Die klaren Prioritäten eines jungen Teilnehmers

Er ist 27 und bei seiner ersten Ausbildung zweimal durch die Prüfung gefallen, somit waren die 4,5 Jahre fast umsonst, doch nun will er es nochmal mit einer Ausbildung versuchen. Er kommt immer 30 Minuten früher zu uns, steht dann vor dem Gebäude, raucht zwei bis drei Zigaretten und isst ein leckeres Brötchen vom Bäcker nebenan. Das ist ihm wichtig, das ist sein Ritual. Bei uns präsentierit er sich von unglaublicher Langsamkeit, manchmal macht mich diese Langsamkeit, die man auch als Trägheit bezeichnen kann, wahnsinnig, aber ich habe gelernt, dass meine Ungeduld nicht sein, sondern mein Problem ist. Seine trägen Bewerbungsbemühungen führten zu nichts. Sein Lebenslauf sagt niemandem zu. Jörg hat daher zu zwei Betrieben Kontakt aufgenommen und es geschafft, dass der junge Mann dort zur Probe arbeiten darf. Nach einer Woche beim ersten Arbeitgeber wurde er krank, die zweite Praktikumswoche wurde auf die Zeit gelegt, zu der eigentlich das Praktikum beim zweiten Betrieb stattfinden sollte. Trotz meiner Hinweise, dort nicht endgültig abzusagen, sondern sich diese Option offen zu halten, hat er den Termin angeblich abgesagt. Ist ihm alles nicht so wichtig und er geht davon aus, dass man ihm beim ersten Betrieb den Ausbildungsplatz geben wird. Nun sollte nächste Woche das erste Praktikum fortgesetzt werden, doch das hat der Teilnehmer spontan, ohne Absprache mit seinem Coach, verschoben, weil er kein Geld hat, um das Ticket zu zahlen und Geld für Essen hat er auch nicht. Jörg fragt ihn, ob das sein Ernst ist. Es ist sein voller Ernst. Nun will Jörg wissen, wie es sein kann, dass er kein Geld hat, obwohl er ja wusste, dass das Praktikum stattfinden sollte. Es stellt sich heraus, dass der junge Mann monatlich 200€ für Zigaretten ausgibt und es ist keine Option weniger zu rauchen. Hier sind die Prioritäten klar ersichtlich. Außerdem, so sagt er, muss er, wenn er arbeitet, essen. Bevorzugt Brötchen vom Bäcker für mindestens 4€ täglich. Es kommt nicht in Frage, dass er sich etwas von zu Hause mitnimmt und so Geld spart, das sieht er absolut nicht ein. Auf seinen Luxus verzichten für ein Praktikum, wo kommt er denn da hin? Das Geld für die Tickets würde er erstattet bekommen, aber er kann es nun einmal nicht auslegen. Er wollte ein Sozialticket von uns, was ich aber abgelehnt habe. Ich hatte ihm das damals bezahlt, weil ich von einem zweiwöchigen Praktikum ausging, aber das endete ja nach einer Woche. Für eine Woche zahle ich ihm das nicht. Zumal seine fragwürdige Zuverlässigkeit nicht für ihn spricht. Jörg ist maßlos von dem Teilnehmer enttäuscht, aber dieser ändert seine Meinung nicht. Er versteht vermutlich nicht einmal, was Jörg ihm da erklärt. Zumindest beeindruckt es ihn nicht und führt nicht zum Umdenken. Das Praktikum soll stattfinden, nachdem das Bürgergeld das nächste Mal ausgezahlt wurde. Das ist in zwei Wochen. So lange will er zu uns kommen und nichts tun, weil er weiter sicher ist, dass er den Ausbildungsvertrag bekommt. Vorher werden wir den vierten Praktikumsvertrag ausstellen, da er den Termin schon vor dem ersten Praktikum einmal verschoben hat. Ich würde mich weiterhin sehr freuen, wenn es mit dem Ausbildungsplatz klappt, aber ich glaube einfach nicht daran, denn ich habe mich früh festgelegt, dass das mit dem jungen Mann nichts wird. Und ich kann mir auch heute beim besten Willen nicht vorstellen, dass er, sollte er tatsächlich doch mit der Ausbildung beginnen, diese auch schaffen wird. In meinen Augen ist er ein Verlorener, ich hoffe aber, dass ich mit meiner Einschätzung falsch liege und wünsche ihm wirklich alles Gute, aber Gutes muss man sich schon irgendwie verdienen. Und das sehe ich bei ihm leider gar nicht. Ohne seinen Coach, der wirklich alles was möglich ist für ihn getan hat, wäre die Maßnahme schon längst vorbei, es gäbe kein Praktikum und er könnte den ganzen Tag ungestört Zigaretten rauchen, sich bei leckeren Brötchen seiner Trägheit hingeben und dabei wie ein Aschenbecher riechen. Jung und verloren. Gleichgültig und perspektivlos. Antriebslos und zu nichts zu gebrauchen. Und es scheinen immer mehr seiner Art zu werden.

2 Kommentare

  1. Ich habe den Eindruck bei gutaussehenden Frauen bist du wohlwollender. Der Mann macht das was er kann, dummerweise hat unser system keinen sinnvollen Platz für solche Leute. In dunklen Zeiten hat man denen eine Schaufel ind später ein Gewehr in die Hand gedrückt. Das mit der Schaufel ist heute nicht mehr so angesehen, aber die Gewehr Variante scheint wieder näher zu kommen.

    Es gab aber auch Zeiten, da hat man so Leute einfach irgendwo hin gesetzt, in ein Pförtnerhäuschen oder sowas und 2000 DM im Monat gegeben und jeder hatte was davon.

    • Wenn eine attraktive Frau für ein paar Zigaretten ihre Chance auf einen Ausbildungsplatz leichtfertig aufs Spiel setzt, bin ich auch nicht wohlwollender. Aber ansonsten kann es durchaus sein, dass ich bei Frauen ein wenig verständnisvoller bin.

      Leider gibt es diese einfachen Jobs so nicht mehr.

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