Freitag frei

Montag
Eigentlich ist es ja irgendwie passend an einem Freitag frei zu haben, weil der Freitag das Wort frei enthält, aber für mich ist das keine Dauerlösung, weil das irgendwie den Sonntag zerstört, wenn ich am Montag arbeiten muss. Zerstörte Sonntage werden im November aber normal sein, weil ich im November montags statt freitags arbeite, um die neue Kollegin einzuarbeiten, damit sie nächsten Monat montags alleine den Laden schmeißen kann.

Montags ist meist nicht viel los und nachdem die Dating-App Frau ihren Termin auf morgen verschoben hat, erwarten wir am Vormittag genau einen Mann hier, der aber vermutlich kein Interesse haben wird an der Maßnahme teilzunehmen. Meine Anwesenheit am Vormittag ist somit nicht unbedingt nötig, aber andererseits wird der Montag so vermutlich stressfrei, aber auch etwas langweilig werden. Obwohl Oma Sheriff mir noch immer nicht geantwortet, muss ich ihr erneut eine dienstliche Mail schreiben. Hat sie meine Karten gefunden und findet sie so furchtbar, dass sie mich nicht mehr mag? Oder ist der Stress am anderen Standort derzeit so ausgeprägt, dass einfach keine Zeit mehr für mich bleibt?

Obgleich es unwahrscheinlich erschien, besucht uns am Vormittag der junge Mann, dem es freigestellt ist, ob er an der Maßnahme teilnimmt. Bisher hat er alles, was man ihm angeboten hat, abgelehnt. Fast eine Stunde stellt er Fragen, hat aber ein Problem damit, dass er, wenn er einen Vertrag unterschreibt, verpflichtet ist drei Monate seine Termine einzuhalten. Er erwähnt einen Familienbetrieb, einen asiatischen Imbiss, und ich vermute, dass er dort arbeitet und daher weder Zeit noch Interesse hat an irgendeiner Maßnahme teilzunehmen. Bis morgen will er sich entscheiden, ob er an der Maßnahme teilnimmt. So einen Luxus kannte ich damals nicht, dass ich mehrfach Maßnahmen und auch Ausbildungsplätze ablehnen konnte. Es spricht alles dafür, dass er neben seiner Arbeitslosigkeit einer Tätigkeit nachgeht. Wir gehen davon aus, dass er morgen nicht zu uns kommen wird. Alles andere wäre fast schon eine Sensation.

Am Nachmittag verirrt sich lediglich eine Teilnehmerin zu uns, um die sich Kollegin Örge kümmert, weil ich besagter Teilnehmerin schon in der letzten Maßnahme nicht helfen konnte. Eine weitere Teilnehmerin erscheint nicht zu ihrem Termin und so bringe ich einen erstaunlich ruhigen Tag als Maßnahmeleiter, der nichts leitet, hinter mich, ohne wirklich etwas zu leisten. Da ich von Oma Sheriff noch immer nichts gehört habe, rufe ich kurz vor Ende des ruhigen Arbeitstages Anke an, um wichtige Fragen zu klären. Um die Fragen beantworten zu können, muss Anke allerdings Oma Sheriff fragen, weshalb ich bis morgen warten muss.

Heute schafft das gestörte Coupé nur etwa 500 Meter, dann geht es an der ersten Ampel direkt aus und ich stehe mal wieder im Weg. Früher hat es mehr Spaß gemacht nach der Arbeit nach Hause zu fahren. Auf die übliche Weise bewege ich das Fahrzeug an den Straßenrand und brauche dieses Mal keine zehn Minuten bis ich tatsächlich weiterfahren darf. Da der Fehler bei unterschiedlichen Temperaturen und nach unterschiedlicher Fahrtzeit auftritt, erscheint mit ein thermisches Problem unwahrscheinlich. Als begnadeter Fachmann vermute ich heute eine kalte Lötstelle, oder ein Problem mit der Verbindung zum Schlüssel. Es ist beeindruckend, wie unsinnig ich argumentiere, weshalb ich mit den Mutmaßungen aufhöre und hoffe, dass ich nicht ein zweites Mal stehen bleibe. Bisher hat sie das komische Coupé damit begnügt an einem Tag maximal einmal auszufallen, wenn ich mich recht erinnere. Dabei sollten wir es auch belassen.

Dienstag
Heute schafft es lediglich ein Teilnehmer am Vormittag zu mir. So artet das auf jeden Fall nicht in Stress aus und ich kann aus dem Fenster gucken und mich von der Sonne, die sich auf glatten Flächen spiegelt, blenden lassen. Auch irgendwie bescheuert. Den Plan, dass ich diesen Freitag frei habe, kann ich wenig später vergessen, denn in dieser Woche habe ich stattdessen am Donnerstag frei. Und meine Einteilung der Teilnehmer kann ich auch überarbeiten, denn ab Dezember habe ich zwar montags wieder frei, dafür ist Jens nur noch montags da, was auch bedeutet, dass ich dienstags und donnerstags alleine hier bin. Ich gehe eh davon aus, dass Jens am anderen Standort unentbehrlich ist und es vermutlich nicht bei den beiden Tagen, an denen ich alleine an diesem Standort bin, bleiben wird, weil Örge sicher auch öfter irgendwo einspringen muss. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Vielleicht wäre ich doch besser am anderen Standort geblieben. Der junge Mann, der gestern zu einem Infogespräch hier war, ist heute erwartungsgemäß nicht erschienen. Er hat beim Jobcenter gesagt, dass wir ihm nicht helfen können und er sich auch auf youtube Videos über Berufe und wie man sich bewirbt anschauen kann. Damit ist das Thema für ihn erledigt und er muss nicht fürchten, dass er irgendwas tun muss, was ihm keinen Spaß macht und ihm nichts bringt. Von ihm hätte ich während meiner Jahre als Arbeitsloser vermutlich viel lernen können.
Da ich bis zum Feierabend weder von Anke noch von Oma Sheriff eine Antwort bekomme, bin ich durchaus irritiert. Aber irgendwann wird sich alles sicher aufklären. Bis dahin warte ich einfach ab, denn wenn ich etwas gut kann, dann sitzen und warten, was mich an den Sydney Youngblood Klassiker „Sit and wait“ erinnert. Ob aus mir auch irgendwann ein Klassiker wird?

Später lese ich, dass der Mann aus dem Süden, besser bekannt als Ministerpräsident Söder, möchte, dass alle gegen Covid-19 geimpften nach neun Monaten den Geimpften-Status verlieren, weil die genialen Impfstoffe mit der Zeit mehr und mehr ihre Wirkung verlieren. Ich weiß zwar jetzt nicht, ob das bei den bisher Ungeimpften die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, erhöht, aber ich habe eh wenig Ahnung von den Dingen und ihren Auswirkungen. Also wird er schon Recht haben und wenn man weiß, dass man alle neun Monate einen neuen Schuss braucht, dann kann man vielleicht ein Abo abschließen. Die Menschen lieben nämlich Abos und Kontinuität.

Mittwoch
Direkt nach dem Aufwachen erhalte ich eine Unwetterwarnung auf dem Tablet. Weil das Wetter für mich unverdächtig ausschaut, lese ich nach, was für ein Unwetter uns erwartet. Es wird vor extremer Kälte gewarnt, da die Temperatur sich bis auf 1 Grad runterkühlt, vor allem nachts. Auch so ein Beispiel für die um sich greifende Verblödung. Das Wetter ist so, wie es sein muss, es ist kalt, von irgendeinem Unwetter keine Spur, aber weil es blöd klingt, wenn irgendwo stehen würde, dass alles normal ist, gibt es eine Warnung vor extremer Kälte. Das ist wirklich mehr als bescheuert und wenig hilfreich. Alles, sei es auch noch so banal, muss als irgendein Extrem bezeichnet werden. Und wenn dann tatsächlich mal was Extremes passiert, nimmt es im schlimmsten Fall keiner ernst, weil Meldungen über extreme Bedingungen längst Alltag sind. Schöne, neue Welt.

Im Büro geht es gemächlich zu. Am Nachmittag fallen alle Termine aus, Kollegin Örge hat Berichte für eine andere Maßnahme zu schreiben und ich rufe Jens an, um alles Wichtige für morgen durchzugeben. Nachdem das erledigt ist, folgt der obligatorische Small-Talk und das Gespräch verfällt in eine ziemliche Holprigkeit. Ich habe nichts zu erzählen und da wir kaum noch Kontakt haben, gibt es auch keine neuen Themen, die wir witzig und unterhaltsam aufbereiten können. Weil das Gespräch daher zäh ist und ich eh nicht der Meister des Small-Talks bin, beenden wir das Gespräch bald. Das werden vermutlich ziemlich langweilige, auf jeden Fall unlustige, zwölf bis vierundzwanzig Monate, die mir hier bevorstehen. Es ist tatsächlich so, dass es, je länger ich dabei bin, an diesem Arbeitsstandort immer öder wird. Ich verlerne es mehr und mehr mit anderen einfach locker zu plaudern und irgendwann werde ich mich und meine Langweiligkeit nicht mehr ertragen können. Kaum vorstellbar, dass ich vor zwei Wochen am anderen Standort noch so viel Spaß hatte. Ich fürchte, für meine Entwicklung ist die Rückkehr an diesen Standort gar nicht gut.

Weil nicht viel passiert, lese ich ein wenig zu den neuesten Corona-Entwicklungen in anderen Ländern. In Dänemark steigen die Zahlen, trotz einer Impfquote von ca. 86% bei den über 12 jährigen, wieder so stark an, dass es dort erneut Corona-Regeln geben wird. Dabei ist das zu erwarten gewesen, weil das Impf-Abo da noch nicht großzügig beworben und angeboten wird. Daher sollte irgendwer den Dänen das Impf-Abo, bei dem man alle neun Monate mit neuem Stoff versorgt wird, empfehlen. Das ist letztlich so als würde man sich selbst Upgraden, quasi auf ein neues Level heben, wenn man so ein Impf-Abo abschließt. Ziemlich geil also. In Schweden mit einer Impfquote von 80% bei den über 12-jährigen wartet man noch auf die vierte Welle und die ist sehr wahrscheinlich, weil erst etwa 16% der 12 – 15-jährigen geimpft sind. Gefährlich, gefährlich. Am Beispiel Israel kann man deutlich sehen, dass Booster-Impfungen, ein Begriff für den man eigentlich geohrfeigt werden müsste, die Zahlen wieder deutlich senken können. Egal also, wie man zu all dem steht, sicher ist nur, dass ein Impf-Abo eine sinnvolle Sache ist. Damit habe ich genug Informationen gesammelt und kann mich wieder meiner eigenen Blödheit, die täglich ausgeprägter wird, widmen. Gegen Verblödung wurde leider noch keine Impfung erfunden.

Kaum ist der Arbeitstag beendet, sorgt das Coupé wieder für einen unfreiwilligen Zwischenstopp am Straßenrand. Ich verursache dieses Mal nur ganz kurz einen Stau, dann ist die Kiste auf dem Seitenstreifen abgestellt und das Warten beginnt. Dieses Mal dauert es keine fünf Minuten bis ich weiterfahren kann.

Donnerstag
Am späten Nachmittag habe ich eine sehr intime Begegnung, weil die jährliche Prostata-Untersuchung stattfindet. Sie geht ähnlich schnell vorbei wie damals der Sex mit mir immer nur einen Augenblick dauerte. Ich habe fast nichts gespürt und fürchte, dass meine sexuellen Erlebnisse sich auch in Zukunft auf diese Untersuchung beschränken werden. Die in meinem Alter mögliche Darmspiegelung lehne ich ab. Das ist einfach nichts für mich. Obgleich der Urologe scheinbar mir meiner Prostata zufrieden war, zumindest hat er nichts Gegenteiliges gesagt, überlege ich, ob ich nicht regelmäßig onanieren sollte. Dann hält die Prostata vermutlich länger und ich hätte eine Aufgabe, die gut für meine Gesundheit ist. Mit ganz viel Phantasie könnte ich auch meine Erinnerung an sexuelle Erlebnisse mit in das Ritual einfließen lassen. Ich muss mir das in den nächsten Tagen mal durch den Kopf gegen lassen, ob ich das umsetzen möchte und an welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit es möglich wäre. Dann könnte ich den Termin im Kalender abspeichern, mich daran erinnern lassen und würde so keinen Höhepunkt mehr verpassen. Klingt für den Moment jedenfalls nach einem guten Plan.

Freitag
Am Freitag sehe ich, dass Oma Sheriff mir gestern per Mail geantwortet hat. Sie wollte auch anrufen, aber da ich gestern frei hatte, fand unser Gespräch nicht statt. Sie hat jedenfalls eine oder mehrere Karten gefunden und will mir davon persönlich berichten. Also bin ich doch nicht spontan zu einem unbeliebten Objekt geworden. Kollege Jens hingegen ist nicht mit mir zufrieden und schreibt, dass ich die Termine der Teilnehmer anders legen muss. Ich verstehe zwar, was ihn an den Terminen stört, halte eine Änderung aber für wenig sinnvoll, zumal ich ja nicht wissen konnte, dass er gestern alleine sein würde. Und wenn ich ab nächsten Monat donnerstags alleine hier bin, wird es auch nicht viel besser. Ich werde nur die Kunden der anderen Maßnahme dann auf Tage verteilen, an denen wir zu zweit hier sind. Wenn dann aber kurzfristig ein Mitarbeiter abgezogen wird, kann ich auch nichts machen. Mir wäre es natürlich auch lieber, wenn jemand anderes, der es besser draufhat, für die Termine und alles andere die Verantwortung hätte. Gerne kann Jens das hier übernehmen, dann muss ich mir weniger Gedanken machen. Da bereits zum dritten Mal jemand aus der Maßnahme genommen wurde, muss ich mich zunächst um Ersatz kümmern und vernachlässige daher die einzige Teilnehmerin von der zweiten Maßnahme. Gefällt mir nicht, aber der Verwaltungskram hat Priorität. Der Laden muss laufen, das Geld muss verdient werden.

Von derzeit elf Teilnehmern sind sieben noch ungeimpft. Zu meinen Aufgaben gehört es, dass ich herausfinde, warum das so ist und die Teilnehmenden animiere sich impfen zu lassen. Irgendwie fehlen mir da gerade die Argumente, weshalb ich darauf verzichte. Die zweite Arbeitswoche endet letztlich so unspektakulär, wie sie angefangen hat. Ich bin gespannt, welche Überraschungen mich nächste Woche erwarten.

Samstag
Den ganzen Tag verlasse ich die Wohnung nicht. Immerhin koche ich eine Suppe, die mir nur leider nicht nicht schmeckt, was mich ziemlich wütend macht. Anschließend gammle vor mich hin, am Nachmittag kommt Petra vorbei und wir spielen etwas Worms und Trivial Pursuit auf der Play Station, dann kann Petra zum Abschied Suppe mitnehmen und für mich gibt es Abendbrot, aber keine Suppe, weil ich die nicht mag. Den Rest des Abends verbringe ich überwiegend vor dem Fernseher und schaue Filme. Dazu gönne ich mir ein Fußbad. Ich kann wirklich wunderbar Zeit versschwenden. Konnte ich schon immer.

Sonntag
Immerhin esse ich am Sonntag etwas von meiner Suppe, die ich zwar immer noch nicht gelungen finde, aber okay. Am Nachmittag machen Petra, Manni und ich einen kurzen Spaziergang, bevor ich in meine Wohnung zurückkehre und vor dem Fernseher Platz nehme, um etwas durch die Programme zu zappen. Später gucke ich noch einen Film, Paterson, der mich leider in der heutigen Stimmung nicht so wirklich begeistern kann. Vielleicht bin es aber auch nur ich, der mich nicht begeistern kann. Was mich ebenfalls nicht begeistern kann ist die Tatsache, dass ich morgen arbeiten muss.

2 Kommentare

  1. Danke für die Passage über die „Unwetterwarnung“. Das spricht mir aus dem Herzen. … Und wenn mal wirklich ein Unwetter wie die starken Regenfälle im Ahrtal und im Märkischen Kreis kommt, wird komischerweise erst viel zu spät gewarnt, wenn überhaupt.

    Das verstehe, wer will.

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