Finanzielle Schieflage

Ich hatte nie viel Geld, bin aber immer, sagen wir fast immer, gut damit ausgekommen. Durch den Job verdiene ich nicht viel, aber ich konnte mir eigentlich alles leisten, was ich zum Leben brauche, plus den einen oder anderen Luxus zwischendurch. Durch ein paar Rücklagen für kleine Notfälle, Reparaturen und Neuanschaffungen war ich immer auf der sicheren Seite. Ich konnte auf die Rücklagen zugreifen und dann die Rücklagen nach und nach wieder auffüllen, so dass alles in einem ruhigen finanziellen Fluss war. Doch in den letzten sechs Monaten reichte das Geld nur einmal, um damit durch den Monat zu kommen, fünfmal musste ich meine Reserven, die nicht unendlich sind, weiter reduzieren und es scheint so, als bliebe es dabei. Dabei ging es nicht um Neuanschaffungen, sondern einfach um die alltäglichen Ausgaben und Rückzahlungen. Dummerweise machen es die Preissteigerungen mittlerweile unmöglich, mein Leben einfach so weiterzuleben, wie ich es für angemessen halte. Die Inflation frisst meine Ersparnisse und killt meine Sicherheiten. Da ich versuche, diese Mehrausgaben wieder anzusparen, zahle ich nun in den nächsten Monaten regelmäßig Geld zurück für die Rücklagen. Dieses Geld fehlt natürlich und muss anderweitig eingespart werden. Da die Preise für eine Massage ab Januar erneut steigen werden, ist das Thema für mich erstmal erledigt. Zumindest bis ich es schaffe, die Rücklagen wieder auf das Niveau zu bekommen, welches ich für angemessen halte. Essen gehen wird auch immer teurer, zusätzlich steigt die Mehrwertsteuer nächstes Jahr wieder auf 19%, und ist der nächste Luxus, den ich streiche. Wer nicht in Vollzeit arbeitet, der braucht auch nicht essen gehen, als wäre er ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft. So geht das ja nicht. Da überall die Preise weiter steigen werden, werden meine Einsparungen kaum ausreichen. Weil ich derzeit, wie so oft, nicht klar denken kann, muss ich alles andere spontan entscheiden. Die fetten Jahre sind vorbei und wenn ich nicht so faul und uneinsichtig wäre, könnte ich natürlich alle zwei Jahre, je nach Preissteigerungen, mein Arbeitszeit erhöhen, um mir mein bequemes Leben weiter leisten zu können wie bisher. Doch weil ich ein ignoranter Querkopf bin, sehe ich das einfach nicht ein, denn schließlich ist es nicht meine Schuld, dass ich in so einen Zustand geraten bin. Ich bin nämlich so ein Vollasi, der gerne Politiker für sein finanzielles Scheitern verantwortlich macht. Natürlich weiß ich ganz tief in meinem Innersten, dass sie das gar nicht zu verantworten haben, weil sie weder ordentliche Schulabschlüsse noch Berufserfahrung haben, aber ich mache sie trotzdem verantwortlich. Natürlich ist denen so ein Einzelschicksal und die Meinung eines Unbelehrbaren komplett egal. Dennoch bleibe ich dabei: Die grüne Zukunft ist Scheiße, sicher nicht nur für mich.

Als nächstes brauche ich einen neuen Kühlschrank. Dafür habe ich schließlich gespart. Dumm nur, dass ich das Geld im Anschluss wieder ansparen möchte. Ein kluger Mensch würde seine Reserven so lange abbauen, bis sie weg sind und sich dann Gedanken machen, wie es weitergeht. Leider gehöre ich nicht zu diesen klugen Menschen, weshalb aus mir nichts geworden ist und auch nichts mehr wird. Und weil jeder seines Unglückes Schmied ist, arbeite ich weiter an meinem finanziellen Unglück, bis es nichts mehr zu arbeiten gibt und ich mich endlich meinem Schicksal füge. Wie auch immer das auszusehen hat.

10 Kommentare

  1. Mensch Doc,

    das klingt furchtbar und ich bin mir sicher, dass es vielen Menschen so geht … So traurig, trotz Arbeit.

  2. Die Kombination aus „nicht Vollzeit arbeiten“ und „nicht alle Rücklagen verbrennen sondern im Gegenteil wieder aufbauen“ wird in der Tat herausfordernd werden – ob am Essen gehen, am weiteren Rücklagenverzehr, an der Teilzeit…an irgendeiner Stelle werden Sie etwas aufgeben / verändern müssen.

    Auch bei mir werden Stand 15.12. sämtliche Rücklagen aufgebraucht worden sein – weil immer irgendwas war die letzten Jahre, ob Einrichtung, Reparaturen, Kautionen, Scheidung oder die Unterstützung noch Bedürftigerer. Die dann noch letzte verbleibende Option wäre im Bedarfsfall ein jederzeit revalutierbarer Ratenkredit des Girokontoanbieters.
    Und was immer bleibt, ist die Hoffnung auf ein besseres, gönnenderes Jahr 2024 .

    • So lange ich nicht auf die Idee komme, länger zu arbeiten, besteht Hoffnung für mich.

      Stelle ich mir übel vor, wenn plötzlich alle Rücklagen weg sind. Und Kredit habe ich schon immer abgelehnt.

      2024 wird finanziell eher schlimmer als besser, fürchte ich.

  3. „Die grüne Zukunft ist Scheiße, sicher nicht nur für mich“.
    Deshalb wird diese Partei in absehbarer Zeit wohl deutlich unter dem Niveau der AfD bleiben. Der grassierende Reallohn-Verlust wird der Politik genau so auf die Füße fallen wie die Probleme beim ÖPNV und der Straßen-Infrastruktur undundund.
    Eigentlich gehörte ein Lediger mit nem Teilzeitjob in einer öffentlichen Verwaltung mal zur (evtl. unteren) Mittelschicht. Postboten konnten Ende der Siebziger noch ne Kleinfamilie ernähren (eine Tochter).

    • Warten wir mal ab, ob wir die tatsächlich irgendwie loswerden, denn die haben eine feste Wählerschaft. Oder heißt es mittlerweile Fans?

  4. Ich kenne das, bei mir sieht es seit den Russlandsanktionen nicht besser aus. Davor ging es noch einigermaßen. Zudem wohne ich zur Miete, was das ganze wegen möglicher Nachzahlungen (Ölheizung) zusätzlich verschärft. Natürlich steigt zum 01.wieder die O2-Steuer, wo eigentlich ein Cashback mal vom Staat geplant war. Die Ampel fährt die Mittelschicht komplett an die Wand.

  5. Herr Doktor, es ist ein Drama. Bei Ihnen kommt das Cashflow wenigstens noch sicher, das ist doch wenigstens was.
    Es gibt inzwischen einige Banken, die ganz ordentliches Tagesgeld anbieten. Für den Fall, dass Sie wieder etwas Rücklagen bilden können. In der Vergangenheit konnte ich mit Kurztrips an die Börse immer etwas Geld machen. Vom Gewinn nimmt sich der Staat zwar 25% aber ein paar Hunderter waren es im Monat doch. Kostet natürlich Nerven und man braucht etwas Spielgeld.
    Man könnte auch mal wieder einen Lottoschein ausfüllen.

    • Ja, Tagesgeld gibt es wieder. Erscheint mir auch sicherer als Aktien. Da würde ich vermutlich alles verlieren. Davon habe ich null Ahnung und auch nicht ausreichend Spielgeld.
      Dieses Jahr habe ich schon Lotto gespielt. Hat nicht geholfen. 🤷

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