Gelsenkirchen, Herne und heute wieder Gelsenkirchen. Doch im Gegensatz zu den ersten beiden Malen wird Jens heute, bei unserem dritten Treffen unter Arbeitskollegen, nicht dabei sein, was ich mir gestern schon gedacht habe. Vermutlich verbringt er lieber die Zeit mit seinem neuen Freund. So treffe ich mich heute alleine mit drei Frauen, von denen nur noch zwei meine Arbeitskolleginnen sind. Ich weiß allerdings nicht, ob ich wirklich dazu in der Lage bin, einen Abend alleine mit gleich drei Frauen zu verbringen, aber es wäre irgendwie ziemlich daneben, wenn ich auch absagen würde. Die zwei bis drei Stunden werde ich schon irgendwie schaffen, ich bin ja schon groß und so erlebe ich etwas, was ich so möglicherweise noch nie erlebt habe und nie mehr erleben werde. Einen Abend mit drei Frauen. Andererseits könnte ich mir natürlich auch den Director´s Cut von Justice League anschauen. Wieder anderseits kommt bald vermutlich der nächste Lockdown und es ist heute eine der letzten Chancen nochmal essen zu gehen. Und ob man als Ungeimpfter nach dem nächsten Lockdown überhaupt noch am normalen Leben teilnehmen kann, ist ja derzeit mehr als ungewiss.
Mittlerweile sind neun Monate seit unserem letzten Treffen vergangen und ich kann mir gut vorstellen, dass dies nicht nur unser drittes, sondern auch unser letztes Treffen dieser Art sein wird. Steffi arbeitet eh nicht mehr in dem Unternehmen und Jens scheint sein Interesse irgendwie verloren zu haben. Sissi hat kein Auto und ich nächste Woche vielleicht eine Art telefonisches Vorstellungsgespräch. Möglicherweise wird es heute tatsächlich unser Abschiedsessen.
Es ist kurz nach 17.00 Uhr, als ich mich auf den Weg mache, um Kirsten abzuholen. Genauso wie beim ersten Mal, als wir noch dachten, dass wir das alle drei Monate essen gehen. Nun sind wie bei einem Neunmonatsrhythmus angelangt. Wie bei einer Schwangerschaft. Ziel unseres Ausflugs ist das Restaurant Purino. Als wir geparkt haben sagt Kirsten, dass ich mich aber schick gemacht habe. Ich antworte, dass ich oft so rumlaufe und verzichte darauf ihr ein Kompliment zu machen, obwohl sie es heute wirklich verdient hätte.
Als wir vor dem Restaurant Purino ankommen warten Sissi und Steffi schon auf uns. Da es sehr windig ist und gerade zu regnen anfängt, setzen wir uns rein und bestellen direkt Speis und Trank. Auch Steffi glaubt, dass Jens uns nicht begleitet, weil er verliebt ist und lieber Zeit mit seinem neuen Freund verbringen will als mit uns essen zu gehen. Natürlich wird auch heute über die Arbeit gesprochen und wie es scheint, mögen einige Mitarbeiterinnen Kirsten nicht. Auch die Chefin hat oft Probleme mit ihr, weshalb Kirsten den Namen Teufel von mir bekommt, weil den Teufel ja auch fast niemand mag. Ich sitze neben Steffi, so dass auf der einen Seite die Ungeimpften und gegenüber die Geimpften sitzen. Die Ungeimpften trinken alkoholfreie Getränke, weil sie noch fahren müssen und weil Ungeimpfte auf ihr Immunsystem achten müssen. Das Essen ist prima und ich mache das, was ich am besten kann, Unsinn reden und die drei Frauen zum Lachen bringen. Steffi meint zu mir, das stille Wasser tief sind. Scheinbar hält sie mich für so ein stilles Wasser, dabei trinke ich heute Cola. Möglicherweise schätzt sie mich vollkommen falsch ein. Meine weißen Haare, die ich unbedingt nachfärben muss, gefallen ihr auch. Obwohl ich zu alt dafür bin, fühle ich mich kurzzeitig wie der berühmte Hahn im Korb oder eine Art charmante One-Man-Show. Wie gestört ich tatsächlich bin, kann ich bei solchen Treffen mit Humor und flotten Sprüchen wunderbar überspielen. Dieses Geltungsbedürfnis ist vermutlich auch Teil meiner Gestörtheit. Irgendwann ist es uns zu warm und wir beschließen zu zahlen und zu gehen.
Das Wetter ist nun besser als bei unserer Ankunft. Wir bringen Sissi zur Bushaltestelle und wollen noch kurz geocachen, weil ein Cache in der Nähe liegt und Steffi noch keine Geocaching Erfahrungen gemacht hat. Vorher spendiere ich den beiden noch ein Eis, obwohl ich es bevorzuge, wenn Frauen für mich bezahlen. Der Cache ist schnell gefunden und weil es immer noch schön ist und wir scheinbar ncht sofort nach Hause wollen, stehen wir noch eine Weile auf einer Brücke, machen Fotos und uns über eine Gruppe betrunkener Männer auf einem Boot lustig. Die sind so peinlich, dass ich mich schäme, der gleichen Spezies anzugehören. Aber irgendwie sind sie in ihrer besoffenen Blödhaftigkeit auch bemitleidenswert. Lustig wäre es, wenn sie singend untergingen. Besoffen abgesoffen, ein tragisch schönes Ende. Weil der Abend nun kaum noch schöner werden kann und ich Kopfschmerzen habe, machen wir uns auf den Weg zurück zu unseren Fahrzeugen und beenden wenig später das gesellige Beisammensein.
Auf der Rückfahrt sagt Kirsten, dass sie kein Teufel sein möchte. Vielleicht sagt sie auch, dass sie nicht mehr Teufel genannt werden möchte. Ich bedauere es und sage ihr, dass wir dann einen andern Namen für sie finden werden. Zum Abschied schenkt sie mir eine Packung Oreo-Kekse, weil ich sie abgeholt habe. Das ist zwar unnötig, aber andererseits liebe ich es, wenn mir Frauen etwas schenken. Wenn die Dinge ordnungsgemäß ihren Gang gehen, werden wir im Mai wieder zusammen irgendwo etwas essen und ich alle zum Lachen bringen. Könnte lustig werden. Könnte aber auch ausfallen, wenn ich bis dahin immer noch nicht geimpft bin und Ungeimpfte nicht mehr am Leben außerhalb ihrer Wohnung teilnehmen dürfen. Es bleibt spannend. So oder so.