Montagabend. Nach etwa einer Stunde hört die Wunde tatsächlich auf zu bluten. Da ich Hunger habe, mache ich mir eine Hühnersuppe. Dosenfutter, wie in alten Zeiten. Manchmal muss es so sein. Interessanterweise geht es mir danach so viel besser, dass ich mir vorstellen kann, morgen doch ins Büro zu gehen.
Dienstag. Die Nacht ist wegen des hochgelagerten Kopfes eher ungemütlich und bringt nicht so viel Schlaf. Dennoch möchte ich nicht zum Zahnarzt, sondern ins Büro. Und so verbringe ich den Tag tatsächlich im Büro. Die Wunde blutet gelegentlich noch leicht, der Mund geht nicht weit auf und Zahn 16 ist definitiv nicht in Ordnung, aber dafür sind die Schmerzen zunächst erträglich. Erst gegen Mittag gönne ich mir wegen der stärker werdenden Schmerzen eine Ibuprofen 400 und schiebe mir etwas Brot durch die kleine Öffnung in den Mund.
Im Büro telefoniere ich wegen eines 20 jährigen Teilnehmers mit seiner Betreuerin vom Jobcenter. Er kommt dabei nicht gut weg, weil er Jobangebote ablehnt und seine Geschichten immer in anderen Variationen erzählt. Über fünf Monate betreuen wir ihn mittlerweile, haben aber noch gar nichts erreicht, wie es scheint. Nach dem Gespräch sitze ich neben ihm, er hat wieder wirre Ideen, und merke, dass ich genervt von ihm bin, was nicht gut ist. Ich gehe zurück zu meinem Platz, um nachzudenken und etwas zu atmen. Anschließend halte ich dem Teilnehmer eine Rede, frage was er überhaupt vorhat, erkläre ihm, dass er die wenigen Chancen, die sich ihm bieten auch mal ergreifen muss und es kein Lebensziel sein kann von Maßnahme zu Maßnahme zu ziehen. Er indes freut sich, dass er in der Maßnahme, die er direkt im Anschluss an diese Maßnahme machen muss, nur einmal pro Woche teilnehmen muss. Ich frage ihn, ob das wirklich alles ist, was er plant und verschweige ihm, dass er in der Maßnahme nur kurz sein wird, bevor er in eine Maßnahme mit täglicher Anwesenheitspflicht untergebracht werden soll. Während ich auf ihn einrede, mich dabei ständig wiederhole, frage ich mich, ob ich wirklich mit ihm oder doch mit mir, vielleicht meinem früheren ich, dass auch nie gearbeitet hat, rede. Ich verstehe ihn ja auch, aber er hat Frau und Kind, da sollte man meiner Meinung nach nicht leben, wie ich es früher getan habe. Wobei ich in seinem Alter immerhin eine Ausbildung gemach habe, bevor ich zum Vorzeigearbeitslosen wurde. Letztlich sind meine Worte abermals umsonst und ich muss mir eingestehen, dass ich in seinem Fall versagt habe, weil ich in der ganzen Zeit gar nichts erreicht habe. Wir drehen uns im Kreis und ich erkenne deutlich, dass ich nur ein mittelmäßiger Jobcoach bin, der sehr schnell an seine Grenzen kommt.
Selbstverständlich frage ich mich während des Tages öfter, was der Zahnarzt wohl am Donnerstag bei der Kontrolle sehen will, wenn mein Mund sich nicht ordnungsgemäß öffnen lässt. Immerhin bin ich nach dem Arbeitstag der Meinung, dass es die richtige Entscheidung war nicht zum Zahnarzt zu gehen. Was ich mir allerdings nicht vorstellen mag ist die Tatsache, dass noch mindestens ein Zahn gezogen werden muss. Außerdem fürchte ich, dass die Wunde nicht von selbst abheilen wird. Wäre nicht das erste Mal und ich erinnere mich, dass einmal eine Wunde per Laser geschlossen wurde. Wie bei Star Wars, nur anders und mit verbrannten Geschmack im Mund.
Mittwoch. In der Nacht schlafe ich etwas besser als in der Nacht davor. Dennoch ist es unangenehm den Kopf so hoch zu lagern und nur auf dem Rücken liegen zu können. Was mich obendrein stört und wundert ist, dass ich Sodbrennen habe. Mein Gesicht und mein Hals jucken tierisch und meine Haut ist dort komplett rot und entzündet. Meine Zunge ist komplett belegt und es scheint als wäre ich nie zur Akupunktur gewesen und die Erfolge der einjährigen Behandlung sind nicht mehr erkennbar. Theoretisch müsste ich mit der Behandlung von vorne beginnen, um mich wieder besser zu fühlen, praktisch kann ich es mir nicht leisten. Am Ende ist es immer das Geld, das entscheidet, ob es einem gut oder weniger gut geht, ob man anständigen Zahnersatz bekommt oder nicht.
Im Büro präsentiert sich die kleine Teilnehmerin wieder als hübsches Schmuckstück, welches sich perfekt figurbetont und doch elegant angezogen hat. Ich könnte ihr vermutlich drei Stunden einfach nur zuschauen, ohne dass mir davon langweilig wird. Das ist vermutlich auf eine typisch männliche Art normal, aber da an mir nicht viel männlich ist, möglicherweise aber auch fraglich. Alternativ kann es auch andersherum richtig sein. Aber auch das sind Gedanken, die nur meinem verwirrten Hirn entsprungen sind und daher wohl keinen Sinn ergeben. Aber ein schöner Anblick bleibt ein schöner Anblick. Und mehr kann ich in meinem Zustand echt nicht verlangen.
Beinahe 48 Stunden sind mittlerweile nach der Extraktion von Zahn 47 vergangen, irgendwelche Verbesserungen kann ich nicht feststellen. Die Wunde tut mehr weh als Zahn 47 zuletzt, Zahn 16 ist weiterhin aktiv, Zahn 37 sowieso. Ehrlich gesagt sind die Schmerzen an der Wunde sogar so stark als wäre Zahn 47 noch da. Vielleicht ist die Entzündung auch einfach auf Zahn 46 gesprungen, würde mich nicht wundern. Dazu kommt die entzündete und wie verrückt juckende Haut. Ich sehe aus wie ein verseuchter Penner, da ist wenig tröstlich, dass ich den Mund heute etwas weiter öffnen kann und die Wunde auf den ersten Blick, soweit erkennbar, wirkt als würde sie gut verheilen. Möglicherweise bin ich einfach nur zu ungeduldig. Ich weiß es nicht.
Am Nachmittag fragt Carsten abermals, ob ich nicht für ihn, in dem Unternehmen, in das er nach seiner Zeit hier gewechselt ist, arbeiten möchte. Es gäbe mehr Geld und ich müsste nur etwas weiter fahren als zu meinem aktuellen Arbeitsplatz. Ich finde es zwar toll, dass er mir das anbietet, aber weil es voraussetzt, dass ich eine Entscheidung treffen muss, finde ich es gleichzeitig auch nicht toll, denn Entscheidungen zu treffen ist nichts für mich. Daher ist es auch meist ungünstig, wenn es zu bestimmten Dingen überhaupt eine Alternative gibt. Dabei kann ich doch nur verlieren. Natürlich brauche ich das Geld, aber andererseits mache ich genau das, was ich machen will und einigermaßen hinkriege, ohne großen Schaden anzurichten. Den Job zu wechseln ist immer ein Risiko und Veränderungen stehe ich eher skeptisch gegenüber. Erwartungsgemäß entscheide ich mich, wie üblich, gegen einen Berufswechsel, weil ich bin wie ich bin und diese Maßnahme immer noch für das Beste halte, was es an Maßnahmen gibt. Und bis Mai sollte sich daran auch nichts ändern. Dann allerdings endet die Maßnahme und niemand weiß, ob Carsten zu dem Zeitpunkt noch Mitarbeiter braucht.
Donnerstag. Der Schlaf war eindeutig besser, weil ich darauf verzichtet habe, den Kopf hoch zu lagern. Da ich gestern vor dem schlafen zuletzt eine halbe Ibuprofen 400 genommen habe, spüre ich heute früh deutlich, wie weh die Wunde noch tut. Ohne Schmerztabletten geht es definitiv noch nicht. Dafür juckt das Gesicht zum ersten Mal nach der OP morgens nicht und ist auch nicht so gerötet. Ob es am kolloidalen Silber liegt, welches ich immer aufgetragen und eingenommen habe, werde ich nie erfahren. Hauptsache es ist etwas besser. Jetzt sollten nur die Schmerzen auch irgendwann weniger werden. Interessanterweise ist die Wange heute geschwollen und bevor ich zur Arbeit fahre muss ich eine Ibuprofen 400 einnehmen. So wirklich überzeugend ist das alles nicht.
Im Büro überzeugt mein Kollege mit seiner Art wieder alle Teilnehmerinnen. Selbst eine Teilnehmerin, Typ hoffnungsloser Fall, aus der der Maßnahme von oben ist nach einem Gespräch mit ihm hin und weg. Würde mich nicht einmal wundern, wenn sie seinetwegen die Maßnahme für sich verlängern lässt. Während der Werte Kollege also auf dem Olymp der Jobcoaches thront halte ich dem 20 jährigen Teilnehmer, dem ich Dienstag schon eine Rede gehalten habe, fast die gleiche Rede nochmal. Dieses Mal allerdings gehe ich einen Schritt weiter und Frage, was er seinem Sohn denn mitgeben will, wenn er nur wegläuft, jammert und allem aus dem Weg geht. Was für ein Vorbild er sein will? Und Jobs ablehnen, nur weil irgendwer sagt, da und dort zu arbeiten lohnt sich nicht, kann auch keine Lösung sein. Und wieso die Leute, die sagen es lohnt nicht, dann dennoch arbeiten, frage ich ihn. Ob ihm das nicht komisch vorkommt. Und während ich mir selbst bei meinem Vortrag zuhöre komme ich mir scheinheilig und verlogen vor, denn ich war bis vor kurzem selbst ein Dauerarbeitsloser und Rede nun als wäre es völlig selbstverständlich zu arbeiten. Ein wenig schäme ich mich sogar für mein Verhalten auch wenn der Teilnehmer sagt, dass er nun doch über ein Jobangebot, welches er längst abgelehnt hat, nachdenken will. In den Bericht schreibe ich dennoch, dass nur ein Wunder den jungen Mann vor einer dauerhaften Arbeitslosigkeit retten kann. Für Wunder bin ich leider nicht zu gebrauchen.
Bevor ich zur Kontrolle zum Zahnarzt muss, putze ich mir die Zähne und kann mir erstmals die Wunde richtig anschauen, da der Mund schon fast wieder ordnungsgemäß aufgeht. Sieht ziemlich gut verheilt aus. Hätte ich bei den Schmerzen, die ich weiterhin habe, nicht für möglich gehalten. In der Mitte der Wunde entdecke ich etwas Helles. Zunächst glaube ich, es könnte der Knochen sein, dann allerdings vermute ich, dass irgendwas aus der Wunde herauswächst. Erst will ich versuchen es zu entfernen, entscheide dann aber, dass der Zahnarzt es gleich machen soll.
In der Praxis begrüßt mich ein Zahnarzt, den ich noch nicht kenne. Macht einen sehr sympathischen Eindruck der junge Mann. Auch der Zahnarzt, der mich Montag gequält hat schaut vorbei. Wirklich sehr löblich hier. Alles verheilt gut, versichert man mir und was ich sehe ist natürlich der Knochen. Die Wunde wird gesäubert und ich darf ruhig vorsichtig putzen und auch essen. Nächsten Dienstag werden die Fäden gezogen. Dann kann ich auch darauf hinweisen, dass Zahn 16 ein Arschloch ist und weg muss. Für heute reicht es mir.
Der Zustand meiner Haut hat sich zum Abend hin deutlich verschlechtert. Die Haut am Kinn hängt in Fetzen runter und brennt beim eincremen ziemlich. Vielleicht falle ich jetzt wirklich auseinander.
Freitag. In der Nacht nehme ich eine halbe Ibuprofen 400 und schlafe insgesamt ganz gut. Am Morgen juckt mein Hals wie verrückt und mein Shirt ist voller Hautfetzen. Wenn ich mich am Hals kratze, bröselt noch mehr ab. Möglicherweise habe ich eine Hautkrankheit bekommen. Ob der Zeitpunkt zufällig ist oder ob es mit den Zähnen zusammenhängt, werde ich vielleicht nie erfahren, attraktiver macht mich das alles sicher nicht.
Da ich meist dunkle Sachen trage, sieht man nun ständig die ganzen Hautschuppen, die einfach so von mir abfallen, auf meinem Pullover. Möglicherweise hat mich im fortgeschrittenen Alter eine Schuppenflechte heimgesucht. Ich muss gestehen, dass ich anfange mich vor mir selbst zu ekeln. Nur gut, dass ich mit dem Thema Frauen durch bin. So ekelhaft, wie ich derzeit unterwegs bin, würde ich erst recht keine Frau mehr kennenlernen, ich würde sie höchstens dazu bringen sich zu übergeben. Als gepflegter Typ kann ich mich jedenfalls nicht mehr verkaufen. Hoffnung, dass es wieder besser wird, habe ich auch keine zum jetzigen Zeitpunkt. Bäh, bin ich ekelig. Als ich diese ganze Ekelhaftigkeit genauer im Spiegel betrachte, erkenne ich, dass nicht nur der Hals betroffen ist. Überall dort, wo mein 2 Tage Bart sich befindet, rieselt es nur so. Überall Hautschuppen. Ich reinige die Stellen mit Rosenwasser, was lediglich dazu führt, das alles tierisch juckt. Als nächstes vermute ich, dass die Barthaare das Problem verschlimmern und rasiere die Haare am Hals komplett ab. Das habe ich seit Jahren nicht getan. Die Haut leuchtet rot und ist komplett entzündet, was für mich keine Überraschung ist. Sollten die rasierten Stellen ohne Bart abheilen, muss ich mich wohl komplett von meinem 2 Tage Bart trennen. Aber ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Ich reibe die Haut mit einem Häutöl ein, weil trockene Haut Feuchtigkeit braucht, und hoffe, dass das jucken irgendwann nachlässt und die Entzündung sich verabschiedet. Wahrscheinlich ist das genauso bescheuert, wie an den Weihnachtsmann zu glauben und auf Weltfrieden zu hoffen. Es sind Phasen wie diese, die meinen Glauben an einen qualvollen Tod bestärken.
Im Büro sind die Schmerzen stark genug, dass ich eine halbe Ibuprofen 400 nehme, während mein entzündeter Hals die Umgebung aufleuchten lässt. Derart frustriert rufe ich bei der Heilpraktikerin an, um mir einen Termin geben zu lassen. Damit ist klar, dass ich auch nächsten Monat finanziell nicht sehr weit kommen werde. Meinen geschundenen Körper führe ich der Heilpraktikerin am Montag vor. Bis dahin kann der Verfall ungehindert und unbehandelt weiter wüten.
Die kleine Teilnehmerin bringt einen Arbeitsvertrag. Ihren Anblick darf ich nächste Woche das letzte Mal genießen. Ich finde, das ist ein würdiger Abschluss unserer gemeinsamen Zeit, denn ich werde hier nicht fürs spannen bezahlt. Aber für mehr als Teilnehmerinnen anzugucken bin ich ohnehin kaum zu gebrauchen, denn bei Fachfragen gebe ich Antworten, ohne wirklich auf die Fragen zu antworten. Meine Ahnungslosigkeit verstecke ich hinter irgendwelchen Floskeln oder leeren Phrasen. Meine fast vollkommene und stetig fortschreitende Verblödung erschreckt mich immer wieder so lange bis die Verdrängung darüber Oberhand gewinnt. Während ich mich meinen Gedanken hingebe, springt der Kollege plötzlich auf und sagt, er hätte jetzt fast vergessen die Teilnehmerinnen gehen zu lassen. Ich schaue ihn an, sage aber nicht, dass er sich völlig in der Zeit vertan hat und es noch gar nicht an der Zeit ist die Teilnehmerinnen nach Hause zu schicken. Er glaubt scheinbar, dass es schon eine Stunde später ist, geht also zu den beiden Teilnehmerinnen und sagt ihnen, dass sie jetzt gehen dürfen, weil sie schon viel zu lange da sind. Ich beobachte das Ganze, schreite aber nicht ein, um seinen Irrtum aufzuklären. Als Maßnahmeleiter wäre das sicher meine Aufgabe, aber mir gefällt meine passive Rolle bei dem Schauspiel viel zu gut, um etwas daran zu ändern. Als sich die beiden Teilnehmerinnen dafür bedanken, dass sie schon gehen dürfen, wird meinem Kollegen klar, dass er sich in der Zeit geirrt hat, kann aber selbstverständlich nun auch nicht mehr sagen, dass die beiden noch bleiben müssen. Stattdessen fragt er mich, warum ich denn nichts gesagt und nicht eingegriffen habe, um das Schauspiel rechtzeitig zu beenden. Vermutlich weil ich es faszinierend und als ginge es mich nichts an betrachtet habe. Vielleicht wollte ich einfach nichts sagen, weil sein Irrtum mich gut unterhalten hat und ich wissen wollte, wie es ausgeht. Ich sage ihm, dass alles gut ist und es keinen Unterschied machen würde, wenn die beiden noch hier sitzen würden. Eigentlich, so denke ich, sollte sowieso er der Maßnameleiter sein, weil er einfach der bessere Mann von uns beiden ist.
Nachdem die Arbeitswoche beendet ist, gehe ich rüber zu meiner Nachbarin, um ihr zu sagen, dass wir jetzt, wo der Nachbar den Flur gemacht hat, auch wieder putzen werden Dabei erfahre ich, dass der Nachbar bzw. seine Freundin den Flur lediglich gefegt hat, was bei genauerem Betrachten deutlich sichtbar ist. Ich sage ihr, dass sie mir mitteilen, soll, wenn beim nächsten Mal der Flur von ihm bzw. seiner kleinen Freundin, wieder nur gefegt wird. Dann melde ich das der Hausverwaltung, weil ich mittlerweile immer öfter den Spießer in mir raushängen lasse. Während des Gesprächs mit der Nachbarin wird ihr Pizza geliefert. Ich bin nicht ganz sicher, aber es scheint als würde ihr täglich essen geliefert werden. Gesundheitlich, das weiß und sehe ich, geht es meiner Nachbarin nicht gut, denn es wird nicht nur ständig Essen geliefert, es kommt auch regelmäßig jemand vom Pflegedienst zu ihr. Jetzt wo ich sie länger nicht gesehen habe, scheint es so als hätte sie abgebaut in der letzten Zeit. Das alles nicht schön, aber dieses ungesunde Essen ist sicher auch nicht gut für ihre Gesundheit. Doch wer bin ich schon, mir darüber ein Urteil bilden zu können? Ihr Freund riecht oft nach Alkohol und redet manchmal, wie ich es von angetrunkenen und betrunkenen kenne. Das alles ist irgendwie traurig und verströmt einen Hauch von Hoffnungslosigkeit. Da ich es meist meide mit Nachbarn zu reden und damit auch Erfolg habe, kommen sie auch in der Regel, abgesehen von der früheren Hausmeisterin, nicht zu mir, um mich in irgendwelche Gespräche zu verwickeln. Auch wenn man sich mal im Hausflur begegnet, lässt man mich für gewöhnlich in Ruhe, was ich sehr begrüße.
Beim abendlichen Spaziergang dreht eine Fledermaus eine kleine Runde ums uns herum, was ich irgendwie sympathisch von ihr finde. Gar nicht sympathisch hingegen sind die Schmerzen, die mit jeder Minute schlimmer werden und bis ins Ohr ziehen. Daher gönne ich mir nach dem Spaziergang direkt eine ganze Ibuprofen 400, weil alles andere mir zu wenig erscheint. Vielleicht werde ich bald Ibuprofenabhängig bei dem ganzen Konsum.
Samstag. Gegen 04.30 Uhr wache ich auf und trinke einen Schluck Wasser. Das Wasser hat Zimmertemperatur, fühlt sich an der Wunde aber nicht gut und irgendwie zu kalt an. Vielleicht will der Knochen einfach nicht, dass ihn irgendwas berührt. Jedenfalls muss ich zehn Minuten später eine halbe Ibuprofen 400 nehmen. Ein paar Minuten später lässt der Schmerz nach und ich kann weiter schlafen.
Kaum aufgestanden, wische ich den Flur, weil es für einen langweiligen, schon lange nicht mehr jungen Menschen kaum etwas Schöneres gibt als einen Tag so zu beginnen. Innerlich ärgere ich mich über den ganzen Dreck und dass der Nachbar den Flur nur gefegt hat. Ich werde mehr und mehr zu Einem verschrobenen Einsiedler, der zwar glaubt nicht zu dieser Gesellschaft zu gehören, sich aber genauso verhält als gehöre er sehr wohl zu dieser Gesellschaft, dabei im grau der Masse unterzugehen droht und so gar nichts dagegen tun kann. Nachdem die Arbeit erledigt ist, will ich mir den Zahnknochen anschauen, doch es scheint als ginge das nicht mehr, denn die Wunde ist fast geschlossen. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich erst, wenn sie vollständig geschlossen ist.
Mein Hals ist weiter entzündet, aber möglicherweise weniger stark. Am Kinn, wo mein 2 Tage Bart lebt, ist die Haut weiter total schuppig. Der bartfreie Hals ist gerötet, aber schuppenfrei, weshalb ich in Zukunft dort wohl auf meinen 2 Tage Bart verzichten werden muss. Meiner Meinung nach sollten eh keine Haare am Hals wachsen, weil das nur Arbeit und manchmal Probleme macht. Und besser sehe ich mit Haaren am Hals auch nicht aus.
Als ich später bepackt mit vier Taschen vom Einkauf zurückkomme, stehen Möbel und Menschen vor der Tür des Nachbarn, der den Flur nicht oder zumindest nicht ordnungsgemäß putzt. Die Menschen diskutieren und beachten mich nicht weiter. Da ich nicht vorbei kann, betrachte ich das Schauspiel notgedrungen eine Weile. Der Schrank direkt vor der Tür ist zu hoch, um in die Wohnung geschoben zu werden. Ein junger und ein älterer Mann diskutieren das und schieben den Schrank vor und zurück. Nach einer Weile schieben sie den Schrank so nah an die Tür, dass ich mich, weil ich unfassbar dünn bin, daran vorbeiquetschen kann. Ich bin gerade zur Hälfte vorbei als der Schrank in meine Richtung geschoben wird und mich eingequetscht. Ich rufe, dass man mich gefälligst durchlassen soll und versuche den Schrank von mir zu schieben, was nicht gelingt. Vielmehr scheint es so als würde der Schrank gegen mich gedrückt. Eingequetscht kurz vorm Ziel, was für eine Tragik. Ich versuche es weiter und irgendwann bewegt sich der Schrank ein wenig von mir weg. Ob mir dabei geholfen wird, kann ich nicht sagen. Ich zwänge den Rest meines mageren Körpers am Schrank vorbei und der ganz junge Mann schaut nun hinter dem Schrank hervor und scheint zu fragen, ob alles okay ist und grinst mich an. Ich nicke und grinse blöd zurück. Dabei hoffe ich, dass die den frisch von mir gewichten Flur nicht wieder komplett verdauen. Dass ich mir darüber überhaupt Gedanken machen, finde ich durchaus bedenklich. Obwohl es vielleicht manchmal hinderlich ist, wenn die Nachbarn eine völlig andere Sprache sprechen, hat es doch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, denn sie kommen daher vermutlich nie auf die Idee einen in ein Gespräch zu verwickeln. Und das ist etwas, was ich an Nachbarn total schätze. Wichtigste Erkenntnis des heutigen Tages bisher: Wenn man zwischen Schrank und Treppengeländer eingeklemmt wird, vergisst man kurzzeitig seine Zahnschmerzen.
Warme Suppe sorgt für Entspannung an der Wunde, zimmerwarme Getränke sorgen allerdings auch weiterhin für Schmerzen. Meine Zunge ist noch immer einseitig belegt und hat seit gestern einen Fleck auf der belegten Seite. Ich weiß leider nicht, was das bedeutet. Mein entzündeter Hals leuchtet ununterbrochen weiter und wird von mir mit Kokosöl eingecremt. Es ist an diesen Stellen nicht der geringste Fortschritt zu erkennen. Es ist schwer da nicht im Frust zu versinken.
Sonntag. Die Schmerzen sind unverändert und das Loch noch immer nicht ganz zu. Erschütterungen des Kopfes führen zu heftigen Schmerzen, weshalb das Training heute selbstverständlich ausfällt. Wegen des Juckens beginnt der Tag mit einer Rasur, dann werden Gesicht und Hals mit Rosenwasser abgerieben und zum Schluss mit Kokosöl eingerieben. Alles juckt wie verrückt und leuchtet fröhlich vor sich hin. Die Zunge ist einseitig belegt und ich behaupte einfach mal, dass es keinen Fortschritt gibt.
Gegen Mittag koche mir eine Suppe. Alleine die Vorbereitungen mit Kartoffeln, Möhren, usw. schälen und schneiden dauert fast eine Stunde. Und weil ich dabei immer genervter und ungeduldiger werde, ramme ich mir das Messer kurz in meine linke Hand. Die Wunde ist nicht tief und blutet nur mäßig, aber all das sind Gründe, warum ich es hasse zu kochen. Da gehe ich lieber essen oder esse nur Nudeln, Reis und fertige Sachen, die ich nur erhitzen muss. Alles andere macht einfach keinen Spaß.
Am Nachmittag ist, wie fast jeden Sonntag, Geocaching angesagt. Und so laufen wir leicht verwirrt an einem Golfplatz herum und sammeln Caches. Der größte Vorteil dieses Hobbys ist, dass man immer wieder in schönen Gegenden landet, die man sonst nie gesehen hätte. Außerdem ist es gesund und auch für alte Säcke möglich. Während unserer Mission werden wir von einer überdrehten Hündin angebellt, die uns scheinbar merkwürdig findet. Auf dem Parkplatz begrüßt uns zum Ende unseres Ausflugs noch ein freundlicher Hund. Auch etwas, was fürs Geocaching spricht, man lernt Hunde kennen. Während unseres Ausflugs wurde das jucken in meinem Gesicht ärgerlicherweise immer schlimmer. Ob das wirklich mit den Zähnen zusammenhängt, werde ich möglicherweise nie erfahren.
Die Woche lasse ich vor dem Fernseher ausklingen, esse eine Kleinigkeit und stelle irgendwann fest, dass die Wunde viel weniger schmerzt. Als hätte jemand einen Schalter betätigt. Ein völlig neues Gefühl mit dem ich absolut nicht gerechnet hätte. Sofort gehe ich ins Bad, um die Wunde zu betrachten. Das Loch ist noch nicht ganz zu und der Belag auf der Zunge hat sich verändert. Lediglich bei meiner Haut kann ich keine Fortschritte feststellen. Sie bleibt rot, juckt und schuppt weiter fröhlich vor sich hin. Aber gut, fürs erste bin ich froh über den Fortschritt an der Wunde und schon gespannt, was die Heilpraktikerin zu all dem sagt. Hoffentlich verstehe ich sie auch.
So endet die Woche dann doch noch fast versöhnlich und lässt hoffen, dass die nächste Woche meine Beschwerden verschwinden lässt.