Dank vieler Umstrukturierungen, Urlaube und Krankmeldungen verbringe ich die Zeit zumeist alleine mit den Teilnehmern, was für uns alle sicher nicht optimal ist.
Die für mich schwierigste Altersgruppe sind, so kann ich mittlerweile aus akribischen Beobachtungen und leidvollen Erfahrungen sagen, Arbeitslose zwischen 30 und 50. Zu denen finde ich oft keinen Zugang, verstehe sie nicht. Mitunter machen sie mich wütend, meist nur ratlos. Frauen zwischen 30 und 40 sind für mich die schlimmste Gruppe. Sie sind völlig rätselhaft und wann immer es möglich ist, werde ich sie nicht mehr betreuen. Ich habe null Zugang zu diesen Wesen. Egal, was ich versucht habe, es führte zumeist zu nix. Ich kapituliere. Frauen und ich, das geht selbst beruflich selten gut.
Derzeit habe ich sieben Teilnehmer, die mich als Coach zugelost bekamen. Und nur einer davon hat meiner Meinung nach Chancen auf einen Arbeitsplatz. Alle anderen werden die Quote weiter sinken lassen und gemeinsam mit mir untergehen.
Teilnehmerin 1 befindet sich in der vierten Woche, die sie mit einem Krankenschein zu Hause verbringt. Sie ist sehr viel näher an einem Rausschmiss als an einer Arbeitsaufnahme. An den Tagen an denen sie da war, verwirrte sie mich durch ihre chaotische und scheinbar unstrukturierte Arbeitsweise. Früher hätte ich versucht ihr Vorgehen zu korrigieren, mittlerweile weiß ich, dass es in einem solchen Fall nicht geht und versuche mich darüber nicht aufzuregen, merke aber, wie alles in mir sich gegen das scheinbare Chaos sträubt. Dennoch war ich anfangs zuversichtlich, dass sie Arbeit findet. Sehr komisch.
Teilnehmerin 2 fehlt mittlerweile ebenso lange und wird vermutlich auch gekündigt. Auch wenn sie nächste Woche zur Überraschung aller Beteiligten wieder hier auftauchen sollte, halte ich sie für nicht vermittelbar, was nicht nur an ihrem Übergewicht, sondern der Gesamtsituation liegt. Aber sie wird nicht auftauchen.
Teilnehmer 3 ist völlig neben der Spur und nennt mich auch nicht mehr seinen Lehrer. Privat völlig überfordert wirft er mittlerweile mit türkischen Schimpfwörtern nur so um sich. Teilweise verstehe ich gar nicht, was er alles loswerden muss. Bei jedem Vorstellungsgespräch oder Probearbeiten fragt er mittlerweile die für ihn zuständigen Leute, ob sie Mitarbeiter oder Sklaven suchen. Mir sagt er ständig, ich könne da gerne nachfragen und ihn auch bestrafen für sein Verhalten. Vielleicht braucht er einfach nur jemanden, den er erst beschimpfen kann und der ihm dann den Arsch versohlt. Ich weiß es nicht. So Leid es mir für ihn tut, ich möchte das nicht und finde keinen Zugang mehr zu ihm. So geben wir beide resigniert auf.
Teilnehmerin 4 ist eine besondere Krone der Schöpfung. Dreimal konnten wir ihr tatsächlich eine berufliche Perspektive bieten, doch dreimal sagte sie, dass sie das nicht machen kann, weil sie sich nicht von ihren künstlichen Fingernägeln trennen wird. Immerhin kann sie Prioritäten setzen. Ich habe ihr gesagt, dass es dann nicht viele Möglichkeiten mehr gibt. Heiraten und Kinder kriegen konnte ich ihr lediglich empfehlen, doch auch das will sie nicht. Ideen hat sie auch keine mehr und ich, der Jobcoach ohne Nutzen, kann ihr nicht weiterhelfen. So sitzt sie meist an ihrem Platz und spielt mit ihrem Smartphone. Nächste Woche verlässt sie uns zusammen mit dem schimpfenden Teilnehmer 3 und so ziehen die beiden gemeinsam die Quote weiter nach unten. Das ist irgendwie süß, denn Teilnehmer 3 ist ganz angetan von ihr. Aber selbst meine Verkupplungsversuche sind in diesem Fall kläglich gescheitert. Zum Abschied habe ich von ihr die bisher schlechteste Bewertung aller Teilnehmer bekommen. Passend dazu wird mein Bericht über sie auch wenig schmeichelhaft sein. So ergibt sich wenigstens ein irgendwie stimmiges Gesamtbild. Helfen wird das allerdings keinem von uns.
Teilnehmer 5 verlässt uns ebenfalls nächste Woche, ohne vermittelt worden zu sein, was zu erwarten war als er vor drei Monaten hier anfing. Immerhin haben wir es versucht und teilweise haben wir viel zusammen gelacht. Aber auch das hilft am Ende keinem von uns.
Teilnehmer 6 ist der einzige Hoffnungsträger hier. 19 Jahre, aktiv und intelligent. Wenn ich am Ende auch ihn nirgendwo unterbringen kann, habe ich hier echt nichts mehr zu suchen.
Teilnehmerin 7 ist ein Sonnenschein. Mitte 30, Übergewichtig und voller Flausen im Kopf. Oder Flusen. Ich weiß es nicht. Am liebsten gestaltet sie die Kopfzeile und das Deckblatt ihrer Bewerbung um. Da kann sie stundenlang basteln. Wirklich gearbeitet hat sie, wenn man Tiersitten mal nicht mitrechnet, noch nie. Dafür riecht sie immer sehr speziell nach altem Schweiß. Kaum ist sie hier, verwandelt sich der Duft des Raumes in ihre persönliche Note. Muss man mögen. Oder eben nicht. Das Träumerle werden wir hier noch eine Weile bewundern und dann unvermittelt zurück in ihr Leben übergeben. Mehr ist nicht drin.
Das waren meine Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Dazu gesellen sich noch die Talente, die Carsten zu betreuen hat, wenn er wieder zurückkehrt.
Teilnehmerin 8 betont permanent, dass sie zu alt für einen Arbeitsplatz ist und sie eh keiner einstellt. Dazu kommen psychische Probleme. Derzeit ist sie krank. Sie zu vermitteln käme einem Wunder gleich und es wird sicher kaum helfen, wenn wir gemeinsam das Lied von Katja Ebstein singen und einfach ganz fest daran glauben.
Teilnehmer 9 werden wir erst nächste Woche kennenlernen.
Teilnehmer 10 werden wir erst nächste Woche kennenlernen.
Teilnehmerin 11 werden wir erst nächste Woche kennenlernen.
Teilnehmer 12 ist Mitte fünfzig und zu 80% schwerbehindert, was eine Vermittlung ziemlich erschwert. Dafür ist er immer gut drauf und scheint uns alle zu mögen. Er hätte es wirklich verdient nochmal irgendwo eine Chance zu bekommen. Doch wer kriegt schon, was er verdient?
Teilnehmer 13 ist die bisher größte Herausforderung, denn nie zuvor gab es hier jemanden, der so ungepflegt war und so grausam gestunken hat. Ich sage bewusst gestunken, weil das mit riechen nichts mehr zu tun hat. Wenn ich ihm mal helfen und dazu kurz neben ihm sitzen oder stehen muss, kann ich den Würgereiz nur mit größter Mühe unterdrücken. Laut Jobcenter soll er als Pförtner oder am Empfang eingesetzt werden. Dabei kennen die seinen Geruch und sein Erscheinungsbild. Er sitzt hier meist mit kurzen Hosen und wenn man mit ihm redet und dabei anschaut, was eine echte Herausforderung ist, blickt man auf eine stets belegte Zunge und Zähne, deren Zwischenräume fast nicht mehr zu erkennen sind. Das Zähneputzen muss er vor längerer Zeit eingestellt haben. So wie er beim Thema Hygiene längst erfolgreich ausgestiegen ist. Leider lässt sein Bewerbungsfoto all das schon erahnen, weshalb er vermutlich nie eine Einladung bekommen wird. Auf seinen furchtbaren Gesamtzustand werde ich ihn nicht ansprechen und hoffe, die Geruchsbelästigung, die selbst dann anhält, wenn er längst gegangen ist, unbeschadet zu überstehen.
Teilnehmer 14 ist zu neu, um ihn schon zu verurteilen. Da er aber nach seiner Ausbildung vor über zwanzig Jahren nicht mehr wirklich gearbeitet hat, scheint auch er schwer vermittelbar. Immerhin ist er nett und arbeitet noch gut mit.
Teilnehmer 15 hat viel zu erzählen und wenn man ihn so betrachtet denkt man unweigerlich an einen Waldschrat. Oder man denkt dabei an die Ludolfs und stellt sich vor, wie er mit den Brüdern gemeinsam auf dem Schrottplatz auf einem ausgemusterten Pick Up sitzt und sein Pausenbrot verzehrt, während er spannende Geschichten erzählt bis alle eingeschlafen sind. Kurioserweise fehlt es an Fantasie mir vorzustellen, dass er eines Tages einer geregelten Arbeit nachgehen wird.
Was mich, wenn ich mir die Teilnehmer so anschaue am meisten gruselt, ist die Tatsache, dass ich viele Jahre einer von ihnen war und es nur ein verdammt kleiner Schritt ist, wieder auf deren Seite zurückzukehren. Mögen zwischen manchen Teilnehmern und mir scheinbar Welten liegen, so trennt uns in Wahrheit maximal eine Tischplatte voneinander. Ich muss nur aufstehen und auf der anderen Seite Platz nehmen, dann habe ich mein altes Leben wieder. Dazu bedarf es nicht einmal einer wirklichen Anstrengung. Ein falscher Schritt, eine unglückliche Entscheidung, weiter kein Vermittlungserfolg, schon sitze ich da, wo ich eigentlich nicht mehr sein wollte und plötzlich kümmert sich irgendein dahergelaufener Jobcoach um mich und erklärt mir die Welt. Absurd. Völlig absurd.
Oh je…
Das ist eine sehr treffende Zusammenfassung.
Es ist nie verkehrt, die Energie auf die wenigen hoffnungsvollen Fälle zu konzentrieren, als sie an den hoffnungslosen zu verschwenden. Das reibt nur auf.
Schwierig wird es, wenn keine hoffnungsvollen Fälle mehr da sind.
Nur für das Endergebnis, aber das würde sich auch bei hohem Energieeinsatz nicht ändern.
Man weiß es nicht.
ich drück mal die daumen, dass die tischplatte weiterhin so stehen bleibt, wie bisher.
Danke. Ich kletter dann einfach rüber.