Der Verzweifelte

Vor ein paar Jahren war er schon einmal bei uns und bekam tatsächlich einen Job. Zumindest vorübergehend. Neulich war er zur Infoveranstaltung hier, und der Ersteindruck, den er bei allen hinterließ, ging in Richtung “aggressiv, kurz vor der Explosion, unberechenbar”. Ich hatte ihn damals betreut, aber er bekam sehr schnell einen Job, was durchaus überraschend war. Schon damals war er aggressiv, überfordert und berichtete von familiären Problemen, die er kaum aushalten konnte, weshalb er unbedingt irgendeinen Job wollte, um ein paar Stunden zu Hause rauszukommen.

Heute kommt er völlig überraschend zu uns, um zu fragen, wann er endlich an der Maßnahme teilnehmen kann. Laut Liste steht er weit unten. Er berichtet, durchaus verzweifelt. von zu Hause. Streitereien mit der Familie, falsche Kindererziehung und außerdem hat ihm die Schwiegermutter sein Smartphone weggenommen, somit ist er telefonisch nicht mehr erreichbar. Er wirkt vollkommen aufgelöst, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Selten war ein Hilfeschrei deutlicher als bei diesem kurzen Besuch zu vernehmen. Mehrmals bittet er mich, dass er in der Liste nach vorne rückt. Seine Frau, die auf der Liste viel weiter vorne steht, wird eh nicht kommen, weil sie es nicht für nötig hält und bisherige Einladungen auch konsequent ignoriert hat. Ich biete ihm an, dass ich, nach Rücksprache mit der IFK, die Plätze der beiden tausche. Er sagt, dass das ganz toll wäre; er will auch jede Woche vorbeikommen, um zu fragen, wie der Stand ist. Weil diese Besuche ihn kurz zu Hause von seinem Leid befreien, sage ich ihm, dass er gerne einmal pro Woche nachfragen darf.

Wenn sie Anfang 30 sind und ihnen die Schwiegermutter quasi das Telefon wegnimmt und sie sich scheinbar nicht aus der Situation befreien können, dann müssen sie wirklich am Ende sein. Meiner Meinung nach gibt es da nur eine Option und die lautet “Therapie”. Beides sage ich dem jungen Mann aber nicht. Ein Problem ist die kurze Zündschnur, die ihn immer wieder explodieren lässt. Ich erinnere mich gut: Wut, Überforderung, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Dieser Mann ist nicht in der Lage, sich aus seinem Leid zu befreien, und ich glaube nicht, dass wir ihm dabei helfen können.

Nachdem er gegangen ist, spricht mich der erste Teilnehmer dieser Maßnahme, den ich zum besseren Erkennen, den Fußballer nenne, auf den Mann an. Die beiden hatten damals kurz zusammengearbeitet. Der Fußballer sagt, dass niemand mit dem Verzweifelten arbeiten wollte, weil man ihn für einen Psycho hielt. Es dauerte auch nicht lange, bis der Verzweifelte seinen Job verloren hat und ich glaube nicht, dass es dieses Mal länger funktionieren würde. So wie er wirkt und auftritt, erscheint es auch fast unmöglich, dass ihn überhaupt jemand einstellt. Das dachte ich allerdings bei seiner ersten Teilnahme auch, doch ich irrte mich. Ich erinnere mich, dass er bei der Inforunde erwähnte, dass wir ihn hier gut behandelt haben. Das alleine wird allerdings nicht reichen und da wir in der Regel bei jeder Teilnahme den Coach wechseln, es sei denn, jemand besteht auf einen bestimmten Coach, werde ich nicht für ihn zuständig sein. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich sicher rasch zeigen. Doch zunächst werde ich die zuständige IFK befragen, was sie für einen Eindruck hat und was sie für Pläne für den jungen Mann hat.

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