Wieder einmal gestaltet sich die Fahrt zum Büro schwieriger als nötig. Es sind einfach zu viele Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Aber das ist ja nichts Neues und weil es trocken ist, mag ich mich auch nicht weiter aufregen.
Gegen 09.00 Uhr muss ich mein Büro verlassen und sitze daher eine Weile bei JJ im Büro. Als dieser rauchen geht, kommt Oma Sheriff zu mir. Als sie sieht, dass der Schlüssel in der Tür steckt, sagt sie, dass wir dann ja auch abschließend können, damit uns niemand stört. Am Ende des Gesprächs weiß ich, was sie im nächsten Urlaub vorhat und wohin sie im übernächsten Urlaub fährt. Natürlich haben wir die Tür nicht abgeschlossen.
Als ich später wieder in meinem Büro sitze, kommt sie vorbei, um zu fragen, ob ich Bohnen mag. Da ich nicht weiß, worauf sie hinauswill und ich von Bohnen durchaus mal Blähungen bekomme, antworte ich, dass Bohnen nicht unbedingt meine bevorzugten Nahrungsmittel sind. Nun erklärt sie mir, dass sie gestern mit Bohnen und anderen leckeren Zutaten einen Salat kreiert hat und mir davon etwas abgegeben wollte. Lustig, denn vor langer Zeit hat mir Anke mal einen Salat nach meinen Wünschen erstellt. Frauen scheinen mir gerne Salat zu spendieren. Obwohl sie eigentlich schon auf dem Weg war, ist sie wenig später ganz im Büro, schließt die Tür und schaut in aller Ruhe, was sich so in den Schränken befindet. Das ist sehr interessant, weil es den Anschein hat als würde sie gerne mit mir plaudern. Das Gespräch wandert von beruflich zu privat und wieder zurück. Leider vergesse ich die Zeit, bin aber sicher, dass wir eine halbe Stunde überschreiten. Jeder verrät etwas mehr über sich, stellt Fragen, gibt Antworten und ich finde das durchaus angenehm, ohne zu wissen, ob das auf irgendwas hinausläuft. Ich habe keinen Plan und verfolge kein bestimmtes Ziel. Sie sagt, sie arbeitet an der Kontaktanzeige für mich und nachdem ich sage, dass ich nur zweimal im Monat für eine Frau Zeit habe, also maximal zweimal, findet sie, dass eine Stewardess etwas für mich sein könnte. Ich bin da eher skeptisch, aber sehr gespannt auf die Kontaktanzeige. Sie erzählt, dass in einer Beziehung das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz sehr wichtig ist und ich frage mich, ob sie wirklich, wie es intern heißt, in einer Beziehung ist oder doch, wie es den Anschein macht, Single ist. Und spielt ihr Beziehungsstatus überhaupt eine Rolle? Falls Sie tatsächlich Single ist, hat sie ja die Kontaktanzeige von mir und kann ihr Glück damit versuchen, sollte sie kein Single mehr sein wollen. Ich bin da zuversichtlich, dass sie mit der Anzeige sicherlich den einen oder anderen Mann kennenlernen kann. Zumal sich wahrscheinlich eh keiner die ganze Anzeige durchlesen wird, weil die einfach viel zu lang geworden ist.
Später lese ich, dass eine neue Corona-Variante entdeckt wurde. Gefährlicher und ansteckender als jede Variante zuvor. Da helfen, wenn es ganz schlimm kommt, auch die Impfstoffe in der aktuellen Form nicht. Somit müssen neue Impfstoffe her, was aber nur drei Monate dauern würde, bis die hergestellt sind. Und schon könnte einfach von vorne losgeimpft werden. Das ist doch Klasse, da muss man sich nun wirklich keine Gedanken mehr machen, dass es irgendwann so wird wie vor der Entdeckung der Corona-Seuche. Und die drei Monate, die es dauert, einen neuen Impfstoff zu entwickeln, kann man für neue Lockdowns nutzen. Lockdowns, Superspreading-Events, Triage, Cluster, Contact-Tracing, Flatten the Curve, Testing, Booster. Alles fantastische, fast neumodische und hippe Begriffe, die wir ohne die Seuche nie kennengelernt hätten und die unsere Sprache immens bereichern. Auch wenn die Begriffe wenig deutsch und irgendwie Scheiße klingen, gehören sie nun dazu und sind Teil unseres Lebens. Auch dafür steht die Pest. Wir lernen immer Neues und werden alle irgendwann Experten. Sprach- und/oder Corona-Experten. Ob wir wollen oder nicht. So bilden wir uns auch dann weiter, wenn die Bildungseinrichtungen geschlossen sind. Man muss nur das Gute im Schlechten erkennen, dann ist alles halb so schlimm.
Da Loerz, Agnes und Petra der Meinung sind, dass wir, also Oma Sheriff und ich, zusammen flirten, habe ich das Gefühl, dass ich die Kommunikation mit Oma Sheriff besser etwas reduzieren sollte, weil da sonst ein falscher Eindruck entstehen könnte und man sich am Ende noch duzt. Das wäre irgendwie unprofessionell. Weil ich aber weiterhin nicht glaube, dass wir tatsächlich flirten, sondern nur fluffig kommunizieren, muss ich herausfinden, wer Recht hat. Ich oder die anderen. Daher lese ich nach, was flirten eigentlich ist und erfahre, dass ein Flirt mit dem Augenkontakt und einem Lächeln beginnt. Da ich bisher jeglichen Augenkontakt vermieden habe, ich habe nicht die geringste Ahnung, welche Augenfarbe Oma Sheriff hat, irren sich Agnes, Petra und Loerz wohl. Ein eindeutiges Flirtsignal sind auch scheinbar zufällige Berührungen. Nein, auch das gibt es hier nicht, weil wir immer einen Abstand wahren. Und es gibt auch deutliche körperliche Signale, wenn man flirtet. Flirten ist auch immer Stress, heißt es, die Sinne werden geschärft, das Herz schlägt schneller, die Wangen röten sich. Das kann ich definitiv ausschließen. Wir haben keine geröteten Wangen und mein Herz verhält sich unauffällig. Und durch Flirten bekundet man seine erotische Zuneigung. Davon ist eindeutig nichts festzustellen. Fassen wir zusammen: Wir flirten nicht. Damit ist das auch geklärt und eindeutig widerlegt, dass Agnes, Petra und auch Loerz recht mit ihren Aussagen Recht haben könnten. Gut, dass ich das nachgelesen habe, sonst hätte ich am Ende womöglich noch geglaubt, dass ich flirte.
Der Mittwoch verläuft ohne große Vorkommnisse. Ich erfahre lediglich, dass ich, wenn ich nicht wieder an den alten Standort wechseln werde, hier kein eigenes Büro mehr haben werde. Ich nehme es zu Kenntnis und wenn es tatsächlich so kommt, dann kommt es halt so. Es ist schon nach 12.00 Uhr, da kommt unser Übersetzer in mein Büro, weil er telefonieren will. Er erklärt der jungen Kollegin, deren Büro ich benutze, wenn sie an einem anderen Standort ist, dass sie ihn nicht unterbrechen soll und seine Zeit stiehlt. Sie soll ihm per Mail einen Bericht schreiben, obwohl offensichtlich er mit ihrem Kunden gesprochen hat und dafür zuständig sein sollte. Nun erzählt er ihr in schlechtem deutsch alles, was mit dem Teilnehmer besprochen wurde, weist sie nochmal darauf hin, dass sie das schreiben soll und beendet das Gespräch damit, dass er ihr nochmal sagt, sie verschwende seine Zeit. Entweder die beiden sind so vertraut miteinander und reden immer so, oder er ist einfach nur unverschämt. Ich tendiere dazu letzteres zu glauben, kann mich aber auch irren, weil ich dieses zwischenmenschliche oft nicht verstehe. Mir sagte der Übersetzer heute Morgen, dass ich eine nette Person bin und er mich respektiert. Bedeutet wohl auch, dass er mich, wenn ich mal nicht nett bin, nicht mehr respektiert. Der Übersetzer ist ein sehr merkwürdiger Mensch. Andererseits sind wir natürlich alle seltsam, so dass es letztlich egal ist.
Seit ich weiß, dass wir nicht flirten, macht das plaudern mit Oma Sheriff direkt wieder mehr Spaß. Nachdem sie gestern in einer Schublade eine Handcreme gefunden hat, habe ich diese heute ausprobiert. Der Geruch ist furchtbar, weshalb ich mich unverzüglich bei Oma Sheriff beschwere und sie auffordere sich auch die Hände einzucremen, was sie auch macht. Sie findet den Geruch nicht schlimm, ich hingegen finde, dass meine Hände nach alter Oma riechen und ich mich deshalb auch so fühle als wäre ich zu einer Oma mutiert. Wir stellen noch kurz ein Oma-Outfit für mich zusammen, dann zieht Oma Sheriff weiter. Vielleicht findet sie die Handcreme nicht schlimm, weil Oma Sheriff und riechen wie ein Oma einfach zusammengehören. Später, als ich in der Verwaltung bin, lässt sie mich ihre Handcreme testen, die deutlich besser und frischer riecht. Dafür bekommt sie direkt ein Lob von mir.
Zum Abschied plaudere ich nochmal kurz mit den beiden Damen. Sie reden über Alpha, den sie vermissen und seine Führungsqualitäten, die sie bei der Chefin vermissen. Die Chefin kommt in dem Gespräch nicht besonders gut weg. Ich beteilige mich an dem Teil des Gesprächs eher weniger, nicke aber ab und zu, damit die beiden merken, dass ich noch nicht verstorben bin. Ich glaube, ich werde diese Gespräche vermissen, wenn ich in ein paar Wochen tatsächlich wieder komplett an den alten Standort zurückkehre.
Der Donnerstag beginnt irgendwie trostlos. Ich schreibe Berichte, telefoniere irgendwem hinterher und schreibe kurz mit Oma Sheriff und zähle ihr viele Gründe auf, warum der Tag heute schön sein wird. Als sie später anruft, sage ich, dass mein Tag durch ihren Anruf nun auch schön ist, weshalb sie ankündigt heute und auch morgen noch mehrmals anzurufen, weil das auch ihren Tag aufwertet. Aber weil wir lügen und nicht alles schön wird, landen wir irgendwann bei Dantes Fegefeuer, wovon ich allerdings keine Ahnung habe, weshalb sie mir die Lektüre empfiehlt. Da diese Lektüre aber mehr als 500 Seiten stark ist, verzichte ich darauf und warte einfach auf die Verfilmung, denn ich bin eher ein Leser leichter Kost. Was mir bei dem Gespräch auffällt ist, dass ich Oma Sheriff und ihre Telefonstimme noch immer nicht direkt verbinden kann. Ich würde sie vermutlich nicht an ihrer Stimme erkennen und wüsste nicht, wer da mit mir spricht, wenn das Telefon ihren Namen nicht anzeigen würde. Das ist schon fast bedenklich. Als mich wenig später Anke anruft, erkenne ich ihre Stimme sofort. Sie würde ich auch erkennen, wenn das Telefon nichts anzeigen würde. Würde ich meine Stimme am Telefon erkennen?
Der Nachmittag wird dann irgendwie unschön, weil einer meiner Berichte von Frau Kleinkariert nicht akzeptiert wird. Nachdem ich drei kleine Änderungen vorgenommen habe, schicke ich den Bericht mit der Bemerkung, dass ich nicht weiß, was ich noch ändern soll, zurück. Frau Kleinkariert gibt den Bericht zur Kontrolle weiter an Miss Omelette. Diese ist Standort- und Maßnahmeleitung und obendrein Sozialpädagogin. Sie verziert meinen Bericht mit Kommentaren, die ich so nur abgeben würde, wenn ich jemanden lächerlich machen will und um klar aufzeigen, dass ich mich für überlegen halte. Im Berufsleben würde selbst ich nicht so agieren, aber gut, nun wissen wir, wie sie sich im Vergleich zu mir einschätzt. Zunächst beantworte ich ihre Kritikpunkte ähnlich kreativ, schicke das Ganze aber nicht ab, weil ich dazu nicht in der Position bin und es auch nicht hilfreich wäre, da sie auch in Zukunft meine Berichte korrigiert und genehmigen muss, wenn Frau Kleinkariert nicht weiterweiß. Also rufe ich Miss Omelette an und wir besprechen die Punkte, wobei ich nicht immer einverstanden bin und darauf hinweise, dass ich kein Sozialpädagoge, sondern nur Jobcoach bin. So erkenne ich während des Gesprächs mehrfach ihre geistige Überlegenheit mir gegenüber an. Dennoch sind mir zu viele Mutmaßungen in ihrer Version des Berichts. Sie glaubt Dinge zu wissen, die sowohl richtig als auch falsch sein können. Letztlich wird es ein Bericht, hinter dem ich nicht stehe und es bei Nachfragen auch so sagen werde. Auch nervt mich, dass ich nicht der Kunde ist … schreiben darf, sondern es der Kunde sei … heißen muss. Und der Kunde hat … darf ich auch nicht schreiben, sondern es muss der Kunde habe … heißen. Da fehlt mir vermutlich einfach die Bildung, um mich da korrekt auszudrücken. Miss Omelette fand ich schon damals, als sie uns hier ein Programm erklärte, äußerst suspekt. Sie lästerte sehr viel über andere Kollegen, denen es aus ihrer Sicht wohl an Intelligenz fehle und irgendwie musste sie sich immer selbst über andere Stellen und ihr Wissen hervorheben. Man kann ja durchaus mal über ein oder zwei Kollegen lästern und auch alle Kollegen doof finden, aber die Art und Weise es uns zu erzählen fand ich irgendwie eigenartig und überflüssig, vor allem, weil wir vorher nie was mit ihr zu tun hatten. Während ihrer Abwertungen war sie auffallend nervös und konnte nicht stillsitzen, was selbst mir auffiel. Und ich merke oft gar nichts, weil mir auch vieles egal ist. Mein Glück ist, dass ich in der Regel nichts mit ihr zu tun habe und mittlerweile gelernt habe einfach zu schweigen. Früher hätte ich nach so einer Abwertung und Provokation ebenso zurückgeschlagen. Außerdem weiß ich, dass sie in der internen Hierarchie weit über mir steht und mir intellektuell überlegen ist, da kann ich letztlich nur verlieren. Scheiße finde ich sie dennoch und daran wird sich auch nie mehr etwas ändern.
Am Freitag schicke ich den nach Miss Omelettes Wünschen überarbeiten Bericht an Frau Kleinkariert und hoffe, dass sie zufrieden ist. Eine Rückmeldung, ob ich den Bericht so ans Jobcenter schicken kann oder ob sie das macht, bekomme ich erwartungsgemäß nicht. Also werde ich weiterhin die Berichte versenden und wenn auch sie das tut, dann hat das Jobcenter halt doppelte Berichte. Hier erfährt man manche Dinge halt nicht und muss dann hoffen, das Richtige zu tun, weil man sonst Ärger bekommt. Daher ist es immens wichtig, dass man sich soweit möglich von allen abgrenzt und einen Bereich hat, der klar abgegrenzt ist und ich bin durchaus nicht unzufrieden, dass ich kein Maßnahmeleiter mehr bin. Und ich möchte auch keiner mehr werden. Ich bin eh mehr der Typ, der klare Anweisungen braucht, um halbwegs vernünftige Arbeit abzuliefern.
Gestern hatte ich Oma Sheriff mitgeteilt, dass ich davon ausgehe, dass ich in sechs Jahren soweit sein könnte Mitarbeiter des Monats zu werden. Sie schrieb, dass sie sich schon jetzt auf die Feier freut und sich schon ein Outfit überlegt. Als ich heute Anke wegen eines Praktikums anrufe, geht Oma Sheriff ans Telefon und ohne zu wissen, wie uns geschieht, landen wir bei meiner Ehrung zum Mitarbeiter des Monats. Sie wird mehrere Outfits für den Abend aussuchen und am kommenden Dienstag legen wir fest, an welchem Tag die Feier stattfinden wird. Entweder am 12.07.2027 oder am 07.12.27. Ich bin zwar für den Juli, aber sie tendiert zum Dezember, weil sie nicht so schnell friert. Sie sagt, sie wird extra für mich ein Cinderella-Kleid tragen. Weil das aber vermutlich kratzt, wird sie verschiedene Outfits mitnehmen und sich dann einfach umziehen. Das kleine Schwarze gehört allerdings nicht dazu, sagt sie. Verstehe ich zwar nicht, aber sie wird ihre Gründe haben. Vielleicht ist sie in sechs Jahren auch zu alt für das kleine Schwarze. Vielleicht bin ich dann auch zu alt. Wer weiß das schon? Nachdem wir das geklärt haben, sagt sie, dass sie mich kurz vor Feierabend auf jeden Fall nochmal anrufen wird und ich mich auch darauf freuen kann, dass ich sie am Dienstag wiedersehe, um mit ihr ein Datum festzulegen für die Feierlichkeiten. Ich versichere ihr, dass ich mich so sehr auf Dienstag freue, dass ich vermutlich das ganze Wochenende grinsen werde. Wer hätte zu Beginn der Zusammenarbeit gedacht, dass wir je ein so entspanntes Arbeitsverhältnis hinbekommen werden? Ich jedenfalls nicht. Aber ich muss auch gestehen, dass ich schon versuchen wollte, dass es in etwa so wird, auch wenn Manni das immer verwerflich und auch abartig fand und sicher auch noch findet. Wichtig ist nur, dass man es nicht übertreibt.