiner gestrigen Arbeitsgruppe rede ich heute kein Wort. Lediglich mit meinem Sitznachbarn unterhalte ich mich, weil wir in der Pause zusammenstehen. Ich versuche einigermaßen normal rüber zu kommen, was mir hoffentlich gelingt. Ich kann das nicht einschätzen, weil ich es nicht mehr gewohnt bin, Kontakt zu Fremden, nicht Arbeitslosen, zu haben.

Ich muss gestehen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass ich am Ende zu Hause viel für die Prüfung tun muss. Ich weiß echt nicht, ob ich dazu in der Lage bin.

Tag 4
Der vierte Schultag beginnt unerfreulich. Irgendwer hat den Tisch, der eine Reihe weiter vorne stand, nach hinten geschoben. Somit steht er direkt neben dem Tisch, an dem ich sitze. Da an dem verschobenen Tisch letzte Woche zwei Menschen saßen, sitzt nun einer dieser beiden direkt neben mir, weshalb ich alles andere als glücklich bin. Erschwerend kommt hinzu, dass die Tische insgesamt sehr schmal sind und man sich deshalb viel zu nah kommt. So kann ich nicht arbeiten. Neben mir sitzt nun also einer der beiden Köche. Er riecht nach Kaffee, Zigaretten und altem Schweiß. Wieso darf ein Koch so riechen? Verstehe ich nicht. Ich hoffe, dass er heute nur ausnahmsweise so streng riecht und ab morgen angemessen duftet.

Überraschenderweise müssen wir heute unser Thema für die Prüfung mitteilen. Erschreckenderweise sind alle anderen sogar dazu in der Lage. Als ich an der Reihe bin, sage ich, dass ich den Aufbau einer Webseite erklären werde. Der Dozent sagt, dass er davon keine Ahnung hat und ich es dann so erklären muss, dass er, oder der Prüfer, der den Azubi spielt, mir dennoch auf meine Fragen antworten kann. Das hat man davon, wenn man ein Thema nimmt, von dem die Prüfer keine Ahnung haben. Meine Hoffnung, dass das von Vorteil für mich sein kann, verneint der Dozent. Eher im Gegenteil. Weil ich es so noch besser erklären muss, damit mich jemand versteht. Klingt nach einer Art Arschkarte, die ich gezogen habe. All das ist wenig förderlich für meine Laune. Den Rest des Tages kommuniziere ich lediglich mit meinem Sitznachbarn zu meiner linken. Alle anderen ignoriere ich. Doch ich bin nicht der einzige, der wenig kommuniziert. Die Schwangere, die Jüngste und die Eifrige reden auch mit niemandem und verbringen die Pausen stets alleine. Dagegen bin ich fast ein Kommunikationswunder. Was mich allerdings etwas enttäuscht, ist die Tatsache, dass es hier überhaupt nicht lustig ist. Aber da ich auch schon lange nicht mehr lustig bin, passt es vermutlich perfekt zusammen.

Tag 5
Neuer Tag, neue Dozentin. Eine Frau, Mitte 40 schätze ich, stellt sich uns als nette und lustige Dozentin vor. Und tatsächlich erinnert sie mich an Martina Hill. Es ist jedenfalls erstaunlich, mit welch positiver Ausstrahlung sie uns umströmt. Nachdem sie uns eine Weile mit Wissen vollgestopft hat, soll eine Gruppenarbeit den Tag auflockern und uns weiterbringen. In meiner heutigen Gruppe gibt es keine Frauen. Nur den 60er Jahre Mann, der mich an irgendeinen Film erinnert und deshalb von mir so genannt wird, und einen sehr stillen, möglicherweise entspannten, anderen Mann. Er ist nur der dritte Mann. Ein besseres Pseudonym fällt mir für ihn nicht ein. Der 60er Jahre Mann übernimmt schnell die Führung. Fachlich und unterhaltungstechnisch ganz großes Kino. So mag ich das. Fast im Alleingang erledigt er unsere Aufgabe. Weil er es kann und ich arbeitslos bin, wird er der dritte Mann auserwählt, um unsere Arbeit vor der Gruppe vorzutragen. Während des Vortrags streue ich den einen oder anderen Witz ein, um die anderen Teilnehmer zu unterhalten. Fachlich ein Flop, unterhaltungstechnisch top. Bei der Prüfung wird mir das allerdings wenig nützen. Ich bin halt ein hoffnungsloser Fall. Aber einer mit einem gewissen Unterhaltungswert. Immerhin.

Die letzte Pause des Tages verbringe ich, nachdem mein Sitznachbar spontan wieder ins Gebäude zurück ist, alleine vor ebendiesem Gebäude und überlege, ob ich nun auch zurück gehe oder Kontakte knüpfe. Ich entscheide mich, zu kommunizieren. Der Älteste und die Eifrige führen ein Gespräch. Bei ihnen steht der Ex-Raucher, der sich aber nicht wirklich am Gespräch beteiligt. Ich stelle mich dazu, versuche etwas Small Talk mit dem Ex-Raucher und störe dann das Gespräch zwischen dem Ältesten und der Eifrigen. Die beiden siezen sich, was bei einem Altersunterschied von 30 Jahren vermutlich normal ist. Ich duze beide, weil ich definitiv nicht normal bin und alterstechnisch genau zwischen den beiden liege. Interessanterweise unterhalte ich mich fast nur mit der Eifrigen und dränge den Ältesten wohl irgendwie aus dem Gespräch, denn nach einer Weile geht er einfach. Der Ex-Raucher ist auch schon verschwunden, seinen Platz hat der 60er Jahre Mann eingenommen. Doch weil wir ihn nicht ins Gespräch mit einbeziehen, geht er bald wieder. Komisch. Und obwohl die Pause schon vorbei ist, stehe ich mit der Eifrigen noch draußen, weil sie ihre zweite Zigarette noch nicht aufgeraucht hat. Ich glaube, sie hat einen schlechten Einfluss auf mich. Aber weil ich es heute wieder interessant finde, mit ihr zu kommunizieren, lasse ich mich davon nicht beirren. Als die Zigarette aufgeraucht ist, gehen wir zurück in den Klassenraum und ich frage mich, ob die anderen mich jetzt nicht mehr mögen, weil ich sie einfach ignoriert habe. Dann stelle ich fest, dass mir das egal ist und schon kurze Zeit später ist auch dieser Schultag vorbei.

Tag 6
Mit jedem weiteren Unterrichtstag erscheint es mir unwahrscheinlicher, dass ich in der praktischen Prüfung auch nur den Hauch einer Chance habe und ich habe nicht das Gefühl, dass ich noch einen Weg aus meinem Dilemma finde. Ich sehe mich um und stelle fest, dass es hier gar keine Ausschussware gibt. Normalerweise nehme ich an Kursen, Weiterbildungen oder ähnlichem teil, bei denen ziemliche Vollpfosten rumsitzen. Hier scheint es nicht einen zu geben. Also keinen außer mir. Da habe ich Dauerarbeitsloser mich unter das normale Volk gemischt und bin scheinbar noch nicht entlarvt worden. Hier sehe ich nun deutlich, auf was für einem Niveau ich mich sonst bewege. Als hätte ich eine neue Welt betreten. Und in dieser Welt steht mal wieder Gruppenarbeit auf dem Plan. Zugelost bekomme ich den 60er Jahre Mann, den Hilfreichen und den zweiten Koch. Sofort ist mir klar, dass ich erneut weder schreiben noch etwas vortragen muss. Das Schreiben übernimmt der 60er Jahre Mann. Der zweite Koch schweigt die meiste Zeit und konsequenterweise übernimmt der Hilfreiche den Vortrag. So könnte ich bis an mein Lebensende weitermachen. Während der anschließenden kurzen Pause stelle ich fest, dass einige Teilnehmer sich mit ihren Vornamen ansprechen und eine Whatsapp Gruppe gegründet haben. Ich kenne so gut wie keinen Vornamen, nicht einmal den von meinem Sitznachbarn, und gehöre auch zu keiner Gruppe. Ich weiß zwar mittlerweile, wie Stiffler wirklich heißt, aber das ist mir egal. Für mich bleibt er Stiffler. Und kaum beginnt der Unterricht wieder, macht Stiffler seinem Namen alle Ehre und fragt auf seine unkonventionelle Art die Dozentin nach ihrem Alter. Einfach so. Aus einer Laune heraus. Er ist sehr unterhaltsam und die Dozentin ist 48.

Mit der Eifrigen, besser gesagt neben ihr, verbringe ich die letzte Pause. Manchmal kommunizieren wir zusammen, manchmal kommuniziert sie mit anderen und ich stehe einfach nur da und überlege, was für ein Parfum sie wohl benutzt. Weil ich keine Ahnung von Parfum habe, komme ich nicht drauf. Irgendwann dreht sie sich in die Sonne, schließt die Augen und grinst zufrieden. Sie scheint sehr entspannt zu sein. Unglaublich. Während ich sie dabei beobachte, bin ich sicher, dass sie mich an irgendwen erinnert. Oder erinnert mich diese Situation an irgendwas? Ich weiß es nicht. Vielleicht ein Déjà-vu. Nachdem sie ihre Augen wieder geöffnet und ihre zweite Zigarette aufgeraucht hat, deutet sie an, dass wir nun zurück gehen können. Das finde ich irgendwie sympathisch. Alle anderen gehen, wenn sie die Pause beenden und lassen mich einfach stehen. Vielleicht findet sie mich ja auch interessant. Das würde mir gefallen. Ich habe schon lange keine interessante Frau mehr kennengelernt. Ich bin echt ein komischer Kauz.

Tag 7
Machen Sie jetzt hier einen auf W-Lan? Mit dieser Frage, die Stiffler dem 75 jährigen Dozenten stellt, beginnt der Tag direkt sympathisch. Leider endet der Spaß damit auch, denn wenig später fängt der Dozent an zu erzählen. Ich weiß meist nicht, wovon er redet, aber ich weiß, dass sein Reden mich ermüdet. So ist es wenig verwunderlich, dass er mich irgendwann fragt, ob ich noch alles mitbekomme. Ich tue natürlich so, als wüsste ich nicht, wen er meint, reagiere nicht auf seine Frage und schaue zu dem Koch, der neben mir sitzt. Er weiß auch nicht, was der Dozent will. Als der Dozent mich erneut anspricht, um mir mitzuteilen, dass ich gemeint bin, antworte ich ihm, dass ich natürlich alles mitbekomme. Er scheint da seine, durchaus berechtigten, Zweifel zu haben und sagt, dass ich weggetreten aussehe. Ich erwidere, dass ich immer weggetreten aussehe, was ihm mein anderer Sitznachbar bestätigt. Wie soll man bei dem Vortrag nicht weggetreten aussehen?

Später gibt es wieder eine Gruppenarbeit. Dazu hat der Dozent Kärtchen mit Nummern erstellt. Jeder darf nun eine Karte ziehen. Zufällig bekomme ich mit, dass die Eifrige die 2 gezogen hat. Als die Karten bei uns ankommen, dreht mein Sitznachbar sie um, um sich eine passende Nummer zur Aufgabenstellung auszusuchen. Ich verlange sofort nach der zwei. Mein Sitznachbar ist noch unentschlossen und scheint zu glauben, dass ich meine Nummer nach dem Thema ausgesucht habe. Was interessiert mich das Thema, wenn ich eine gute Gruppe habe? Er entscheidet sich dann ebenfalls für Gruppe 2 und wir gehen in den Raum, der für unsere Gruppe geöffnet wurde. Und weil ich heute echtes Losglück habe, kommt der Hilfreiche ebenso in unsere Gruppe. Dazu noch die blonde Frau, mit der ich bisher noch nicht zusammengearbeitet habe. Somit ist die Verteilung schon geklärt, noch bevor wir zusammen kommuniziert haben. Die Eifrige schreibt, der Hilfreiche trägt vor. Später wird sich herausstellen, dass in allen anderen Gruppen jeder aus der Gruppe einen Teil vorträgt. Weil wir nicht wie die anderen sind, interessiert uns das alles nicht. Ich sorge, wie nicht anders von mir zu erwarten, für eine gewisse Struktur, weil ich zu viel Chaos einfach nicht ertrage. So beauftrage ich die Eifrige, unsere gesammelten Ideen aufzuschreiben und diese dann später auf das große Blatt Papier zu bringen. Wir sind erstaunlich produktiv, wobei auch heute der Hilfreiche den größten Anteil dazu beiträgt. So ist es wenig verwunderlich, dass wir als erste Gruppe fertig mit der Aufgabe sind. Effizient nennt man sowas wohl. Während die anderen Gruppen noch arbeiten, stehen wir längst draußen und unterhalten uns ausgelassen. Ich mag entspannte Plauderrunden, die nichts weiter zum Ziel haben als Zeitvertreib. Die anschließende Präsentation ist ein Klacks und nachdem alle anderen ihren Kram vorgetragen haben, dürfen wir nach Hause. Wenn doch nur alles so einfach und unkompliziert wäre.

Tag 8
Nachdem ich gestern erfolglos versucht habe, die Unterweisung zur Prüfung fertigzustellen, ist meine Laune dementsprechend gedämpft, als ich den Schultag beginne. Sie wird auch nicht besser, als der Dozent uns mit Wissen füttert. Für mein müdes Gehirn ist das alles zu viel. Ein Erfolgserlebnis wäre zu diesem Zeitpunkt nicht schlecht. Doch davon bin ich weit entfernt. Und so sitze ich hier, kämpfe gegen das Einschlafen und bekomme kaum etwas von dem, was ich mitbekommen sollte, mit. Ich mache wirklich keine Fortschritte. Stattdessen mache ich mir Sorgen wegen der Erkälteten, die sich hier tummeln. Eine Erkältung würde mich jetzt komplett erledigen und die letzten Chancen auf eine erfolgreiche Prüfung vernichten. Selbst der Dozent hat kaum noch Stimme. Er meint, dass es keine Erkältung ist, sondern die Nachwirkungen von seinem gestrigen Ausflug ins Fußballstadion. Ich habe da so meine Zweifel.

Gegen Mittag ist wieder Gruppenarbeit angesagt. Der Dozent sagt, wir sollen die Gruppen selbst zusammenstellen, weil wir ja sicher schon Gruppen gebildet haben, die auch so miteinander auskommen. Und was sagen meine Mitschüler dazu? Sie meinen, dass wir anders sind und wollen die Gruppen auslosen. Ich frage mich, was das soll. Ich hatte gestern eine gute Gruppe, die will ich wieder haben. Drauf geschissen, dass wir anders sind. Zum Glück hat der Dozent, der übrigens immer mehr friert, an der Heizung sitzt und geschwächt wirkt, nichts fürs Losen übrig und so einigen wir uns darauf, die Gruppen vom Vortag zu nehmen. Alles andere hätte mich auch kaum begeistern können. Die Gruppenarbeit verläuft dieses Mal leicht chaotisch, aber dafür haben wir viel Spaß. Dennoch kann sich unsere Ausarbeitung sehen lassen. Wenn es nach mir geht, behalte ich die Gruppe auch in der nächsten Woche. Mit dieser Gruppe würde ich mich sogar vor der Prüfung nochmal zusammen setzen, um zu lernen, denn ohne fremde Hilfe bin ich durchaus verloren, wie mir scheint. Bei der Präsentation unserer Ergebnisse muss ich wieder nichts weiter tun, als mit verschränkten Armen da zu stehen. Fast wie damals, als ich so in der Disko rumstand. Manche Dinge ändern sich einfach nie. Ob das in meinem Fall wirklich gut ist, darf bezweifelt werden. Trotzdem fühle ich mich gut, wenn ich einfach nur so dastehe und die Dinge ihren Lauf nehmen.

Tag 9
Die letzte Woche beginnt mit einer Gruppenarbeit. Die gleichen Gruppen wie zuletzt. Und so sitzen wir fünf vermutlich zum letzten Mal zusammen und lösen bis zum Mittag Aufgaben. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den nächsten Tagen erneut in dieser gelungenen Kombination zusammenarbeiten, ist gering, da der Dozent, der uns morgen und Donnerstag vorbereitet, gerne Gruppen auslost und die Dozentin am Mittwoch auf das Zählverfahren steht. So verabschiede ich mich schon mal von meinen Gruppenmitgliedern, ohne ihnen etwas davon zu verraten. Es ist wichtig, sich zeitig zu distanzieren, damit keine Wehmut aufkommt, wenn man sich tatsächlich verabschieden muss. Schon nächste Woche werden wir uns an die meisten, die wir hier getroffen haben, nicht mehr erinnern. Und sollten wir uns man zufällig irgendwo begegnen, kann es durchaus sein, dass wir das gar nicht mitbekommen. Verrückte Welt. Auch heute arbeitet die Gruppe gut. Lediglich der Spaß kommt etwas kurz. Paragraphen und Spaß lassen sich manchmal einfach nicht kombinieren. Als wir gegen Mittag die Arbeit beenden, ist es gut möglich, dass ich mit den anderen Gruppenmitgliedern, abgesehen von meinem Sitznachbarn, nie wieder reden werde. Das ist irgendwie schräg.

Tag 10
Heute ist wieder der 75-jährige Dozent für uns zuständig. Weil ich etwas früh da bin, gehe ich auf den Flur, da ich mit dem Dozent so gar nix anfangen kann. Nach einer Weile kommt die Schwangere auch auf den Flur und wir unterhalten uns eine Weile. Sie ist wirklich sehr hübsch. Ich vermute, dass das hier unser Abschiedsgespräch ist. Unser erstes, echtes Gespräch ist es ebenso. Das ist schon irgendwie verrückt und doch vermutlich völlig normal.

Der Unterricht ist ermüdend. Ich schätze den Dozenten, finde es cool, dass er noch so aktiv ist, joggt und Tennis spielt, aber mit seinem Unterricht kann ich nichts anfangen. Ich finde einfach keinen Zugang. So bin ich tatsächlich über die heutige Gruppenarbeit erfreut, obwohl es sich um Rollenspiele handelt. Die Gruppen stellt der Dozent nach Berufen zusammen. Wie erhofft, gehört die Eifrige zu meiner Gruppe. Das ist echt genial. Dazu gibt es den Motorradmann. Mit ihm habe ich noch nicht zusammengearbeitet, aber schnell stellt sich heraus, dass es mit ihm gut läuft. Wie immer schreibt die Eifrige, was es im Vorfeld zu präsentieren gibt, auf. Beim Rollenspiel ist der Motorradmann der Bewerber, die Eifrige und ich gehören zum Personal und befragen den Bewerber. Nach akzeptablen Anfang fällt mir aber bald nichts mehr ein und ich sitze einfach nur da. Als hätte man mich ausgeschaltet. Die Eifrige rettet durch ihren spontanen Einsatz das Rollenspiel, während ich nur noch schwitze und mich schäme. Gott, wie ich diese Rollenspiele hasse. Da habe ich es tatsächlich noch geschafft, mich auch hier zu blamieren. Wie gut, dass ich die anderen bald nicht mehr sehen muss. Das ist mir alles echt zu peinlich hier. Noch zwei Tage Gruppenarbeit, dann ist es vorbei. Ob ich bis dahin noch mit jemandem reden werde? Will ich das überhaupt?

Tag 11

Nach dem Motto „Letzte Gespräche vor dem Unterricht“, unterhalte ich mich heute kurz mit der Jüngsten. Auch sie kennt die Vornamen der anderen nicht. So muss ich mir keine Sorgen machen, dass nur ich so bin. Wir einigen uns darauf, dass es sich jetzt auch nicht mehr lohnt, sich irgendwelche Namen zu merken, da wir uns ab nächste Woche eh nicht mehr sehen. Und an den beiden Prüfungstagen ist es auch egal, wie die anderen heißen. Nachdem wir unser vermutlich letztes Gespräch beendet haben, beginnt auch schon bald der Unterricht.

In der ersten Pause erfahre ich, dass Stiffler von den anderen Hulk genannt wird. Könnte an seinen Muskeln liegen. Für mich bleibt er Stiffler, weil sein Verhalten eher zu Stiffler passt als sein Aussehen zu Hulk. Nach der Pause gibt es eine kleine Prüfung zum Handlungsfeld 3. Ich bin zwar als erster mit dem Kram fertig, doch das Ergebnis gibt mir zu denken. Bisher war ich nämlich davon ausgegangen, dass die schriftliche Prüfung kein großes Problem darstellt, doch jetzt sieht die Sache ganz anders aus. Mit erreichten 45% bin ich nicht nur der schlechteste in unserer Klasse, ich bin auch ganz klar durchgefallen. Selbst der verhaltensoriginelle Koch, der neben mir sitzt, hat die 50% Hürde übersprungen. Was bin ich nur für eine Hohlbirne!? Anspruch und Wirklichkeit liegen Welten auseinander. Von den 83%, die ich von mir erwarte, bin ich weiter entfernt, als ich es für möglich gehalten hätte. Wenn die Ausbilderprüfung so einfach ist, wie es gesagt wird, dann bin ich ein echter Blödmann. Ich sollte mich bei unserem Lackierer, der bereits, zumindest wird es so erzählt, zweimal durch die Prüfung gefallen ist, erkundigen, wie oft man die Prüfung wohl wiederholen kann. Aber erstens ist er heute, wie übrigens fast immer, nicht da und zweitens möchte ich gar nicht mit ihm reden. Mir genügt es schon, dass ich mit ihm auf einem Niveau agiere. Auf was habe ich mich da nur eingelassen? Und wie komme ich ohne bleibenden Schaden aus der Nummer wieder raus? Kann ich mir das alles noch beibringen? Besteht noch Hoffnung? Oder sollte ich einfach nicht zur Prüfung gehen, um mir diese Peinlichkeit zu ersparen? Das einzig Positive an dem Ergebnis ist die Tatsache, dass es eigentlich nicht schlimmer werden kann. Nur allzu sicher sollte ich mir da vermutlich nicht sein.

Tag 12
Nachdem ich gestern Abend den Fragebogen mehrfach durchgelesen habe und der Meinung bin, dass ich alles verstanden habe, gehe ich zuversichtlich an den heutigen Prüfungsbogen. Schnell wird klar, dass die Aufgaben ähnlich sind und ich mich, wie schon gestern, nicht konzentrieren kann. Es ist, als hätte ich einen an der Murmel. Ich arbeite abermals zügig, versuche jedoch nicht so schnell wie gestern vorzugehen, was mir allerdings nicht gelingt, weil meine Konzentration für diese Aufgaben einfach nicht ausreicht. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass ich mich gesteigert habe und eine halbwegs passable Leistung abliefern werde. Doch nur wenige Minuten später bin ich mehr als enttäuscht von mir, denn das ist der Moment, an dem ich das Ergebnis meiner Prüfung erhalte. 48%. Damit bin ich erneut durchgefallen. Meine Laune sinkt täglich ein wenig mehr. Ich bin eine echte Enttäuschung für mich. Ratlos sitze ich da und starre auf den Tisch. Dann schaue ich mir die Aufgaben in Ruhe an. Die richtigen Lösungen klingen nachvollziehbar. Meine Antworten oftmals nicht. Besonders erstaunlich und irgendwie auch unerklärlich finde ich, dass ich mal mehr und mal weniger Antworten ankreuze als bei der Aufgabenstellung vorgegeben. So unkonzentriert oder beschränkt kann man eigentlich nicht sein. In dem Zustand gehe ich bei der Prüfung baden. Andererseits gab es ja eine Steigerung von 3%. Demnach sollte ich morgen bei der letzten Übungsprüfung auf 51% kommen. Somit sind bei der Prüfung am 12. Januar sage und schreibe 54% möglich. Damit wäre ich wenigstens nicht durchgefallen. Lächerlich wäre es trotzdem. Nur gut, dass ich am 11. Januar vom Jobcenter ein Jobangebot bekomme. Sollte ich dazu nicht zu blöd sein, was ich nicht ausschließen kann, wäre es klug, das Angebot anzunehmen. Besser wird es nämlich sicher nicht mehr.

Tag 13
Die Stimmung am letzten Tag scheint entspannter und bis auf den Lackierer sind alle zukünftigen Ausbilder anwesend. Wir beginnen mit einem Prüfungsbogen. Schnell überfordern und verwirren mich die Fragen. Es ist klar erkennbar, dass das alles nichts für mich ist. Ich muss nur irgendwie diese Prüfung im Januar schaffen, dann lasse ich die Finger von diesem Ausbilderkram. Versprochen.

Mit erreichten 54% hätte ich die schriftliche Prüfung bestanden. Im dritten Versuch am Ziel. Und dabei sogar drei Prozent mehr erreicht als berechnet. 54% waren erst für die Prüfung vorgesehen. Gemessen an meinen Ansprüchen ist das zwar lächerlich, aber meine Ansprüche muss ich für die Ausbilderprüfung einfach vergessen. Es geht nur noch darum, mich nicht vollends zu blamieren. Es wäre nicht nur lächerlich, sondern auch Geldverschwendung, wenn ich am Ende durch die Prüfung falle. Dann hätte ich mir für das Geld lieber irgendwelchen Unsinn kaufen sollen. Außerdem werde ich mich noch weniger leiden können, wenn ich das nicht schaffe. Gruseliger Gedanke. Für mich wäre es besser, wenn ich bis zur Prüfung noch täglich hierher käme und einen Prüfungsbogen nach dem anderen machen könnte. Bis ich alle Fragen fast auswendig kenne, denn das ist meine Art, Prüfungen standesgemäß zu bestehen. Doch das kann ich dieses Mal vergessen. Später führen drei Freiwillige ihre Unterweisung vor. Mit den dadurch erlangten Informationen könnte die Prüfung auch für mich zu schaffen sein. Mit ganz viel Glück und einem verständnisvollen und nicht zu strengem Prüfer könnte es klappen. Danach möchte ich nie wieder etwas mit der Materie zu tun haben. Nie wieder.

Anschließend heißt es Abschied nehmen. Der Dozent wünscht uns alles Gute und dann strömen wir auch schon aus dem Klassenraum. Es ist davon auszugehen, dass ich die anderen Teilnehmer, außer möglicherweise bei den Prüfungen, nie wieder sehen werde. Daran wird auch die spontan gegründete WhatsApp-Gruppe nichts ändern. Und so endet ein weiteres Kapitel meines Lebens. Viele Kapitel werden sicher nicht mehr folgen.

Schriftliche Prüfung
Direkt nach dem Aufstehen versichere ich mir, dass ich nie wieder eine Prüfung ablegen werde. Dieser Stress und diese Anspannung sind einfach nichts für mich. Dazu der ungewisse Ausgang, nein, das will ich nie wieder. Und wenn alle guten Dinge drei sind, dann habe ich mein Ziel erreicht. Drei IHK-Prüfungen in einem einzigen Leben. Mehr kann wirklich niemand von mir verlangen. Ich frage mich ernsthaft, was ich mache, wenn ich durchfalle. Es erneut versuchen oder akzeptieren, dass ich es nicht drauf habe? Letzteres erscheint mir sinnvoll. Doch noch ist es nicht so weit. Das Wetter ist passend zu meiner Stimmung bescheiden und ich bin wenig begeistert, dass ich sogar auf dem Weg vom Parkplatz zur IHK nass werde.

Dann ist es endlich soweit und der erste Teil der Ausbilderprüfung beginnt. Wir sitzen in einem großen Saal und die ersten Aufgaben sehen machbar aus. Leider verfliegt mein Optimismus schon bald wieder, denn die Aufgaben klingen zwar wie die Aufgaben, die ich geübt habe, dennoch weiß ich nicht, welche die korrekten Antworten sind. Manche Aufgaben klingen so, als wären alle Antworten richtig, es hat nur jemand entschieden, dass lediglich zwei davon wirklich richtig sind. Das ist echt blöd, denn diese Aufgaben lassen in meinen Augen viel Raum zum diskutieren. Vielleicht ist es gut, wenn ich die richtigen Antworten nie erfahre. Was mich neben einigen Aufgaben noch mehr stört, ist die Tatsache, dass ich mich nicht wirklich konzentrieren kann. Ich höre alles, was um mich herum passiert und sehe teilweise die Buchstaben vor mir verschwimmen. Und das liegt sicher nicht daran, dass ich meine Brille abgenommen habe. Mit Brille geht es nämlich gar nicht. Das Alter ist eine verrückte Sache. Da ich auch verrückt bin, passen wir möglicherweise gut zusammen. Ich versuche langsam zu arbeiten und mich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Viele Aufgaben lasse ich zunächst aus, weil sie mir einfach zu knifflig sind. Können die echt keine einfacheren Fragen stellen? Am liebsten mag ich die Fragen, bei denen zwei Antworten falsch sind und passend dazu zwei Antworten so bescheuert sind, dass man gar nicht wissen muss, was richtig ist, weil sich das aus den beiden unmöglichen Antworten ergibt. Leider gibt es von dieser Sorte Fragen viel zu wenige. Und so mühe ich mich durch die Fragen und versuche, entspannt zu bleiben. Und während ich versuche entspannt zu bleiben und die Fragen richtig zu beantworten, stelle ich fest, dass ich total verkrampft hier sitze und wegen meiner verspannten Haltung Kopf- und Nackenschmerzen habe. Das ist echt krank. Als ich am Ende des Fragebogens ankomme, ist noch genügend Zeit mich intensiv um die Fragen zu kümmern, die ich nicht wirklich beantworten kann. Beim Zurückblättern stelle ich obendrein fest, dass ich gleich zwei Seiten komplett ausgelassen habe. Es wäre wirklich schön, wenn ich mich etwas besser konzentrieren könnte. Anschließend muss ich die richtigen Kreuze in den Prüfungsbogen eintragen und dabei meine Antworten erneut überprüfen. Erstaunlicherweise kann ich mich dabei sogar einigermaßen konzentrieren, was wirklich hilfreich ist. So erkenne ich, dass ich bei manchen Fragen einfach die falsche Anzahl an Antworten angekreuzt habe. Meist habe ich einfach zu wenige Kreuze gemacht, einmal sogar zu viel. Es ist echt Mist, wenn die Konzentration so schlecht ist. Als die ersten Teilnehmer gehen, macht mich das nervös. Dabei ist noch ganz viel Zeit. Wenige Minuten später sind alle Kreuze verteilt. Fast wie Lotto spielen, nur hoffentlich nicht so erfolglos. Ich schaue erneut, ob ich auch wirklich nichts vergessen habe, dann gebe ich den Kram ab und verabschiede mich. Dabei hätte ich noch etwas über eine Stunde Zeit gehabt, meine Antworten nochmal zu überdenken. Früher hätte ich es gut gefunden, dass ich zu den ersten gehöre, die mit so einer Prüfung fertig sind. Heute gibt es mir zu denken. Ob das alles so richtig ist? Wie viele Fragen ich richtig beantwortet habe, erfahre ich noch im Laufe dieser Woche. Dann weiß ich, ob ich bestanden habe oder nicht. Für den Moment bin ich erleichtert. Am Abend gebe ich mir lernfrei, ab morgen muss ich dann schauen, wie ich mich für den zweiten Prüfungsteil vorbereite. Schon beim Gedanken daran verkrampfe ich wieder. Das ist doch Kacke. Ich will das nicht.

Ergebnis der schriftlichen Prüfung
Seit der Prüfung habe ich nicht ein einziges Mal in die Unterlagen geschaut. So als wäre mit der schriftlichen Prüfung alles erledigt. Dabei steht der meiner Meinung nach weitaus schwierigere Teil noch bevor. Und da gibt es keine Antwortmöglichkeiten. Entweder habe ich es am 22. Januar drauf oder eben nicht. Und ich werde es ganz sicher nicht drauf haben, wenn ich mich nicht vorbereite. Doch aus irgendeinem Grund habe ich entschieden, dass ich erst wieder lerne, wenn das Ergebnis der schriftlichen Prüfung vorliegt. Vielleicht gehe ich davon aus, dass ich, wenn ich die schriftliche Prüfung nicht bestanden habe, gar nicht mehr weiter mache. Bringt ja dann offensichtlich auch nichts.

Als am Samstag in unserem Gruppenchat jemand schreibt, dass er die Prüfung bestanden hat, mache ich mich unverzüglich auf den Weg zum Briefkasten. Kaum habe ich den Brief der IHK in meinen Händen, werde ich total nervös, denn es ist durchaus möglich, dass ich durchgefallen bin, was bisher aber nicht meine Art war. Meine eigene Nervosität und Negativität geben mir zu denken. Wenn ich jetzt schon so nervös bin, weil ich einen Brief bekommen habe, wie wird es dann erst nächsten Freitag, wenn ich relativ ahnungslos vor drei Leuten sitze, die mich beurteilen sollen? Das ist doch Kacke. Gar nicht Kacke hingegen ist das Ergebnis der schriftlichen Prüfung. 76 Punkte sind jenseits von gut und böse. Damit lässt es sich eigentlich prima leben. Andererseits wären fünf Punkte mehr eine zwei gewesen. Doch über so etwas sollte ich besser nicht nachdenken, sind 76 Punkte doch weitaus mehr als anfangs zu erwarten war. Elf Stunden zu lernen war womöglich doch nicht so schlecht. Ab morgen werde ich mich auf die praktische Prüfung vorbereiten. Auch wenn ich gerade absolut keinen Plan habe, wie ich das anstellen soll.

Praktische Prüfung
Nachdem ich am Abend einen Fehler in meiner Unterweisung entdecke, sehe ich meine Chancen, die Prüfung irgendwie zu bestehen, weiter sinken. Was die Fachfragen angeht, weiß ich auch nichts mehr. Und so beschäftige ich mich mit der Frage, ob es Sinn macht, die Prüfung zu wiederholen, wenn ich durchfalle. Eine Antwort darauf habe ich nicht.
Nachdem ich in der Nacht ständig aufwache und völlig unentspannt bin, beschließe ich, dass ich, sollte ich durchfallen, es dabei belasse. Das ist nichts für mich. Ich bin der geborene Arbeitslose und Prüfungsstress tut mir nicht gut. Als ich um kurz vor 08.00 Uhr aufstehe, frage ich mich, ob es überhaupt Sinn macht, zur Prüfung zu gehen. Ich könnte stattdessen einfach hier bleiben und mich nie wieder melden. Andererseits könnte ja ein Wunder passieren und ich irgendwie doch die Prüfung schaffen. Aber Wunder passieren nicht wirklich oft und wenn ich zu Hause bleibe, kann ich mich auch nicht blamieren und spare mir diesen unsäglichen Prüfungsstress. Andererseits bin ich noch nie durche ine für mich wichtige Prüfung gefallen. Zumindest fällt mir jetzt keine ein. Ach, hätte ich mich doch nie auf all das eingelassen.

Knapp drei Stunden später stellen sich die drei Prüfer vor. Der eine ist der Dozent, der uns für diese Prüfung fit gemacht hat, die anderen beiden machen auch einen guten Eindruck. Leicht plaudernd beginnen wir und schon sind wir mitten in der Unterweisung. Der Dozent verlässt uns spontan, da er mich kennt und davon ausgeht, dass ich das locker schaffe. Sehr interessant. Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung passen oft nicht zusammen. Die ersten fünfzehn Minuten gehen schnell um und ich bin sehr erstaunt, als der Wecker klingelt und das Ende des gemütlichen Teils einleitet. Nun beginnt der Teil, den es meiner Meinung nach nicht geben müsste. Und kaum geht es los, gehen mir die Antworten aus. Die beiden Prüfer sind dennoch ganz locker, formulieren die Fragen anders, plaudern und irgendwann passt es dann irgendwie und es geht immer weiter. Dummerweise habe ich den Leittext in einer hinteren Ecke meines Gehirns abgestellt, sodass die beiden immer wieder nachfragen müssen, bevor ich brauchbare Antworten liefere. Das hat teilweise etwas von einem Ratespiel, ich bin verwirrt und probiere immer wieder von diesen Fragen in eine lockere Plauderei zu wechseln, um möglichst Zeit zu überbrücken. Ich versuche, das Gespräch quasi umzuleiten, was aber wenig mit dem Leittext zu tun hat. Nebenbei wollen diese fünfzehn Minuten einfach nicht enden. Erst eine gefühlte Ewigkeit später sagt einer der Prüfer, dass zwar noch vierzig Sekunden Zeit sind, sie diese aber nicht brauchen, weil sie genug gehört haben, um ein Urteil zu fällen. Sie fügen an, dass es ein positives Ergebnis sein wird. Ich bin erfreut und überrascht und gehe kurz raus, damit sie sich beraten können. Kaum bin ich draußen, werde ich schon wieder rein gerufen und erfahre, dass meine mangelnde Flexibilität mich wohl eine Note gekostet hat. Ich bekomme für meinen Auftritt 88 Punkte und werde gefragt, ob ich damit leben kann. Und wie ich das kann. Vor allem, wenn ich bedenke, dass ich heute Morgen erst auf dieses Spektakel verzichten wollte. Das Leben ist echt komisch und ich bin nun offiziell dazu befähigt Leute auszubilden. Das ist nicht nur ein bisschen verrückt, das ist der pure Wahnsinn.
 

 

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