Es ist das erste Mal, dass ich Urlaub brauche, weil ich einen Teil der Teilnehmer/Teilnehmerinnen einfach nicht mehr sehen kann. Wir sind mittlerweile, was die Teilnehmer angeht, in eine neue Dimension vorgedrungen. Nie war deutlicher, wie kaputt die Arbeitslosigkeit Menschen machen kann. Hoffnungslosigkeit wohin man sieht. Teilnehmer, die sich freuen hier zu sein, um mal rauszukommen und sich unterhalten zu können. Viele sind weiter von einem Arbeitsplatz entfernt als die Erde vom Mars. Nie hörten wir mehr Geschichten über das Elend der Arbeitslosigkeit als derzeit. Und nie war diese ganze Hilflosigkeit, diese Hoffnungslosigkeit präsenter. Was all das für uns Mitarbeiter so schwierig macht ist die Tatsache, dass es sich hier um eine Vermittlungsmaßnahme handelt und für Sentimentalitäten kein Platz ist. Am Ende zählen nur Zahlen und die können wir so kaum liefern.
Teilnehmerin 1 ist wieder aktiv und wirbelt von einem Vorstellungsgespräch zum nächsten. Sie gehört, trotz ihrer für mich chaotischen Vorgehensweise, zu den ganz wenigen Hoffnungen. Und doch sind die Chancen, dass sie einen Arbeitsplatz findet, nicht wirklich hoch.
Teilnehmerin 2 hat die Frau abgelöst, die durchgehend krankgeschrieben war und gekündigt wurde. Die neue Nummer 2 ist gesundheitlich noch kaputter. Sie mag billige Suppen aus der Dose, weil die ihr gut schmecken und günstig sind. Wenn sie von den Suppen erzählt, könnte man fast glauben, dass die wirklich toll schmecken. Sie ist überhaupt nur in der Maßnahme, weil sie, wie sie sagt, sonst aus dem Fenster springen würde, wenn sie nur zu Hause sitzt. Außerdem erzählt sie von ihren Psychotherapien und ihren Erfahrungen mit diversen Ärzten. Jobs gibt es übrigens keine für sie, weil sie viel zu krank ist und in einer normalen Welt in dieser Verfassung Rente bekäme. Sie ist schon völlig außer Atem, wenn sie nur die paar Meter zur Toilette geht. Ich freue mich ja, wenn wir jemandem helfen können, sein Leben zu ertragen und eine Aufgabe zu haben, doch wenn man eine Vermittlungsmaßnahme hat, dann gehören da keine Leute rein, die gesundheitlich so kaputt sind, dass sie eh nicht mehr arbeiten können. Besonderes Highlight bei ihr ist aber, dass sie trotz ihres miserablen Gesundheitszustands noch raucht. Aber vermutlich spielt das auch keine Rolle mehr. Sie redet gern und viel und selbst dann noch, wenn ihrem Gegenüber Blut aus den Ohren, dem Mund, den Augen und der Nase läuft. Sie weiß einfach nicht, wann es genug ist.
Teilnehmer 3 hatte bisher keine Lust auf Einladungen zu reagieren. Man kann halt nicht jeder Einladung nachkommen. Sein Platz bleibt vorerst leer und somit bleibt uns eine möglicherweise hoffnungsloser fall erspart.
Teilnehmer 4 ist noch nicht in Sicht. So langsam gehen hier im Ort die Arbeitslosen aus.
Teilnehmerin 5 ist eine freundliche Türkin Mitte 40. Sie trägt Kopftuch, hat keine Ausbildung und zuletzt vor 13 Jahren als Verpackerin gearbeitet. Sie möchte direkt hier im Ort arbeiten, weil das besser ist. Sie zu vermitteln käme einer Art Wunder gleich.
Teilnehmer 6 ist weiterhin der einzige echte Lichtblick. Er bewirbt sich aktiv, telefoniert, hat Vorstellungsgespräche, geht zur Probearbeit und sollte in den nächsten Tagen einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Leider sind so junge und aktive Teilnehmer eine Ausnahme, weil die auch meist ohne Maßnahme einen Job finden. Und dann können die Jobcenter sich die Vermittlung auf die Fahnen schreiben. Eigentlich sind solche Teilnehmer nichts für Maßnahmen, aber für uns sind sie Lichtblicke, die wir gerne aufnehmen.
Teilnehmerin 7 lebt weiter auf ihrem speziellen Planeten und schwebt in ihrer Seifenblase durchs Leben. Die Flusen in ihrem Kopf verhindern auch weiterhin, dass sie viele Bewerbungen schreibt. Dazu riecht sie auch weiter furchtbar nach Schweiß, hüllt den Raum damit ein, und verbringt unheimlich viel Zeit mit Dingen, die keiner von uns wirklich nachvollziehen kann. Sie wird vermutlich nie mehr in die Realität zurückkehren.
Teilnehmerin 8 schreibt derzeit wieder mehr Bewerbungen. Dabei betont sie aber auch weiter, dass sie zu alt ist und keiner sie je einstellen wird. Wir sind mittlerweile dazu übergegangen alles nur noch mit Humor zu ertragen. Hilft zwar auch nicht, aber ist immerhin manchmal lustig.
Teilnehmerin 9 ist noch neu bei uns. Sie ist lieb und schlicht und schwer vermittelbar. Nichtsdestotrotz werden wir es versuchen, denn offensichtlich will sie ja. Und das ist immerhin eine Basis.
Teilnehmer 10 wurde schon mehrfach eingeladen. Man darf gespannt sein, wie er sich dieses Mal der Maßnahme entzieht.
Teilnehmer 11 ist ein Herr in den Fünfzigern, der zwar irgendwie niedlich mit seiner Schlichtheit ist, den man sich aber in der Arbeitswelt so gar nicht vorstellen kann. Vermutlich haben er und die Arbeitswelt daher seit Jahren auch keinen Kontakt mehr. Er sagt, dass es besser ist hier zu sein als immer nur alleine zu Hause. Auch irgendwie traurig. Ob man ihn vermitteln kann? Dazu fehlen die einfachsten Arbeitsplätze für Leute wie ihn und uns obendrein die Vorstellungskraft, dass das was werden kann.
Teilnehmer 12 ist trotz seiner Behinderung noch immer ein Hoffnungsträger, obwohl eine Vermittlung sehr unwahrscheinlich erscheint und er bald die Maßnahme beenden wird. Wir klammern uns halt mittlerweile an jeden noch so kleinen Strohhalm.
Teilnehmer 13 stinkt weiter und in Gesprächen ließ er verlauten, dass er psychisch völlig am Ende ist, schon in Behandlung war, sich zu nichts mehr aufraffen kann und fast nur noch schläft. Er sagt, dass er vor der Arbeitslosigkeit ein aktiver Mensch war. Jetzt ist davon nix mehr übrig und auch er ist froh, dass er durch diese Maßnahme mal unter Leute kommt. Wenn er sich doch nur mal ordentlich waschen würde. Noch immer füllt er den Raum innerhalb weniger Minuten seiner Anwesenheit mit einem Duft, der einfach abscheulich ist.
Teilnehmer 14 ist ein netter, schlichter und verunsicherter Mann, der sehr schwer zu vermitteln ist, aber immerhin tut, was man ihm sagt.
Teilnehmer 15 passt immer noch zu den Ludolfs auf den Schrottplatz, redet viel und es wäre durchaus nicht verwunderlich, wenn er eines Tages mit Hobbits tanzen würde.
Nach diesem Urlaub werde ich mindestens sechs Monate keinen Urlaub mehr haben, was schon irgendwie erschreckend klingt und gerade nur schwer vorstellbar ist. Was ist nur aus mir geworden? Und wie lange geht das noch so weiter?
Liest sich teilweise, als wären Sie für viele der hoffnungslosen Fälle eine Art Therapeut. Macht aber nur beide Seiten kaputt.
Ohne Quotendruck wäre es für mich okay.
Und die auf der anderen Seite sind leider oft schon ziemlich kaputt.
Ich wünsche Dir einen tollen Urlaub. Genieße ihn und versuche nicht an die folgenden Monate zu denken. Alles Liebe!
Danke sehr.
genieße deinen urlaub!
Ich versuche es.