Zusammen mit dem Bewerbungsbegleiter aus Kamen und einem Mann vom Fahrdienst fahren wir zur Auftaktveranstaltung nach Unna. Der Mann vom Fahrdienst hat diesen typischen Geruch, den ich bisher nur von Alkoholikern kenne, an sich. Ich will ihn nicht direkt verurteilen, gehe aber davon aus, dass ich es hier um einen Mann mit einem Alkoholproblem handelt. Auch wenn er nur als Beifahrer eingesetzt wird, finde ich es bedenklich. Doch da auch ich mich irren kann, tue ich dem Mann, der etwa Mitte fünfzig ist, möglicherweise unrecht.
Weil wir etwas früh dran sind, dürfen wir noch in einem Warteraum Platz nehmen. Dort sitzt bereits eine Frau, die meiner Meinung nach zu viel redet. Sie erzählt, dass sie Bürokauffrau ist und eine zusätzliche Ausbildung zur Buchhalterin gemacht hat. Sie arbeitet derzeit unter Wert, denn sie ist, so sagt sie, mindestens 1800 Euro netto monatlich wert. Wenn sie ihre Zusatzausbildung mit einrechnet, sogar 2.500 Euro netto. Schon vom anhören ihrer unsinnigen Geschichten bekomme ich Kopfschmerzen, weshalb ich sie einfach nur verständnislos anstarre. Zuletzt, was aber schon einige Jahre her ist, hat sie bei Rewe an der Theke gearbeitet. Sicher auch weit unter ihrem 2500 Euro Niveau. Ich bin froh als wir endlich in einen anderen Raum gehen dürfen und die wertvolle Frau ihren Redeschwall unterbrechen muss.
Insgesamt sind wir neun hoffnungslose Fälle, die hier fit gemacht werden sollen, um bald eine angemessene Arbeit zu finden. Der Chef des Unternehmens stellt sich uns vor. Er hat zwei Mitarbeiterinnen dabei. Die blonde Frau Pfahl, mit der ich letzte Woche kurz telefoniert habe, und Frau Kinkartz, die uns fit machen wird. Frau Pfahl hat irgendwas, ich weiß aber nicht was es ist. Sie wirkt irgendwie verrucht, ist Mitte bis Ende 30 und hat eine Zahnlücke. Mir fällt auf, dass sie ziemlich oft zu mir rüber guckt, was ich merkwürdig finde. Der Chef hält seine Rede, beantwortet Fragen noch bevor sie gestellt werden und macht eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck. Als Ziel nennt er, dass wir am Ende einen Mindestlohnjob mit 40 Wochenstunden bekommen, damit würden wir dann mehr als jetzt verdienen, weil wir dann wöchentlich zehn Stunden mehr arbeiten würden. Ich weiß nicht, ob das wirklich ein erstrebenswertes Ziel ist, gehe aber davon aus, dass es unrealistisch ist, da keiner von uns neun Pflegefällen
jemals mehr in seinem Berufsleben erreichen wird.
Die vier Frauen, die auf der einen Seite sitzen machen alles andere als einen guten Eindruck. Sie reden permanent dazwischen, versuchen witzig zu sein und halten uns nur auf. Besonders die 2500 Euro Frau kann ihren Mund nicht halten. Nachdem der Chef fertig mit seinem Vortrag ist, stellt sich Frau Kinkartz vor. Sie wird Einzeltermine mit uns machen, verrät aber partout nicht, was genau sie mit uns macht. Alles sehr individuell und daher jetzt noch nicht erklärbar. Auf mich wirkt sie wie jemand, dem ich sonst Bewerbungen schreibe. Verrückte Welt. Nach ihrem belanglosen und nichtssagenden Vortrag geht es darum Einzeltermine für die nächste Woche mit ihr zu vereinbaren. Ich sage unserem Mann vom Fahrdienst, der in der zweiten Reihe sitzt, dass er einen Gemeinschaftstermin für uns drei am nächsten Mittwoch klar machen soll. Findet er toll und übernimmt den Auftrag gerne. Wenn ich etwas kann, dann ist es delegieren.
Ich muss noch etwas unterschreiben, dann bin ich fertig und muss auf meine beiden Spezies warten, die irgendwie nicht in die Gänge kommen. Weil das langweilig ist gehe ich zur Tür, wo sich der Chef, die blonde Frau Pfahl und noch ein anderer Mitarbeiter unterhalten. Frau Pfahl sagt, dass es coole Brillen gibt und weil ich gerade da bin, mische ich mich in das Gespräch und frage sie, wie eine coole Brille denn aussieht. „So wie Ihre.“, antwortet sie mir. Da ich diese Antwort erwartet habe, sage ich ihr das auch. Bei der Gelegenheit gucke ich mir ihre Zahnlücke an und werfe einen Blick in ihren Ausschnitt. Das hätte ich besser nicht getan, denn während des weiteren Gesprächs schaue ich nun entweder auf ihre Zahnlücke oder in den Ausschnitt. Plötzlich, ohne Grund und völlig unnötig, mischt sich der Chef in das Gespräch ein und fragt mich, warum ich nicht gehe. Merkt der nicht, dass er überflüssig ist und ich hier ein nettes Gespräch mit seiner Angestellten führe? Oder mag er es nicht, wenn er links liegen gelassen wird? Ich sage ihm, dass ich noch auf die beiden Kollegen warten muss. Anstatt mich nun in Ruhe weiter mit Frau Pfahl reden zu lassen, fragt er mich tatsächlich, welcher Tätigkeit ich nachgehe. Ich sage ihm, dass ich so etwas Ähnliches mache, wie das, was man uns hier anbietet. Nur in der Light Version. Scheinbar gefällt ihm meine Antwort nicht, denn er verdreht irgendwie verständnislos die Augen und wendet sich ab. Ich werfe einen letzten Blick in den Ausschnitt von Frau Pfahl und verabschiede mich. Es ist davon auszugehen, dass ich weder den Chef, noch den Ausschnitt je wieder sehen werde.
Abschließend bleibt zu erwähnen, dass diese sogenannte Auftaktveranstaltung nicht wirklich etwas gebracht hat. Außer dem Chef natürlich, der dafür sicher ein großzügiges Salär erhält. Wenn die nächsten Termine ähnlich ergiebig sind, dann Gute Nacht.