Nachdem ich von der Arbeit zurück bin, sitze ich auf dem Sofa und beschließe, dass ich den Blutdruck messe. 155/90 bei einem Puls von 54. Das ist erschreckend, deprimierend und verstörend. Sofort bricht ein inneres Chaos los, welches einer Verzweiflung ähnelt. Es kann aber auch eine Verzweiflung sein, die ein inneres Chaos bewirkt. Es kann nur eine Lösung geben. Ich muss heute noch joggen und dann immer wieder und wieder und wieder. Ich teile Manni und Petra mit, dass in meinem Zustand ein einfacher Spaziergang keine Option mehr ist und ich um 18.30 Uhr einen Joggingversuch unternehmen werde. Natürlich im Wald der Lüstlinge, weil es Tradition war und ich viele Erinnerungen an den bizarren Ort habe. Manni will mich mit seinem E-Bike begleiten, Petra will erst nicht, entscheidet sich dann aber, dass sie ihre Walking-Stöcke schnappt und mitkommt.
Da ich seit Jahren nicht mehr joggen war und davor alle Versuche wegen Knieproblemen rasch erledigt waren, habe ich heute einen Plan, der meinem Knie vielleicht gefallen wird. Zwei Minuten gehen und eine Minute joggen im Wechsel. Nach vier oder fünf Wiederholungen drei statt zwei Minuten gehen. Klingt langweilig, aber ist für einen guten Zweck. Petras Tempo mit den Stöcken ist mir etwas zu schnell, aber beim Joggen ist sie rasch überholt. Manni fährt neben mir her und ist bald für die Überwachung und Einhaltung der richtigen Zeiten zuständig, da meine alte Pulsuhr irgendwann im Schrank verstorben ist, wie ich feststellen musste als ich sie vorhin aus dem Schrank geholt habe. Ich habe mir zwar sofort eine neue bestellt, aber es ist durchaus möglich, dass ich sie nie brauchen werde, wenn dieser Joggingversuch wie alle anderen enden wird.
Ich laufe weder zu schnell, noch zu langsam, wechsle den Laufstil, um das Knie nicht zu überlasten und halte mich an die Zeiten, obwohl ich manchmal auch länger laufen könnte. Zumindest bilde ich es mir ein. Ab und zu sause ich richtig los, dann trabe ich wie ein Rentner auf dem Weg zu einem Kaffeekränzchen. Einmal laufe ich rückwärts, einmal seitlich und auch mal im Zickzack. Nachdem ich etwa zehnmal eine Minute gelaufen bin, höre ich auf, was ich früher niemals getan hätte. Manni verabschiedet sich, Petra und ich stehen noch eine Weile auf dem Parkplatz herum und trinken artig Wasser. Von Lüstlingen keine Spur. Lediglich ein junges Pärchen in einem BMW befindet sich noch auf dem Parkplatz. Ob die beiden sich nachher, wenn wir endlich weg sind, noch ein wenig miteinander vergnügen? Also ich würde es tun, wenn ich jung wäre, aber ich bin ja eher angegraut und angegammelt und in keinem so guten Zustand mehr. Damit die beiden ungestört tun können, was immer sie tun wollen, machen wir uns bald aus dem Staub. Der Wald der Lüstlinge ist zwar nicht mehr, was er mal war, aber sollte ich nicht völlig den Verstand verlieren und mein Knie keine Probleme bereiten, werde ich morgen zurückkehren für einen zweiten Versuch. Laufen bis der Blutdruck wieder okay ist. Das ist mein bescheidener Plan.
Nach dem ich Petra weggebracht habe, fahre ich nach Hause und dusche. Logischerweise messe ich im Anschluss den Blutdruck. 124/87 bei einem Puls von 86. Der zweite Wert muss auf lange Sicht unter 80, dann bin ich möglicherweise wieder zufrieden. Der Blutdruck muss einfach weniger schwanken und ich muss mehr atmen, einfach nur atmen.
Atmen ist eine gute Idee.
Und theoretisch auch ganz einfach.