Dieses Jahr setzen die Bürgerarbeiterin und ich die alte Tradition der vorweihnachtlichen Treffen fort und kehren und kehren zurück ins Café del Sol, wo wir zuletzt 2018 ein vorweihnachtliches Treffen hatten. 2019 waren wir bei Enzo, 2020 und 2021 wurden die meisten Aktivitäten verboten oder waren nur unter Auflagen erlaubt, weshalb wir 2020 auf das vorweihnachtliche Treffen verzichten mussten und uns 2021 bei mir getroffen haben.
Das Café del Sol ist heute gut besucht und wir finden einen Platz direkt am Eingang. Von dort kann ich sehen, wer kommt und geht, aber uns beachtet kaum jemand, was wir sehr schätzen. Wir bestellen Getränke, plaudern über dies und das und ich beobachte die Menschen, die sich am Buffet bedienen. Es sind einige sehr attraktive Frauen dabei, die von mir keine Notiz nehmen, was unter anderem daran liegt, dass ich in einer Ecke sitze, aber noch mehr liegt es daran, dass die meisten mindestens zwanzig Jahre jünger als ich sind und Männer meiner Altersklasse einfach nicht sehen, was mir zwar missfällt, aber völlig normal und richtig ist. In einer Ecke sitzen ältere Leute, also in meinem Alter und auch älter. Da sollten wir vermutlich auch sitzen, aber dazu fehlen mir sowohl die Reife als auch die Begeisterung. Das möchte ich einfach nicht. Nach etwa einer Stunde muss ich pinkeln, will das aber nicht, weil ich von meinem Sitzplatz den Toiletteneingang nicht sehen kann. So kann ich nicht einschätzen, wie viele Männer gerade auf der Toilette sind. Somit könnte es sein, dass ich zur Toilette gehe, dort die Kabinen besetzt sind und ich mich an ein Pissoir stellen muss. Im schlimmsten Fall steht da noch jemand neben mir und wir pinken dann Seite an Seite um die Wette. Auch dazu fehlt mir die Reife. Daher beschließe ich, dass ich nicht pinkeln gehen kann. Da ich pünktlich zu essen pflege, suche ich mir aus der Speisekarte etwas aus, von dem ich denke, dass ich es mag und auch verkrafte. Ich entscheide mich für Avocado Chicken Fries, weil ich samstags eh fast immer Pommes esse. Wenig später geben wir der Bedienung ein Zeichen, dass wir speisen wollen und erfahren, dass es erst ab 13.00 Uhr möglich ist. Sofort macht sich eine Unzufriedenheit über unserem Tisch breit und wir überlegen, wo wir das vorweihnachtliche Treffen im nächsten Jahr stattfinden lassen, denn bis 13.00 Uhr zu warten ist keine Option. Wir glauben, dass die Pizzeria Pinocchio in Olfen ein geeigneter Ort sein könnte, wollen uns aber noch nicht festlegen, weil in einem Jahr sehr viel passieren kann und man nie weiß, was man in einem Jahr weiß und will. Während wir noch unsere Enttäuschung verarbeiten, kommt die Bedienung zu unserem Tisch und teilt uns mit, dass sie sich geirrt hat und schon ab 12.00 Uhr bestellt werden kann. Wie es scheint, haben wir alle nochmal Glück gehabt und das vorweihnachtliche Treffen kann ordnungsgemäß fortgesetzt werden.
Wenig später werden auch schon die Speisen serviert. Ich bin durchaus zufrieden mit meiner Wahl und auch die Bürgerarbeiterin findet ihre Pommes gelungen. Vielleicht kommen wir nächstes Jahr doch wieder. Während des Essens und auch danach plaudern wir über dies und das und die Zeit vergeht dermaßen schnell, dass um uns herum plötzlich fast alle Leute verschwunden sind. Auch am Tisch der älteren Generation macht man sich bereit, das Café del Sol zu verlassen. Zu der Gruppe gehört auch eine ältere Frau, ich schätze sie auf über 75, die nicht mehr so bewegungsfähig ist, wie sie sicher gerne wäre. Sie bewegt sich langsam und alle anderen müssen sich ihrem Tempo anpassen. Sofort versuche ich mich in ihre Lage zu versetzen, da mein Körper ja auch nicht mehr so lange in diesem Zustand bleiben wird. Ich versuche mir vorzustellen, wie sehr es mich nerven würde, wenn alle auf mich warten müssten, weil ich auf meinen Körper, der meinem Willen schon lange nicht mehr folgen kann. warten muss. Dann fällt mir ein, dass auch mein Kopf das Problem sein könnte. Oder der Kopf und der Körper. Sofort kommt Frust auf und ich spüre eine innere Unzufriedenheit, die kurz davor ist, zu einer Wut zu werden. Das möchte ich nicht, denn noch ist es ja nicht so weit. Um mich abzulenken und meine Gedanken zu erfrischen, schaue ich einem Jungen, der 2 bis maximal 3 Jahre alt ist, dabei zu, wie er vergnügt durchs Café del Sol flitzt. Diese kindliche Unbekümmertheit und der Spaß gefallen mir, versetzen mich aber schnell wieder in eine andere Krise, weil die unbekümmerte Kindheit nicht unendlich andauert. Sofort sage ich der Bürgerarbeiterin, dass es im Kindergarten, aber spätestens in der Schule damit vorbei sein wird, weil es dann nur noch ums funktionieren geht und darum, was später mal aus Wilbur (ich habe mich entschieden, dass der kleine Junge so heißt) wird. Dann heißt es “Wilbur, sitzt still. Wilbur, hör auf damit. Wilbur, lass das. Wilbur, dafür bist Du zu alt.” Irgendwann resigniert der nicht mehr so kleine Wilbur vermutlich und wird ein angepasster und funktionierender Bürger, der sich eines Tages vielleicht fragt, wie es nur so weit kommen konnte. Mist, schon wieder schweife ich ab. Heute allerdings ist Wilbur noch ein kleiner, zufriedener Knirps, der die Welt entdeckt und Spaß an Dingen hat, von denen die meisten Erwachsenen nichts mehr verstehen oder nichts mehr verstehen wollen. Weil mittlerweile drei Stunden seit unserer Ankunft vergangen sind, bezahlen wir und verlassen das Café del Sol. Es war ein kurzweiliges vorweihnachtliches Treffen, welches wir nächstes Jahr vermutlich wiederholen, wenn wir nicht vorher sterben oder von einer neuen Welle von irgendwas überrollt werden.
Zu Hause angekommen, stelle ich die Weihnachtstüte, die ich von der Bürgerarbeiterin bekommen habe, ordnungsgemäß zur Lichterkette. Dort bleibt sie, bis ich am 24. Dezember schauen darf, was die Bürgerarbeiterin für mich eingepackt hat. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Geschenke liebe?
So ist das, wenn man mit dem Rücken zum Lokal sitzt, jetzt lese ich erst was da alles los war …
ein gelungenes Treffen
Gut, dass ich aufgepasst habe und es aufschreiben konnte. So hast nichts gesehen und doch nichts verpasst. 🙂