Ängste, Böller, Träume und ein Jobangebot

Kaum bin ich am Mittwoch im Büro, ruft auch schon die Heilerin an, um mir mitzuteilen, dass sie nicht mehr zu mir kommen kann, weil sie ihre Ängste einfach nicht loswird. Die ganzen Feiertage hat sie gegrübelt und es geht einfach nicht, dass sie noch einmal zu mir kommt. Familiärer Missbrauch hat nun mal tiefgreifende und langwierige Folgen, was manche Menschen, die nicht betroffen sind, oft nicht glauben (wollen). Und das hier ist nun einmal nicht der Ort, und ich bin nicht der Mann, um in solchen Fällen helfen zu können. Der Wunsch der Frau, in Zukunft eine Führungsposition einzunehmen, wird noch warten müssen. Ob sie jemals ausreichend in diesem Leben klarkommen wird, werde ich nicht erfahren, habe aber meine Zweifel, obwohl ich nicht die Ausbildung habe, um so etwas beurteilen zu können. Dennoch bilde ich mir oft schon nach wenigen Minuten ein Urteil über die Menschen, bin aber gerne bereit, dies zu korrigieren, wenn es nötig sein sollte.

Obwohl ich am Abend pünktlich im Bett liege, wird nicht geschlafen, denn irgendein Vollidiot geht immer und wieder die Straße auf und ab und lässt einen Böller nach dem anderen explodieren. Stundenlang. Schlafe ich kurz ein, ist er wenige Minuten später wieder nah genug, um mit seinem Lärm alle aufzuwecken. Wie hohl kann man nur sein? Es ist nach Mitternacht, als er wieder vorbeikommt. Dieses Mal scheint ihn irgendwer zu stören, denn er ruft wiederholt „Schnauze“ und ist sichtlich vergnügt in seiner Beschränktheit. Dann hört man noch eine Frau, die ihn möglicherweise begleitet lachen. Ich kann mir nicht helfen, bin aber fest davon überzeugt, ihre geistige Zurückgebliebenheit deutlich zu spüren. Umgeben von ausgeprägter Beschränktheit liege ich hellwach in meinem Bett und bin ratlos. Ich stopfe mir Ohrenstöpsel in die Ohren, aber Ruhe kehrt dennoch nicht wirklich ein, denn der Mann hat noch zu tun. Es ist irgendwann nach 01.00 Uhr, als ich endlich das Bewusstsein verliere und es erst wiedererlange, als ich mich fertig machen muss, um ordnungsgemäß meiner Arbeit nachzugehen zu können.

Spontan und unerwartet erscheint am Donnerstag der Rumäne bei mir. Ich telefoniere kurz mit einem Arbeitgeber und morgen kann der Rumäne einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Damit habe ich kurz vor Ende des Jahres noch mitgeholfen, einen Menschen glücklich zu machen. Wenn doch nur alles so einfach wäre. Meinen Job könnte vermutlich auch ein sehbehinderter Schimpanse ähnlich erfolgreich erledigen.

In der Nacht auf Freitag bin ich so erledigt, dass ich sogar darauf verzichte, wie sonst üblich, einmal in der Nacht zur Toilette zu gehen, obwohl ich zur üblichen Zeit kurz aufwache. Ich träume viel und in meinen Träumen verzichte ich darauf, ein völliger Vollidiot zu sein und flirte mit drei Frauen an einem Ort, an dem ich noch nie war. Nicht nur die Frauen sind attraktiv und etwa Mitte 30, ich bin es auch. Natürlich hat die für mich attraktivste Frau Interesse an mir und wir flirten wie verrückt. Ich bin einen Traum lang die beste und witzigste Version von mir und fühle mich großartig. Dann geht plötzlich das Rollo hoch, was mich komplett verwirrt, obwohl es jeden Morgen passiert. Weil es auch am Wochenende passiert, nur zu einer anderen Uhrzeit, bin ich sicher, dass Wochenende sein muss und drehe mich um, um weiter zu schlafen. Als exakt zwei Minuten später der Wetterbericht vorgelesen wird und die Salzlampe angeht, bin ich komplett orientierungslos und brauche eine Weile, um zu verstehen, dass noch gar nicht Wochenende ist und ich aufstehen muss. Scheiß Realität, ich will zurück in meinen Traum, der mir im Gegensatz zu den meisten meiner Träume ausgesprochen gut gefallen hat.

Auch am Freitag sind die Straßen schön leer. Der Großteil der hohlen Fratzen, die sonst in ihren Blechkisten die Straßen verstopfen, um dafür zu sorgen, dass dieses Land, welches dem Untergang geweiht ist, noch eine Weile irgendwie funktioniert, bleibt größtenteils zu Hause. Ich indes gebe bis zum letzten möglichen Arbeitstag alles, denn auch ich bin wichtig und ein beschränktes Mitglied dieser flachköpfigen Gesellschaft. Zumindest ein wenig, aber es würde sich auch nichts ändern, wenn ich stupide in meiner Wohnung liegend, die Decke anstarren und Bürgergeld beziehen würde. Doch das muss warten, weil ich das Geld brauche, um irgendwelchen Schnickschnack zu kaufen, den ich benötige, um mich besser zu fühlen und um mich vom Elend dieser Welt abzulenken. Vielleicht ist das aber auch alles Blödsinn und ganz anders. Wer weiß das schon?

Zu meiner Überraschung wird mir kurz vor Ende des Arbeitstages ein Job angeboten. Personalberater bei dem Unternehmen, zu dem Jens gewechselt ist und für das der Rumäne ab nächster Woche arbeiten wird. Da man dort weiß, dass ich nur vier Tage in der Woche arbeiten will, will man das für mich möglich machen. Ich kann nun ein paar Tage darüber nachdenken, ob ich ab März dort anfangen möchte. Wir wären dann zu dritt dort. Das ist irgendwie interessant, weil ich mich schon eine Weile frage, ob ich diesen Job wirklich weitermachen oder nochmal was ganz Neues machen will, obwohl ich weiß, dass ich nichts kann und meine Unfähigkeit hier vermutlich am besten aufgehoben ist. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ich den Job wechseln werde, obwohl es da gibt Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt, was natürlich reizvoll ist, aber letztlich nichts mit meiner Entscheidung zu tun hat. Eine erstaunliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass es so lange noch gar nicht her ist, dass ich als dauerarbeitsloser und hoffnungsloser Fall bekannt war.

In dieser Woche wurden 7 von 23 Terminen eingehalten. Mehr kann man von den letzten drei Arbeitstagen im Jahr vermutlich einfach nicht verlangen. Schauen wir mal, wie es im nächsten Jahr weitergehen wird.

2 Kommentare

  1. „bin aber fest davon überzeugt, ihre geistige Zurückgebliebenheit deutlich zu spüren“ — exakt diese Situation kenne ich. Wir sind schon zu zweit.

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