Ab dieser Woche ändert sich einiges, denn für mindestens drei Monate ist Örge nun auch hier am Standort. Also ab Mittwoch, weshalb ich am Montag im Büro bin. Ich glaube nicht, dass Örge uns hier eine Hilfe sein wird, aber wir werden sehen. Kaum bin ich im Büro, sagen die Teilnehmerinnen 11 und 13 ab, wollen sich aber im Laufe des Tages nochmal melden. Im Optimalfall bekommt Teilnehmerin 13 diese Woche noch einen Arbeitsvertrag, dann ist sie uns los, was sie wirklich freut, denn das hier ist alles unter ihrem Niveau, diese ganzen Arbeitslosen und wir zwei Deppen. Mit sowas gibt sie sich gewöhnlich nicht ab. Hat sie nicht genauso gesagt, aber deutlich gemacht hat sie es uns durchaus. Ist aber okay, denn es muss auch Leute geben, die nur aus Versehen hier sind und eigentlich in höheren Sphären unterwegs sind. So werden Leute wie Jörg und ich auch mal auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt, was uns sicher nicht schaden kann. Teilnehmerin 19, unsere kleine Lügenprinzessin, schicke ich weg, weil sie total erkältet ist und alles voll hustet. Wie soll man so denn arbeiten?
Am Nachmittag ist auch nicht viel los. Ein kurzes Gespräch mit Teilnehmer 18, der neu ist, aber natürlich früher schon mal bei uns war. Mit Teilnehmer 16 spreche ich über Depressionen und mache ihm Mut für seinen Termin beim sozialpsychologischen Dienst. Hoffentlich zieht er das durch, denn das wäre wirklich wichtig für den Rest seines Lebens. Aber das ist nur meine Meinung. Teilnehmer 4 besucht uns kurz zum Abschlussgespräch und Jörg kümmert sich währenddessen um Teilnehmerin 14, die bisher keinen ihrer Termine verpasst hat.
Am Dienstag erwarte ich Teilnehmer 9, eine meiner größten Herausforderungen bisher. Nicht nur, dass er keine Lust auf die Maßnahme hat, er sagt auch, dass wir ihm nicht helfen können und ihm alles hier nichts bringt. Er ignoriert, was ich vorschlage und interessiert sich mehr dafür, uns zu zeigen, was er von uns hält, als sich um eine Arbeitsaufnahme zu bemühen. Er erinnert mich an mich, wie ich früher war, nur war ich dabei wenigstens lustig und sicher auch sympathischer. Vielleicht sollte man Arbeitslose dazu verdonnern, dass sie in der Waffen- und Panzerproduktion eingesetzt werden. Dann wären sie von der Straße und würden etwas Sinnvolles tun. Und in jeden siebten Panzer, den wir ausliefern, könnten wir auch noch eine Handvoll Arbeitslose stecken, quasi als Überraschung. So könnten die Jungs das Land quasi direkt vor Ort verteidigen. Seit Waffen Frieden schaffen, hat man einfach viel mehr Möglichkeiten und diese sollte man auch nutzen. Wenn die Arbeitslosen dann allerdings die gleiche Einstellung und Arbeitsmoral an den Tag legen, wie sie es hier tun, wird es natürlich schwierig mit dem Endsieg. Abgesehen davon ist das aber ein prima Plan und ich frage mich, wieso unsere Kriegsministerin, die Anne, und ihr grüner Freund, der Robbie, diese Idee noch nicht hatten. Dabei sind die beiden doch sonst immer so kreativ, aber vermutlich wissen sie, dass man mit Arbeitslosen nicht unbedingt einen Krieg gewinnt. Vielleicht haben sie aber auch einen ganz anderen Plan, den sie uns bald präsentieren werden. Bis es soweit ist, muss ich schauen, wie ich mit Teilnehmer 9 klarkomme. Vielleicht ist ein Jobwechsel für mich das Beste, denn abgesehen davon, dass mich Nummer 9 überfordert, verblöde ich hier immer mehr. Wobei das auch an mir liegen kann und nichts mit dem Job zu tun haben muss. Ich muss mir da echt Gedanken machen. Teilnehmer 9 trägt ein graues Kapuzenoberteil und erinnerte mich bei seiner Ankunft an den Ehrengast. Da es keine Vorgabe gibt, wie viele Bewerbungen er schreiben muss, wird er keine Bewerbungen schreiben, sagt er. Ich erwidere, dass es seine Entscheidung ist. Als nächstes beschwert er sich, dass sich in seiner Mappe die gleichen Stellenvorschläge wie beim letzten Mal befinden, was beweist, dass wir ihm nicht zuhören. Also erkläre ich ihm, dass er selbst die Stellenvorschläge beim letzten Mal in der Mappe belassen hat. Daraufhin wirft er sie mit den Worten „So läuft das hier“ in den Müll. Eine konstruktive Zusammenarbeit steht sicher kurz bevor. Das spüre ich ganz deutlich. Die Frage, was er denn erwartet, kann er nicht beantworten. Das ist zermürbend, aber davon darf ich mich nicht beeinflussen lassen. Nach etwa einer Stunde ändert sich irgendwas und er erzählt mir plötzlich von seinen Krankheiten, sagt, dass ich wohl den richtigen Beruf ausübe und es hat den Anschein, als würde der Kampf für heute ein wenig zurückgefahren. Dieser Kampf, der uns nur zermürben würde. Mehrmals war ich davor, mich zu irgendwas hinreißen zu lassen, doch ich konnte widerstehen, weil ich nur verloren hätte. Nicht er, denn er hat schon verloren. Er ist arbeitslos, ich bin es nicht, obwohl ich arbeitslos besser kann als nicht arbeitslos, doch weder das eine noch das andere kann ich gut. Sinnlose Kämpfe will ich mit ihm nicht führen, denn ich bin ein Coach, der zwar nicht wirklich helfen kann, aber vielleicht einen gewissen Frieden bringt. Möglicherweise werde ich als Friedenstaube wiedergeboren.
Am Mittwoch leiste ich nichts, nicht einmal Widerstand. Immerhin bringt Teilnehmerin 13 uns einen Arbeitsvertrag. Ob wir je wieder eine so hübsche Teilnehmerin geliefert bekommen? Auch wenn es immer wieder Leute gibt, die nicht arbeiten wollen, so sind es hier immer weniger, die dabei nicht in Wahrheit unglücklich sind. Sie werden vermutlich nie den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Unglück erkennen, aber es war nie offensichtlicher, dass es so ist. Und immer öfter geben die Leute zu, dass sie unglücklich sind sich für Versager halten, sauer auf ihren Körper sind, weil dieser nicht mehr funktioniert. Der Zusammenhang zwischen Unzufriedenheit, Krankheit, Hoffnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit ist so offensichtlich, dass man sich echt Mühe geben muss, all das zu übersehen. Es gibt Leute, die wollen, dass es besser wird, haben aber gleichzeitig Angst vor Veränderungen und lassen alles so wie es ist. Je länger der Zustand andauert, desto schwerer kommen sie da ohnehin hinaus. Es werden auch immer mehr, die mit dem Leben nicht klarkommen, manche werden es nie können. Auch diejenigen, die für keine, oder maximal sehr simple Arbeiten in Frage kommen, werden zahlreicher. Junge Leute, frisch aus der Schule, vollkommen bildungsfremd, überfordert mit leichtesten Aufgaben, ahnungslos wie man nur sein kann, überschwemmen das Land. Durchhalten, Widerstände überwinden, all das überfordert sie. Scheitern, nochmal scheitern, und noch einmal, spätestens dann folgt die Resignation. Wir versuchen sie unterzubringen und sollte es klappen, dann bleibt die Frage, wie lange halten sie durch, wann schmeißen sie hin? Das Niveau sinkt, in den Schulen lernt man oft nichts für das Leben nach der Schule, also so gar nichts. Und dann haben wir drei Monate Zeit, diese Leute auf irgendwas vorzubereiten. Aber ich weiß nicht, ob es wirklich hilfreich ist, wenn sie an mich geraten, denn ich mogle mich seit meiner Jugend nur durchs Leben. Ohne jegliche Kompetenz bin ich Coach geworden und nun entscheidet meine Arbeit mit darüber, welchen Weg manche gehen. Das ist so absurd, dass es sich eigentlich nur um einen Witz handeln kann. Aber der größte Witz sind das fehlende Bildungsniveau und die Perspektivlosigkeit mit der Leute aus der Schule entlassen werden. Und natürlich fängt das bei den Eltern an, die scheinbar keine Zeit, keine Lust oder keine ausreichende Intelligenz haben, um ihre Kinder auf den Weg zu bringen. In der Schule geht das Dilemma oft nahtlos weiter. Die Generation der Ahnungslosen breitet sich aus. Fast wie eine Zombieapokalypse und leider manchmal ähnlich intelligent. Erschreckend. Ob sich das aufhalten lässt? Ob diejenigen, die anders sind, in der Schule was gelernt haben und von den Eltern was mit auf den Weg bekommen, ausreichen, um diesen Trend zu stoppen? Ich fürchte, dazu ist es zu spät, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Der Donnerstag ist der letzte Arbeitstag der Woche für mich. Es ist nicht gut, das Büro teilen zu müssen. Ich komme nicht zur Ruhe, verliere meine Struktur und ein besserer Coach bin ich dadurch auch nicht. Ich mag es, zusammen mit Jörg Teilnehmer zu bearbeiten, das ist ein netter Schlagabtausch, wir greifen Teilnehmer quasi von zwei Seiten an. Nicht um sie zu vernichten, sondern tatsächlich, um irgendwie alles zum Guten zu wenden. Aber eigentlich ist das lächerlich, ich bin lächerlich. Bei totaler Ahnungslosigkeit habe ich fast immer etwas zu sagen. Kluge Beispiele, ich spiele die Bälle weiter, die Jörg vorlegt, aber ich bin derjenige, der nichts auf die Reihe bekommt. Ich verkaufe Scheiße, weil ich mit Worten spielen kann, nicht mehr so wie früher, aber ausreichend, um mitzuspielen. Alles, wirklich alles, versuche ich irgendwie über Emotionen, fachliche Qualifikation gleich null. Durchmogeln bis zum Exzess. Als Stellvertreter von wem auch immer. Wenn ich mich so bei meinen Aktionen betrachte, fällt mir nichts mehr dazu ein. Vielleicht ist es wirklich genug, vielleicht muss ich weiterziehen. Ich werde nie mehr sein als Durchschnitt. Ich wollte nie Durchschnitt sein, war aber nie etwas anderes. Immerhin habe ich einen Teil meines Humors wieder. Direkt in die Fresse, zynisch, fies und zerstörend. Vielleicht verachtend, aber immer so, dass man mir nicht wirklich böse sein kann. Bilde ich mir in meiner Arroganz zumindest ein. Wo Jörg bei Teilnehmenden, mit oder ohne Penis, schon mal sehr streng angreift, bin ich immer darauf bedacht, eine Grenze, die ich selber festlege, nicht zu überschreiten. Ich behandle Teilnehmende, mit oder ohne Vagina, meist ohne Vagina, immer möglichst individuell, stelle mich maximal auf sie ein, vermutlich habe ich kein Rückgrat, sondern bin nur ein Coach, der allen gefallen will. Disharmonie stört mein inneres Gleichgewicht. Doch offensichtlich ist es vollkommen egal, wer der Coach ist, die Quote ist etwas, was passiert, egal, welcher Hampelmann coacht. Selbst eine sprechende Currywurst hätte eine ähnliche Vermittlungsquote wie ich. Wenn ich wüsste, wohin ich könnte, würde ich mich dahin vermitteln, aber ich weiß es nicht. Nach fast sieben Jahren sollte ich vielleicht damit aufhören, mir und anderen vorzugaukeln, dass ich tatsächlich irgendein Coach bin, obwohl sich ja jeder Coach nennen kann. Oder Experte. Alles nur bla bla. Wie lange kann ich damit noch weitermachen? Vermutlich bis zur Rente, so lange keiner kapiert, dass ich ein Arbeitsloser bin, der nur so tut als wäre er es nicht.
Eine frühere Teilnehmerin ruft an, hat sich wieder in eine verzwickte Situation gebracht, möchte meinen Rat. Keine Ahnung. Ich habe keine Ahnung. Sag ich aber nicht. Rede souverän irgendeinen Quatsch, sie findet es schlüssig, ruft nach dem Gespräch ihren neuen Arbeitgeber an, ruft mich anschließend erneut an, dankt für meine Tipps, setzt diese um. Vermutlich habe ich auch dieses Mal Glück, es wird gut gehen, wie es immer gut ging. Seit Jahren ruft sie immer mal an und fragt nach Rat. Dabei sollen wir maximal vier Monate nachbetreuen. Ich betreue immer weiter, selbst nach Jahren noch. Ignoriere Vorgaben, finde es lächerlich, nach Ablauf einer Frist meine zweifelhafte Hilfe zu verweigern. Bisher habe ich keinen Schaden angerichtet. Irgendwann geht das schief, alles geht irgendwann schief, wenn man jemanden ohne Fachkenntnisse fragt. Vielleicht sollte ich meine berufliche Karriere in der Politik beenden. Da tummeln sich auch nur noch Gurken.