Ich vergesse oft, dass mein Leben eine Aneinanderreihung von Höhepunkten ist. Weil das so ist, will ich in dieser Arbeitswoche nur diese Höhepunkte sehen, erleben und genießen.
Schon am Dienstag geht es gut los. Ohne nähere Erklärungen wird entschieden, dass Örge an den nächsten beiden Freitagen mit mir zusammen in der Maßnahme anwesend ist. Zwei Tage, die ich sicher sehr genießen werde. Hätte ich mich sonst gefragt, wozu das gut sein soll und was es nützt, wenn sie zwei Freitage mit mir hier arbeitet, sehe ich es heute, dass es toll und nochmal toll ist. Und es kommt noch besser. Ein Mann hat sich im Unternehmen beworben und wird nächste Woche zur Probe hier arbeiten. Im Anschluss soll ich entscheiden, ob man den einstellen kann oder nicht. Eigentlich würde ich das bedenklich finden, dass meine Entscheidung die berufliche Karriere eines mir fremden Menschen beeinflusst, aber heute bestätigt es mir nur, wie kompetent ich bin, dass man mir so eine Entscheidung zutraut. Dass ich den Mann schon nach der Betrachtung seines Lebenslaufs als vermutlich ungeeignet einstufe, bedeutet, dass ich Voreingenommen bin und grundsätzlich alles verurteile und ablehne. Das soll so nicht sein und für mich bedeutet es darum, dass ich bei ihm noch genauer hinschaue, um herauszufinden, woher meine Vorurteile kommen und um ihm eine Chance zu geben, die ich sonst nach meinen strengen Vorverurteilungen nicht gebe. Wenn man die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachtet, kann das Leben sich in eine ganz wundervolle Richtung drehen. Und ich bin sicher, dass ich viel von ihm lernen kann, denn seinem Lebenslauf nach zu beurteilen, ist er mir in allen Belangen weit überlegen. Er hat zwar als Coach noch nicht so viel Erfahrung, aber seine berufliche Laufbahn ist beeindruckend. Ein echter Manager. Auch im Coaching ist er gut ausgebildet. Vier Monate Ausbildung zum systemischen Coach und vier Monate “Train the Trainer”, was natürlich dämlich klingt, aber nicht dämlich ist. Da wurden unter anderen die Themen wie der Methodenkoffer, Agilität, Gruppentraining & Gruppendynamik und auch Teambuilding vermittelt. Ich glaube, wenn er sich am Ende dazu entschließt, dass er hier arbeiten will, dann wird er in kurzer Zeit Maßnahmeleiter und das Jobcoaching endlich wieder auf ein anständiges Niveau heben, so dass ich mich komplett den Verwaltungsaufgaben widmen kann. Ich fürchte aber, dass das hier für ihn keine Herausforderung sein wird. Trotzdem muss ich versuchen ihm diesen Job schmackhaft zu machen, weil ich davon nur profitieren kann.
Der möglicherweise zukünftige Kollege sagt am Ende des Telefongesprächs, nachdem ich ihn für nächste Woche eingeladen habe, dass er sich freut. In diesem Moment wird leider deutlich, dass ich in meiner Entwicklung noch einen weiten Weg vor mir habe, denn ich sage nicht, dass ich mich freue, weil das unehrlich wäre und ich möchte nicht mit einer Lüge unsere Zusammenarbeit beginnen. Dabei sollte ich mich freuen, denn wenn das mein neuer Kollege wird, wird mein Arbeitsalltag leichter und mein Leben wieder unbeschwerter. Vielleicht habe ich tief in meinem Inneren doch Angst, dass er den Job besser als ich machen wird und man dann erkennt, dass ich eine Gurke bin. Das allerdings wäre möglicherweise ganz wunderbar, denn dann müsste ich nichts mehr leiten und keine Entscheidungen mehr treffen, sondern wäre einfach nur ein Mitarbeiter ohne weitere Funktion. Egal, wie ich es auch betrachte, es kann nur gut werden.
Das Ehepaar hat auch heute keine Lust auf die Maßnahme, aber ich bin sicher, dass es dafür nachvollziehbare Gründe gibt und mir schon bald eine Erklärung für das Fehlen vorliegen wird, so dass ich die beiden nicht abmahnen muss. Ich spüre, wie ich innerlich geduldiger, fast schon liebevoller, auf jeden Fall sanfter werde. In mir schlummert so viel und in dieser Woche will ich all das Gute aus mir heraussprudeln lassen, um noch mehr Höhepunkte zu erleben und diese in vollen Zügen zu genießen. In dieser Woche will ich ein besserer Mensch sein und ein Coach, der allen hilft und für alle eine echte Stütze ist. Auch diejenigen, die es mir manchmal schwer machen. Vor unangenehmen Dingen verschließe ich einfach die Augen, so wie ich sie gerne vor der Realität verschließe. Schon heute freue ich mich auf morgen und währenddessen schaue ich der neuen Teilnehmerin in den Ausschnitt, weil sie ihre Brüste einfach herrlich angerichtet hat. Ins Gesicht kann ich ihr eh nicht gucken, da sie ihre Maske nicht abnehmen will, weil sie nichts zu verbergen hat. Die Aussage verstehe ich zwar nicht, aber bei den Brüsten ist mir das auch vollkommen egal. Ich bin ein Freund von wohlgeformten Brüsten, lasse mich aber nicht davon ablenken und führe das Gespräch professionell bis zur letzten Minute durch. Ob sie ihre Brüste zum nächsten Termin auch wieder so herrlich verpacken wird?
Auch am Mittwoch bin ich voller Zuversicht und spüre, dass die Dinge sich zum Guten wenden werden. Auch wenn von den fünf Leuten die am Vormittag ihren Termin haben, niemand erscheint, sehe ich das nicht negativ. Sie haben sicher alle ihre Gründe, warum sie heute auf ihre Teilnahme verzichten und ich kann morgen drei Abmahnungen schreiben, was ein neuer Rekord sein dürfte. Und wenn der neue Teilnehmer, der letzte Woche schon keine Lust hatte, morgen auch noch fehlt, sind es sogar vier Abmahnungen. Ich freue mich da wirklich drauf. Das ist alles so viel schöner, wenn man sich auf die positiven Aspekte konzentriert.
Mit nur zwanzig minütigen Verspätung erscheint am Donnerstag der neue Teilnehmer, daher bleibt es bei drei Abmahnungen, die ich heute verschicken darf. Später biete ich einem anderen Teilnehmer, der erst seit Montag dabei ist, einen Job an. Morgen kann er anfangen. Erst ist er interessiert, doch beim Gespräch mit dem möglichen, zukünftigen Chef, sagt er, dass er diesen Monat noch zwei Wochen zu seinen Eltern fährt und daher keine Zeit hat. Der Chef bietet ihm, obwohl das nicht üblich ist, an, dass er Ende des Monats eine Woche frei bekommt. Findet der Teilnehmer nett, aber da er nicht weiß, wann nächste Woche sein neues Bett geliefert wird, kann er das nicht machen. Er will zwar am Nachmittag nochmal mit seinen Eltern reden, aber an den Tatsachen wird das kaum etwas ändern. Bevor der junge Mann zum Nachdenken nach Hause darf, rede ich noch eine Weile auf ihn ein, wie toll das mit dem Job wird, welche Chance das sein kann und finde, dass ich somit mein Möglichstes getan habe. Als mich das Ehepaar wenig später noch überraschend besucht und der Ehemann mir seinen Ausbildungsvertrag vorlegt, weiß ich, dass der Tag nicht schöner werden kann und schicke alle Teilnehmer nach Hause, um die positiven Gefühle in Ruhe auf mich einwirken zu lassen.
Mein größtes Lob am Freitagmorgen gilt auch heute wieder der Frau, die beim ersten Termin so wunderbar ihre Brüste verpackt hatte. Heute ist das zwar nicht der Fall, aber wie auch schon beim ersten Termin trägt sie durchgehend ihre Maske. Das ist dermaßen vorbildlich, dass mir die Worte fehlen. Auch meine Kollegin Örge, die heute aus noch ungeklärten Gründen anwesend ist, trägt ihre Maske fast durchgehend. Wären nur alle Bürger so konsequent, hätten wir die Seuche vermutlich schon ausgerottet. Ich bin wirklich sehr zufrieden, wie diese Woche bisher abgelaufen ist. Von dem Ehepaar habe ich auch die Zusage, dass sie mir einen Kuchen backen, oder irgendwas anderes zubereiten, wenn beide ihre Ausbildungsverträge haben. Mit so einer tollen Aussicht wird mir regelrecht warm ums Herz und ich kann es kaum erwarten, dass wieder Dienstag ist und die nächste Arbeitswoche beginnt.
Bevor ich mich ins Wochenende verabschieden darf, ruft mich der Teilnehmer, der noch mit seinen Eltern reden wollte, an, um mir mitzuteilen, dass er den Job annehmen wird. Ich bin ganz aus dem Häuschen und leite unverzüglich alles in die Wege. Zwei Stunden später haben wir alles erledigt, die Vertragsunterlagen sind unterschrieben und der Mann ist ab Montag kein Arbeitsloser mehr, ohne dass er irgendwem von dem Unternehmen persönlich getroffen hat. Das ist zwar irgendwie nicht meine Welt, aber für die Quote bin ich bereit, mich den Gegebenheiten anzupassen und bisher hat sich noch kein Teilnehmer beschwert, der bei dem Unternehmen arbeitet. Hach, was bin ich nur für ein geiler Typ. Zumindest für den Moment. Jetzt bin ich so in Form, dass ich direkt noch jemanden dahin vermitteln könnte. Geht aber nicht, weil nun das Wochenende beginnt.
Insgesamt wurden während meiner vier Arbeitstage 13 von 30 Terminen eingehalten und nur 12 von 18 nicht eingehaltenen Terminen wurden nicht ordnungsgemäß abgesagt. Das ist so vorbildlich, dass mir fast die Luft wegbleibt.