Meine neue Teilnehmerin ist 39 und aus der Ukraine. Auch sie ist alleinerziehend und spricht deutsch auf A2 Niveau. Jörg hat das Erstgespräch mit ihr geführt, aber abgebrochen, weil es sprachlich nicht weiter ging. Er bat mich, dass ich den Übersetzer einschalte, was mir sehr widerstrebt. Meiner Meinung nach sollte A2 reichen, um zu kommunizieren. Wenn sie in Deutschland arbeiten will, dann muss sie sich auch verständigen können. Dennoch frage ich bei der Chefin nach, wann der Übersetzer einspringen kann. Oma Sheriff ist an meinen letzten beiden Arbeitstagen des Jahres meine Kollegin und ich frage mich, ob ich sie wirklich erkannt hätte, wenn ich sie irgendwo getroffen hätte. Vermutlich nicht, obwohl sie nicht wirklich anders aussieht, als wir zuletzt zusammen gearbeitet haben. Glaube ich zumindest. Mittlerweile ist sie über 40 und dafür hat sie echt unglaublich schöne Haut. Eine durchaus attraktive Frau. Unsere Konversation ist erwartungsgemäß direkt unterhaltsam und ständig zweideutig. Ich mag es durchaus, wenn Frauen auf dem Niveau mit mir kommunizieren. Schon bald entwickeln wir einen Plan, was wir machen, wenn der Laden hier geschlossen wird. Einen Hähnchenstand machen wir dann auf. Hähnchen in Aspik wird unser bestes Gericht. Dazu brauchen wir Geschäftsnamen, die wir aus unseren Autokennzeichen ableiten. Sie gibt mir den Namen Franz Ficker, während ich sie alte Milf nenne. Schwer zu sagen, welcher Name wohlklingender erscheint. Und auf dem Niveau geht es den ganzen Arbeitstag weiter. Sie nennt sich später meine Sekretärin und ich gebe ihr Aufgaben, damit sie sich nicht zu sehr langweilt und nicht das Gefühl bekommt, dass sie unwichtig ist. Zwischendurch kommt ihr Freund mit einem Picknickkorb und einer Flasche Sekt vorbei, doch weil Oma Sheriff arbeiten muss, kann er nicht lange bleiben, aber bis er geht, sind die beiden scheinbar sehr vergnügt, was sicher gut fürs Gemüt und die Gesundheit ist. Der Sekt wird natürlich nicht getrunken, der ist für später. Kurz vor Ende des Arbeitstages schätzt einer unserer Teilnehmer sie auf 26. Nur 15 Jahre daneben. Er ist komplett überrascht, dass er sich so verschätzt hat. Wir sollten ihn rüber zu Fielmann schicken, denn so jung sieht sie nun doch nicht aus.
“Guten Morgen alte Milf” – “Hallo Franz Ficker.” So begrüßen wir uns am nächsten Morgen. Derart launig geht es weiter. Zwischendurch arbeiten wir aber auch. Dann stehen wir wieder in der Küche und plaudern Unsinn. Auch heute hat sie sich wieder gut angezogen. Figurbetont, aber nicht billig. Erwachsen, aber nicht langweilig. Offensichtlich gute Gene und sehr gepflegte Zähne. Vermutlich könnten wir den ganzen Tag hier stehen, aber zum Glück gibt es Aufgaben und Teilnehmerinnen zu betreuen. Zu mir kommt eine junge Frau, 19, zum Erstgespräch, ich hatte sie zunächst Jörg zugeteilt, doch der junge Mann, den ich hätte betreuen sollen, benötigt Struktur, Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche und einen Plan. Kann er alles auch von mir bekommen, aber ich bin sicher, dass er bei Jörg in den besseren Händen ist. Also habe ich getauscht. Die junge Frau ist intelligent, kann gut formulieren, weiß was sie will und bestätigt den Eindruck, den ich während des Telefonats letzte Woche hatte. Mehrfach weiche ich von meinem üblichen Vorgehen ab und selbst nach einer Stunde ist sie noch da, obwohl wir eigentlich fertig sind. Sie beklagt, dass junge Menschen in der Schule nicht aufs Leben vorbereitet werden. Miete, Nebenkosten, Versicherungen, Steuern, alltägliche, aber wichtige Dinge, werden nie besprochen. Bewerbungsunterlagen sind zwar ein Thema, aber nichts davon ist wirklich aktuell. Sie findet es erschreckend, wie sehr die Menschen verblöden und ich sage ihr, wie angenehm es ist, mit ihr zu reden. Und das fällt mir nicht schwer, weil ich meine, was ich sage. Und so eine Aussage verbessert die ohnehin gute Stimmung noch weiter und es ist gar nicht schwer, einfach mal nett zu sein und so etwas zu sagen. Ich erzähle meine Lebensweisheiten, gebe praktische Beispiele und bin jetzt vielleicht da, wo ich vor zwanzig Jahren hätte sein sollen. Erst als mir das bewusst wird und mir auffällt, wie aufmerksam sie zuhört, halte ich inne, weil das Ganze nun doch etwas surreal auf mich wirkt. Dennoch bin ich optimistisch, dass mein improvisiertes Vorgehen zum Ziel führen kann. Es wird ein intuitives Chaos sein mit guten Gesprächen und wenn ich nicht völlig falsch liege, dürfte am Ende ein Ausbildungsplatz für die junge Frau das Ergebnis sein. Vermutlich mache ich genau deshalb diesen Job, weil vieles nur eine scheinbar willkürliche Abfolge von Handlungen und Gesprächen ist. Ich mag das und ich mag es, wenn Leute tatsächlich weiterkommen wollen und ich am Ende vielleicht Teil ihres Erfolges sein kann. Über zwei Stunden dauert dieses Erstgespräch. Die Erwartungshaltung ist hoch. Was soll jetzt noch schiefgehen?
Nachdem die junge Frau sich verabschiedet hat, gehe ich rüber zu Oma Sheriff, stelle mich in den Türrahmen und sage: “Alte Milf.” – “Na, Du kleiner Ficker.” Damit ist alles gesagt und ich gehe zurück in mein Büro. Am Nachmittag besucht mich noch ein früherer Teilnehmer, der froh ist, dass Jörg nicht da ist. Die beiden kamen so gar nicht miteinander klar, weil der Mann keine Lust auf die Art Coaching hatte, weshalb wir die Zeit mit Gesprächen über alle möglichen Themen verbracht haben. Alle paar Monate besucht er mich, einen guten Job bei der Stadt hat er auch mittlerweile. Ich bin immer davon ausgegangen, dass er einen Job findet, Jörg sah es vollkommen anders. Weil ich weiß, dass er Oma Sheriff, die alte Milf, jünger schätzen wird als sie ist und es ihr schmeicheln wird, bitte ich den früheren Teilnehmer ihr Alter zu schätzen und hole sie dann zu uns, um sich schätzen zu lassen. 34 schätzt er, was natürlich falsch ist, Oma Sheriff aber ganz sicher gefällt. Ich weiß echt, wie man Frauen glücklich machen kann. Wenig später endet der letzte Arbeitstag des Jahres. Der Freund von Oma Sheriff ist auch da, um sie abzuholen und ich verabschiede mich von den beiden.
Das klingt wirklich gut. Schön, wenn man solche Arbeitskollegen hat. 🤭 Mir sind die in den Jahren verloren gegangen. Es freut mich, dass Dir der Job doch irgendwie Freude bereitet …
Wo sind die denn verloren gegangen?
Manchmal habe auch ich Freude. 🙂