Maßnahmegeschichten 24.23

Da Örge auch um 07.55 Uhr noch nicht da ist, gehe ich davon aus, dass sie, so wie gestern, an einem anderen Standort eingesetzt wird, aber das ist falsch, sie ist einfach nur zu spät, was außer mir aber niemand bemerken wird. Später geht sie , wie üblich in die Mittagspause, obwohl ihre Teilnehmerin noch zehn Minuten da ist. Diese Unsitte wird sie niemals einstellen. Da ich es albern finde, wenn die Teilnehmerin im anderen Raum alleine sitzt, gehe ich rüber und biete ihr an, dass sie geht. Alles andere wäre albern und würde keinem helfen. Von Teilnehmerin 5, die mir wieder einen sehr unterhaltsamen Vormittag beschert, wünsche ich mir ein Maisbrot und einen Couscous Salat. Den Salat soll sie für mich zubereiten, das Brot kaufen. Als Gegenleistung biete ich ihr ein Hanf-Zitrone Bonbon an. Mal schauen, wann sie mir meine Wünsche erfüllen wird.

Am Mittwochvormittag schaut lediglich Teilnehmerin 18 kurz rein, bleibt aber nicht lange, da sie eine Jobzusage für August hat. Özge schreibt Abmahnungen und die Kündigung für Teilnehmer 4, der scheinbar verschwunden ist. Mehr passiert nicht. Am Nachmittag ist nur Teilnehmer 13 bei uns, aber da er nur englisch spricht, kann ich nicht zwischendurch mal auf einen Plausch rüber ins Büro gehen. Örge schaut, wie mittlerweile jeden Tag, Kochsendungen. Teilnehmerin 5 berichtet am Telefon von ihrem Vorstellungsgespräch und ist ganz begeistert, weil das die berühmte Nadel im Heuhaufen für sie sein kann. Wenn sie morgen das zweite Vorstellungsgespräch hat und einen Vertrag bekommt, habe ich mir mindestens ein Maisbrot verdient, weil ich den Kontakt hergestellt habe. Auffällig ist, dass diesen Monat so viele Vorstellungsgespräche stattfinden, wie schon lange nicht mehr. Auf der Grafik sieht das ziemlich gut aus, aber die 40% Vermittlungsquote werden wir bis Ende Oktober dennoch nicht mehr erreichen, da wir auch weiter viele Fälle wie Teilnehmer 4 haben werden.

Örge kommt am Donnerstag auch mit ihrem neuen Fahrzeug zu spät. Wer 35.000 Euro für ein Fahrzeug ausgeben kann, hat vermutlich alles richtig gemacht. Wenn ich das Geld, was ich für alle PKWs, die ich im Leben hatte, zusammenzähle, komme ich eher nicht auf so eine Summe. Vermutlich hätte ich studieren sollen, dann bekäme ich jedenfalls für die gleiche Arbeit mehr Lohn. Der Vormittag bietet eine Überraschung, denn wir erfahren, dass Teilnehmer 6, den wir schon länger nicht gesehen und deshalb gestern abgemahnt haben, einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Damit konnte wirklich niemand rechnen. Als ich später mit Sissy telefoniere, erfahre ich, dass an ihrem Standort ab Juli ein neuer Mitarbeiter eingesetzt werden soll und alles spricht dafür, dass dieser Mitarbeiter Jörg sein wird. Das würde bedeuten, dass ich hier weiter Örge als Kollegin hätte. Zwar wäre sie dann im anderen Büro, aber so kommen wir doch nicht weiter, denn schließlich habe ich Jörg ja ausgesucht, sonst würde er hier nicht arbeiten. Hoffen wir mal, dass es sich dabei wirklich nur um ein Gerücht handelt. Später ruft Teilnehmerin 5 an und teilt voller Freude mit, dass sie am Montag einen Probearbeitstag hat und im Anschluss, wenn alles passt, einen Arbeitsvertrag unterschreiben wird. Die einzige Frage, die ich dazu habe, ist, wann ich mein Maisbrot bekommen werde.

Teilnehmer 7 überlegt zu meiner Überraschung ernsthaft, ob er die Maßnahme verlängern will. Ich war sicher, dass er froh ist, wenn das hier vorbei ist. Ich muss echt mal einen Kurs zum Thema Menschenkenntnis machen, denn wenn er nichts von sich aus gesagt hätte, hätten wir nie erfahren, dass er über eine Verlängerung nachdenkt, nur weil ich sicher war, dass das für ihn kein Thema sei und deshalb nicht gefragt habe. Schauen wir mal, wie er es nächste Woche sieht. Damit hätten wir dann tatsächlich vier Leute hier, die ihre Maßnahme freiwillig verlängert hätten. Und Teilnehmerin 20 hat auch schon so etwas angedeutet. Seit Jörg hier ist, wollen die Leute gar nicht mehr weg von uns. Wäre echt blöd, wenn er seine Zukunft an einem anderen Standort verbringen müsste, denn heute hat er erfahren, dass sein Arbeitsvertrag verlängert werden soll. Lustig, ohne mich hätte man ihn nicht einmal eingestellt und nun will man ihn behalten. Krasser Scheiß.

Kurz noch eine Anekdote zum, wie es so schön heißt, „besten Deutschland aller Zeiten”. Teilnehmer 7 ist mit einer Thailänderin verheiratet. Die beiden haben zusammen Kinder, die in Deutschland geboren wurden. Vor ungefähr zwanzig Jahren sind alle zusammen nach Thailand ausgewandert und erst letztes Jahr zurückgekommen, weil dank der Corona-Maßnahmen ihr Geschäft dort nicht mehr lief. Aber natürlich durften nicht alle zurück nach Deutschland, die Frau musste in Thailand bleiben. Sie darf nur einreisen, wenn sie den Deutschtest besteht. Nun ist ihr Problem, dass sie durchaus deutsch versteht und spricht, aber schriftlich nicht so viel damit anfangen kann. Mittlerweile ist sie mehrfach durch die Prüfung gefallen und wann sie die Prüfung endlich bestehen wird, weiß kein Mensch. Vielleicht darf sie also nie mehr nach Deutschland zurück. Andere werfen ihre Pässe weg und werden mit offenen Armen aufgenommen, jemand der in Deutschland gelebt und hier Kinder zur Welt gebracht hat, der muss erstmal richtig deutsch können, sonst bleibt er, also sie, draußen. Der Irrsinn wird in den nächsten Jahren sicher weiter um sich greifen, weil die Dummen sich immer weiter ausbreiten. Für mich ist das natürlich gut, weil ich immer etwas habe, worüber ich mich wundern und schreiben kann.

Teilnehmerin 1 erscheint gegen 15.35 Uhr. Eigentlich will ich ihr eine Rede halten, wegen ihrer Unzuverlässigkeit, aber da sie einen Teil der Aufgaben, die sie erledigen muss, um den Ausbildungsvertrag zu unterschreiben, erledigt hat und obendrein einfach entzückend aussieht, verzichte ich auf die Rede. Das ist vermutlich wie bei Hunde- und Katzenbabys, denen kann man auch nicht böse sein, weil sie so niedlich sind. Teilnehmerin 1 sieht zwar nicht aus wie ein Hunde- oder Katzenbaby, aber so entzückend, dass ich einfach nicht streng sein kann. Und sie hat ja auch was getan und wird sicher bald einen Ausbildungsvertrag unterschreiben, da kann ein alternder Coach auch mal fünfe Gerade sein lassen.

Es wurden in dieser Woche zwar nur 22 von 38 Terminen eingehalten, aber dafür fanden viele Vorstellungsgespräche statt, so dass man von einer erfolgreichen Woche reden darf. Da ich auch die Arbeitsaufnahmen in die Quote habe einfließen lassen, für die noch keine Arbeitsverträge vorliegen, ist die Quote auf phänomenale 33,88% gestiegen. Wir haben echt Glück, dass selbst die Verträge zählen, die nur einen Euro über Minijob-Lohn liegen. Gar nicht auszudenken, wenn es auf dem Niveau weitergeht.

6 Kommentare

  1. Das klingt ja nach einem positiven Lauf. An Jörg sieht man doch, dass Deine Menschenkenntnis nicht so verkehrt ist. Falls er wechselt, hoffe ich, dass der Ersatz schon in den Startlöchern steht. Wie schafft man es, sich von den Menschen und ihren sicher oftmals schwierigen Lebenssituationen abzugrenzen oder funktioniert das gar nicht?

    • Der Ersatz wäre Örge, wie es aussieht. Es sind ja nur zwei Mitarbeiter vorgesehen. Ich glaube, Distanz ist meine Lösung. Ich denke da in der Regel nach der Arbeit nicht groß drüber nach. Jörg tut sich da manchmal etwas schwerer mit. Noch. Wir versuchen zu helfen, wenn wir können. Das ist unsere Aufgabe. Es stimmt allerdings, dass die Lebensgeschichten scheinbar immer krasser werden.

  2. Traurige Geschichte deines Teilnehmer 7 und soo ungerecht! Ich arbeite im Einzelhandel und wir haben ein Auffanglager in der Nähe, deren Insassen jeden Tag bei uns einkaufen. Dort spricht niemand deutsch, das kann ich dir sagen. Wenn man Glück hat englisch. Nicht mal der Wert der Geldscheine oder Münzen ist bekannt. Und weil keiner lesen kann, was auf der Ware steht, werden Verpackungen aufgerissen und liegen gelassen, Getränke in Gefriertruhen deponiert…..unsere neuen Fachkräfte halt. Beschissen alles

      • oh, Gott ich fürchte, ja! Dann gibt es gut integrierte Menschen, die hier nicht leben dürfen. Was sagt schon eine schriftliche Prüfung aus? Denen wird es unnötig schwer gemacht….da steckt doch Absicht hinter…..erklär mir das einer.

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