Von den Leuten mit denen ich bei der letzten Weihnachtsfeier vor zwei Jahren noch Spaß hatte und mit denen ich ausgelassen gelacht habe, ist niemand mehr hier. Meine frühere Kollegin und auch Carsten haben woanders ihren Spaß und Alpha lebt nicht mehr. So sitze ich mit dem neuen Team am gleichen Tisch wie damals, was schon irgendwie befremdlich ist. Auch das ich, wie das Familienoberhaupt, vor Kopf des Tisches sitze, ist etwas überraschend für mich. Rechts von mir sitzt Kirsten, links von mir Jens. Selbst die Reinigungskraft sitzt an unserem Tisch, weil sie nicht bei den anderen Reinigungskräften sitzen mag. Erstaunlich finde ich, dass viele Mitarbeiter/innen, die später zur Feier erscheinen, an jeden Tisch gehen, um „Hallo“ zu sagen. Viele geben einem sogar die Hand zur Begrüßung, was mir gar nicht gefällt. Manche stellen sich sogar vor und sagen ihren Vor- und Nachnamen, manche nur den Nachnamen. Ist mir alles zu förmlich, weshalb ich nur meinen Vornamen nenne. Außerdem merkt sich doch eh keiner all die Namen. Wozu auch? Inzwischen gibt es so viele neue Mitarbeiter, dass ich nur wenige kenne und die meisten werden nächstes Jahr eh längst weg oder ausgetauscht sein. Nachdem abzusehen ist, dass sich keiner mehr vorstellt und ich keine Hände mehr schütteln muss, gehe ich zur Toilette, um mir die Hände zu waschen, weil ich mein Handdesinfektionsmittel dummerweise nicht dabei habe.
Während ich nach attraktiven Frauen Ausschau halte, hat Jens schon einen jungen Mann entdeckt, den er gerne vernaschen möchte. Optisch ist dieser wirklich auffällig, aber wie so oft bei optisch attraktiven Menschen verfliegt der ganze positive Eindruck als er spricht. Was für ein oberflächlicher und selbstverliebter Blödmann. Vernaschen würde Jens ihn trotzdem, denn dabei muss der Typ ja nicht reden. Kann man durchaus machen, denke ich.
Vor dem Essen kommt Sonja an unseren Tisch und so komme ich zur ersten Umarmung des Tages. Wir umarmen uns traditionell zu jeder Verabschiedung und manchmal auch zur Begrüßung. Da fühle ich mich menschlich direkt aufgewertet. Sie setzt sich zu mir und wir plaudern eine Weile. Kaum ist sie weg, kommt Anke vorbei und ich bekomme die nächste Umarmung des Tages. Wann wurde ich eigentlich zuletzt von zwei Frauen an einem Tag umarmt? Müsste bei der Weihnachtsfeier vor zwei Jahren gewesen sein. Wie die Zeit doch vergeht.
Beim Essen bemerkt eine Kollegin, dass ich komplett auf Fleisch verzichte und sofort werde ich als Vegetarier verdächtigt. Menschen, wie einfältig sie doch oftmals sind. Während wir zusammen unsere Mahlzeit einnehmen, fällt uns wieder rein, dass wir fünf, Jens, Kirsten, Steffi, unsere Verwaltungskraft, Sissi, die Frau, die mich für einen Vegetarier hält und ich, der ich gar kein Vegetarier bin, schon seit langem vorhaben gemeinsam essen zu gehen. Erneut bekräftigen wir unser Vorhaben und werden es in ein paar Wochen sicher wieder tun. Lustig. Könnte eine neue Tradition werden.
Nach dem Essen setzt sich Sonja erneut zu mir. Ich versuche sie mit meinem Humor zu unterhalten, sie findet, ich sei unmöglich. Da hat sie Recht, aber ich kann nicht anders, wenn ich Menschen zum Lachen bringe, dann setze ich meist immer noch einen drauf, damit das oberflächliche Geplänkel nicht endet. Sonja sagt, dass wir keine Freunde sind, weil ich sie nie gefragt habe, ob sie mit mir befreundet sein will. Also frage ich sie und sie sagt nein. Genau mein Humor, weshalb ich Kirsten frage, ob sie denn wenigstens mit mir befreundet sein will, jetzt wo Sonja abgelehnt hat. Kirsten irritiert die Frage, weil sie davon ausgegangen ist, dass wir längst Freunde sind. Ganz schön kompliziert die Sache, weshalb wir das Thema wechseln.
Weil Kirsten irgendwann vorgeschlagen hat, dass wir den Abend zum Speed Dating nutzen, wird jede Frau, die neben mir sitzt zu einer Kandidatin unserer Idee. Erstaunlicherweise sitzen im Laufe des Abends tatsächlich einige Frauen neben mir, was ich sehr löblich finde. Ich teile diesen Frauen immer direkt mit, wie gut sie im Rennen sind. Konsequenterweise duze ich dabei auch Frauen aus der Verwaltung, die man sonst nicht duzt. Aber beim Speed Dating siezen fände ich etwas unangebracht. Zwei Frauen sagen direkt, dass sie kein Interesse haben, was ich durchaus gemein finde, daher sage ich ihnen direkt nach ihrer Feststellung, dass sie gehen dürfen.
Wir schaffen es zwar nicht, dass wir zu fünft essen gehen, jetzt aber bewegen wir uns gemeinsam mit der Reinigungskraft zur Foto Box, um uns fotografieren zu lassen. Es gibt alberne Hüte und Gesichtsmaskierungen, um das Foto viel lustiger erscheinen zu lassen als es nötig wäre. Alle lachen auf den Fotos, nur nicht ich, weil ich ein ernster und auch verklemmter Typ bin. Somit haben wir nun die ersten gemeinsamen Fotos und werden so den Abend sicher nie mehr vergessen.
Für Sonja ist es nun an der Zeit zu gehen, weshalb ich die traditionelle Abschiedsumarmung bekomme. Heute dauern die Umarmungen irgendwie länger als sonst und ich könnte mich echt daran gewöhnen. Wir vereinbaren, dass wir uns nächstes Jahr bei der Weihnachtsfeier wieder hier treffen, auch wenn wir lägst nicht mehr für dieses Unternehmen arbeiten. Wir beide wissen, dass wir uns nicht treffen werden.
Später holt mich Anke ab, damit wir uns gemeinsam vor der Foto Box fotografieren lassen. Arm in Arm stehen wir eine ganze Weile so herum und ich wundere mich, dass ich das mache, weil ich früher, wenn mich mal eine Frau umarmt hat, diese nicht umarmt habe und einfach nur so dastand als ginge mich das nichts an. Vielleicht entwickle ich mich ja doch weiter. Außerdem gefällt es mir von einer attraktiven Frau umarmt zu werden, was ich aber nicht zugebe. Unsere Chefin lässt sich mit uns gemeinsam fotografieren, dazu noch zwei andere Frauen. Allein unter Frauen, quasi als Hahn im Korb, gefällt es mir sehr gut, was man auf den Fotos allerdings nicht erkennt, weil ich als einziger nicht aussehe als hätte ich Spaß. Ich kann halt nicht grinsen oder lächeln oder gar lachen. Das ist einfach nicht meine Art. Als mich Anke anschließend zum Tanzen auffordert, muss ich ablehnen, denn ich will mich heute nicht zum Affen machen und tanze sowieso nie. Außer alleine zu Hause, wenn ich kurzzeitig den Verstand verliere.
Zeit das Speed Dating fortzusetzen, doch irgendwie gehen mir die Frauen aus. Kirsten hat zwar bisher nicht mitgemacht, doch sie bitte ich auch nicht, weil sie sich standhaft weigert zu einem echten Speed Dating mit mir zu gehen. Ich glaube, sie findet es komisch, dass sie nicht mitmachen darf. Möglicherweise interpretiere ich das auch nur so und sie ist froh, dass sie verschont bleibt. Irgendwann teilt Anke mir mit, dass ich mit dem Speed Dating aufhören soll, weil sie eh die Gewinnerin ist, da sie mir schon mal Salat gemacht hat. Ich akzeptiere das, weil man Frauen nicht widersprechen soll.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Spaß haben würde und an einem einzigen Abend mit so vielen Frauen reden würde. Habe ich je zuvor mit so vielen Frauen geredet und auch noch Spaß dabei gehabt? Ich glaube nicht. Dennoch ist es gegen 23.00 Uhr an der Zeit den Abend zu beenden. Ich hole meine Weihnachtstüte und verabschiede mich zuerst beim Chef, weil man das so macht, wenn man eingeladen wird. Dann gibt es die nächste traditionelle Umarmung mit Anke. Auch länger als üblich. Anke sagt, sie würde gerne mit mir Essen gehen, weil sie die Zeiten vermisst als wir zusammengearbeitet haben. Ja, das waren noch Zeiten. Also stimme ich dem Vorschlag zu, dass wir demnächst telefonieren und uns zum Essen gehen verabreden. Ein weiterer Plan, der nie umgesetzt wird, was ich aber nicht schlimm finde. Als nächstes verabschiede ich mich von der Chefin, die neben Anke steht. Zu meiner Überraschung möchte Anke danach nochmal umarmt werden, was die Chefin sehr merkwürdig findet. Sie fragt, was da los ist, bekommt aber keine Antwort von uns, weil wir uns ja umarmen müssen. Nach der Umarmung bekräftigen wir nochmal unseren Plan zu telefonieren und Essen zu gehen. Unsere Nummern tauschen wir aber nicht aus, weil Pläne, die aus einer spontanen Sentimentalität entstehen, in der Regel nicht umgesetzt werden.
Wir holen unsere Jacken und wollen gerade los, da beschwert sich Kirsten und fragt, was für eine Verabschiedung das denn sein soll. Noch mehr Umarmungen? Ich lege Wert darauf, dass es nur eine geringe Anzahl an Frauen gibt, die ich umarme. Hier wären gleich drei weitere Frauen zu umarmen und wenn man einmal damit anfängt, dann wird das rasch zu einer lästigen Routine. Das möchte ich nicht. Weil Sissi erkältet ist, gebe ich ihr direkt zu verstehen, dass sie Abstand halten muss und nicht umarmt wird. Hoffentlich ist sie auf der nächsten Weihnachtsfeier wieder erkältet, damit ich eine Ausrede habe. Steffi ignoriere ich einfach, vielleicht ignoriert sie auch mich. Glück gehabt. Bleibt nur noch Kirsten, die diese Verabschiedungsidee hatte und mir somit die nächste Umarmung des Abends beschert. Sie ist, wie ich beim Umarmen feststelle, ziemlich klein, was mir vorher so nie auffiel. Irgendwie scheint sie die Umarmung zu verwirren, denn sie sagt, dass wir uns ja Montag wiedersehen, dann fällt ihr ein, dass ich montags frei habe und verabschiedet sich bis Dienstag. Dienstags ist sie aber nie da, weshalb wir uns schließlich auf Donnerstag einigen. Und so endet ein irgendwie doch arg denkwürdiger, aber äußerst lustiger Abend und es scheint als könnte ich doch noch in Gesellschaft Spaß haben und Menschen unterhalten. Interessant. Da freu ich mich jetzt fast schon auf die nächste Weihnachtsfeier und die Umarmungen dort.
Die Krönung des Abends folgt auf der Rückfahrt, denn ich habe an meine traditionelle Banane gedacht, die ich genüsslich verspeise. Besser geht´s wirklich nicht. So viel steht jedenfalls fest.