Damals – Mai 2012

Das Jahr 2012 hatte zwar einige Schwerpunkte in den ersten Monaten, diese waren aber nicht immer so, dass sie wirklich unterhalten konnten. Zumindest nicht, was die Texte angeht. Dennoch habe ich mal wieder drei alte Texte rausgekramt, um sie erneut zu präsentieren. Viel Spaß damit.


Überbewertet
Ein schwüler Abend, die Fenster sind geöffnet und ich liege in meinem Bett. Es ist fast Mitternacht. Ich nehme ein Buch zur Hand. Schuld von Ferdinand von Schirach. Die Lesefreude währt jedoch nicht lange, denn die typischen Geräusche vom Café Bistro verderben den Lesespaß. Vor allem die Geräusche, wenn jemand Flaschen in den Kasten stellt oder rausnimmt, stören sehr. Dazu die Gespräche der Besucher des Café Bistros. Ich bin nicht in der Lage, konzentriert zu lesen. Mehrmals muss ich etwas lesen, um es zu verstehen. Aggressionen steigen hoch. Ich möchte das beschissene Café Bistro abfackeln, Menschen verprügeln, den Vermieter foltern. Nichts davon darf ich. Ich habe lediglich das Recht zu schweigen und zu verzweifeln. Doch was rege ich mich auf? Lesen wird eh überbewertet. Braucht kein Mensch. Und so genieße ich bis spät in die Nacht den Lärm vom Café Bistro. Bis sehr spät in der Nacht. Doch das macht nichts. Schlafen wird auch überbewertet. Kann ich noch machen, wenn ich tot bin.

Der Verfall und mein linkes Auge 6
Montag, 21. Mai. Bevor es losgeht, sagt die Augenärztin mir, dass ihr Sohn das gleiche T-Shirt wie ich trägt. Ihr Sohn ist vierzehn. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Das Ergebnis der GDX-Untersuchung zeigt keine großartigen Probleme an. Im Gegenteil. Alles sieht sehr ordentlich aus. Immerhin. Dafür ist mein Augendruck rechts mit einem Wert von 20, im Gegensatz zum Druck links, 15, erhöht. Das muss beobachtet werden. Der folgende Sehtest zeigt eine Hornhautverkrümmung auf beiden Augen. Was soll ich denn mit einer Hornhautverkrümmung? Dafür ist die Sehstärke links nun minimal verbessert. Statt -2,5 nur noch -2,0. Rechts von -2,5 auf -2,25. Normal kann das alles nicht sein. Da die Hornhaut noch immer, wenn auch nur noch leicht, kaputt ist, kann ich mit links natürlich nicht richtig sehen. Interessanterweise kann ich aber Dinge in der Entfernung, die ich normalerweise nicht sehen sollte, erkennen. Das verwirrt selbst die Augenärztin. Außerdem hat sie kaum noch Hoffnung, dass der Hornhautfehler irgendwann doch noch verschwindet und ich wieder “normal” sehen kann. Erbauliche Aussichten sind das nicht. Der nächste Kontrolltermin ist im Juli. Ich kann gehen und ziehe folgendes Fazit: Es geht gesundheitlich echt rapide bergab, wenn man die 40 überschritten hat und ich sollte mich langsam nach einem bequemen Sarg umsehen.

Der Maikäfer
Als ich den Balkon betrete, liegt er auf dem Rücken und rührt sich nicht. Normalerweise schenke ich toten Insekten wenig Beachtung, doch weil Maikäfer aus mir unerklärlichen Gründen irgendwie beliebt sind, betrachte ich ihn genauer. Natürlich finde ich ihn genauso abstoßend wie alle Käfer. Ich verstehe echt nicht, was so ein Maikäfer für eine Begeisterung auslöst. Wieso findet jemand so einen Käfer toll? Wieso fassen manche Menschen solche Käfer an? Küchenschaben oder Kakerlaken fasst doch auch keiner an. Oder Hirschkäfer. Was soll an einem Maikäfer so toll sein? Die sind fett und hässlich. Die Farbe mag ganz okay sein, ist aber eher etwas für einen Stuhl als für einen Käfer. Nun liegt dieser hässliche Käfer auf meinem Balkon und rührt sich nicht. Ich frage mich, wie er hier hingekommen ist und warum er hier rumliegt. Wozu sind Maikäfer eigentlich gut? Ich setze mich auf meinen Stuhl und lese. Ab und zu werfe ich einen Blick auf den Käfer. Sieht weiterhin tot aus. Als ich nach einer halben Stunde wieder zu ihm sehe, bin ich mir sicher, dass er sich bewegt. Jetzt ist meine Neugier geweckt. Ich hole einen Schrubber und stoße ihn an. Nichts. Noch ein Versuch. Der lebt. Ich drehe ihn mit dem Schrubber um. Er scheint etwas durcheinander aber durchaus lebendig. Jetzt wird der Tag doch noch interessant. Der Maikäfer scheint sich zu orientieren und setzt sich in Bewegung. Wo will er hin? Zum Stuhl, der in etwa die gleiche Farbe hat wie er? Nein. Er krabbelt am Stuhl vorbei und scheint einen Plan zu haben. Zielstrebig rennt er vor die Wand. Ist er kurzsichtig, dämlich oder ein Selbstmörder? Er krabbelt an der Wand entlang und sieht etwas unbeholfen aus. Der hat bestimmt die Orientierung verloren. Er erreicht die Fliegengittertür, untersucht sie und entscheidet, dass er da hoch muss. Hochkonzentriert klettert er los. Mit seinen sechs Beinen tastet er sich voran. Sieht fast professionell aus, wie er da rumkraxelt. Dennoch bin ich sicher, dass er gleich runterfällt. Und schon passiert es, der kleine Trottel fällt runter und landet auf dem Rücken. Er strampelt wie blöde, schafft es aber zunächst nicht, sich umzudrehen. Er sieht ziemlich albern aus, wie er da so strampelt. Nach einer Weile schafft er es, dreht sich um, kommt dabei aber an die Tür und fällt zurück auf den Rücken. Besonders geschickt sind Maikäfer scheinbar nicht. Er strampelt weiter. Mich langweilt das, weshalb ich weiter lese.
Nach ein paar Minuten schaue ich, was der kleine Trottel macht. Nichts. Wie tot liegt er da. Was für ein Versager. Ich hole den Schrubber und drehe ihn um. Er bewegt sich nicht. Ist er nun wirklich tot oder will er mich verarschen? Wenige Sekunden später ist er wieder voll da und setzt sich in Bewegung. Äußerst konzentriert und zielstrebig wandert er auf die Wand zu. Was hat er vor? Suizidversuch zwei? Will er sich umbringen, indem er vor die Wand rennt? Zumindest scheint es so. Lebensmüder kleiner Trottel. Er erreicht die Wand und versucht erneut hochzuklettern. Was soll denn das? Ist der völlig bescheuert? Gelangweilt gehe ich in die Wohnung, um etwas zu essen. Als ich Minuten später wiederkomme, liegt er, wie soll es anders sein, auf dem Rücken und strampelt wie ein Verrückter. Dem ist echt nicht zu helfen. Ich schließe die Balkontür. Der Maikäfer langweilt mich.
Drei Stunden später schaue ich nochmal nach dem kleinen Doofmann. Er liegt einfach nur da. Ich stupse ihn an. Nichts. Ich schupse ihn einmal über den Balkon. Nichts. Er hat seine sechs Beinchen von sich gestreckt und ist tot. Auch wenn er nun sehr freundlich daliegt, kann ich mich nicht für ihn begeistern. Weil ich seine Unterseite nun lange genug betrachtet habe, drehe ich ihn mit einem Spachtel um. Und was mach der kleine Trottel? Er kommt zu Bewusstsein, scheint sich umzusehen und latscht los. Direkt auf die nächste Wand zu. Der hat doch wirklich einen an der Waffel. Warum versucht er nicht ein einziges Mal zu fliegen? Hat er Alzheimer und vergessen, dass er fliegen kann? Sind seine Flügel kaputt? Hat er Flugangst? Würde es ihm helfen, wenn ich das alberne Maikäferlied singe? Bevor er die Wand erreicht, schnappe ich ihn mir mit dem Spachtel und setze ihn aufs Balkongeländer. Sichtlich verwirrt sitzt er da und schaut sich um. Der hat sicher einen Gehirntumor oder einen anderen Schaden. Minutenlang sitzt er da. Dann hat er eine Idee. Er geht zum Rand des Geländers und fällt runter. Sind alle Maikäfer so bescheuert?


Was sonst so im Mai 2012 passiert ist, steht hier.

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