Berlin

Tag 1
Die Sonne scheint und es liegen etwa 500 Kilometer vor mir. Perfekte Bedingungen für den Benz also. Die Klimaanlage auf eine angenehme Temperatur stellen und mit 170 km/h über die Autobahn gleiten, so ist es einfach herrlich. Dennoch habe ich mich anders entschieden und sitze nun im Coupé. Warum ich den Luxus des Benz gegen die Reise im Alltagsauto getauscht habe? Die Parkmöglichkeiten vor Ort schienen mir fragwürdig und unangemessen für den Benz. Und während ich so über die Autobahn fahre, frage ich mich, warum ich mir das antue. Statt flott
voranzukommen, fahre ich meist um die 120 km/h, weil das Coupé ab 140 nicht mehr wirklich Freude bereitet und ab 160 zu viel Konzentration fordert. Ob es tatsächlich am Coupé liegt oder doch an mir, weiß ich nicht, ist auch unwesentlich, da nicht mehr zu ändern. Die Autobahn ist recht leer und ich fahre zumeist auf der rechten Spur. Lediglich die Mittelspurblockierer zwingen mich immer wieder auf die linke Spur, weil man nicht rechts überholen darf. Wenn ich diese Mittelspurblockierer beim Überholen anschaue, sehe ich meist dumme Gesichter, die vermutlich zu geistigen Flachpfeifen gehören. Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass die Auto fahren dürfen.
Nach einer Weile vermisse ich die Mittelarmlehne, die mir im Benz bei längeren Fahrten eine bequemere Sitzposition gestattet. Dafür ist der Klang im Coupé besser und so werde ich fast während der ganzen Fahrt von Modern Talking begleitet. Ich
wusste gar nicht, dass ich so viele Lieder von denen habe.

Nachdem ich gut sechs Stunden angereist bin, ziehe ich in mein winziges Zimmer mit Bad und mache mich auf den Weg, um Nahrung aufzunehmen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und ich entscheide mich für ein asiatisches Restaurant in dem kaum
Leute sind. Dort setze ich mich in eine Ecke, so dass ich niemanden sehen muss. Dabei wollte ich genau das nicht tun. Ich wollte mit diesem im Abseits sitzen aufhören. So stelle ich mir die Aufgabe für den Abend. Ich muss mich in irgendeinen Biergarten setzen und dort was trinken. Etwas, was ich sonst nicht tun würde. Aber ich kann den Abend ja kaum in meinem Zimmer verbringen. Das wäre albern. So wandere ich nach dem Mahl los. Mal ist es mir zu voll, dann zu leer. Dort kann ich nicht sitzen, weil alles essen und ich nicht trinken will und woanders kann ich mich nicht hinsetzen, weil, ja, warum eigentlich nicht?
Genau, weil ich etwas gestört bin.
Nachdem ich über eine Stunde umhergewandert bin, finde ich einen geeigneten Platz. Zwei Tische, durch Pflanzen von allen anderen Tischen getrennt, scheinen meinen Ansprüchen zu genügen. Niemand würde sich freiwillig dort hinsetzen, wenn woanders genug Platz ist. Woanders ist viel Platz und ich nehme Platz. Doch noch geschafft. Ich bestelle einen Ananasnektar und sitze eine Stunde einfach so da, beobachte die Menschen und habe das Gefühl, dass hier keiner in meinem Alter ist. Wo sind die älteren Menschen nur hin?

Tag 2
Am nächsten Tag bin ich ganz Tourist, fahre mit der Bahn zum Alexanderplatz und steige dort in einen Touristenbus. Die Sonne brennt und ich bereue, dass ich nicht mehr Sonnenschutz aufgetragen habe. Beim zweiten Halt steige ich schon aus, weil man dort eine Schiffstour machen kann. Schiffstouren ziehen mich magisch an. Und so kaufe ich ein Ticket für die kleine Rundfahrt, sitze in der prallen Sonne und spüre, dass ich anbrenne. Ansonsten genieße ich aber die kleine Tour. Anschließend wird wieder asiatisch gespeist, bevor ich in den Bus steige und die Touristenrundfahrt fortsetze. An manchen Stationen steige ich aus, mache Fotos, renne hin und her
und bin beschäftigt. Danach klettere ich zurück in einen Bus und merke, dass der Sonnenbrand behandelt werden muss. Am Schloss Charlottenburg steige ich aus. Aber nicht, um das Schloss zu bewundern, sondern um mir eine Creme für meine verbrannten Arme und das angeschmorte Gesicht zu kaufen. Nachdem ich eingecremt bin, lasse ich mich mit dem Touristenbus zum Ausgangspunkt
zurückbringen. Es scheint so als könnte ich gut alleine verreisen.

Nachdem ich mich etwas erfrischt habe, treffe ich mich am Abend mit Lucy. Lucy habe ich vor über zehn Jahren über einen Blog kennengelernt und nun können wir uns endlich persönlich
kennenlernen. Dieses Treffen hat einen großen Anteil daran, dass mein Reiseziel Berlin wurde und ich nicht mit etwas leichterem meine Alleinreisekarriere gestartet habe.
Lucy ist fast 70 und damit unwesentlich älter als ich es bin. Wir verstehen uns so gut wie am Telefon und gehen erst etwas essen und sitzen später irgendwo herum, um eine Kleinigkeit zu trinken und über dies und das zu philosophieren. Möglicherweise
reden wir aber auch nur Unsinn. Bis nach Mitternacht dauert unser Treffen, dann bin ich wieder auf meinem Zimmer und denke darüber nach, dass dieses ganze altwerden und alt sein schon eine ziemliche Scheiße ist. Im Geiste noch in der Pubertät hat man einen Körper, der einfach so verrottet. Wäre ich nicht so müde, würde ich da noch Stunden drüber nachdenken.

Tag 3
Den Tag verbringe ich zunächst am Leipziger Platz. Mit dem schnellsten Aufzug Europas werde ich auf etwa 100m Höhe gebracht und betrachte Berlin von oben. Etwas, was ich neben Schiffstouren, sehr mag. Das ist schräg, denn zum einen habe ich
Höhenangst, zum anderen kann ich nicht schwimmen. Da erscheinen meine Vorlieben irgendwie widersprüchlich. Nachdem ich alles gesehen habe gönne ich mir ein asiatisches Mahl in der Mall of Berlin. Es folgt ein Besuch bei den Mauerresten. Diese sind ein weiterer Beweis dafür, dass Menschen völlig beschränkt sind. Wie käme man sonst auf die Idee so eine Mauer mitten in eine Stadt zu bauen und auf Leute zu schießen, die gerne die Seite wechseln wollen? Menschen sind echt zu blöd. Wie so minderwertige Lebewesen schon über einen so langen Zeitraum existieren können, werde ich nie verstehen.
Nachdem ich mir in den nächsten Stunden noch einiges angesehen habe, geht es zurück zum Alexanderplatz. Dort besuche ich die Aussichtsterrasse Radisson Park Inn. Ganz alleine genieße ich dort die Aussicht und bin unzufrieden, weil ich morgen abreisen muss. Ich suche nach Übernachtungsmöglichkeiten, finde aber nichts, was meinen geringen Ansprüchen genügt.

Den letzten Abend in Berlin verbringe ich erneut mit Lucy. Wieder sind wir einen Tag älter und mir scheint es als wären
um uns herum nur junge und attraktive Menschen. Ich war noch nie attraktiv, aber immerhin mal jung. So muss ich wenigstes niemals traurig sein, dass ich irgendwann meine Attraktivität verliere. Dank dieser Erkenntnis kann ich den Rest des Abends beruhigt weiter Menschen beobachten. Dann heißt es Abschied nehmen. Ich glaube nicht, dass wir uns je wiedersehen, weil wir beide nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben und Berlin einfach zu weit weg ist.

Tag 4
Pünktlich räume ich mein Zimmer und beklage mich als ich die Schlüssel abgebe, dass ich eigentlich noch bleiben will. Leider ist mein Zimmer aber schon vergeben und auch die anderen Zimmer hier sind belegt. Doch der Mann vom Apartment hat eine Idee. Er ruft in anderen Pensionen an und findet tatsächlich in unmittelbarer Nähe ein Zimmer für mich. Ich ziehe also für eine Nacht um und bleibe in Berlin.
Den Tag verbringe ich ganz entspannt am Alexanderplatz, hänge einfach nur rum und als ich am Abend zurück in Prenzlau bin, finde ich mich inmitten von Menschenmassen wieder. Das alljährliche Sommersonnenwendefest findet statt und ich bin mittendrin. Hübsche Menschen, wobei ich da nur auf die Frauen achte, soweit das Auge reicht und mittendrin ein fast fünfzigjähriger Sakkoträger, der so gar nicht her zu passen scheint. Dummerweise bin ich dieser alte Sack. Obwohl ich so Menschenmassen nicht mag, lasse ich mich in der Masse treiben. Als wäre ich ein Teil des Ganzen. Vermutlich bin ich es auch.
Gegen 22.00 Uhr bin ich zurück in meinem Zimmer, betrachte mich im Spiegel und erkenne mich kaum. Diese alte Hülle passt nicht zum Kern. Selten kam ich mir dermaßen bewusst so gealtert vor. Egal, wie lange ich nicht zum Friseur gehe, wieviel Cremes ich benutze, da ist nichts zu retten. Ich bin jetzt in einem furchtbaren Alter. Die Zeit läuft ab, da kommt nicht mehr viel. Erst recht nicht, wenn man seinen Alterungsprozess nicht irgendwann akzeptiert. Frauen unter 30 sehen mich nicht mehr und in ein paar Jahren kann ich nur noch hoffen, dass sie mich mal aus Mitleid über die Straße führen oder fragen, ob der Opi verwirrt ist und sich verlaufen hat. Es wird auch nicht besser, wenn ich noch länger vor dem Spiegel stehe. Also verlasse ich noch einmal das Zimmer, um ein wenig umherzuwandern. Nur nicht zu viel nachdenken, sonst muss ich am Ende noch kotzen.

Tag 5
Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Heimweg. Berlin hat mir gut gefallen und es war sehr entspannt. Ich habe gut gegessen, meist gut geschlafen und bin durchaus in der Lage alleine zu verreisen. Diese Erkenntnis lässt hoffen, denn so erscheint es möglich, dass ich meinen Plan, zweimal pro Jahr ein paar Tage wegzufahren, umsetzen kann. Vorausgesetzt ich kann es mir leisten.
Während der unendlich erscheinenden Autobahnfahrt bin ich mehrmals kurz davor einzuschlafen und habe Glück, dass auch heute nicht wirklich viel Verkehr ist. So weite Autofahrten sind nichts für mich und ich muss meinen nächsten Urlaub in geringerer Entfernung verbringen. Letztlich bin ich durchaus erleichtert als ich nach etwa sechseinhalb Stunden heile zu Hause ankomme. Der Alltag hat mich wieder. Fast schon enttäuschend.

6 Kommentare

  1. Ich mache das auch immer gerne 3 bis 4 mal im Jahr. Raus. Kamaera mitnehmen. Menschen aus dem Weg gehen, maximal beobachten.

    Ich wünsche viel Spaß mit dieser Art das Land zu entdecken. Alleine verreisen ist etwas großartiges.

  2. Es freut mich, dass Dir Berlin so gut gefallen hat … ich liebe Berlin. Im Gegensatz zu Dir fällt es mir gar nicht auf, dass so viele junge Menschen dort sind, wahrscheinlich deshalb, weil ich mich mit ihnen jung fühle. Beim nächsten Mal führe ich Dich an Orte, wo sich alte Taschen tummeln 🙂 … und es war sehr schön, Dich kennenzulernen, nach all den Jahren … 🙂 … Liebe Grüße … Lucy

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