Kuchen für den väterlichen Freund

Als der Tag beginnt, kann ich noch nicht ahnen, dass irgendwie alles anders kommt als ursprünglich gedacht. Am Vormittag bereite ich alles fürs Audit vor, dann möchte plötzlich eine Neukundin ihren Termin vorverlegen und weil Jörg zu tun hat, führe ich das Gespräch mit ihr. Warum sie bei uns ist, verstehe ich nicht, denn sie ist schwanger und im Juli ist es soweit. Die Teilnahme war ihr Wunsch, weil sie schon einmal hier war und ich ihr so gut geholfen habe. Darum wollte sie unbedingt zu uns und ich frage mich, was sie sagt, wenn sie feststellt, dass ich nicht ihr Coach bin. Sie ist kaum weg, da bekomme ich die Information, dass wir ab 13.00 Uhr damit rechnen sollen, dass man uns wegen des Audits besuchen wird. Etwa zwei Stunden später ruft Lederhose an, um mitzuteilen, dass das Audit vermutlich nicht stattfinden wird, sie kann es aber nicht garantieren. Lederhose ist eine Freundin von Oma Sheriff, die wenig später anruft für einen unterhaltsamen Plausch. Bisher ist es ein recht entspannter Tag. Es ist noch keine 14.00 Uhr, als jemand bei uns schellt. Da ich nicht weiß, wer das sein kann, gehe ich davon aus, dass das Audit doch stattfindet, doch ich irre mich. Vor der Tür steht die Umarmerin und hat mir Kuchen mitgebracht. Ich bedanke mich artig und sage ihr, dass sie gut riecht. Wenn eine attraktive Frau gut riecht und mir Kuchen mitbringt, bin ich nur noch bedingt zurechnungsfähig. Die Umarmerin setzt sich mir gegenüber an den Tisch und berichtet von ihrer nächsten gescheiterten Ehe und wir führen ein interessantes Gespräch über das innere Kind und anderen derartigen Kram. Sie hat sich ein Buch besorgt, in dem es um das innere Kind geht, aber da es in türkischer Sprache ist, kann ich damit nichts anfangen und sage ihr, dass wir über den Inhalt reden, wenn sie es gelesen hat. Sie ist ganz begeistert, dass ich mich auch mit solchen Themen beschäftige. In ihrer Familie kommt das mit der gescheiterten Ehe nicht so gut an, daher, so sagt sie, bin ich quasi mehr Familie als ihre Familie. Oder bin ich nur jemand, der ihr näher steht, weil er sie nicht verurteilt? Irgendwas in der Art. Unser Gespräch bestätigt mir, dass ich nicht nur ihr Coach bin, sondern auch weiterhin ihr väterlicher Freund. Ich erfülle sicher beide Rollen zu ihrer vollsten Zufriedenheit, weiß aber nicht, was ich davon halten soll. Wir plaudern weiter und irgendwann fragt sie, ob ich ihre Telefonnummer noch habe, was ich ihr bestätige, letztlich hilft es aber niemandem von uns wirklich weiter. Eine Mail erfordert meine Aufmerksamkeit. Das Audit fällt aus. Gut so. Die Umarmerin weist darauf hin, dass sie mir Mohnkuchen mitgebracht hat und ich frage sie, woher sie weiß, dass das mein Lieblingskuchen ist. „Es ist mein Lieblingskuchen.“, sagt sie. Das lasse ich als Antwort gelten. Es ist offensichtlich, dass sie den Zeitpunkt zu gehen, sie muss zum Elternsprechtag, immer weiter hinauszögert. Gefällt mir, führt aber zu nichts. Dann gibt sie mir wenig später doch die Hand, um sich zu verabschieden. Alles andere hätte mich auch gewundert. Ich weise sie noch darauf hin, dass sie meine Telefonnummer hat, was irgendwie schwachsinnig ist, ihr aber verdeutlichen soll, dass ich mich nicht bei ihr melden werde. Sie ist schon fast zur Tür raus, da sagt sie, dass sie nächste Woche wiederkommt, wenn ich einverstanden bin. Ich bin einverstanden. Dann geht sie doch noch nicht, überlegt kurz und sagt, dass wir uns auch privat treffen können, so wie damals in Lünen. Da gab es auch die letzte Umarmung. Wie die Zeit doch vergeht. Ich antworte, dass wir uns gerne privat treffen können und sie sieht irgendwie zufrieden aus, als sie sich umdreht und geht. Sehr interessant. Ich bin gespannt, ob sie sich in der nächsten Woche tatsächlich meldet oder wieder längere Zeit abtaucht.

Als ich mich später mit Jörg unterhalte, bringt er seine Abneigung gegen die Umarmerin erneut zum Ausdruck. Er hält sie für unfassbar dumm und sobald sie den Mund aufmacht, hält er es nicht mehr aus. Sie gehört zu die Frauen, die einfach nur schweigend irgendwo stehen sollten. Ich glaube, er ist da zu streng. Oder bin ich da als väterlicher Freund zu mild beim Verurteilen? Hat er Recht und ich ignoriere das ganze Ausmaß an Blödheit wegen des Kuchens, weil sie gut riecht und ich als väterlicher Freund nicht so streng beim Verurteilen sein kann? Vielleicht hoffe ich auch auf eine Umarmung und möchte nicht von einer Frau umarmt werden, die ich für komplett bescheuert halte. Dabei ist die Zeit des Umarmens schon lange vorbei. Sollte die Umarmerin als Teilnehmerin wieder zu uns kommen, weil ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert wurde, will Jörg sie auf keinen Fall betreuen, weil er sie nicht erträgt. Weiß ich doch, lange schon. Ich bin echt froh, dass die Umarmerin und ich uns weiter siezen, denn wenn ich demnächst wieder offiziell ihr Coach bin, wäre duzen völlig unangebracht. Nachdem das geklärt ist, rufe ich die Brasilianerin an, weil es sich heute nicht mehr lohnt, dass sie noch zu uns kommt. Stattdessen will sie morgen herkommen, aber weil ich morgen frei habe, wird sie sich nächste Woche wieder melden.

Der aufregende Tag ist fast vorbei, da steht die Rumänin vor der Tür. Sie will zu Jörg, aber der hat schon Feierabend, weshalb ich versuche, ihr zu helfen. Sie weist darauf hin, dass sie schon wieder Geld vom Jobcenter bekommen hat, obwohl sie das nicht will. Ich schreibe eine Mail an ihre frühere IFK und sage der Rumänin, dass sie Dienstag wiederkommen soll, wenn sie bis dahin keine Rückmeldung bekommen hat. Nachdem sie sich verabschiedet hat, kann ich mich ausloggen. Das war ein interessanter Tag, ich habe sogar ein paar Minuten länger gemacht und mit vielen Frauen geredet. Damit konnte heute Morgen wirklich niemand rechnen.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert