Belangloses aus dem Leben eines maximal mittelmäßigen Jobcoaches

Ich langweile mich immer öfter im Büro, manchmal verweigere ich sogar die Arbeit, sitze wie gelähmt herum und frage mich, wie lange ich das noch ertrage. Diese Monotonie zermürbt mich des Öfteren, das Schweigen mancher Teilnehmer, die einfach nicht mit mir und nicht miteinander reden und drei Stunden einfach so dasitzen, gibt mir an manchen Tagen den Rest. Ich bin ratlos und schalte irgendwann ab, wenn diese Teilnehmer gleichzeitig da sind. Wir sitzen zwar alle im selben Raum, aber sind doch in unseren eigenen Welten unterwegs. Ich schaue auf die Uhr, die Zeit vergeht nicht und ich will nur, dass diese Teilnehmer wieder gehen, weil ich es aufgegeben habe mit ihnen zu reden. Jedes Wort muss man denen quasi aus der Nase ziehen, aber dennoch kommen wir nicht weiter. Sie sind arbeitslos und können oder wollen es nicht ändern. Sie deprimieren mich und ich sie vermutlich auch. Ich finde keinen Zugang und resigniere irgendwann, was nicht unbedingt für meine Qualität als Jobcoach spricht, denn ein guter Jobcoach gibt nicht auf und zaubert immer neue Ideen aus seinem Jobcoach-Hut.

Zum Glück gibt es ab und zu andere Konstellationen, Teilnehmer die mit mir reden und auf mich hören. Einer, der bereits zum vierten Mal Teilnehmer ist, ist ganz kurz davor endlich einen Job zu bekommen. Sollte das klappen, will er mich unbedingt zum Essen einladen. Das ist wirklich nett, aber mir reicht es vollkommen, wenn wir sechs Stunden in der Woche zusammen verbringen und am Ende irgendwer nicht mehr arbeitslos ist. Andererseits kann ich ja auch nicht immer so ein Arschloch sein und liebe es, wenn man mir was ausgibt. Da sollte es keine Rolle spielen, ob eine Frau oder ein Mann für mich zahlt. Vielleicht vergisst er seine Einladung ja wieder, dann müsste ich nicht auf die Frage, wann wir Essen gehen, antworten und könnte mein Leben einfach weiterleben.

Dann habe ich derzeit noch einen Teilnehmer, dem ich nicht helfen kann, den ich aber ganz unterhaltsam finde. Neulich bat ich ihn, zwei Teilnehmerinnen etwas vorzusingen, was er wirklich tat. Es klang wie ein türkisches Lied, dass er allerdings auf deutsch vorgetragen hat. Direkt nach seinem Gesang lachte er sich schlapp, weil der Text sich auf deutsch nicht einmal reimt und blöd anhört. Wir einigten uns darauf, dass er das mit dem singen in Zukunft sein lässt, weil das furchtbar klang. Die Teilnehmerinnen waren von seinem Gesang auch alles andere als angetan. Nach seiner Gesangseinlage sagte ich ihm, dass der einzig wahre türkische Sänger Ferdi Taifur ist. Sofort war er ganz aus dem Häuschen, denn das Lied, welches er sang, ist nicht nur von 1970, es ist auch von Ferdi Taifur. Wie ich das wissen konnte. Ob ich das aus seinem Herzen gelesen habe. Es gibt Leute, die können so etwas und das findet er faszinierend. Ich sagte ihm, dass es Intuition ist und die Menschen einfach verlernt haben auf ihre Intuition zu hören. Sofort stimmte er mir zu. Dass ich einfach nur Blödsinn rede, um durch den Tag zu kommen, verrate ich den Teilnehmern meistens nicht. Als ich ihm einmal sagte, dass er alle Möglichkeiten hat beruflich Karriere zu machen, verriet er mir, dass das schon viele zu ihm gesagt haben, weil er so intelligent ist und wirklich richtig was aus seinem Leben machen könnte, aber nicht will, da er nur einen Job machen möchte. Einen den er liebt und da spielt Geld keine Rolle. Auch er würde gerne mal mit mir essen gehen, weil man mit mir so tolle Gespräche führen kann. Regelmäßig sprechen wir über die Seele, Paralleluniversen und so Sachen. Er liebt diese Gespräche und diese Gespräche bringen ihn oft zum Nachdenken. Ich mache das oft nur, weil ich mich sonst zu Tode langweilen würde. Aber es ist in der Tat erstaunlich, was manche Teilnehmer tun, wenn ich denen etwas sage. Einmal hat einer Gitarre gespielt und ich glaube, er hat auch dazu gesungen, ein anderer hat Gedichte aufgesagt und nun hat noch einer gesungen. Wieder andere brachte ich zum Weinen, weil ich zufällig da war als deren Leben aus den Fugen geraten ist. Mir gefällt es aber besser, wenn die Teilnehmer machen, was ich sage und nicht weinen. Manchmal bringen Teilnehmer extra für mich ihre Hunde mit, weil ich die unbedingt kennenlernen will. Dabei dürfen die ihre Tiere eigentlich nicht mit ins Büro bringen. Eine total blöde Regel, wie ich finde. All diese Sachen mache ich, um aus der Monotonie des Ganzen für einen Moment zu entkommen und weil es die Stimmung hebt. Zum Glück merken die meisten nicht, dass ich von nichts Ahnung habe und wie bescheuert ich eigentlich bin. Manchmal bedanken sie sich sogar bei mir, weil ich ihnen geholfen habe und ich frage mich, was ich wohl angestellt habe, dass sie glauben, ich hätte ihnen wirklich geholfen. Aber vielleicht irre auch ich mich und habe tatsächlich geholfen, bin aber unzufrieden, weil ich von mir einfach mehr erwarte als das, was ich täglich abliefere. Ich weiß nicht, wie lange ich den Job noch mache, aber ich weiß, dass ich auch in Zukunft Teilnehmer auffordern werde Dinge zu tun, die beim Jobcoaching eigentlich nichts zu suchen haben. Diese ganzen beknackten Regeln und Vorschriften rund um den Job und wie man als Jobcoach arbeiten muss sind doch größtenteils nur Hindernisse, die völlig nutzlos im Weg rumliegen und wenig hilfreich sind. Es ist mir überdies ein Rätsel, dass es solche Jobs wie meinen überhaupt gibt und das manche sich da auch noch was drauf einbilden. Aber vermutlich liegt das daran, dass ich noch immer nicht erkannt habe, wie wertvoll so ein Jobcoach tatsächlich ist. Oder sein kann. Oder sein sollte. Oder was auch immer.

Ein Thema in dieser Woche ist die Corona-Pest. Ein Teilnehmer und eine Teilnehmerin klagen darüber, dass sie seit der Impfung gesundheitliche Probleme haben. Sie klagt, dass sie seitdem ständig Kopfschmerzen hat. Er sagt, dass er die dritte Impfung auf keinen Fall nehmen wird, weil er seit der zweiten Impfung ständig krank wird. Ich äußere mich nicht dazu, denn es ist ja offensichtlich, dass die Leute psychische Probleme haben und sich das nicht eingestehen wollen, daher schieben sie alles auf die Impfung. Dabei weiß jeder, dass die Impfungen sicher sind und Leben retten. Keine Ahnung, wie die auf die Idee kommen, dass die Impfung solche Beschwerden verursachen kann. Wenn die nicht geimpft wären, dann wären sie vermutlich schon längst tot. Von meinen Arbeitskollegen ist noch maximal einer nicht geimpft. Wenn es also tatsächlich Nebenwirkungen gäbe, wieso klagt dann keiner meiner Kollegen darüber? Ungefähr die Hälfte der Kollegen, grob geschätzt, ist zwischenzeitlich auch mal an Corona erkrankt. Dank der Impfung gab es nur übliche Erkältungssymptome, ab und zu Fieber und Erbrechen, aber keiner musste ins Krankenhaus oder ist gar mehrfach verstorben. Ungeimpft wären die vermutlich längst von uns gegangen, aber mindestens richtig schwer erkrankt. All das müsste ich meinen meckernden Teilnehmern als guter Coach vermutlich sagen und Ihnen erklären, dass sie diese Nebenwirkungen nur spüren, weil sie arbeitslos und unzufrieden sind. Wenn sie endlich arbeiten gehen würden, dann würde es ihnen auch besser gehen. Ich müsste das nur voller Überzeugung vortragen, mit Fakten untermauern und so würden wir es gemeinsam schaffen dieses ganze Dilemma zu beenden. Ich könnte ihnen von einem früheren Teilnehmer erzählen, der nach der Impfung klagte, dass er nachts nicht mehr durchschlafen könne, dann aber klug handelte und sich einen Job als Taxifahrer suchte und zwar nur für die Nachtschichten. Seitdem sind die angeblichen Nebenwirkungen kein Thema mehr. So hat die Impfung ihn nicht nur vor schweren Komplikationen oder gar Long-Covid gerettet, sondern auch noch zu einem Job verholfen. Mit diesen unschlagbaren Argumenten würde ein gewiefter und erfolgreicher Jobcoach auftrumpfen und das wäre dann das Ende der Nebenwirkungen und auch das Ende der Arbeitslosigkeit. Nebenbei könnte ich so die Quote verbessern und mein Ansehen sowieso. Warum aber sitze ich stattdessen weiter schweigend neben den meckernden Teilnehmern und äußere mich nicht, anstatt allen zu einem besseren Leben zu verhelfen? Weil ich einfach kein guter Jobcoach bin. Wäre doch nur ein geimpfter Kollege mit einer besseren Einstellung hier, dann hätten wir alle vielleicht eine Chance, aber so wird das einfach nichts. Es zeigt sich stets aufs Neue, dass ich einfach nicht das Zeug zu einem guten Jobcoach habe, da können sich manche Teilnehmer noch so wohl hier fühlen und noch so nette Bewertungen abgeben. Letztlich wissen wir alle, dass diese Bewertungsbögen einfach nur Blödsinn sind. Es zählen Zahlen und Quoten und nicht irgendwelche Befindlichkeiten oder eingebildete Nebenwirkungen, die reale Spuren bei den Teilnehmern hinterlassen.

Heute will der Teilnehmer, der neulich so schlecht gesungen hat, sich wieder etwas vom Bäcker holen und mir natürlich etwas mitbringen. Lehnte ich solche Angebote bisher ab, so sage ich ihm heute, dass ich eine Mohnschnecke möchte, weil die so lecker sind. Wenig später hat er ein Stück Mohnkuchen gekauft und legt es mir auf den Tisch. Es ist zwar irgendwie pervers, dass ein Arbeitsloser mir teuren Kuchen kauft, aber ich fühle mich dadurch auch irgendwie aufgewertet und grundsätzlich liebe ich es, wenn irgendwer für mich zahlt. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es längst an der Zeit ist, dass ich wieder öfter eingeladen und beschenkt werde. Der Mohnkuchen ist lecker, ich bin zufrieden und der Teilnehmer, den ich ab sofort nur noch Mohnkuchen-Teilnehmer nenne, sagt, dass er mich gerne öfter einladen möchte, weil er nicht gerne alleine isst. Als er mich später fragt, ob ich ihm ein paar Tipps geben kann, wie er abnehmen kann, weise ich ihn darauf hin, dass er das doch selber wisse und zu viel Zeit in Bäckereien verbringt.

Am Ende der Arbeitswoche frage ich mich, quasi fragt ein Jobcoach einen anderen Jobcoach, was ich denn machen könnte, wenn ich das hier nicht mehr will, kann oder darf. Ich muss gestehen, dass ich es nicht weiß. Ein Job als Immobilienmakler ist das einzige, was mir später einfällt. Da kann man sicher gut Geld verdienen, wenn man gut ist. Aber erstens bin ich nicht gut, zweitens zu alt und dann bin ich noch faul, träge und feige. Ich gehe lieber irgendwann in meinem Büro ein, anstatt ernsthaft darüber nachzudenken nochmal was anderes zu probieren. In einem Monat mache ich den Job seit sechs Jahren. So lange habe ich noch nie irgendwo gearbeitet. Ich komme in meinem Leben, wenn man alle meine Jobs, die ich vor diesem gemacht habe, zusammenzählt, noch nicht einmal auf sechs Jahre. Wieso ausgerechnet so einer anderen Leuten dabei helfen soll beruflich durchzustarten, weiß ich nicht, finde es aber geradezu grotesk. Dann bemerke ich, dass ich zwar sehr viel denke, aber sehr wenig entscheide, weshalb ich mich dafür entscheide nicht mehr nachzudenken und mich erstmal weiter treiben lasse. Wie ein Stück Treibholz, ohne Ziel und ohne Ambitionen. Ja, das kann ich von allen Dingen vermutlich einfach am besten.

2 Kommentare

  1. Eine nahezu taoistisch anmutende Einsicht am Ende dieses überaus weisen Eintrags!

    Das Gleichnis vom Treibholz, wie ich jene Einsicht einmal apostrophieren möchte, scheint mir unmittelbar auf „den Weg“, also Dào (道), zu verweisen. Da kann man nur gespannt sein, wo der Weg Sie als nächstes hinführen wird. Hoffentlich nicht allzubald zu einem neuen Job, denn die Schilderungen der Teilnehmer – insbesondere derer, die sogar ihre Arbeitslosigkeit auf die Impfung schieben (als ob es da auch nur im entferntesten einen Zusammenhänge gäbe) – sind einfach famos!

    • Freut mich, wenn es gefällt.

      Die Teilnehmer schieben ihre Arbeitslosigkeit nicht auf die Impfung, vielleicht habe ich das nicht gut beschrieben. Sie wurden nur krank davon.

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