Die dritte geteilte Woche fängt so an, wie man es erwarten darf. Die beiden Damen der Verwaltung grüßen mich nicht einmal und an meinem freien Tag hat mir die Chefin ins Büro gemailt, dass ich sie anrufen soll. Mit einem Tag Verspätung mache ich das, aber sie geht nicht ran. Oma Sheriff fragt mich etwas, was wir letzte Woche besprochen haben und es ist offensichtlich, dass wir eindeutig zu viele Teilnehmer haben, um da nicht den Überblick zu verlieren. Die Datenbank funktioniert nicht, so dass ich nicht weiß, welcher meiner Teilnehmer gestern nicht da war oder wer krank ist. Die Schulungspläne sind für nächste Woche und so weiß ich auch nicht, welche Teilnehmer von mir sich wo befinden. Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt vor Ort sind.
Ein Teilnehmer erscheint ordnungsgemäß maskiert in meinem Büro und ich muss eine Weile improvisieren und so tun als wüsste ich, wer er ist, bis ich es dann irgendwann tatsächlich weiß. Gott, ist das peinlich. Oma Sheriff hat eine Mail von mir verloren und ich anscheinend auch, so dass wir beide nicht wissen, wie der aktuellste Stand bei einem Teilnehmerbericht ist. Immerhin weiß ich, dass ich den Bericht zur weiteren Bearbeitung an sie verschickt habe. Heute habe ich das Büro für mich alleine und draußen ist es angenehm und nicht so heiß. Außerdem habe ich beschlossen, dass ich das Büro nur verlasse, wenn ich keine andere Wahl habe. Morgen noch einmal hier, dann erst wieder am 20. Juli. In der Zwischenzeit kann ich mir ausgiebig Gedanken über meine berufliche Zukunft machen und überlegen, was aus mir mal werden soll. Oder ich hänge einfach nur so ab und freue mich, dass ich Urlaub habe.
Erschreckend finde ich, dass ich nur sehr widerwillig morgens hier hinfahre, obwohl man mir bisher nichts getan hat. Ich spüre das große Bedürfnis nach Distanz zu den meisten Kollegen und möchte mich auch gar nicht einlassen. Da fällt mir ein T-Shirt Spruch ein, den ich mir demnächst auf eines meiner Shirts drucken lassen will: „Lass uns doch einfach Fremde bleiben.“ Fast immer passend und sicher ein Hingucker fürs Büro. Meine Bandage am Ellenbogen macht mich wahnsinnig, weshalb ich sie abnehme. Möglicherweise ist das der Höhepunkt des Tages. Hoffentlich nicht auch der Höhepunkt dieser Woche.
Gegen Mittag verabschiedet sich Ally. Es ist heute ihr letzter Tag und sie wünscht mir alles Gute und viel Geduld. Ich wünsche ihr auch alles Gute, weil ich nicht mehr für sie tun kann. Obwohl ich sie nur ein paarmal gesehen habe, bedauere ich, dass sie geht. Außer Gunda ist somit nicht mehr wirklich jemand hier mit dem ich mich unterhalten mag. Nicht, weil alle anderen Arschlöcher sind, sondern weil ich hier nicht hingehöre und auch kein besonders geselliger Arbeitskollege bin.
Ich schaffe es tatsächlich das Büro nur in Notfällen zu verlassen und rege mich nur einmal auf, weil einer meiner Berichte von mir überarbeitet werden muss, da ich keine Strategievereinbarungen mit einer Teilnehmerin getroffen habe. Diese nutzlosen Vereinbarungen treffe ich nur, wenn irgendwas nicht funktioniert, was soll ich mit so einem Mist, wenn alles im Fluss ist, frage ich mich. Ich schreibe Unsinn, der mich selbst frustriert und schicke den Bericht zurück. Vielleicht sollte ich auch mal eine Strategie für meine Zukunft entwickeln, aber mir fällt spontan einfach keine ein. Auch heute sind mein größtes Problem Anrufer, deren Namen ich nicht verstehe und deren Anliegen ich auch kaum verstehe. Habe ich was an den Ohren, habe ich einen an der Waffel oder liegt es an den Anrufern? Da alle anderen diese Probleme scheinbar nicht haben, wird es wohl an mir liegen. Möglicherweise habe ich ein Konzentrationsproblem.
Der Weg zum Büro ist auch am Dienstag eine nervige Angelegenheit. Zu viele Fahrzeuge verstopfen die Straßen und bei dem Verkehr ist ein entspanntes Fahren reine Utopie. Auch das spricht letztlich gegen den Standort. Es folgt die Parkplatzsuche, die ebenfalls keine Freude ist. Auf der Hauptstraße entdecke ich einen Platz, aber alles geht zu schnell, die Fahrzeugkolonne schiebt mich quasi daran vorbei. Rückwärts einparken unmöglich. Ich finde einen Platz, der weit weg vom Büro ist und mir einen etwa acht minütigen Spaziergang beschert. Zum Glück regnet es nur leicht, doch ich stelle mir vor, wie ich den Weg bei strömenden Regen gehe, um pünktlich im Büro zu erscheinen. Auch das spricht gegen den Standort.
Im Büro sehe ich zufällig, dass Gunda die Aufgabe hat etwas zu erledigen, was ich längst erledigt habe. Weil es keine Absprachen gibt, nicht einmal zwischen Verwaltung und Oma Sheriff, soll das doppelt gemacht werden und keiner weiß den aktuellen Stand. Bedenklich finde ich, dass Oma Sheriff mir das nicht gegeben hat, denn dann hätte ich sagen können, dass alles längst erledigt ist, weil es ja mein Teilnehmer war. Es sind die kleinen Dinge, die zeigen, dass größere Dinge hier niemals funktionieren können. Es ist nicht einmal dafür gesorgt worden, dass jemand sich am Montag um meine Teilnehmer kümmert. Weil das keiner macht, haben die ein x für unentschuldigtes Fehlen bekommen. Nicht, dass ich letzte Woche nicht darauf hingewiesen habe, dass das geklärt werden muss. Aber wer hört schon auf jemanden, der selbst ständig auf irgendwas hingewiesen werden muss? Vermutlich sind wir nur ein Haufen inkompetenter Idioten. So ruhen meine Hoffnungen darauf, dass Minnie den Durchblick hat, wenn sie sich an diesem Standort erstmal eingearbeitet hat.
Meine Teilnehmer sind eine bunte Mischung. Manche sprechen meine Sprache kaum, sagen aber zu allem ja, andere haben offensichtlich keine Lust und erzählen die schönsten Geschichten. Ich mag schöne Geschichten und lasse sie erzählen. Ich weiß zwar nicht, wie ich das später im Bericht verkaufe, aber da verarschen gewünscht ist, mache ich mit so gut ich kann. Interessanterweise habe ich auch Teilnehmer, die arbeiten wollen und auch manchmal Arbeit finden. Das ist einerseits toll, aber andererseits auch nicht, denn es bedeutet zusätzliche Arbeit, weil wir uns gerne zu Tode verwalten. Würde ich mich dabei auf die internen Listen verlassen, wäre ich verloren, denn dort wurde eingeführt, dass statt Namen nur noch Kundennummern angezeigt werden. Daran sollen wir dann erkennen wer der Kunde ist und wer für ihn zuständig war. Wieder mal eine ganz herausragende Neuerung, die unnötig viel Zeit kostet, da man sich den Kunden zu den Nummern suchen muss. Verschlimmbesserungen gehen immer, wer kann dazu schon nein sagen?
Was ebenfalls gegen diesen Standort spricht ist die Tatsache, dass, egal welches Parfum ich auftrage, keine Frau an mir riechen will. Sexangebote habe ich natürlich ebenfalls keine erhalten, obwohl ich, weil Loerz es empfohlen hat, sehr viel Parfum aufgetragen habe, um maximale Aufmerksamkeit zu erregen.
Ein Teilnehmer bedankt sich für meine Hilfe. Er ist ganz glücklich, dass ich zwei Bewerbungen für ihn abgeschickt habe und er direkt ein Vorstellungsgespräch hat. Ich sage ihm, dass es doch völlig normal ist, dass ich ihm helfe, weil das mein Job ist. Er hat da wohl andere Erfahrungen machen müssen. Das tut mir Leid.
Zu meiner Sicherheit verbringe ich auch heute den ganzen Tag im Büro und verstecke mich so gut es geht. Vielleicht ist das mein Arbeitsmodell für die Zukunft. Der versteckte Mann.
Als ich das Büro später doch einmal verlasse, weil ich glaube, dass ich noch was zu essen im Kühlschrank habe, ist noch niemand auf dem Flur. Doch kaum bin ich ein paar Meter Richtung Küche gegangen, kommt mir Oma Sheriff entgegen. Ich überlege kurz, mich zu verstecken, einfach in irgendein Büro zu flitzen, finde das dann aber albern und gehe weiter. Wenige Meter vor mir seufzt Oma Sheriff plötzlich, ein sicheres Zeichen dafür, dass eine Kommunikation stattfinden soll. Da ich bekanntlich ein Meister der Kommunikation bin, steige ich auf das seufzen ein und so stehen wir auf dem Flur und kommunizieren wie Menschen das so tun. Währenddessen betrachte ich Oma Sheriff und frage mich, ob ihre Beine vielleicht zu kurz sind. Ausschließen kann ich es nicht, kann es aber auch nicht mit Sicherheit bestätigen, dass es so ist. Unverzüglich stelle ich mir Frage, wer festgelegt hat, wann Beine zu kurz sind und wo es geschrieben steht. Dann denke ich an das erste Gespräch mit Oma Sheriff. Das fand vor fast genau fünf Jahren statt und lief sehr fluffig, obwohl ich mich an der Tatsache störte, dass sie so negativ über Arbeitslose sprach. Hatte sie damals auch schon zu kurze Beine? Ein neuer Teilnehmer beendet unser Gespräch. Als ich zurück ins Büro gehe, fällt mir auf, dass ich vergessen habe die Hände und Finger von Oma Sheriff zu betrachten, denn Hände und Finger sind wichtig für den Gesamteindruck. Hände mag ich, außer wenn sie mir nicht gefallen, dann nicht. Nach meinem Urlaub muss ich mir auf jeden Fall die Hände von Oma Sheriff anschauen und herausfinden, ob ihre Beinlänge der Norm entspricht, oder ob tatsächlich ein paar Zentimeter fehlen.
Als ich mich später verabschiede sagt Anke: “Erhol Dich gut, denn wir werden noch da sein, wenn Du wiederkommst.“ – „Das habe ich befürchtet“, sage ich und wundere mich dann über den Satz, weil er mir fragwürdig erscheint. Zukunft und Gegenwart scheinen irgendwie durcheinander, doch als ich das Gebäude verlasse ist mir das egal.
Auf dem Weg zum Coupé gehen vier Personen vor mir her. Drei Männer und eine Frau. Sie kommen mir komisch vor und je näher ich komme, desto dümmer finde ich sie. Möglicherweise handelt es sich tatsächlich um dumme Personen, die nun stehenbleiben, weil zwei von denen sich auf dem Smartphone des einen irgendwas anschauen. Als ich sie gerade überholen will, gehen sie weiter. Vielleicht habe ich sie zu vorschnell verurteilt und die sind nicht dumm, sondern haben möglicherweise eine geistige Behinderung. Sofort frage ich mich, ob dumme Menschen nicht auch irgendwie geistig behindert sind, was aber vermutlich ein beleidigender Gedankengang ist, den ich mir sofort verbiete. Und bin nicht ich der Dumme, wenn ich so dumm denke? Als ich an den Leuten vorbeigehe, können sie alles sein. Dumm, geistig behindert, Drogenabhängig. Aber vermutlich sind sie einfach nur Menschen.
Auf der Rückfahrt jault das Coupé unnatürlich laut vor sich hin. Dazu machen die Scheibenwischer äußerst merkwürdige Geräusche. Weitere Werkstattbesuche werden während meines Urlaubs sicher eine Option sein. Ich liebe es, Optionen zu haben.