Maßnahmegeschichten 49.22

Wieder eine Woche voller Überraschungen, Tränen, Sensationen und anderen Kuriositäten, die wir sicher schon bald vergessen haben werden. Und all das verdanken wir unseren mutigen, desillusionierten, traurigen und verschwundenen Teilnehmern. Aber der Reihe nach.

Teilnehmer 3 gehört zu den verschwundenen Teilnehmern und möchte eine Abmahnung für sein Verhalten bekommen. Da helfe ich doch gerne, denn wenn ich etwas kann, dann Abmahnungen schreiben. Es wird ihn vermutlich nicht beeindrucken, aber das ist mir egal.

Teilnehmer 4 besteht auch weiterhin auf ein Nettogehalt in Höhe von 2.500€, weshalb ich ihm keine Jobvorschläge mehr machen kann. Eine Helferstelle mit einem solchen Einstiegsgehalt habe ich derzeit leider nicht im Angebot. Ihn werden wir bis zum Ende seiner Teilnahme lediglich zur Kenntnis nehmen und bei uns seine Zeit absitzen lassen.

Auch Teilnehmer 5 hat diese Woche andere Pläne, weshalb er ebenfalls eine wundervolle Abmahnung bekommt. Da er mich bereits darauf hingewiesen, dass es ihm egal ist, wenn sein Arbeitslosengeld gekürzt wird und es ab Januar scheinbar wieder Kürzungen möglich sind, werden wir vielleicht schon bald wissen, ob es ihm wirklich so egal ist.

Teilnehmer 7 ist neu und gesundheitlich in keiner guten Verfassung. Noch keine 50 Jahre alt und schon drei Herzinfarkte hinter sich. Seine Haltbarkeit scheint sehr begrenzt zu sein. Mal schauen, was aus ihm wird.

Teilnehmer 9 fehlt weiterhin und bekommt nächste Woche die Kündigung. Keine Ahnung, was mit ihm nicht stimmt. Kündigungen kann ich übrigens fast so gut schreiben wie Abmahnungen.

Bei Teilnehmerin 11 fällt uns nichts mehr ein. Sie findet das Leben einfach immer schrecklich und ist, weil große Teile ihrer Familie in einem Kriegsgebiet leben, immer angespannt und in Sorge. Da sind wir mit unserem Latein so ziemlich am Ende, weil wir nicht so gut sind, wie wir sein müssten, um der Frau zu helfen.

Teilnehmerin 12, die sich bereits gestern weiter krank meldete, hat hier keine Zukunft und wird aus gesundheitlichen Gründen aus der Maßnahme genommen.

Teilnehmer 13 hat zu viele Probleme und ich beschließe, dass eine Arbeitsaufnahme sehr unrealistisch ist. Für ihn habe ich einen Termin beim sozialpsychiatrischen Dienst vereinbart und danach schauen wir, ob wir die Zusammenarbeit fortsetzen können.

Teilnehmerin 15 hat einen Ehemann, der nichts weiter tut als da zu sein, aber möchte, dass sie Vollzeit arbeitet, den Haushalt schmeißt und sich um die Kinder kümmert. Derartige Fälle häufen sich und ich frage mich, wieso Frauen sich so etwas antun. Aber weil ich weder von Frauen noch von Beziehungen eine Ahnung habe, wird das alles schon so richtig sein. Jörg ist der Meinung, dass die Frau unter diesen Umständen niemals einen Vollzeitjob wird ausüben können. Je mehr man über die Geschichte der Familie hört, desto deutlicher wird, dass der Mann jeglichen Glanz aus dem Leben der Frau entfernt hat und sie todunglücklich ist. Ich bezweifle, dass wir ihr Unglück mildern können, aber weil ein guter Jobcoach nicht zweifeln soll, sondern Lösungen parat haben muss, werde ich am Wochenende in mich gehen und meine Einstellung überdenken.

Teilnehmer 16, der nach sieben Jahren in Deutschland und dem Besuch einer Hauptschule weder deutsch lesen noch schreiben kann, hat tatsächlich einen Arbeitsvertrag unterschrieben und sofort im Anschluss die Arbeit aufgenommen. Doch bereits am zweiten Tag erscheint er nicht mehr zur Arbeit. Angeblich, weil er einen anderen, besseren Job gefunden hat. Wir haben da so unsere Zweifel, können ihm aber nicht mehr helfen, weil wir nicht mehr zuständig sind. Sein Nachfolger ist glücklicherweise ganz anders, Anfang 50 und erst seit 9 Jahren arbeitslos. Als er vor vier Jahren zuletzt bei uns war, konnten wir ihm nicht helfen. Dieses Mal wird es sicher anders laufen, denn schon beim Erstgespräch bricht er in Tränen aus. Jörg scheint ein Händchen dafür zu haben, Teilnehmer zum Weinen zu bringen. Vielleicht habe ich bei dem Teilnehmer damals zu früh resigniert, vielleicht geht es aber auch bei ihm gar nicht um eine Arbeitsaufnahme, sondern zunächst darum, eine Art Therapie zu machen. Bei vielen Arbeitslosen, in letzter Zeit werden es immer mehr, hat die Arbeitslosigkeit heftige Spuren hinterlassen, die manche hinter Aggressionen verstecken. Andere brechen, wenn man die richtigen Gespräche führt, fast zusammen und man erkennt einen Scherbenhaufen, den man kaum je wieder zusammensetzen kann. Dennoch bleiben viele von ihnen Beratungsresistent, während andere zwar wollen, aber einen ziemlich langen Weg vor sich haben, um irgendwann (wieder) in die Arbeitswelt integriert werden zu können. Wie so viele andere, hat auch dieser Mann Schulden, allerdings bereits im sechsstelligen Bereich, womit er was das betrifft unsere absolute Nummer Eins ist.

Teilnehmerin 17 meldet sich weiter krank und wir treffen die Entscheidung, dass es mit ihr keinen Sinn macht. Vor zwei Jahren lief es ähnlich und es ist offensichtlich, dass sich an ihrem Zustand auch in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Beratungsresistent und nicht an einer Arbeitsaufnahme interessiert. Wir können ihr nicht helfen und ich fürchte, ihre Nachfolgerin ist eine ähnliche Herausforderung, denn sie kann laut eigener Aussage, wenn sie will, sofort eine Arbeit aufnehmen. Scheinbar will sie aber nicht, anders lässt sich ihre fortwährende Arbeitslosigkeit nicht erklären. Auf die Frage, warum sie nicht sofort ihre Arbeitslosigkeit beendet, hat sie dementsprechend viele Worte, aber keine Antwort parat.

Teilnehmer 18 konnte beim Probearbeiten scheinbar nicht überzeugen, denn der Arbeitgeber hat sich bisher noch nicht bei ihm gemeldet. Aber er hofft weiter. Alternativ bieten wir ihm einen ähnlichen Job bei einem anderen Arbeitgeber an und berechnen sein ungefähres Nettogehalt. Knapp unter 2.000 €. Für den Teilnehmer zu wenig, denn vom Amt bekommt die Familie 2.200€. Jörg erklärt ihm, dass das Gehalt bis ca. 2.500 € aufgestockt wird, weil es sich ja lohnen muss, arbeiten zu gehen. Der Teilnehmer lehnt ab, Jörg kocht fast über. Ich sage ihm, dass er es einfach zur Kenntnis nehmen und im Bericht vermerken soll. Was Jörg hierbei auch übersieht, ist die Tatsache, dass auch der Arbeitgeber den Teilnehmer nicht einstellen würde, weil der Teilnehmer komplett verpeilt ist und im Tempo einer verstorbenen Schnecke arbeitet. Sein Lebenslauf sieht nicht umsonst aus, wie er aussieht. Dazu kommt, dass auch er beratungsresistent ist und derzeit auch nichts Verbotenes tut, wenn er sich nicht bewirbt. Weil Jörg ihn nicht erträgt, muss sich ab sofort Örge an meinem freien Tag um Teilnehmer 18 kümmern. Da ich stellvertretender Irgendwas bin, teile ich ihr das unverzüglich mit. Immerhin nimmt Örge meine Anweisungen ernst. Helfen wird sie in diesem Fall auch nicht können.

Teilnehmerin 19 war vor etwa drei Jahren schon mal bei uns und wollte uns weismachen, dass fast alle Arbeitgeber, bei denen sie sich beworben hat, sie angerufen und ihr persönlich abgesagt haben. Irgendwann haben wir ihr gesagt, dass das absoluter Blödsinn ist. Daraufhin weinte sie und kam nie wieder zu uns. Jetzt ist sie wieder zurück und ich erkenne sie fast nicht. Das Leben scheint es in den letzten Jahren nicht gut mit ihr gemeint zu haben. Manchmal ist das Leben einfach ein Arschloch. Die Nachfolgerin von Teilnehmerin 12 scheint eine echte Herausforderung für uns zu sein und es ist gut, dass Jörg und Örge sich gemeinsam um sie kümmern werden, denn ich habe ihr damals schon nicht helfen können.

Teilnehmer 20, der Dschinn, packt seine Dschinn-Lampe während er uns besucht in seine Jackeninnentasche, schaltet sie aber nicht aus, so dass sie mich manchmal anleuchtet, was ich verwirrend finde. Vielleicht ist er, wenn die Lampe ausgeht, kein richtiger Dschinn mehr. Jedenfalls legt er uns einen Arbeitsvertrag vor und wir wünschen ihm alles Gute. Er gehört auch zu den Teilnehmern mit nur einer Patrone, wie wir sagen. Diese eine Patrone muss treffen, sonst wird das nichts. Mit seiner Patrone haben wir das richtige Ziel gewählt, getroffen und der Erfolg gibt uns allen Recht, auch wenn der Zufall die Kugel gelenkt hat. Teilnehmer, die nur genau eine Chance haben, kommen uns öfter besuchen. Oft feuern wir ratlos in die Dunkelheit und es passiert nichts.

Wir werden, und das ist unverkennbar, immer mehr als Sozialcoach gebraucht. Da trifft es sich gut, dass ich eine solche Ausbildung nie gemacht habe und eh meistens improvisiere. Die Quote von 36,26 Prozent ist unter diesen Voraussetzungen fast gigantisch, droht aber stark abzufallen, wenn wir zu oft die letzte Patrone einfach so in die Dunkelheit verschießen und unsere therapeutischen Fähigkeiten nicht bald verbessern.

2 Kommentare

  1. „jörg und örge“ macht mich fertig. stellt noch einen björn ein, dann ist es stimmig ^^

    zu dem rest schwanke ich zwischen sprachlos und amuesiert, aber hey, immerhin einen dschinn vermittelt!

    („tempo einer verstorbenen schnecke“ kommt in meinen aktiven sprachgebrauch, danke dafuer)

    • Ich schaue mal, ob ich einen Björn finden kann. Vielleicht unter den nächsten Teilnehmern. Dreimal Ö, dann wird es schö…

      Wer weiß, wann der Dschinn zurückkehren und was dann aus ihm geworden ist.

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