Die dritte geteilte Arbeitswoche – Teil 2

Donnerstag. Keine Parkplatzsuche, keine Staus, keine Mitarbeiter. Dieser Standort entspricht einfach viel mehr meinem Charakter. Schwer vorzustellen, dass ich das in Zukunft nicht mehr haben soll.

Eine junge Frau geht Richtung Eingang und schellt an. Ich bin irritiert und überlege, wer diese junge attraktive Frau vor meiner Tür wohl ist. Als sie „Kennen Sie mich noch?“ fragt, erinnere ich mich an eine unserer fleißigsten Teilnehmerinnen. Sie hat heute ihr Prüfungszeugnis bekommen und weil ich ihr damals sagte, dass sie sich melden soll, wenn sie ihre Ausbildung bestanden hat, ist sie nun hier. Ich mag es, wenn junge Menschen auf mich hören und bitte die junge Frau herein, obwohl ich das eigentlich gar nicht darf. Sie erzählt von ihrer Ausbildung, riecht gut und ist wie damals manchmal ein bisschen unsicher. Da ich mit Teilnehmerinnen nicht gut kommunizieren kann, weil ich oft verwirrt bin, bin ich froh, dass sie das Gespräch in Gang hält. Als sie einen Hustenanfall bekommt, biete ich ihr etwas zu trinken an, was sicher auch gegen irgendwelche Regeln verstößt. Sie lehnt ab, bleibt noch eine Weile und will sich nach meinem Urlaub nochmal melden und erzählen, wie ihre ersten Tage im neuen Job so waren. Das ist etwas, was diesen Standort so viel besser macht als den anderen. Hier kann ich machen was ich will und hier dürfen mich frühere Teilnehmer auch mal spontan besuchen.

Weil die nächsten Teilnehmer mich hängen lassen und ich ein guter Kollege sein will, rufe ich Kirsten an. Es ist, wenn ich mich richtig erinnere, das erste Mal, dass ich anrufe, ohne einen beruflichen Grund zu haben. Wir plaudern eine Weile bis sie mich fragt, ob ich denn auch schon geimpft sei, was ich ordnungsgemäß verneine. Das versteht sie nicht, denn sie ist nicht nur geimpft, sie würde sich gerne noch zusätzlich mit einem mRNA-Impfstoff impfen lassen. Möglich, dass es hilft, ich sehe die neuen Impfstoffe leider kritisch. Ich als nicht geimpfter stelle vermutlich eine immer größere Gefahr für andere dar und werde eines Tages sicher noch als Mörder beschimpft und angeklagt. Dabei will ich nur das Beste für mich und meinen Körper. Bei so viel Egoismus wäre es naheliegend, dass ich mir endlich wieder Égoiste von Chanel zulege, weil ich es mir wert bin und gerne gut rieche, auch wenn bald niemand mehr etwas mit mir zu tun haben möchte. Dann rieche ich halt nur noch für mich gut. In Zukunft rufe ich Arbeitskollegen nur noch an, wenn ich dienstliche Fragen habe. Alles andere erscheint wir vollkommen sinnlos. Ungeimpft geht der Arbeitstag zu Ende.
Mannis ältester Bruder hat geheiratet. Mit 62 oder 64. Irgendwie finde ich das tröstlich, auf eine gewisse Art beruhigend. Auch fühle ich mich für einen Moment noch jünger als üblich. Was mache ich nur, wenn es keine älteren Menschen als mich mehr gibt? Was soll mich dann noch trösten?

Der Bußgeldbescheid für mein Rasen ist endlich da. 15€ kostet mich der Spaß, weil ich mit 36km/h durch Dortmund gerast bin. Wenn man jetzt bedenkt, dass ich dachte, dass dort, wie ich es von früher kannte, 50 km/h erlaubt sind, könnte man sich möglicherweise wundern, dass ich nur 36 km/h gefahren bin. Da man aber nur 30 km/h fahren darf bin ich natürlich als Raser zu verurteilen. Auf dem Foto sehe ich aus als wäre ich schon seit Jahren tot, weshalb ich froh sein kann, dass ich nicht noch eine Zusatzstrafe bekommen habe, weil man als Toter gar nicht Autofahren darf. Zumindest gehe ich davon aus, dass Tote nicht Autofahren dürfen. Wegen der Reflexe oder so.

Abends sitze ich mit Heiko und Markus zusammen. Zum ersten Mal findet unsere Herrenrunde in diesem Jahr statt und wir plaudern über dies und das. Die beiden sind natürlich auch geimpft und ich komme mir langsam unter all den Geimpften vor wie damals als wir noch jung waren und irgendwie alle, mit denen ich so abhing, rauchen mussten. Ich war zwar immer dabei, habe aber nie eine Zigarette angerührt. Da fing meine Außenseiterrolle spätestens an. Dann wurden wir älter, alle probierten Alkohol und waren mal besoffen, alle außer mir natürlich, denn Alkohol ist Teufelszeug. Habe ich zwar mal probiert, aber besoffen war ich nie. Komischer Kauz halt. Dann fingen alle an rumzuknutschen und hatten später Sex. Auch da habe ich nicht mitgemacht. Zack, war ich wieder der Exot. Sex habe ich Jahre später dann probiert, aber mittlerweile auch wieder damit aufgehört. Kann ich mich dem Impftrend ebenso entziehen wie Tabak und Alkohol, oder habe ich irgendwann, wie beim Thema Sex, das Bedürfnis so eine Corona-Impfung auszuprobieren? Kann ich es mir aus gesellschaftlichen Gründen leisten weiterhin zu verzichten? Bin ich Ungeimpft noch tragbar für die Gesellschaft? Oder ist die Impfung am Ende, ähnlich wie Tabak, Alkohol und Sex, vielleicht doch nicht so überlebenswichtig und man hat keine weiteren Nachteile, wenn man darauf verzichtet? Werde ich es je wissen? Sollte ich in meinem Altert nicht vernünftiger sein und tun, was für meine und die Gesundheit aller das Beste ist? Aber was ist das Beste für uns alle? So viele Fragen, so wenig Durchblick. Ich werde die Entwicklung beobachten. Mehr kann ich für mich derzeit nicht tun.

Am Freitag zeigt sich mal wieder die Verwirrtheit meiner geschätzten Kolleginnen. Zunächst wird einer meiner Teilnehmer als unentschuldigt abwesend geführt, obwohl er im Praktikum ist, was ich der Verwaltung mitteile. Wenig später ruft Anke an, um mir mitzuteilen, dass sein Arbeitgeber gerne das Praktikum mit ihm verlängern würde und dass es möglich ist. Dann fragt sie, wo denn der TN das Praktikum macht. Würde ich so doofe Fragen stellen, hieße es, ich soll doch in die Listen gucken. Wenn sie das getan hätte, dann wüsste sie, wo der Teilnehmer sein Praktikum macht. Also sage ich es ihr, weil es nicht ihre Aufgaben ist in irgendwelche Unterlagen zu schauen. Anschließend soll ich besagten Arbeitgeber, mit dem sie vor wenigen Minuten gesprochen hat, anrufen und sagen, dass das Praktikum verlängert werden kann und er das von Hand in den Unterlagen ändern soll. Warum sie das während des Gesprächs mit ihm nicht gemacht hat, muss ich nicht verstehen, es gibt aber sicher keine plausible Erklärung dafür. Nachdem ich das beim Arbeitgeber mitgeteilt habe, erhalte ich eine Mail von Anke mit der Frage bei welchem Unternehmen der besagte Teilnehmer letzte Woche ein Vorstellungsgespräch hatte. Steht ebenfalls in den Unterlagen. Ich beantworte die Mail nicht, weil ich dann fragen müsste, ob sie noch ganz bei Verstand ist meine Zeit mit solchen Fragen zu vergeuden. Wenige Augenblicke später erhalte ich eine Mail von Oma Sheriff. Der Arbeitgeber möchte das Praktikum verlängern und ich soll rausfinden, welche Möglichkeiten danach bestehen und sie möchte wissen, ob der Chef des Unternehmens, der bis Ende nächster Woche im Urlaub ist, wieder erreichbar ist. Nein, deshalb teilte er ja allen letzte Woche mit, dass er im Urlaub ist. Außerdem soll ich dem Unternehmen mitteilen, dass eine Verlängerung des Praktikums möglich. Ich bin sprachlos. Die beiden Damen sitzen zusammen, bearbeiten, warum auch immer, fast zeitgleich denselben Fall, sprechen sich aber nicht ab und gehen mir auf den Sack. Ich antworte, dass Anke mir das schon erzählt hat und ich das Praktikum verlängert habe. Den Hinweis, dass die beiden gefälligst miteinander kommunizieren sollen bevor sie alles doppelt machen, verkneife ich mir, werde es aber irgendwann nicht mehr können, weil ständig etwas derart Blödes passiert. Künftig werde ich jeden schriftlichen Kontakt immer an beide schicken, vielleicht hören dann diese Unsinnigkeiten auf. Ich habe es wirklich satt, dass die eine nicht weiß, was die andere tut und so ein unnötiges und unerträgliches Chaos entsteht. Wieso haben die nach all den Jahren nicht kapiert, dass Kommunikation vieles erleichtern kann und Kommunikation auch keine Einbahnstraße ist? Wenn schon alle klüger und gebildeter als ich sind, wieso verhalten sie sich dann nicht dementsprechend? Dummheit törnt mich echt voll ab.

Den Rest des Tages mache ich meine Arbeit und lasse mich nicht mehr belästigen. Als es an der Zeit ist packe ich meine Sache, verlasse das Büro und fahre nach Hause. In meinem Urlaub will ich von all dem Wahnsinn nichts mehr hören und sehen. Ich bin gespannt, ob mir das gelingt.

2 Kommentare

  1. Super! Sehr gut geschrieben.

    Ha, das mit dem subjektiv eigentlich zu langsam Fahren, um dann als Raser geblitzt zu werden mit sagenhaften 6 km/h oder so zu schnell, kenne ich. 😉
    Als langsamer Raser hat man es einfach schwer.

    Besonders toll wird es, wenn man an Ort und Stelle von einem Polizisten herausgewunken wird, der sich aufführt, als hätte man gerade vor seinen Augen fast ein Kind überfahren und gefragt wird, wie schnell man an der Stelle fahren darf.
    Bei mir ist der Typ fast ausgeflippt, als ich arglos mit „50 km/h?“ geantwortet habe, weil das seit Jahrzehnten eben so war an der Stelle und es überhaupt keinen Sinn ergab, dort nun ein 30er Schild aufzustellen (deshalb hat sich mein Verstand offenbar auch geweigert, das Schild zur Kenntnis zu nehmen). Dass ich für 50 km/h deutlich zu langsam war (aber für 30 km/h leider zu schnell), hat der Polizist zum Glück nicht hinterfragt.

    Deine beiden Kolleginnen sind aber auch eine penetrante Mischung aus bequem und kompliziert.

    Ich werde es auch nie verstehen, warum die Leute nicht mal die drei Klicks mit der Maus selbst machen und gefälligst kurz selbst in die Akte schauen, bevor sie mich anrufen, damit ich dann meine Arbeit unterbreche, die Mausklicks mache und ihnen vorlese, was dort in der Akte steht, um mich danach wieder daran zu erinnern, was ich gerade diktieren wollte.

    Aber deine beiden Kolleginnen toppen alles. Wie hält man so einen Irrsinn aus?!

    • Danke sehr.

      Die Erlebnisse langsamer Raser könnten Bücher füllen, aber verstehen würden es nur die langsamen Raser.

      Wie ich den Kolleginnen-Irrsinn aushalte, weiß ich nicht. Ich frage mich nur, wie lange ich das noch ertrage. Sind schließlich beide irgendwie meine Vorgesetzten. Irgendwann werden sie mich zermürbt haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert