Grundsätzlich versuche ich alle Teilnehmerinnen so einzuteilen, dass Jörg sich um sie kümmern muss, weil ich einfach nicht der richtige Coach für Frauen bin. Auch heute erwarten wir eine neue Teilnehmerin, die ich Jörg zugeteilt habe. Als ich zufällig aus dem Fenster schaue, geht eine recht große, schlanke Frau mit blonden Haaren Richtung Eingang. Da mich der Anblick sehr anspricht und ich davon ausgehe, dass es sich um unsere neue Teilnehmerin handelt, stehe ich sofort auf, um die Tür zu öffnen, bevor Jörg es tut. Da die Tür wegen Handwerksarbeiten offen steht, ist die Frau bereits reingekommen und steht im Flur. Sofort fallen mir ihre Augen auf, die ich irgendwie interessant finde. Ich stelle mich kurz vor, bitte die Frau mitzukommen und an meinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Die Frau trägt eine Hose, die an den Oberschenkeln aufgeschnitten ist, was mir gut gefällt. Ihr Anblick ist eine wunderbare Abwechslung und tut meinen Augen sicher gut. Jörg kommt rüber und stellt sich vor. Zur Begrüßung gibt es die Faust. Früher gab man sich die Hand, heute die Faust. Wann immer ich kann, verzichte ich auf beides. In meinem Kopf singt Klaus Lage “Faust auf Faust”, was ich irgendwie unangebracht finde. Jörg fragt, ob wir uns das Gespräch wieder teilen sollen. Das bedeutet, ich mache den Verwaltungsteil und er führt das erste Gespräch. Das machen wir öfter, aber heute lehne ich es ab, weil ich mich alleine mit der Frau unterhalten will. Jörg steht neben uns im Büro und ich frage ihn, warum er hier rumsteht. Er versteht und verlässt das Büro. Das Gespräch ist, wie bei mir üblich, nicht wirklich professionell und ich halte mich nur bedingt an den Fragebogen, den wir beim ersten Gespräch mit den Leuten abarbeiten. Ich mache das immer nach Gefühl, während Jörg das sehr professionell macht und alle Fragen akribisch durchgeht. Ich hingegen springe zwischen den Fragen hin und her, interessiere mich mehr für das Verhalten der Leute und vergesse gelegentlich manche Fragen zu stellen, weil ich diese Fragen manchmal für unnütz halte. Die Frau ist 39 Jahre, alleinerziehend und etwas unsicher. Sie guckt mich kaum an und auch mein Humor scheint sie nicht zu begeistern. Vielleicht habe ich auch keinen Humor. Sie hat schöne Finger, einen schönen Mund und schöne Lippen. Überhaupt ist sie ein sehr angenehmer Anblick und ich bin fast begeistert. So sehr ich es auch versuche, so richtig locker wird sie allerdings nicht. Vermutlich ist ihr die ganze Situation etwas unangenehm. Ich konnte mich auch nie dafür begeistern, wenn irgendwelche Spackos, in irgendwelchen Maßnahmen vom Jobcenter, mich vollgequatscht haben. Warum sollte es ihr anders gehen? Im Gegensatz zu mir weiß sie allerdings nicht, dass dies unser letztes längeres Gespräch ist, denn so sehr ich ihren Anblick auch mag, ab morgen kümmert sich Jörg um sie, obwohl ich das durchaus noch ändern könnte. Aber das mache ich nicht, denn Frauen gehören zu Jörg, weil sie da einfach besser aufgehoben sind. Die blonde Frau heißt ab sofort Teilnehmerin 14 und nachdem sie gegangen ist, sagt Jörg, dass er schon eine Idee für sie hat und sich sicher ist, dass sie schon bald Arbeit hat. Ich teile diese Euphorie nicht, denn wenn es tatsächlich so einfach wäre, dann wäre die Frau wohl eher nicht hier. Wir werden sehen, wer am Ende Recht behält. Jedenfalls muss ich auch weiterhin keine Frauen betreuen und frage mich, wann Jörg merkt, dass alle Frauen nur noch bei ihm landen.
Am Nachmittag sitzen wir zusammen mit den Teilnehmern 4, 8 und 10 bei Jörg im Büro, weil in meinem Büro Handwerker beschäftigt sind. Teilnehmer 8 besteht auf einen Stundenlohn von mindestens 17€, Teilnehmer 4 ist schon ab 15€ verhandlungsbereit. Natürlich haben beide nie eine Ausbildung gemacht. Jörg würde Teilnehmer 8, der ziemlich deutlich zeigt, was er von dieser Maßnahme hält, am liebsten rauswerfen, ich versuche es mit Humor und werfe einen meiner üblichen Kommentare in die Runde. Die Teilnehmer 4 und 10 finden ihn witzig, Teilnehmer 8 lacht kurz, weiß aber offensichtlich nicht warum. Dann scheint er meinen Kommentar doch noch zu kapieren und bekommt einen Lachanfall, der so heftig ist, dass ich kurzzeitig glaube, ich sei der witzigste Mann der Welt. Dadurch, dass Teilnehmer 8 so lacht, lachen die beiden anderen nun auch immer lauter. Teilnehmer 10 lacht allerdings über Teilnehmer 8, weil er so lange gebraucht hat, um meinen Kommentar zu verstehen. Da ich meinen Kommentar schon vergessen habe, als ich ihn gegeben habe, weiß ich nicht, was daran so witzig gewesen sein soll. Aber es ist eindeutig besser, wenn das Volk lacht, als wenn wir aus persönlichen Gründen irgendwelche Kriege führen. Das ist auch nicht gut fürs Gemüt, wenn wir uns mit den Leuten streiten. Plötzlich wird es draußen laut und Jörg rennt besorgt zur Tür. Ich bin nicht besorgt, weil ich denke, dass nur irgendwas umgefallen ist, was aber nicht ganz richtig ist. Es ist zwar eine Leiter umgefallen, aber der Mann, der auf der Leiter stand, ist natürlich auch heruntergefallen. Dieser steht nun etwas verwirrt und mit Schmerzen neben der Leiter. Jörg ruft den Notarzt und eine Frau aus dem Fenster, dass er den Mann in sein Auto setzen und ins Krankenhaus fahren soll. Ich weiß nicht, was so kluge Kommentare sollen, denke aber, die Frau gibt öfter solche Ratschläge und hat nur wenige Freunde. Der Mann klagt über Schmerzen und sagt, dass er sicher Ärger bekommen wird. Und den wird er auch zu Recht bekommen, denn sein Kollege sagte ihm extra, dass er erst auf die Leiter klettern soll, wenn er wieder da ist, um die Leiter abzusichern. Dieser Arbeitsunfall war durchaus leicht vermeidbar. Die Teilnehmer 4, 8 und 10 stehen natürlich längst draußen, um nichts zu verpassen. Nur ich sitze weiter an meinem Platz, weil alles andere mir sinnlos erscheint. Der Krankenwagen ist wenig später auch schon da und der Mann wird untersucht, aber nicht mitgenommen. Er soll sich von seinem Kollegen zum Röntgen fahren lassen. Dieser muss erst noch die Baustelle aufräumen, während der Mann bei uns auf einem Stuhl sitzt und dabei ziemlich verwirrt wirkt. Möglicherweise hat er einen Schock. Wenig später ist der Spuk vorbei und die Ordnung wiederhergestellt. Mehr Unterhaltung kann man an einem Dienstag kaum verlangen.