Als der Schwangeren bewusst wird, dass Jörg ihr Coach ist, kommt sie kurz zu mir rüber, um ohne Worte darauf hinzuweisen, dass ihr das nicht gefällt. Ich zucke ordnungsgemäß mit den Schultern und sie geht wieder zurück. Weil es keine befristeten Stellen nach den Vorstellungen der Schwangeren gibt, fragt Jörg sie irgendwann, ob sie eher gehen möchte. Sie möchte, was niemanden überrascht. Überrascht bin ich allerdings, als ich später eine Mail von ihr bekomme. Sie weist darauf hin, dass die zuständige IFK ihr sagte, dass sie sich wieder bei mir hinsetzen soll, weil wir das alles besprochen haben und ich ihr am besten helfen kann. Ich bin kurzzeitig irritiert und frage, ob sie heute, nachdem sie bei uns war, die IFK angerufen hat. Das hat sie und das Ergebnis ist, dass sie besser mit mir arbeiten kann und daher bei mir bleiben soll. Dann ist das wohl so. Als ich dies Jörg mitteile, ist er überrascht und auch ein wenig enttäuscht, denn so wie auch ich, kommt er mit Ablehnung nicht gut klar und die Schwangere lehnt ihn offensichtlich ab. Da er keinen meiner Teilnehmer als Ersatz haben will, habe ich nun vorübergehend mehr Leute zu betreuen als er. Erst wenn der Globetrotter uns in zwei Wochen verlässt, wird sich das wieder ausgleichen. Ich finde es schon hart, wenn eine Teilnehmerin direkt die IFK kontaktiert, um den Jobcoach zu tauschen. Aber es ist ihr gutes Recht, wobei es aus meiner Sicht nichts am Ergebnis ändern wird. Mich würde es treffen, wenn jemand mich so offensichtlich nicht als Coach will.
Später kommt die Rumänin zu uns. Ich frage sie, ob sie zu Jörg oder zu mir möchte. Da ich am Freitag die Mail ans Jobcenter geschrieben habe, möchte sie zu mir. Das macht Sinn, aber irgendwie ist das blöd, weil sie davor ja bei Jörg war und nun zu mir kommt. Der Arme muss sich doch Kacke fühlen. Zum Glück geht sie, nachdem wir alles geklärt haben, rüber zu ihm und plaudert noch eine Weile mit ihm.
Die Rumänin ist gerade weg, da klingelt es erneut. Es ist die Brasilianerin, die auch direkt zu mir kommt. Sie möchte von der neuesten Entwicklung berichten. Das Jobcenter unterstützt sie bei der Suche nach einem neuen Ausbildungsplatz, sie braucht aber, um keine Sperre zu bekommen, ein ärztliches Attest, welches bestätigt, dass der Stress sie krank macht. Sie hat zwar ein Attest bekommen, aber es fehlt der Hinweis, dass der Stress durch die Ausbildung ausgelöst wird. Ich weiß nicht, ob das ausreicht. Ihre Fingernägel sind, wie angekündigt, rot und erwartungsgemäß sieht das ganz toll aus. Jörg, der etwas eher Feierabend hat, lässt sich gar nicht blicken und verabschiedet sich aus der Entfernung. Sonst ist er immer wenigstens kurz mal rüber gekommen. Ich glaube, den Tag muss er erstmal verarbeiten. Wie üblich, bleibt die Brasilainerin bis ich Feierabend habe bei mir. Morgen möchte sie wiederkommen und mit mir Pizza essen. Ich sag ja immer wieder, dass dies vermutlich der einzige Job ist, der mir so etwas ermöglicht und den ich überhaupt ausüben kann.
Am Mittwoch besucht mich völlig unerwartet der Somalier. Viel hat sich bei ihm nicht geändert; er hat weiterhin keine Wohnung, will woanders hinziehen, darf es aber nicht und benötigt wieder Kopien fürs Jobcenter, weil er diesen Monat kein Geld bekommen hat. Er öffnet seine Post, legt sie mir vor, ich kommentiere alles, er ist zufrieden. Wir drehen uns immer weiter im Kreis und kommen natürlich nicht von der Stelle. Er versteht auch nicht, dass wir längst nicht mehr für ihn zuständig sind und mir tut er leid. Nachdem alle Briefe besprochen sind, geht er zur Sparkasse, um Kontoauszüge zu holen, die ich ihm später kopieren soll. Anstatt sie direkt mitzubringen, kommt er immer erst her, geht dann zur Sparkasse und kommt wieder. Vielleicht, weil es hier so schön ist. Er soll an einer Maßnahme in einem anderen Ort teilnehmen und ich bin gespannt, ob er das dieses Mal tun wird. Ich würde ihm gerne helfen, aber das kann ich nicht. Möglicherweise wird er so lange herkommen, bis er eines Tages vielleicht doch woanders leben darf oder einer von uns verstorben ist. Das ist alles höchst merkwürdig, obwohl es vermutlich normal ist.
An meinem dritten und letzten Arbeitstag der Woche ist die Schwangere wieder da. Sie sucht ohne große Diskussionen nach Stellen, findet ein paar, die sie passend findet, lässt mich alles, was sie schreibt, kontrollieren und bewirbt sich auf sieben dieser Stellen. Ich verstehe nicht, wieso das am Dienstag mit Jörg nicht geklappt hat. Am Ende bleibt sie sogar eine Stunde länger als vorgesehen. Es passiert ziemlich selten, dass jemand so viel länger bleibt, außer zum Quatschen. Mir soll es recht sein, denn ich mag es, wenn alles einfach und unkompliziert läuft und ich nicht wirklich etwas dazu beitragen muss.
Der Somalier und auch die Brasilianerin sind trotz ihrer Ankündigungen nicht mehr aufgetaucht, aber wirklich überraschend finde ich das nicht. Sie werden sicher ihre Gründe haben.
jedes Mal wenn ich der Somalier lese denke ich an jemanden der Wein verkostet
Vielleicht ist das ja seine Bestimmung. Das wäre ein schönes Ende der Geschichte.