Die Verwahrlosung

Ich sitze lesend auf dem Balkon, als es klingelt. Die frühere Hausmeisterin teilt mir mit, dass der Rauchmelder in der Wohnung unter mir Lärm macht. Sie ist besorgt, ich vermute einen Fehlalarm. Telefonisch ist der Mieter nicht zu erreichen. Ich klettere aufs Dach, um mich davon zu überzeugen, dass es sich tatsächlich um einen Fehlalarm handelt. In der Küche sehe ich keinen Rauch, aber Müll. Alles in der Küche ist voller Müll, besonders Pizzaschachteln, lediglich ein Gang in der Mitte ist frei. Durch das gekippte Badezimmerfenster sehe ich, dass die Wände den Eindruck, den die Küche hinterließ, bestätigen. Der Bewohner der Wohnung ist vermutlich in den Dreißigern. Als er in die Wohnung einzog, hatte er noch eine Freundin, die aber irgendwann nicht mehr kam. Ob seine Verwahrlosung danach begann, oder der Grund war, warum sie nicht mehr zu ihm kam, weiß ich nicht. Ist auch egal. Die Verwahrlosung sieht man dem Mann nicht unbedingt an. Klar, wirkt er auf mich manchmal merkwürdig, aber das tun die meisten Menschen und sind es irgendwie auch. Ich wüsste gerne, wie es so weit kommen kann, dass man seinen Müll einfach in der Wohnung lässt, anstatt ihn mit nach unten zu nehmen und zu entsorgen. Hat der Mann aus Trotz den Müll in der Wohnung gelassen? Ist ihm überhaupt bewusst, was er da tut? Und wenn ja, was bezweckt er damit? Ist er deshalb so oft nicht zu Hause? Und wohin geht er? Gibt es überhaupt eine absichtliche Verwahrlosung oder gerät man einfach so hinein? Soll ich ihn mal fragen, was da los ist? Geht es mich überhaupt etwas an? Soll ich ihm sagen, dass ich Coach bin? Verwahrlosungscoach.

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