Nachdem er länger nicht mehr zu mir kam, überrascht mich sein heutiger Besuch durchaus. Wie so oft, verstehe ich zunächst absolut nicht, warum er gekommen ist. Er hat jedenfalls derzeit wieder einen Job und kann nicht mehr bei einem Freund übernachten, darum muss er in eine der Obdachlosenunterkünfte. Er hat ein Schreiben mit, welches ihn als Bewohner einer dieser Unterkünfte ausweist. Ich frage nach der Wohnung in Dortmund. So ganz werde ich aus der Antwort und den folgenden Ausführungen nicht schlau. Es ist jedenfalls Scheiße und sein Bruder ein Arschloch. Interessant. Dann erzählt er, dass er auf der Arbeit regelmäßig umfällt, sein Arzt noch immer nicht weiß, was er hat und der Arbeitgeber das auch komisch findet, wenn er einfach so umfällt. So in etwa übersetze ich mir die Ausführungen des Teilnehmers. Als nächstes erzählt er von einer Frau Schulten und dem Hausmeister der Obdachlosenunterkunft. Frau Schulten, von der ich noch nicht gehört habe, soll den Hausmeister anrufen. Ich verstehe den Sinn nicht und kann den Ausführungen des Somaliers nicht folgen. Ich bin plötzlich genervt und will, dass er geht. Sein Deutsch ist so schlecht und ich weiß noch immer nicht, warum er überhaupt hier ist. Dann nervt mich, dass ich genervt bin und muss mich maßregeln, denn ich bin ja der Typ, der will, dass ihn alle lieben und dass Leute zu ihm kommen, um Hilfe zu bekommen. Ich will, dass irgendwann irgendwer erzählt, dass ich ihm oder auch ihr im Leben geholfen habe, irgendwas kluges, lebensveränderndes mit auf den Weg gegeben habe. Also ist mein genervt sein völlig unangebracht und keine Lösung. Was bilde ich mir überhaupt ein? Nachdem ich das mit mir geklärt habe, versuche ich herauszufinden, was der Somalier möchte. Ich stelle Fragen, versuche aus den Antworten abzuleiten, was es zu bedeuten haben könnte, frage weiter und irgendwann ist klar, dass ich Frau Schulten anrufen soll, damit sie den Hausmwiester anruft, um diesem mitzuteilen, dass der Somalier gleich in die Obdachlosenunterkunft gehen wird. Über die Telefonnummer finde ich heraus, dass Frau Schulten ganz anders heißt und für die Leistungsabteilung vom Jobcenter zuständig ist. Ich erkläre dem Somalier, dass es keinen Grund gibt, die Frau anzurufen und er mit dieser Bescheinigung einfach so in die Unterkunft gehen kann und ihn niemand wegschicken wird. Er bedankt sich für meine Hilfe und ich frage mich abermals, warum er sich immer bedankt, weil ich ja eigentlich nichts mache. Er verabschiedet sich, dann wird es laut, weil er einfach so umfällt kurz vor dem Ausgang. Schnell ist er wieder auf den Beinen und verlässt das Gebäude.
Etwa dreißig Minuten später ist er wieder da und ich fürchte, es gibt Probleme mit der Unterkunft, aber der Somalier hat gerade nur seine Post geholt und bringt mir nun all die Briefe, damit ich sie öffne. Ich beginne mit einer Rechnung von Vodafone. Über 130€ soll er zahlen. Bis er das gemacht hat, wird die Leistung gedrosselt. Ich zahle keine 130€ im Jahr, keine Ahnung, was er da für einen Vertrag hat. Er sagt, er hat die Rechnung zwischenzeitlich bezahlt. Der nächste Brief ist eine Abmahnung seines aktuellen Arbeitgebers, weil er einfach nicht zur Arbeit gegangen ist. Ich weise ihn darauf hin, dass er so etwas in Zukunft unterlassen sollte. Der nächste Brief, die nächste Abmahnung. Noch ein Brief, noch eine Abmahnung. Drei Abmahnungen innerhalb von etwa zwei Wochen. Erstaunlicherweise keine Kündigung, was mich sehr überrascht. Sein Deutschlandticket hat er auch nicht bezahlt, aber das hat er zwischenzeitlich wohl auch erledigt. Eine Bescheinigung eines früheren Arbeitgebers kopiere ich ihm und weise ihn darauf hin, dass er das Original auf keinen Fall wegwerfen darf. Dann sind wir durch mit den Briefen. Der Somalier weist mich noch darauf hin, dass die Obdachlosenunterkunft erst ab 18.30 Uhr geöffnet ist und er dann hingehen wird. Wenn ich es richtig verstehe, muss er morgens um 06.00 Uhr wieder raus. Das erscheint mir vollkommen sinnlos und unpassend. Erneut frage ich mich, wieso wir immer weitere Leute ins Land holen, wenn wir die nicht einmal anständig unterbringen können. Der Somalier bedankt und verabschiedet sich. Das ist alles sehr skurril, aber das ist meine Welt. Das ist mein Leben und vermutlich habe ich es immer so gewollt, auch wenn ich es oft nicht verstehe.
Wie Sie diesen Irrsinn nervlich durchhalten ohne auszuticken, finde ich wirklich bewundernswert.
Sollte ich irgendwann austicken, muss ich mir einen andern Job suchen. Das möchte ich nicht. Außerdem ist es eine gute Übung für mich, weil ich so manchmal an persönliche Grenzen komme und mich dann frage, was an der Situation mich jetzt wirklich aufregt. Ich finde es spannend, die Sache in so einem Moment quasi von außen zu betrachten und zu analysieren. Gelingt aber nicht immer.