Extraktion von Zahn 37

Als ich kurz vor 06.00 Uhr aufwache, begrüßen mich die üblichen Verdächtigen unter meinen Zähnen. Zahn 16 macht deutlich, dass er gerne behandelt werden möchte. Zahn 27 deutet an, dass er gerne gezogen werden kann. Zahn 37 bereitet die größten Schmerzen, weil er vermutlich beweisen muss, dass es richtig ist, dass er heute gezogen wird. Um es komplett zu machen, tut der Knochen, oder was auch immer, an der Stelle, wo einst Zahn 47 wohnte, ebenfalls weh. Das ist mir alles eindeutig zu viel und so bleibe ich noch zwei Stunden im Bett, wälze mich hin und her und merke, wie mir langsam übel wird. Die gute, alte Angst vorm Zahnarzt ist wieder da und ich spüre den Widerstand in mir, der deutlich anzeigt, dass ich heute nicht zum Zahnarzt gehen will. Wie ich das hasse.

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich glaube, dass ich vor fünf Wochen, bevor Zahn 47 gezogen wurde, entspannter war und auch nicht ständig auf der Toilette saß. Das Entfernen von Zahn 47 war alles andere als förderlich für meine Einstellung Zahnbehandlungen gegenüber. Alles in mir sträubt sich gegen den Zahnarztbesuch. Dennoch zwinge ich mich um 11.00 Uhr eine Banane zu essen, weil ich nach dem Zahnarzttermin sicher eine ganze Weile nicht essen kann.

Kaum sehe ich die Zahnarztpraxis, muss ich Wasser lassen und kaum habe ich mich angemeldet, verschwinde ich auf der Toilette. Scheint eine neue Tradition zu sein. Im Wartezimmer schwitze und friere ich fröhlich vor mich hin. Möglicherweise bin ich nervös, eventuell habe ich auch Angst. Die Extraktion von Zahn 47 hat wohl doch Spuren in meinem Kopf hinterlassen. Das ist alles echt nix für mich.

Als man mich in den OP-Raum bringt, verspüre ich direkt den Impuls abzuhauen. Der Zahnarzt ist davon ausgegangen, dass ich wegen Zahn 16 hier bin. Ich sage ihm, dass Zahn 16 erst später an der Reihe ist, bekomme eine Spritze und soll bis einschließlich Mittwoch krankgeschrieben werden, was ich ablehne, da der Zahn sicher leichter rausgeht und ich morgen wieder fit bin. Der Zahnarzt lässt mich eine Weile alleine bis die Betäubung wirkt. Doch irgendwie fühlt es sich so an als würde die Spritze alles betäuben, nur nicht den Bereich, der es sein sollte. Als der Zahnarzt wenig später mit der Behandlung beginnt, bin ich sicher, dass ich mehr von der Betäubung benötige, sage aber nichts, weil ich vermutlich einen an der Waffel habe. Die Krone ist schnell ab, dann sagt der Zahnarzt mir, dass er den Zahn in der Mitte durchtrennen wird, weil er das Implantat davor nicht beschädigen will. Wäre da kein Implantat, könnte er Zahn 37 aushebeln. Meine Hoffnung, dass ich schnell hier raus bin, ist spätestens jetzt verflogen. Dann passiert hinter mir ein Missgeschick. Die kompletten Behandlungsinstrumente fallen zu Boden und die Behandlung wird unterbrochen. Die Instrumente müssen weggeräumt und neue hergeschafft werden. Alles muss neu sterilisiert werden. Zwangspause. Nicht schlimm, aber irgendwie passt es zu meinem Lauf.
Minuten später geht es weiter. Der Zahn wird durchtrennt und ich überlege, ob ich nicht nach mehr Betäubung verlangen soll. Doch weil ich glauben will, dass jetzt nur die beiden Wurzeln fix entfernt werden,  bleibe ich ruhig. Die hintere Wurzel, so sagt der Zahnarzt,  macht gut mit, die vordere hingegen rührt sich nicht. Es knirscht und knackt, es wird gebohrt oder gefräst, der Schmerz wird nun doch zu viel und ich hebe die linke Hand. Ich bin nassgeschwitzt, es wird nachbetäubt und der Spaß, der keiner ist, geht weiter. Die vordere Wurzel ist irgendwann raus, also bis auf einen Rest, und an der Hinteren wird rumgezerrt. Irgendwann bekomme ich die Information, dass die hintere nun komplett raus sei und der Rest der vorderen nun folgen wird. Es fühlt sich so an als würde der Rest rausgekratzt oder rausgelöffelt. Ich mag nicht mehr, aber das spielt keine Rolle. Wenig später ist endlich der letzte Rest von Zahn 37 draußen und die Wunde wird vernäht. Weil mich das geschafft hat und ich ein Weichei bin, bitte ich nun doch darum, dass ich für morgen krankgeschrieben werde. Dabei wollte ich das eigentlich nicht, doch ich fühle mich geschafft, resigniert und auch Elend, da ist die Vorstellung, dass ich morgen arbeiten kann, nicht mehr möglich.

Eine Stunde nach Ende der Behandlung nehme ich eine Ibuprofen 400 und höre meine Nachbarin kichern und „Hör auf“ sagen. Keine Ahnung, was ich davon halten soll.

Gegen 17.30 Uhr hat die Wirkung der Betäubung sich verabschiedet. Die Wunde schmerzt, juckt und blutet etwas vor sich hin. Ich habe Hunger und Durst und mache eine Erbsen- Kokossuppe warm. Die hatte ich mir für einen solchen Moment gekauft, aber darauf gehfft, dass so ein Moment nicht wieder kommt und ich die Suppe einfach so essen werde, wenn ich mal Lust drauf habe. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt.

Wenn ich daran denke, dass Zahn 27 und Zahn 16 auch noch darauf warten, entfernt zu werden, bekomme ich echt schlechte Laune. Vor allem, weil deren Wurzeln krummer sind als es die von Zahn 37 waren.

Insgesamt wurden mir mittlerweile sechs Zähne. Viermal war es eine einzige, schmerzhafte Qual und es deutet nichts darauf hin, dass es bei den nächsten Zähnen, die mir gezogen werden müssen, besser wird  Wie soll ich bei solchen Aussichten vor künftigen Zahnarztterminen auch nur halbwegs entspannt sein?

Abschiedsfoto:

6 Kommentare

  1. Armer Znacht. Mir fehlen auch 6 Backenzähne. Das nützt Ihnen jetzt natürlich nichts, dass ich das sage, aber es ist so… Allerdings wurden sie mir als Kind gezogen, und da geht es definitiv einfacher, weil die Wurzeln sich noch nicht so ausgebreitet haben. Hübsch: Kürzlich sagte mein Zahnarzt mit Blick auf ein aktuelles Röntgenbild meiner Backenzähne, heute würde man das nicht mehr so machen, meine kompletten verbliebenen Backenzähne seien deswegen leicht schräg nach vorne gekippt, und das sei nicht gut fürs Gebiss. Tja. Trotzdem gute Befferung…

  2. Auf der Suche nach (pseudo-) wissenschaftlicher Aufklärung stoße ich eben auf diese Seite und merke beim Durchlesen, dass sich unsere Leidenswege 1:1 gleichen. Fast sogar die Uhrzeit der OP ? … habe mich heute auch von Zahn 37 verabschiedet. Er ging in gefühlten 100 Einzelteilen und für seinen Auszug aus der bisher so gesicherten Umgebung hat er sich satte 1,5 Std Zeit genommen.

    Fest verwurzelt und obendrein entzündet präsentierte er sich letzte Woche beim Zahnarzt, der das Areal nicht ganz betäubt bekam, da das saure Milieu der Entzündung halt nur schlecht auf Lokalanästhesie anspricht. Habe mich dann tapfer bis zum Punkt „Durchtrennen des Zahnes“ (ebenso nötig weil nicht über 36 gehebelt werden konnte ohne diese Krone zu zerstören…) gekämpft und die linke Gesichtshälfte nach einem knappen Dutzend Spritzen Lokalanästhesie schon garnicht mehr gespürt. Die ganze linke Gesichtshälte? Nein. Ein kleiner garstiger Nerv meinte, er könne tief im Zahn noch mit Vitalzeichen auf sich aufmerksam machen. Da war dann Schluss für den Zahnarzt und mit einem Termin bei einer Kieferchirurgin in der Tasche verließ ich die Praxis um mich abends dort bei Frau Dr. Dr. vorzustellen.

    Diese hochstudierte Person von zierlicher Gestalt (mir kamen Zweifel, ob sie dem Zahn körperlich gewachsen wäre) kam dann statt mit der Vorbesprechung der avisierten Vollnarkose mit einem simplen wie überzeugenden Plan um die Ecke: eine Woche Antibiotika und dann Extraktion auf die herkömmliche Weise. Vorteil: das Ganze konnte schon eine Woche später stattfinden (also heute) statt ansonsten erst in 10 Tagen (da die Anästhesistin im Urlaub ist). Ich war ob der Wahlmöglichkeit etwas überfordert, hatte doch jede der Lösungen ihren Charme aber auch gewisse Nachteile. Der größte Nachteil der herkömmlichen Version war sicherlich, dass ich bei Bewusstsein bleiben würde und was, wenn der Nerv wieder nicht mitspielt. Wie sähe dann Plan B aus?

    Ich willigte erstmal in die schnelle Lösung ein, hielt mir aber die Hintertür des Kneifens und die Option der Vollnarkose offen. Grund meiner zögerlichen Haltung sind komplett verpfuschte Backenzahn-OPs aus meiner Studentenzeit vor 20 Jahren, die in mir mehr als nur eine Angst vor allem entstehen lassen, was über eine Zahnreinigung hinaus geht. Je näher der Tag der üblen OP rückte, desto schweißigerer wurden meine Hände schon nur beim ersten Gedanken an die OP.

    Ausgestattet mit einem selbst zurecht gelegten Plan-B (der da lautete: bevor Frau Dr. Dr. mit dem Bohrer / der Fräse ansetzt, soll sie bitte in dem seit einer Woche offenen Zahn direkt am Nerv einen Test auf Vitalität machen. Beim kleinsten Schmerz geht‘s ab nach Hause und in 10 Tagen zur Vollnarkose zurück) ging es also heute Mittag in Begleitung meiner Frau in die Praxis. Nach anfänglich gutem Erfolg meldete sich auf halber Strecke der Übeltäter in Form eines Rest-sensiblen Nervs. Die Kieferchirurgin spürte meine zunehmende Verspannung deutlich und versuchte zu beruhigen. Es war ja nicht der direkte Schmerz sondern vielmehr die Angst vor wirklich größeren Schmerzen, sollte dieser Rest-sensible Nerv sich weiter wehren.

    Kurzum: nach 1,5 h lagen die Reste von 37 in kleinen Stücken auf dem Tablett vor mir und meine Angsttränen gingen in Tränen der Erleichterung über. Dieser Saubeutel hat mir dann für den Rest des Machmittags ein Andenken in Form einer geschwollen Wange hinterlassen, das aber nun gewichen ist. Unter Schmerzmitteln wird sich die Nacht hoffentlich ruhig verbringen lassen und damit ist 37 nun Geschichte.

    Gott sei Dank stehen zudem aktuell keine weiteren Extraktionen an. So bleibt mir bis zum nächsten Mal an meiner Strategie gegen die immer wiederkehrende Angst zu arbeiten.

    • Das klingt ja extrem gruselig. Dann hoffe ich mal, dass keine nächtlichen Schmerzen den Schlaf stören und keine weiteren Zähne in Versuchung geraten es wie Zahn 37 zu machen.

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