Probleme fangen oft im Kopf an und führen oft zu unangenehmen und unnötigen Situationen, die letztlich keinem helfen und manche wütender oder frustrierter machen, als es nötig wäre. Heute passiert so etwas, weil Jörg eine komplette Ablehnung gegen den Bulgaren in sich trägt und diese nach außen dringen lässt. Es sind Gesten und Aussagen, die unverkennbar sind, eine nötige Distanz verhindern und Stress hervorrufen, der durchaus vermeidbar wäre. Man muss es nur wollen, denn sonst kann es passieren, dass jede weitere Begegnung einen, in diesem Fall Jörg, noch weiter frustriert. Oft sieht man Menschen diese Ablehnung direkt an und wenn man es aus unerklärlichen Gründen nicht sieht, fällt es in der Regel spätestens bei der Kommunikation auf. So ist es unverkennbar und vermutlich auch unvermeidlich, dass der Bulgare und Jörg keinen Weg finden, irgendwie miteinander klarzukommen. Also ruft man nach mir. Der Bulgare möchte gehen, weil er nicht weiß, was er hier soll und ich ihn schon mal eher gehen ließ. Es ist ziemlich dumm von ihm, dass er das erwähnt, weil es ja unsere Absprache war, die auch unter uns bleiben sollte. Heute jedenfalls lasse ich ihn nicht gehen und möchte, dass er endlich seinen Lebenslauf erstellt, was er absolut nicht gut findet, aber dennoch setzt er sich, weil er uns, so kommt es ihm sicher vor, ausgeliefert ist. In zwei Wochen, so sagt er, ist für ihn hier Schluss. Ich weise ihn auf den Vertrag und die Tatsache, dass er durch die Fehlzeiten einen Monat länger bleiben muss, hin. Macht er nicht, steht nicht im Kooperationsvertrag, den er mit dem Jobcenter geschlossen hat. Da hat er Recht, das ist blöd. Außerdem, so sagt er, will er seinen Urlaub. Darauf hat er Anspruch, da besteht er auch drauf. Mein Einwand, dass Urlaube während Maßnahmen nicht vorgesehen sind, akzeptiert er nicht. Er will seinen Urlaub, das ist Gesetz, das steht ihm zu. Seinen Lebenslauf will er nicht erstellen, weil es uns nichts angeht, was er in Bulgarien gemacht hat. Wir sind hier in Deutschland, da spielt Bulgarien keine Rolle. Außerdem, so sagt er, bezahlt er uns. Ich sage ihm, dass das Jobcenter ihn bezahlt und er überhaupt niemanden, weil er keinen Job hat. Es ist eher so, dass wir ihn bezahlen, aber all das sieht er nicht ein. Eine Weile schaue ich mir die Diskussion zwischen Jörg und dem Bulgaren an, dann rufe ich seine IFK an, um mitzuteilen, dass es so nicht geht. Die IFK will ihn sprechen, ich reiche das Telefon weiter. Er ist genervt und sagt der IFK, dass er am Telefon nicht über all das mit ihr reden wird. Sie will nicht hören und erst recht nicht aufhören, da legt er einfach auf. Bewundernswert diese Konsequenz. Wütend kommt er rüber in mein Büro und fragt, was das soll und wieso ich das Jobcenter angerufen habe. Da ist einer richtig wütend. Das Telefon klingelt. Seine IFK teilt mir mit, dass er einfach aufgelegt hat. Ich soll ihn rausschmeißen und dann kündigen. Ich erkläre, dass das so einfach nicht geht. Findet sie blöd, ist aber so. Ich sage ihr, dass der wütende Bulgare mit ihr nur persönlich redet, weshalb sie ihn direkt zu sich einlädt. Ihm teile ich mit, dass er zum Jobcenter muss und er verabschiedet sich mit folgenden Worten: “Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.” Das hat Stil. Inmitten der miesesten Stimmung und trotz völliger Erregung wünscht er mir einen schönen Tag. Respekt. Ich wünsche ihm auch noch einen schönen Tag, dann ist er weg und endlich herrscht wieder Ruhe im Büro.
Nur wenige Minuten später ruft sein Cousin an. Der Bulgare hat ihm den Vorfall geschildert und der Cousin wird ihn zum Jobcenter begleiten. Sein Cousin ist recht entspannt, findet, dass ich korrekt bin und er eine gute Menschenkenntnis hat. Er sagt, der Bulgare hat ihm mitgeteilt, dass wir ihn zu einer unterbezahlten Arbeit zwingen wollen. Das haben wir nicht, weil wir niemanden zwingen und es uns letztlich auch egal ist. Nur an gewisse Regeln muss er sich halten. Der Cousin ist zufrieden und verabschiedet sich.
Während Jörg noch immer nicht fassen kann, was der Bulgare sich einbildet und ich überlege, ob wir das eben erlebte mit Handpuppen nachspielen, um es besser zu verstehen, bekommen wir Besuch. Der Bulgare und sein Cousin. Dieser gibt mir bestens gelaunt die Hand und wir gehen in mein Büro. Der Fall ist geklärt. Der Bulgare hat seine drei Wochen Urlaub und wird im Anschluss die Zeit bei uns nachholen. Er hat sich nochmal darüber beklagt, dass wir nicht in der Lage sind, ihm einen Job mit mindestens 20 Euro Stundenlohn zu vermitteln, aber sein Cousin weiß, dass ein ungelernter Mann ohne Führerschein eher keine 20 Euro bekommen wird. Er weist darauf hin, dass der Bulgare ein super Handwerker ist. Wir glauben ihm das, weil es keinen Grund gibt, das nicht zu tun. Der Bulgare will uns direkt zeigen, was er alles kann. Scheinbar glaubt er, dass wir an seinen Fähigkeiten zweifeln. Er will sofort Fliesen verlegen, damit wir es sehen und verstehen. Das ist fast schon rührend, wie er uns von seinen Fähigkeiten überzeugen will. Ich muss gestehen, dass mir das absurde Gespräch gut gefällt. Der Bulgare ist auf seine hilflose Art schon irgendwie überzeugend. Wir einigen uns darauf, dass er mit Hilfe seines Cousins einen Lebenslauf erstellt. Zeiträume, die er nicht mehr genau weiß, können wir so ungefähr eintragen. Kommt nicht auf den Monat an, Hauptsache ein brauchbarer Lebenslauf kommt dabei heraus. Das möchte der Bulgare nicht. Die Zeiten sollen absolut korrekt sein. Er will nicht lügen. Der Mann gefällt mir immer besser. Ein echter Ehrenmann. Will nicht im Lebenslauf lügen. Wo findet man so etwas heute noch? Das ist ein großartiges Schlichtungsgespräch, was Jörg aber leider nicht genauso sieht, was ich sehr schade finde. In zwei Wochen hat der Bulgare seinen verdienten Urlaub, danach kommt er wieder. Er hat sich durchgesetzt und ist für seine Rechte eingetreten. Davon kann manch anderer Arbeitsloser was lernen. Der Bulgare ist nicht nur ein Vorbild, man sollte ihn auch als Berater für ahnungslose Arbeitslose einstellen, die ihre Rechte so nicht kennen. Ab 20 Euro Stundenlohn ist der Mann zu haben. Beim derzeitigen Fachkräftemangel ein absolutes Schnäppchen.
Gerade in solchen Situationen muss man versuchen, Persönliches möglichst auszublenden und neutral, sachlich zu bleiben, was zugegebenermaßen nicht immer einfach ist und mir auch nicht immer gelingt. Nachdem die beiden gegangen sind, macht Jörg sich Sorgen, wie das wohl wird, wenn ich Urlaub habe, denn dann sind die zwei alleine und Jörg sagt, dass er sich heute sehr zusammenreißen musste und das nur ging, weil ich da war. Ich verstehe ihn zwar, weiß aber auch, dass dieses persönliche Eskalieren zu nichts führt und wir in diesem Job nun einmal auf solche Situationen treffen. Für Jörg ist scheinbar ein Punkt erreicht, in dem er das nicht mehr kann und will, weshalb er ernsthaft darüber nachdenkt, sich einen anderen Job zu suchen. Er kommt einfach nicht darüber hinweg, dass das Jobcenter eingeknickt ist und der Bulgare mit allem durchkommt. Vielleicht müssen wir einfach akzeptieren, dass manche sich vehement für ihre Rechte einsetzen und auch, wenn wir es anders sehen, Recht bekommen. Was rechtens ist und was nicht, haben nicht wir zu entscheiden. Ich finde, es war ein aufregender und unterhaltsamer Arbeitstag. Wir haben sogar etwas dazugelernt. Mehr kann man kaum verlangen, auch wenn Jörg das ganz anders sieht. Ich bin gespannt, wie die beiden während meines Urlaubs miteinander klarkommen und ob Jörg uns wirklich verlassen wird. Noch immer bin ich von meiner Idee, absurde und verfahrene Situationen mit Handpuppen nachzuspielen und dann darüber zu diskutieren, wie man es besser machen kann, ganz fasziniert.