Eine ganz normale Woche in Zeiten des Coronavirus

Montag
Den größten Teil des freien Montags verbringe ich in meiner Wohnung. Das traditionelle Telefonat mit Agnes gehört natürlich dazu und wertet den Tag wie immer auf. Am späten Nachmittag muss ich die Wohnung verlassen, weil ich Petras Katze füttern muss, da Petra auf ihrem Waldführer-Lehrgang ist. Die Katze ist nirgends zu sehen, doch irgendwann zu hören. Nachdem ich sie gefunden habe, erzählt sie mir einiges, was ich weder verstehe noch irgendwie deuten kann. Das ist wie mit Frauen, die verstehe ich auch meist nicht, egal, ob sie mit oder ohne Worte mit mir kommunizieren. Vielleicht sind Katzen wie Frauen. Oder umgekehrt. Vielleicht habe ich auch nur einen an der Waffel. Nachdem die Katze kein Interesse mehr an mit hat, mache ich noch einen Spaziergang, weil das gut für mich ist auch wenn ich keine Lust auf einen Spaziergang habe. Zurück zu Hause gibt es das traditionelle Fußbad. Dazu schaue ich ein paar Folgen von Two and a half men. Genau mein Humor. Um kurz vor 22.00 Uhr kann ich mich kaum noch wach halten, liege im Bett und stelle fest, dass mein Nachbar eine Frau in seiner Wohnung hat. Ich überlege eine Weile, was ich davon halten soll, dann schlafe ich ein, ohne zu wissen, was ich davon halte.

Dienstag
Am Dienstag ist es im Büro tatsächlich voll stressig und ich muss mehrere Sachen gleichzeitig machen. Eine Teilnehmerin beschwert sich über meinen Kollegen, der heute an einem anderen Standort ist, weshalb ich etwas überfordert bin. Sie fragt, wie mein Kollege verheiratet sein kann, weil er auf sie doch eher wirkt, wie einer, der auf Männer steht. Dass er mit einem Mann verheiratet ist, sage ich ihr nicht, versuche aber ihre Ablehnung gegen ihn etwas zu schwächen. Das führt nämlich alles zu nichts und stresst einen nur zusätzlich, wenn das hier so unharmonisch läuft. Das möchte ich nicht, denn ich bin ein sehr harmoniebedürftiger, älterer Typ, der obendrein von allen geliebt werden will. So war ich natürlich etwas begeistert, dass sie zu der Frage, was ihr an dieser Maßnahme gefällt, schrieb, dass nur DrSchwein, also ich, ihr gut gefällt. Das ist gut für mein Ego und wertet mich kurzzeitig auf. An der Maßnahme möchte sie aber dennoch nicht weiter teilnehmen, da sie private Probleme hat, deshalb ständig Termine wahrnehmen muss, um irgendwann ihre Kinder zurückzubekommen und deshalb auch nicht arbeiten kann. Ich vereinbare für sie einen Termin beim Jobcenter, weil ich ihr nicht weiterhelfen kann. Ich frage mich eh, wieso die eine Mitarbeiterin des Jobcenters sie uns geschickt hat. Dazu hat sie uns noch eine Alleinerziehende mit drei schulpflichtigen Kindern geschickt, die meiner Meinung nach derzeit auch nicht arbeiten kann und die seit Wochen wegen fehlender Kinderbetreuung fehlt. So kann man eine Maßnahme auch kaputt kriegen. Und weil das noch nicht genug ist, bekommen wir am Nachmittag noch einen Kunden von ihr. Dieser kann weder lesen noch schreiben und hat, seit er 2005 nach Deutschland gekommen ist, insgesamt lediglich fast ein Jahr als Helfer gearbeitet und seit 2009 überhaupt nichts mehr gemacht. Ich glaube, mit so einem Kandidaten hätte selbst der beste Jobcoach der Welt seine Schwierigkeiten. Ich bin leider nur ein harmoniebedürftiger Jobcoach, gerade ziemlich frustriert und frage mich, wieso die Frau vom Jobcenter uns nur so unmögliche Härtefälle schickt. Dann stelle ich fest, dass das gar nicht stimmt. Einmal schickte sie uns jemanden, der zu vermitteln war. Kurz bevor wir diese junge Frau vermittelt hatten, wurde sie aber aus der Maßnahme genommen. Wir hatten somit keinen Erfolg, die Vermittlerin schon. Zufall oder Kalkül?

Am Abend telefoniere ich mit Agnes und später mit Loerz. Loerz gibt mir regelmäßig einen Überblick über sein Leben. Heute teilt er mir stolz wie Bolle mit, dass er eine Freundin hat. Er hat Goofys Herz erobert und ist nun ihr Freund. Mal schauen, wann ihn wieder der Hafer sticht und er keine Freundin mehr hat. Vielleicht schafft er es aber auch, dass die Beziehung bis an sein Lebensende hält. Es bleibt spannend und durch die regelmäßigen telefonischen Updates werde ich auf dem Laufenden bleiben. Später im Bett höre ich wieder, dass der Nachbar eine Frau da hat und irgendwie bin ich etwas unzufrieden, denn wenn die beiden, also Loerz und der Nachbar eine Frau haben, dann werden sie sicher auch geküsst. Ich glaube, ich will auch geküsst werden. Nur weil ich mein Sexleben eingestellt habe, heißt das nicht, dass ich nicht ab und zu einen Kuss will. Warum ich unter anderem keinen Sex mehr habe, hat der Loerz mir vorhin noch kurz erklärt. Es liegt daran, dass ich böse war und früher gerne was mit verheirateten Frauen hatte. Es gibt da meiner Meinung nach zwar andere Gründe, aber vielleicht hat der Loerz Recht. Früher oder später wird man für seine Sünden bestraft.

Mittwoch
Am Mittwoch ist im Gegensatz zum Dienstag fast gar nichts los im Büro. Meine Teilnehmer sind entweder nicht interessiert oder im Praktikum. Die Teilnehmer meines Kollegen, der wieder zurück ist, sind alle da. Einer davon kommt allerdings immer zu mir, weil es ihm in meinen Räumlichkeiten einfach besser gefällt. Selbst montags, wenn ich nicht da bin, setzt er sich ganz alleine her. So hat jeder seine Vorlieben und Lieblingsplätze. Meinem Kollegen Sven sage ich später, dass ich Menschen, die keinen Bademantel haben, merkwürdig finde. “Dann findest Du Kisten merkwürdig?” – “Ja, natürlich.” Eine Frau, die ihren Bademantel verschenkt hat, muss ich einfach merkwürdig finden.

Ich überweise an den Heilpraktiker einen Betrag, der etwas über dem Betrag liegt, den ein Arbeitsloser derzeit vom Jobcenter bekommt. Anschließend frage ich mich, was aus mir und meinem Leben werden würde, wenn ich von monatlich 432€ leben müsste. Derzeit habe ich ungefähr das Dreifache an Geld zur Verfügung und am Ende des Monats nicht einen Cent übrig. Während ich darüber nachdenke, werde ich immer deprimierter, denn ich wäre vollkommen ruiniert als Arbeitsloser, dabei habe ich viele Jahre als Arbeitsloser überlebt. Heute könnte ich das nicht mehr. Dann denke ich, dass ich noch mindestens 17 Jahre arbeiten muss, damit mir so etwas wie Arbeitslosigkeit nicht nochmal passiert. Sollte ich doch arbeitslos werden, komme ich da sicher nicht mehr von weg. Ich stelle mir vor, wie ich mir einen Job vermitteln müsste und wie kläglich ich dabei scheitere, scheitern muss, denn ich kann fast nichts. Lediglich Leute unterhalten, aufmuntern, motivieren, unterstützen und ihnen zuhören. Das grenzt fast an berufliche Talentfreiheit. Ich müsste meine Freizeitaktivitäten komplett runterfahren und meinen Lebensstil weiter minimieren, ich müsste den Benz abmelden, auf Massagen, Akupunktur und Heilpraktiker verzichten. Es gäbe keine neuen Zähne, keine Kronen und ich würde zu normalen Ärzten gehen müssen oder zu Hause bleiben, wenn es mir nicht gut ginge. Und es ginge mir ganz sicher nicht gut, wenn 432€ alles wären, was ich zur Verfügung habe. Ach, hätte ich doch nie meine Armut und meine Arbeitslosigkeit aufgegeben. Andererseits geht es mir finanziell seit vier Jahren recht gut. Ich habe sogar ein eigenes Zimmer-Gradierwerk. Wer hat so etwas schon? Und Agnes sagt immer, wenn ich Geld brauche, dann soll ich Nackt putzen gehen. Ich denke, dass sieht dann sicher blöd aus, aber wenn ich dafür bezahlt werde, sollte mir das eigentlich egal sein, ist es aber leider nicht.

Am Nachmittag treffe ich Petra zu einem Spaziergang und erwarte, dass sie fröhlich und begeistert von ihrem Waldführer-Lehrgang berichtet. Doch weit gefehlt, denn Depri-Petra ist alles andere als begeistert und völlig unzufrieden und meckert los. So viel meckern ist selbst für mich zu viel, so dass ich ihr einen Therapieplatz besorgen will, den sie aber direkt ablehnt. Seit Monaten kommt aus Petra immer öfter nur Negatives. Sie ist fast wie ich damals als ich alles Scheiße fand, nur noch schlimmer. Vielleicht muss ich mal mit ihrer Mutter sprechen, dass sie ihr den Arsch versohlt. Auch heute weist mich Petra darauf hin, dass sie bald stirbt, auch so eine Marotte von ihr. Ich weise sie darauf hin, dass es Leute gibt, die das über dreißig Jahre behaupteten und deshalb ihr Leben frühzeitig einstellten und dreißig Jahre auf vieles verzichteten mit dem Hinweis, dass sie bald sterben. Doch irgendwie komme ich bei ihr nicht weiter, hier versagen meine Aufmunterungsversuche und weisen Sprüche kläglich und ich muss aufpassen, dass ich nicht auch eine Depression bekomme. Vielleicht müssen wir Petra zum Neutralisieren ihrer negativen Stimmung mal zwei oder vier Stunden in die Sonne oder einen Eisschrank hängen.

Am Abend besucht mich Markus und wir plaudern einfach so drauflos. Ich zeige ihm mein neues Gradierwerk, welches ich heute aber noch nicht in Betrieb genommen habe und dazu reiche ich Knabberzeug und Malzbier. Was er von der Idee, Petra eine Weile irgendwo aufzuhängen, hält, frage ich ihn nicht, denn er würde das sicher merkwürdig finden. Dann endet der Tag auch schon, Markus fährt heim, ich klettere ins Bett und schlafe rasch ein. Was das Schlafen angeht bin ich derzeit wie ein alter Mann, stets müde und kaum im Bett bin ich schon bewusstlos. Ich weiß nicht, ob das irgendwie sexy ist.

Donnerstag
Der onnerstag beginnt ähnlich stressig wie der Dienstag. Die Teilnehmerin mit den privaten Terminen ist heute zum letzten Mal da. Eigentlich hätte sie der Maßnahme nie zugewiesen werden dürfen. In der Statistik taucht sie als nicht vermittelt auf. Dabei gab es nie eine Chance sie zu vermitteln. So führe ich ein letztes Gespräch mit ihr und muss kurzfristig Ersatz finden. Zugleich muss eine andere Teilnehmerin, die keine Zeit für uns hat, abgemahnt werden. Glücklicherweise ist Sven vor Ort, so dass wir den ganzen Kram innerhalb einer Stunde erledigt haben. Am Abend teste ich das Gradierwerk, bin aber nur in den ersten dreißig Minuten begeistert, dann stört mich die Lautstärke der Pumpe und ich werde traurig.

Freitag
Am Freitag ist es im Büro okay. Sven ist bis mittags an einem anderen Standort und ich mache die üblichen Dinge. Der Kunde, der weder lesen noch schreiben kann, reicht eine AU-Bescheinigung für heute ein. Irgendwie freut mich das, weil er tatsächlich ziemlich erkältet ist. Überhaupt sind viele Teilnehmer derzeit mehr oder weniger stark erkältet, was mir irgendwie Angst macht. Nächste Woche werde ich fast komplett auf meinen Kollegen verzichten müssen, da er noch an einem dritten Standort unterrichten muss. Vielleicht wechselt er an drei Tagen am Nachmittag hierher, vielleicht bleibt er auch ganz an den jeweiligen Standorten. Es ist das erste Mal, dass ich tatsächlich darüber nachdenke, ob ich mir Carstens Jobangebot anhören sollte. Eigentlich will ich keine Veränderungen, aber manchmal muss es vielleicht sein. Ich weiß es noch nicht. Vielleicht werde ich es auch nie wissen.

Am späten Nachmittag mache ich den traditionellen Spaziergang mit Petra. Heute ist sie in besserer Verfassung und redet nicht durchgehend von ihrem baldigen Tod. Allerdings ist sie auch etwas nervös wegen ihrer Herzuntersuchung, die am Dienstag stattfinden soll. Dort möchte sie von den Ärzten Auskunft darüber, wie lange sie noch leben wird, damit sie den Rest ihres Lebens danach ausrichten kann. Mit einer ungefähren Angabe ist sie schon zufrieden. Bald wissen wir mehr.

Am Abend schaue ich wieder einen meiner Lieblingsfilme, An American Werewolf in London. Für mich immer noch der beste aller Werewolf-Filme und genau nach meinem Geschmack. Einige Dialoge kann ich schon lange mitsprechen, was der Freude aber keinen Abbruch tut. Das ist meine Welt. Filme gucken. Da kenne ich mich aus, da bin ich zu Haus.

Samstag
Am Samstag ist das Wetter gruselig und meine Masseurin sagt die Massage ab, da sie leichten Schnupfen hat. Somit wird es erneut ein Wochenende an dem ich von keiner Frau berührt werde. Eine Tradition, die ich vielleicht überdenken sollte. Bevor ich mir weitere Gedanken mache, wische ich den Flur, aber nur vor meiner Tür, die Treppen lasse ich, wie schon seit Wochen aus, weil das Thema Flur Putzen sich erledigt hat, seit mein Nachbar vor einigen Wochen damit aufgehört hat. Meine Beschwerde bei der Hausverwaltung brachte nichts, weshalb ich nur noch bei mir putze. In diesem Land gibt es immer weniger Regeln und immer weniger Leute, die sich an bestehende Regeln halten. Wozu also weiter einen Flur putzen, der einem nicht einmal gehört?

Mittags sitze ich mit Petra in der Galeria Silli & Gianni in Waltrop. Dort gibt es Pizza für uns bevor wir anschließend den üblichen Samstagseinkauf erledigen. Später sind wir in Mengede und testen Adventure-Labs, eine weitere Form des Geocaching. Abgesehen davon, dass man nichts anfassen muss kann mich das nicht überzeugen. Irgendwie fehlt mir da was, aber vielleicht gewöhne ich mich noch daran. Oder ich lasse es einfach sein. Am Abend schaue ich mir zwei Filme an. The Hunt und Das turbogeile Gummiboot. Der erste Film ist ein wirklich unterhaltsame und positive Überraschung, der zweite Film eine einzige Katastrophe. Gegen Mitternacht klettre ich ins Bett. So lange bin ich an meinen freien Tagen tatsächlich schon länger nicht aufgeblieben. Meist packte mich spätestens gegen 23.00 Uhr eine furchtbare Müdigkeit gegen die ich mich nicht wehren konnte. Wobei es mit der Müdigkeit meist schon um 21.00 Uhr anfing und ich mich bis 23.00 Uhr durchgekämpft habe. Ich hatte sogar kurz überlegt, ob ich mir deshalb Sorgen machen soll, aber meist war ich selbst dazu zu müde. Vermutlich habe ich mich selbst so sehr gelangweilt, dass ich keine Wahl hatte als schon um 21.00 Uhr müde zu werden. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt.

Sonntag
Am Sonntag hüpfe ich etwa 45 Minuten auf dem Trampolin herum, bevor ich mir Pommes im Backofen erhitze. Loerz ist übrigens verliebt. Vermutlich sogar verliebt und glücklich. Das ist prima, denn das hat er sich ja gewünscht. Mir sind Gefühle ja suspekt, weil ich sie nicht kontrollieren kann. Ich weiß auch oft gar nicht, was ich fühle. Meist bin ich bewusst oder unbewusst damit beschäftigt meine Gefühle zu unterdrücken. Irgendwie bin ich wohl ziemlich gestört, was das angeht. Ich weiß auch gar nicht, wie ich Gefühle einordnen soll und was ich damit anfangen kann. Selbst jetzt, wo ich darüber nachdenke ist alles ziemlich konfus. Vermutlich bräuchte ich ein paar Therapiesitzungen, um einen echten Bezug zu meinen Gefühlen zu bekommen. Vielleicht ist das aber auch totaler Blödsinn und meine Gedanken sind irgendeiner Langeweile geschuldet und völlig bedeutungslos. Ich finde mich übrigens auch oft ziemlich bedeutungslos, aber das ist eine andere Geschichte.

Später gehe ich mir Petra zum Geocachen. Wie immer scheitern wir an dem Bonus und ich teile Kirsten das per WhatsApp mit. Sie erinnert sich an den Bonus und bietet an, dass sie uns zeigt, wo wir ihn finden. Keine zwanzig Minuten später ist sie da, zeigt uns, wo wir den Bonus finden und muss dann wieder weg, weil sie noch viel zu tun hat. Ich bin erstaunt und verwirrt, dass sie extra für einen Cache so einen Aufwand betrieben hat, um uns zu helfen. Wie kann man nur so nett sein? Ich glaube nicht, dass ich das für irgendwen getan hätte. Dazu meint Agnes später, dass Kirsten mich mag und das deshalb gemacht hat. Ich denke, Kirsten ist einfach nur viel zu nett zu allen.

Am Abend schaue ich mir Street Kings und Der Mann mit zwei Gehirnen an. Es sieht so aus als würde ich an den Wochenenden jeden Abend wieder zwei Filme schauen. Wie in alten Zeiten. Ob das so gut ist, weiß ich zwar noch nicht, aber mein Filmwochenende hat mir trotz eines schlechten Films gut gefallen.

Wirklich anders würde so eine Woche ohne Corona auch nicht aussehen .Corona braucht echt kein Mensch.

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