Weiter geht es mit der einst unbeliebten Übung gegen Langeweile und Wortfindungsstörungen für Leute, die eine Schwäche für die Zahl 7 haben und gerne Geschichten schreiben. Viel Spaß mit den Geschichten.
Die 7 Wörter lauten:
Kanal – Baum – Bürger – Großartig – Richtlinien – Handschuh – Physik
In einem Kanal treibt eine tote Ratte. An einem Baum, der umgefallen ist und halb im Kanal liegt, bleibt sie hängen. Das ist wenig spektakulär und eigentlich nicht der Rede wert. Doch in diesem Fall ist es das schon, denn ein Bürger, der sich großartig fühlt, zieht sich einen Handschuh an, er trägt immer nur einen Handschuh, und will die Ratte, die er zufällig entdeckte, als er am Kanal entlang ging, haben. Eine Weile lief er dieser Ratte schon hinterher und als sie am Baum hängen blieb, war ihm klar, dass er sie aus dem Wasser nehmen würde. Er klettert voller Überzeugung auf den umgefallenen Baum und nähert sich der Ratte. Als er glaubt, dass er nah genug dran ist, versucht der Bürger, der sich nebenbei sehr für das Thema Physik interessiert, was zwar nichts zur Sache tut, aber nicht unerwähnt bleiben soll, nach der Ratte zu greifen. Doch irgendwie kommt er nicht wirklich an die Ratte heran. Er streckt sich, aber es klappt nicht. Also klettert er weiter und dann, als er die Ratte greifen kann, greift er zu, verliert das Gleichgewicht und fällt in den Kanal. Ziemlich lächerlich sieht das Ganze aus und wie der Mann mit dem Handschuh langsam untergeht, weil er vergessen hat, dass er nicht schwimmen kann. Kurz vor seinem Ende fällt ihm das Verzeichnis der einschlägigen Normen und Richtlinien im Kanalbau ein, welches er vor einer Weile durchgeblättert hatte. Es hilft ihm nicht und ist das Letzte, an das er denkt, bevor er nicht nur untergeht, sondern auch ordnungsgemäß ertrinkt. Die Ratte hat er während des Ertrinkens losgelassen und sie treibt wieder langsam auf dem Kanal. Ein Mann, der sich weder großartig fühlt, noch Physik mag und sich nicht für Richtlinien interessiert, erblickt die Ratte. Sie interessiert ihn nicht.
Ihnen hat die letzte Geschichte gefallen und Sie mögen den Venezianischen Flair? Ich möchte Ihnen etwas von Francesco erzählen.
Der herbstliche Morgen dämmerte bereits in seinen schönsten Farben und der Nebel waberte wie verwunschen auf den Kanälen der Havel. Einige Vögel begrüßten den herannahenden Sonnenaufgang, der hier so majestätisch zu sehen war. Kleine Lichter durchdrangen die Morgenluft wie starre Glühwürmchen. Bei näherem Hinsehen handelte es sich um ein schwach beleuchtetes Hausboot, das an diesem Kanal fest vor Anker lag. Aus einem der Fenster lugte Francesco heraus und sog die kalte Luft tief in seine Lungen hinein. Ursprünglich kam er aus Venedig. Berufsbedingt war er nach Deutschland gezogen, um in Brandenburg zu arbeiten. Er hatte in Italien Physik studiert und war nun im mittleren Alter. Am liebsten wäre er Gondolieri geworden, doch das Leben hatte andere Pläne. An der Havel war es nicht weniger großartig. Im Baum gegenüber klopfte ohrenbetäubend der Grünspecht und störte die Nachtruhe der in der Baumrinde lebenden Bewohner. Manche erlebten allerdings den Morgen nicht. Francesco war wie berauscht vom unberührten Klang der Natur und der erfrischenden Morgenluft. Er trällerte und tanzte durch das schwimmende Haus und begab sich alsbald mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstätte. Auf dem Weg grüßte er fröhlich seine Nachbarn. Die Bürger des Ortes waren ihm zuerst nicht wohlgesonnen gewesen. Schon wieder ein reicher Tourist, der sich eine Villa an der Havel kaufen wollte, mutmaßten sie. Doch so war Francesco nicht. Er integrierte sich schnell in dem beschaulichen Ort. Natürlich war das Leben auf dem Wasser mit vielen Regeln und Richtlinien verbunden. Die nahm er jedoch für sein kleines, eigenes Venedig gerne in Kauf. Er war zufrieden mit seinem Leben. Es wäre allerdings schön, in naher Zukunft eine Frau zu finden, denn er wollte gerne eine Familie gründen. Gedanken versunken radelte er über die Straßen. Plötzlich fiel sein Blick auf etwas auf der Straße Liegendes. Nanu, was war das? Als er sich dem Objekt näherte, erkannte er einen sehr mädchenhaften Handschuh. Ihn zierte sehr viel Glitzer und Pailletten. Es war ein ausgesprochen niedliches Exemplar. Er würde der Besitzerin sicher schmerzlich fehlen. So nahm er den Handschuh an sich und bemerkte am unteren Ende eine Stickerei mit dem Namen Rosalie. Ein wunderschöner Name für ein Mädchen, wie er fand. Er beschloss, später nach der Arbeit, in der Nachbarschaft herumzufragen, wessen Handschuh das wohl war. Der Name schien ihm so außergewöhnlich, dass sich die Besitzerin sicher schnell herausfinden ließe.
Ob die Geschichte von Francesco und Rosalie in der nächsten Ausgabe 7 am 7ten weitergeht, wird der Zufall entscheiden. Seien Sie gespannt.
Ich finde, sie muss weitergehen und bin sicher, die Begriffe werden es ermöglichen. Oder Du ermöglicht es. 🙂
Es ist wie ein Überraschungsei, ich bin maximal gespannt. Aber diese Wartezeit immer….🙄😅
Ich finde Deine Geschichten großartig. 😎
Zur Wartezeit gibt es Ende des Jahres wieder die üblichen Umfragen. 🤠
Danke. Großartig ist aber ein großes Wort. 🔝
Danke. Ich dachte schon, es gibt auf den Hut.
(letzter Kommentar ist verrutscht)
Sehr harmonische und bei Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Bei mir verrutscht auch ständig was. Wobei ich ja finde, er passt da unten ausgezeichnet.
Bei Ribbeck denke ich immer an Erich Ribbeck. Keine Ahnung, wieso das so ist.
Max joggte nach langer Zeit wieder den Kanal entlang. Das,
was ihn normalerweise vom Joggen abhielt, motivierte andere
Menschen, wie Marie: Sie hatte sich während
der Coronazeit einen Hund angeschafft. So dass sie
angehalten war, mehrmals täglich, an der frischen Luft,
spazieren zu gehen oder eben zu joggen, mit dem Hund. Einem
großen, beeindruckend gefährlich aussehenden Hund.
Max hasste Hunde. Er mochte nicht joggen, wenn er wusste,
dass ihm Hunde begegnen würden. Er konnte nicht verstehen,
dass es zwar verboten oder zumindest an Auflagen gebunden
war, eine Waffe bei sich zu tragen, jedoch jeder Depp ein
gefährliches Tier mit sich führen durfte, welches mindestens
genauso gut wie eine herkömmliche Waffe fungierte. Nur dass
ein Hund sich eben wie eine Waffe verhielt, deren Einsatz
einer gewissen statistischen Unschärfe in der Anwendung
unterlag. Eine Waffe, die einen Zufallsmoment beinhaltete.
So dass der Hundehalter sich zwar Respekt verschaffen und
andere Menschen einschüchtern und in jedem Fall in der
Ausübung ihrer Freiheit einschränken, aber im Ernstfall jede
Verantwortung abstreiten kann. Weil es eine Waffe ist, die
ein gewisses Eigenleben führt. Gefährliche Haustiere, wie
auch laute, gefährliche Fahrzeuge sind die juristisch
zugebilligten »archaischen« Ersatzstoffe für althergebrachte
Übergriffigkeiten der lieben, staatstreuen, ach so
zivilisierten Bürger. So kann man legitim Macht über andere
ausüben, so kann man das Verhalten der andern einschränken,
so ist man selbst einmal Ereignis. Der kleine normale
Terror der Impotenten.
Marie ernährte sich vegan, dafür verschlang ihr Hund
beträchtliche Mengen an Fleisch. Mengen, für die Max, hätte
er sie im gleichen Umfang verzehrt, von Marie auf´s
Heftigste gescholten worden wäre. Maries Hund, so dachte
Max, war ein ausgesprochen blöder Hund. Das entsprach sogar
objektiv den Tatsachen. Man hätte auch sagen können, der
Hund hatte eine geistige Behinderung. Denn seit einem
unentdeckten Zeckenbiss und der dadurch ausgelösten
Meningitis waren die kognitiven Fähigkeiten des Tieres
tatsächlich beträchtlich beeinträchtigt. Dies fiel jedoch
keinem auf, da der Hund nicht sprechen konnte oder
anderweitig geistig fordernden Tätigkeiten nachging, denen
er dann nicht mehr hätte nachgehen können. Nur zeigte er ein
etwas blöderes Verhalten als sonst. So stellte er sich auf
die »falsche« Seite von einem Baum, wenn er das Bein hob.
Also wenn er sich neben einen Baum rechts von ihm stellte,
hob er das linke Bein. Max fand es hyperekelhaft, sich mit
der Verdauung oder exakter der Exkretion von einem Haustier
beschäftigen zu müssen. Er fand es ekelhaft ein Wesen
vorsätzlich in sein Leben zu lassen, wohl wissend, dass er
sich darum kümmern musste.
Die Haltung von Haustieren hielt er für eine der größten
Perversitäten der Menschheit. Ein Tier zu züchten, um es zu
verzehren, kam ihm schlimm genug vor, mochte aber
möglicherweise eine in der Vergangenheit nachvollziehbare
Notwendigkeit gewesen sein. Ein Tier zu züchten, damit es
ein »interessantes Verhalten« zeigt, anhänglich ist, sich
egal, wie alt oder häßlich Besitzer oder Besitzerin ist,
»freut«, wenn er oder sie nach Hause kommt, das ist so
abgründig und anmaßend, dass es als gesichert gelten kann,
dass es keinen Gott gibt, zumindest keinen, der es gut mit
seiner Schöpfung meint. Aber vielleicht ist der Mensch ja
auch so etwas, wie das Haustier Gottes.
Marie dagegen fand es großartig. Der Hund ist ja so knuffig
und tapsig und sie kommt sozial viel besser ins Gespräch mit
andern, sagte sie. Für sie war der Hund auch so etwas wie
eine Übungsvorstufe für ein Kind. Aus Maxens Sicht eine
weitere Katastrophe und bei Lichte betrachtet auch nur ein
Zeichen maximaler Egomanie und Egozentrik, ein Weg um der
Welt ihren Stempel aufdrücken zu können und eine low hanging
fruit, gesellschaftliche Benefits qua Mutterrolle
einzustreichen. Die Welt war verpfuscht, soviel war klar,
von ihren Grundfesten an.
Max hatte Marie damals beim Joggen am Kanal kennengelernt.
Als der noch geistig »normale« und ihm bis dahin völlig
fremde Hund sich von seiner Besitzerin losriss und Max
hinterherjagte, bis er, der Hund, ihn mit einigen herzlichen
Bissen stoppte. Der Hund folgte auch sonst keinem Gesetz und
keinen Richtlinien, wie der, dass er gesetzlich pro Tag
eigentlich nur eine Stunde kläffen und die nervlich
angeschlagene Nachbarschaft wachhalten darf. Wie die unnötig
lauten Motorräder auf der Straße, lärmte er gern auch mal
vier oder fünf Stunden am Tag oder in der Nacht.
Max hob den Handschuh, den Fehdehandschuh, auf, den ihm die
so genannte Zivilisation hin geworfen hatte. Er beschloss
Physik zu studieren. Teilchenphysik. Um eine Bombe zu
entwickeln, die mit minimalen Mitteln diese Welt in die
Kreidezeit zurückkatapultierte. Eine Zeit, in der es noch
keinen Hund und keine Hundsnaturen gab. In einer Welt, die
hoffnungsvoll war, weil sie nochmal von vorne anfing und
vielleicht ein paar üble Fehler vermied, indem sie in ihrer
Entwicklung nicht ganz so oft falsch abbog, wie es die
tatsächliche und wirkliche Welt offensichtlich getan hatte.
Wie bereits erwähnt, das ruft nach einer Fortsetzung.
Danke 🙂 Fortsetzungen sind immer sehr schwierig. Aber man weiß ja nie…
Ich weiß, ich habe auch noch keine geschafft. Aber wer weiß, vielleicht gibt es hier demnächst gleich mehrere davon.
Tolle Geschichte, ich schließe mich dem Doktor an, bitte mehr davon. 😃
Danke. Ich dachte schon, es gibt auf den Hut.
Hier gibt es doch nie was auf den Hut. 🎩
Ich mag die Rattengeschichte.
Das freut mich. 🐀